4. Dezember 2022 Redaktion Sozialismus.de: Preisdeckel für russisches Erdöl

Rohstoff als Kriegswaffe

Die Gruppe der sieben einflussreichsten westlichen Länder, G-7, und Australien haben ebenso wie die Europäische Union (EU) eine Preisobergrenze von 60 Dollar je Fass (159 Liter) für russisches Öl festgesetzt, das über den Seeweg transportiert wird. Die G-7 teilte mit, der Ölpreisdeckel werde bereits morgen, also am 5. Dezember in Kraft treten.

»Die Koalition der Länder, die einen Ölpreisdeckel einführen, kann auch weitere Maßnahmen in Betracht ziehen, um die Wirksamkeit der Preisobergrenze zu gewährleisten«, so die Argumentation in der Mitteilung. Die Preisobergrenze soll Russlands Einnahmen aus dem Ölverkauf verringern und gleichzeitig einen Anstieg der weltweiten Ölpreise nach dem Inkrafttreten eines EU-Embargos für russisches Rohöl am 5. Dezember verhindern.

Der Preisdeckel soll zunächst bei 60 US-Dollar (57 Euro) je Barrel liegen – das vereinbarten die EU-Staaten nach langem Hin und Her. Die sieben führenden Wirtschaftsmächte und Australien kündigten ihre Beteiligung an. Ab Montag soll der Deckel gelten, zeitgleich mit dem Start des EU-Öl-Embargos gegen Russland.

Das Ziel ist, die russischen Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu drücken und so die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine schwieriger zu machen. Andererseits soll Russland durchaus weiter Öl vermarkten. Sonst würde die wertvolle Ressource auf dem Weltmarkt noch knapper, und die Preise würden auch im Westen steigen.

Kann die Logik – bitte verkaufen, aber billig, zu einem vom Westen diktierten Preis – funktionieren? Es ist ein Experiment mit vielen Unbekannten. Das Prinzip des Preisdeckels: Unternehmen wie Reedereien oder Versicherungen, die am Transport russischen Öls beteiligt sind, müssen bei Preisen von mehr als 60 Dollar je Fass mit Sanktionen durch die G-7, die EU und Australien rechnen. Damit soll das auch in Drittstaaten durchgesetzt werden. Allerdings ist offen, inwiefern Russland und Drittstaaten für die Öllieferungen auf Reedereien oder Versicherungen etwa aus China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten ausweichen.

Die Erlöse aus dem Verkauf von Erdöl finanzieren einen guten Teil des russischen Staatshaushaltes und damit auch die Kriegsmaschinerie Moskaus in der Ukraine. Die EU will Russland dazu zwingen, Erdöl künftig unter Marktpreis an Abnehmer in anderen Staaten zu verkaufen. Der Preis von umgerechnet etwa 57 Euro pro 159 Liter würde dann um bis zu neun Euro unter dem jüngsten Marktpreis für russisches Rohöl der Sorte Urals liegen. Laut Analysefirmen wird die russische Sorte Urals derzeit mit rund 50 Dollar pro Fass gehandelt. Damit wäre der Höchstpreis kaum bindend.

Um die Preisobergrenze durchzusetzen, soll geregelt werden, dass für russische Ölexporte wichtige Dienstleistungen künftig nur noch dann ungestraft geleistet werden dürfen, wenn der Preis des exportierten Öls die Preisobergrenze nicht überschreitet. Einen Monat später gilt das Embargo auch für Erdölprodukte wie Benzin oder Diesel. Damit will die EU einen zusätzlichen Hebel benutzen: Über die Hälfte aller Öltanker auf der Welt bezieht Versicherungs- und Finanzdienstleistungen von europäischen Firmen. Ein Verbot, solche Dienste zu erbringen, erschwert den Handel mit russischem Erdöl weltweit zusätzlich.

Die Amerikaner argumentieren, dass bereits die Aussicht auf eine Obergrenze den Preis für russisches Öl gedrückt habe, und der Höchstpreis zumindest ihre Verhandlungsmacht gegenüber Russland verbessert. Als Zugeständnis an Länder wie Polen u.a. gilt, dass der Höchstpreis alle zwei Monate überprüft wird und mindestens 5% unter einem von der Internationalen Energieagentur ermittelten Durchschnittspreis liegen soll.


Bleibt Russland passiv?

Moskau wird den von EU, G-7 und Australien beschlossenen Preisdeckel für russisches Öl erwartungsgemäß nicht akzeptieren. Nach Reaktionen russischer Diplomaten hält sich die russische Regierung konkrete Schritte offen. »Wir werden diese Deckelung nicht akzeptieren«, erklärt der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, laut der Agentur Tass. Russland sei vorbereitet, werde die Situation nun rasch analysieren und sich dann zu konkreten Schritten äußern.

Russland hat bereits erklärt, dass es an kein Land mehr Erdöl verkaufen werde, das sich an die verfügte Preisobergrenze halte. Gemäß der »Financial Times« kauft Moskau derzeit eine »Schattenflotte« von Öltankern zusammen, um den Sanktionen auszuweichen. Die Rede ist von über hundert Tankern, die das Land bereits heimlich allein im laufenden Jahr übernommen habe.

Mit dieser Flotte dürfte versucht werden, große Abnehmerländer wie Indien, China und die Türkei weiter zu beliefern. Indien zum Beispiel hat im November Tag für Tag 900.000 Fass Erdöl aus Russland importiert – neun Mal mehr als zu Beginn des Jahres. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass die erwähnten Schwellenländer das Regime der G-7/EU übernehmen werden.


Was macht die Opec und was heißt das Ganze für die Preise?

Die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) plus eine von Russland angeführte Gruppe beraten am Sonntag darüber, wie man mit der Situation umgehen will. Da das Treffen nur virtuell stattfindet, erwarten Beobachter, dass die Opec+ wohl stillhalten wird, gerade weil die Situation derzeit unübersichtlich ist.

Dazu kommt, dass die Opec+ erst im Oktober erklärt hatte, die Förderung um zwei Millionen Fass pro Tag zu reduzieren. Diese maßgeblich von Saudi-Arabien geprägte Kürzung hatte die USA erzürnt. Washington warf Riad vor, dadurch Russlands Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen.

Es dauert jedoch, bis die Opec-Mitglieder Beschlüsse umsetzen, weshalb Marktbeobachter davon ausgehen, dass von der Kürzung um 1,27 Millionen Fass, die auf die Opec-Mitglieder im engeren Sinne entfallen, erst gut die Hälfte umgesetzt wurde. Saudi-Arabien ist allerdings immer für eine Überraschung gut, weshalb auch eine weitere Kürzung nicht ausgeschlossen werden kann.

Russland hat im Oktober 9,9 Millionen Fass Erdöl pro Tag produziert. Durch das Embargo der EU und weitere Sanktionen könne die Produktion um 1,4 Millionen Fass fallen, sagt die Internationale Energieagentur voraus. Russland fehlen noch rund 70 Tanker, um die Sanktionen zu umgehen. Zum Vergleich: 2021 wurden weltweit täglich im Schnitt 90 Millionen Fass Erdöl gefördert.

Der Preis für Erdöl der Marke Brent ist nach dem Kürzungsentscheid der Opec+ vom Oktober vorübergehend um 10% auf fast 100 Dollar pro Fass geklettert. Kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im März war er gar auf 130 Dollar gestiegen. Doch am letzten Freitag lag der Preis wieder bei 85 Dollar.

Da der Höchstpreis von EU und G-7 für die russische Sorte Urals derzeit kaum bindend ist, könnte die Preisreaktion zunächst gedämpft ausfallen. Allerdings hat Putin in der Vergangenheit auch immer wieder mit Nadelstichen überrascht. So könnte er etwa den Fluss von Erdöl nach Europa durch die Pipelines unterbrechen, die von den Sanktionen ausgenommen sind.

Länder wie Italien haben zudem noch möglichst viel russisches Rohöl gekauft, bevor das Embargo der EU am Montag in Kraft tritt. Entscheidend wird sein, wie rasch Europa das russische Rohöl durch solches aus dem Nahen Osten ersetzen kann. Russland dagegen wird den Rohstoff noch stärker als bisher an China, Indien, die Türkei und andere asiatische Staaten verschiffen.

Ob die Ausweitung des Wirtschaftskrieges aufgehen wird, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Auswirkungen hängen auch von der Reaktion Russlands und anderer großer Länder ab. Schon die Aussicht auf eine Preisobergrenze setzte die Rohölpreise unter Druck. Hält Russland seine Ankündigung durch, kein Rohöl an Länder zu verkaufen, die sich an den Preisdeckel halten, könnte es zu einer Verknappung und damit steigenden Preisen führen. Es kommt deshalb stark darauf an, wie sich konkret China, Indien oder Ägypten verhalten, die derzeit einen großen Teil des russischen Erdöls kaufen.

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