24. Februar 2024 Redaktion Sozialismus.de: Zur Wirkung der Sanktionen
Russland im Wirtschaftskrieg
Zum zweiten Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine hat die Europäische Union (EU) neue Sanktionen gegen Russland verhängt. Es ist das 13. Sanktionspaket seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Damit sollen die Vermögen von rund 200 weiteren Personen, Unternehmen und Einrichtungen in der EU eingefroren werden. Es dürfen auch keine Geschäfte mehr mit ihnen gemacht werden – und sie dürfen nicht mehr in die EU einreisen.
Auch die USA wollen anlässlich des zweiten Jahrestages der russischen Invasion in die Ukraine weitere Sanktionen gegen mehr als 500 Ziele in Russland verhängen. Die Maßnahmen, die in Zusammenarbeit mit anderen Ländern ergriffen würden, richteten sich gegen den militärisch-industriellen Komplex sowie gegen Unternehmen in Drittländern, die Russland den Zugang zu den von ihm gewünschten Gütern erleichterten.
Das Ziel, die russische Regierung über die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen dazu zu bewegen, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden, wurde bisher nicht erreicht. Auch der vorhergesagte massive Einbruch der russischen Wirtschaft ist nicht eingetreten: Im Jahr 2022 schrumpfte die Wirtschaftsleistung Russlands nur um rund 2% – und damit weit geringer als erwartet.
Im Jahr 2023 ist das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,6% gestiegen. Die russische Zentralbank geht für 2024 von einem BIP-Anstieg von 2,3% aus. Noch etwas mehr Wachstum traut der Internationale Währungsfonds (IWF) der russischen Wirtschaft in diesem Jahr zu. Er hob Ende Januar seine Wachstumsprognose von 1,1% im Oktober 2023 auf 2,6% an.
Diese Entwicklung hat eine Diskussion über die russische Wirtschafts-Resilienz hervorgerufen. Jahrzehntelang führte Russland eine höchst orthodoxe und umsichtige makroökonomische Politik durch und häufte Wohlstand bei extrem niedrigen Schuldenständen an. Die Stärke dieser orthodoxen »Festungs-Russland«-Politik schuf einen beträchtlichen fiskalischen Spielraum, der dem Land nun dabei hilft, um seinen Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, und die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen zu bewältigen.
Die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen können das Wachstum kurzfristig mit großen fiskalischen Anreizen oder Kreditausweitungen unterstützen und gute Wachstumszahlen verzeichnen. Angesichts der starken Puffer und der scheinbaren Bereitschaft der Bevölkerung, soziale Härten zu tolerieren, könnte Russland durchaus in der Lage sein, dies für mehrere Jahre aufrechtzuerhalten.
Aber »Resilienz« trifft die Entwicklung nur teilweise. Russland durchläuft einen Prozess der wirtschaftlichen Schwächung, der auch in Zukunft andauern wird. Denn der Ausbau der Produktionsinfrastruktur, die auf die fossilen Brennstoffe ausgerichtet ist, kann nur begrenzt aufrechterhalten werden, und für eine Modernisierung der Produktion fehlen vielfach die materiellen sowie ideellen Ressourcen und natürlich auch die westlichen Technologien.
Laut den Plänen der Regierung werden in diesem Jahr die realen Militärausgaben um fast ein Drittel höher ausfallen, was mehr als ein Drittel der Ausgaben und etwa 7% des BIP ausmacht. Als Anteil der Weltwirtschaft ist Russland in Bezug auf die Kaufkraft von fast 4% vor der Finanzkrise 2008 auf unter 3% gefallen.
Erlöse aus dem Export von Erdöl sind eine entscheidende Einnahmequelle. Russische Beamte haben angegeben, dass Brent-Rohöl im Jahr 2024 85 US-Dollar pro Barrel kosten sollte. Brent wurde jedoch in diesem Jahr bisher unter diesem Niveau gehandelt. Darüber liegt der Handelspreis für Ural-Öl mit einem erheblichen Abschlag hinter dem für Brent, und es gibt eine enorme Undurchsichtigkeit im Zusammenhang mit dem ermäßigten Preis, den Russland erhält, da es in hohem Maße von Geschäften mit China und Indien abhängig ist.
Die Bemühungen der USA und der G7, die Ölpreisobergrenze zu verstärken und die Sanktionshinterziehung (z.B. durch griechische Tanker) einzuschränken, werden sich auch auf die Einnahmen auswirken. Allerdings haben diese Sanktionen der russischen Wirtschaft bislang nicht annähernd so viel geschadet wie gewünscht.
Obwohl Russland bislang in der Lage war, sein Defizit zu finanzieren, sind andere kostspielige Makrofaktoren zu beachten. Die Inflation ist hoch und die Zentralbank hält angesichts der Aussichten für die Preise hohe Zinsen bei. Das wird die realen Einkommen und die Investitionen untergraben. Der Rubel wird sich im Durchschnitt abschwächen, da die Währungsabwertung mehr Rubel für den Haushalt erzeugt. Die Währung würde aller Wahrscheinlichkeit noch viel weiter geschwächt, wenn sie nicht durch Kapitalkontrollen gestützt würde.
Nach wie vor kann die russische Wirtschaft als ein System vor allem der Finanzierung von Energieproduktion charakterisiert werden, das auf hohen Militärausgaben mit entsprechendem Ausbau der Rüstungsindustrien beruht – und mit wenig Innovationen in anderen Sektoren der Wirtschaft. Bei der Modernisierung der gesamtwirtschaftlichen Infrastruktur zeichnen sich klare Beschränkungen und eine tendenzielle Rückständigkeit ab.
Russlands wachsende Abhängigkeit von China, Indien, Iran und anderen Ländern bewirkt also eine Verwundbarkeit jenseits der Entwicklungen auf dem Energiemarkt. Indien stärkt die Beziehungen zu den USA. China möchte starke Exportbeziehungen zu den USA und Europa aufrechterhalten. Ungeachtet der billigen Energie werden China und seine Unternehmen in ihren Russland-Deals vorsichtig sein, weil sie befürchten, dass sie gegen die US-Sanktionen verstoßen könnten, insbesondere gegen die, die den Zugang zum US-Finanzsystem blockieren könnten. Auf mittlere Sicht gibt es durch die Sanktionen eine Schwächung der russischen Wirtschaft.
Außerdem wird Russlands Arbeitskräftepotenzial schon jetzt stark geschwächt. Der Tod von Soldaten (Schätzungen deuten auf über 300.000 getötete oder schwer verwundete Soldaten) und ein enormer Abfluss von Fachkräften führen zu einem enormen Verlust an Wertschöpfungspotenzial und belasten die Arbeitsmärkte. Diese Faktoren werden der russischen Produktivität bis weit in die Zukunft schaden.
Auch die westlichen Sanktionen gegen Technologien, selbst wenn sie aufgrund von Umgehungstransaktionen deutlich schwächer ausfallen, schaden der Wirtschaft. Über den Mangel an Ersatzteilen gibt es viele Berichte. Russland wird auch Schwierigkeiten haben, die Produktion in den Energiesektoren ohne westliche Kapitalgüter und Dienstleistungen weiterzuentwickeln.
Zusätzliche Kosten des Krieges sind auch in den zahlreichen Berichten über geplatzte Rohre und den Verlust der Winterheizung in ganz Russland zu entnehmen, da Investitionen in die Grundinfrastruktur nicht aufrechterhalten und ausgebaut werden können.
Westliche Firmen haben sich vom russischen Markt zurückgezogen, oft mit beschlagnahmten Vermögenswerten. Sie werden sicherlich nicht so bald zurückkommen. Rund 300 Mrd. US-Dollar an russischen Vermögenswerten wurden im Westen eingefroren, einschließlich beträchtlicher Einkommensverluste. Voraussichtlich werden diese Mittel für immer für Russland verloren sein, und sicherlich wird ein großer Teil zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine verwendet werden.
Trotz der westlichen Sanktionen im Finanzbereich haben das Banksystem und Zentralbank bislang einen unterbrechungsfreien Betrieb des Finanzsystems und der Banken in Russland gewährleistet. Die Verwendung von US-Dollar und Euro in Russlands Zahlungsverkehr mit dem Ausland ist stark gesunken. Der Anteil des Rubels an Zahlungen im Außenhandel Russlands habe sich verdreifacht. Er sei von 12% auf 36% gestiegen.
Am häufigsten würden jedoch inzwischen Währungen »neutraler Länder« bei Zahlungen im russischen Außenhandel verwendet. Ihr Anteil habe sich von 1% auf 40% erhöht. Der Anteil von Währungen »unfreundlicher Länder« an Zahlungen im russischen Außenhandel sei dagegen von 87% auf 24% gesunken.
Eine Untersuchung der aktuellen russischen Daten – wie Wachstum und Inflation – könnte darauf hindeuten, dass die Wirtschaft angesichts der Kosten, die Russland seine rücksichtslose Invasion kostet, zumindest kurzfristig »resilient« ist. Aber die durch die Sanktionen ausgelösten Schwächen und Defizite müssen in eine mittel- und langfristige Gesamtbewertung eingehen.
2024 wird auch von der russischen Regierung keine Fortsetzung des starken Wachstums erwartet. Nach der raschen Erholung der russischen Wirtschaft vom Rückgang des BIP nach dem Beginn des Ukraine-Krieges sind die verfügbaren Produktionskapazitäten sehr stark ausgelastet, aber Arbeitskräfte fehlen, auch wenn die gesamtwirtschaftliche Produktion inzwischen höher ist als vor dem Beginn des Krieges.
Und selbst wenn zutrifft, dass – wie von der Regierung herausgestellt – die russische Wirtschaft zu Beginn des Jahres 2024 auf einem »recht soliden Fundament« steht, die heimische Produktion weiter gefördert werden soll, um Importe zu ersetzen, und der Handel weiter auf Asien ausgerichtet und die Abhängigkeit von externen Technologien verringert wird, sind die aufgeführten negativen mittel- und langfristigen Folgen der Kriegsökonomie nicht bewältigt – auch für den Alltag der russischen Bevölkerung nicht.