31. Mai 2019 Redaktion Sozialismus: Ein YouTuber deckt Arroganz von Politiker*innen auf

Rezo und das verkrustete Politsystem

Kurz vor den Europawahlen hatte ein YouTuber namens Rezo ein 55-minütiges Video mit dem Titel »Die Zerstörung der CDU« ins Netz gestellt. Er hatte darin mehrere Parteien, vor allem aber die Christdemokraten wegen der Grundlinien ihrer Politik angegriffen.

Dabei ging es auch um die Klimapolitik und die Haltung der etablierten Parteien zur »Fridays for Future«-Bewegung. Dieses Video hat eine überraschende Resonanz gefunden, erreichte bislang rund 13 Millionen Zuschauer*innen und hat zugleich die Ratlosigkeit diverser Repräsentanten in der politischen Arena aufgedeckt.

Dieser Auftritt war ungewöhnlich: Der YouTuber hat bisher vor allem Musikvideos verbreitet und sich dabei eine Community von ca. 1,6 Millionen Abonnenten erarbeitet. Das gepostete »Wahl-Video« sollte nicht wirklich wie angekündigt die CDU »aktiv zerstören«, so Rezo, dies täten bereits »die Fakten und Tatsachen«.

Rezo präsentiert in schnellem Tempo Thesen und Fakten. In der Gesamtanlage ein 55-minütiger Angriff auf die Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel, angereichert mit vereinzelten Seitenhieben gegen SPD und AfD. Zum Beleg der Argumentation poppen am Bildschirmrand im Sekundentakt Quellenangaben auf. Es geht um drei Schwerpunkte der Politik:

  • Ausgangspunkt ist die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung. Vom Aufschwung des letzten Jahrzehnts haben vor allem die Menschen profitiert, die ohnehin viel verdienen. Die untersten 40% können keinen Zuwachs verzeichnen oder haben heute sogar ein geringeres Einkommen. Die oberen 10% dagegen haben ihre Bezüge von 1991 bis 2016 um 35% gesteigert, während die Gehälter der unteren 10% um 8% sanken. Die 45 Superreichen besitzen so viel wie die untere Hälfte der deutschen Bevölkerung und die Steuerpolitik begünstigt die großen Konzerne.
  • Rezo rückt bei der Beteiligung an Kriegsverbrechen die Aktivitäten der Amerikaner in das Zentrum. Sie würden von der Streitkräftebasis in Ramstein aus den Drohneneinsatz in Ländern wie dem Jemen und Somalia steuern. Er dokumentiert anhand von Videomaterial, dass die Drohnen im Jemen Unschuldige treffen und die Vergehen nicht geahndet werden. Referiert wird auch, dass Gerichte die Bundesregierung aufgefordert haben, diesen Vorwürfen nachzugehen. Letztlich empfiehlt der YouTuber, die US-Basis in Ramstein dichtzumachen. Die Konsequenzen für die NATO etc. werden nicht angesprochen.
  • In der Klimadebatte folgt Rezo der Argumentation der führenden Klimaforscher, Ökonomen und Biologen. Die Darstellung der dramatischen Zunahme des Kohlendioxidanteils in der Atmosphäre gehört zu den besten Teilen des Videos. Fast alle Wissenschaftler sehen die derzeitige Erderwärmung als menschengemacht an und prognostizieren schwerwiegende Folgen, wenn die Aufheizung der Atmosphäre weiter anhält. Rezos Schlussfolgerung lautet: An diesem Klimawandel ist vor allem die Bundesregierung schuld. Die Union zerstöre durch Untätigkeit in der Klimapolitik unser Leben.

Viele der Zuschauer*innen begeisterte das Video, sie teilten es in den sozialen Netzwerken. Die etablierten Parteien erweisen sich als unfähig, auf den Kern der Kritik einzugehen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte nach der Wahl und dem schlechten Ergebnis der CDU auf Rezo und 70 weitere YouTuber, die ihm beigesprungen waren, indem sie diese Beeinflussung in den sozialen Medien angriff und ankündigte, über Regeln für politische »Meinungsmache« im Internet in Wahlkampfzeiten diskutieren zu wollen.

Statt endlich die Vorwürfe der jungen Generation gegen die eigene Partei aufzugreifen, wurde die Diskussion auf ein anderes Terrain gehoben. »Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD«, fragte die CDU-Vorsitzende rhetorisch. »Mit Blick auf das Thema Meinungsmache« stelle sich die Frage, »was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich, und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?«

Rezo betont in seiner Antwort darauf, dass nicht er schuld daran sei, wenn die Regierungsparteien so wenige Stimmen von Wählern unter 30 Jahren einsammeln konnten. Das Wahlergebnis sei ein »Symptom«, genau wie sein Video. Und er kritisiert den Umgang vieler Politiker*innen mit den Themen Internet und Klima sowie mit den jüngeren Generationen mit deutlichen Worten: »Schließlich haben die ganz Alten die dicke Wahlmacht«, deshalb würden Politiker*innen auch eher die Themen dieser Wählergruppe als die der jüngeren priorisieren.

An diesem Konflikt wird eine seit längerem anhaltende Tendenz sichtbar: Die etablierten Parteien legen gegenüber einer jungen politisierten Generation große Ignoranz und Überheblichkeit an den Tag. Die anhaltenden Schülerproteste »Fridays for Future« wurden als Schulschwänzerei abgetan und zu den Demonstrationen gegen Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform hieß es, die Proteste dagegen würden von Jugendlichen angeführt, die von YouTube indoktriniert worden seien.

Die schlechten Ergebnisse zur EU-Wahl sind wie das Video und der nachfolgende Streit über die Macht von Medien sind ein Symptom für die zugespitzte Konfliktkonstellation und die Hilflosigkeit im politischen Raum. Dazu gehört auch die inhaltliche Reduktion der Video-Polemik auf die Klima- und Umweltfrage.

Rezo hat zwar die Wutrede zur »Zerstörung der CDU« auf die neue Klimabewegung zugespitzt. Es geht aber insgesamt um den Zusammenhang von Wirtschaftsstrukturen mit der Zerstörung der Umwelt und den Folgen einer zunehmenden Ungleichheit von Einkommen und Vermögen auf andere gesellschaftliche Bereiche. Er drückt es so aus: »Wenn dein Vadder reich ist, dann wirst du halt auch reich.«

Die Schockwirkung der Rezo-Analyse macht deutlich: Die Klima- und Umweltfrage ist nicht einer Lösung näher zu bringen, wenn die politischen Parteien wie bisher die Frage der Wirtschaftsordnung und die Verteilungsungleichheit ausklammern. Rezos Anliegen besteht darin, die Selbstzerstörung der Parteien aufzuzeigen, deren Wirtschafts-, Sozial-, Klima- und Außenpolitik zu einer immer unbewohnbareren Erde führt.

Jüngere Menschen sind bei den letzten Wahlen von den Grünen und ihrem Parteiprogramm stärker angezogen worden als von den alten Volksparteien. Aber auch die grüne Partei muss die Verbindung von Veränderung der Verteilungsverhältnisse mit den Klima- und Umweltproblemen sowohl programmatisch wie praktisch erst noch umsetzen.

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