15. April 2019 Redaktion Sozialismus

Salvini und rechte »Europäische Allianz der Völker und Nationen«

Matteo Salvini. Foto: Lega Salvini Premier (CC BY 3.0)

Wenige Wochen vor den EU-Parlamentswahlen nimmt eine neue Allianz von Rechtspopulisten Formen an. Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini stellte die »Europäische Allianz der Völker und Nationen« vor, die zur stärksten Fraktion im EU-Parlament werden will. »Wir wollen die stärkste Fraktion des Europaparlaments werden«, verkündete Salvini in Mailand selbstbewusst.

Zehn Bewegungen und Parteien – darunter AfD und FPÖ – wollen sich laut Salvini der Wahlallianz anschließen. Sowohl mit der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán wie auch mit Spaniens Vox-Partei, die seit den Regionalwahlen vom Dezember im Regionalparlament von Andalusien vertreten ist, werden noch Gespräche geführt. Salvini sieht den Kern einer großen europäischen Familie. Sein Ziel sei es, die EU-Wahlen zu gewinnen und die Regeln Europas zu ändern. Man bewege sich »in Richtung eines Europa der Vernunft«. »Wir arbeiten für einen neuen europäischen Traum. Für viele Familien und Bürger ist die EU inzwischen zu einem Albtraum geworden. Wir arbeiten für Beschäftigung, Familienpolitik, Sicherheit, Umweltschutz und Zukunft der Jugendlichen. Wenn die EU nur auf Finanz, Bürokratie und auf reinem Wirtschaftsdenken basiert, hat sie keine Zukunft«, sagte Salvini.

Schutz der Außengrenzen, Kampf gegen Schlepperei und Terrorismus und Respekt für die nationalen Identitäten seien weitere Anliegen der neuen Allianz. »Wir sind keine Nostalgiker oder Extremisten. Die einzigen Nostalgiker sitzen heute in Brüssel an der Regierung. Wir schauen in die Zukunft. Die veraltete Debatte über rechts und links, Faschisten und Kommunisten interessiert die 500 Millionen Bürger in Europa nicht, die überlassen wir den Historikern«, unterstreicht der Lega-Chef.

Salvini dementiert, dass er als Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Allianz im Rennen um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten antreten wolle. »Ich hege keine persönlichen Ambitionen. Wir arbeiten an einem Plan für das Europa der nächsten 50 Jahre und es ist eine Ehre, dass dieses Projekt von Italien aus startet«, sagte der italienische Innenminister und Vizepremier, der eine mögliche Spitzenkandidatur im vergangenen Herbst selbst ins Spiel gebracht hatte. Der AfD-Ko-Vorsitzende Meuthen meinte, Salvini wäre ein »perfekter Kandidat« für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. »Ich glaube aber, dass er seine großartige Arbeit in Italien fortsetzen will.« Seiner Regierungskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung werde die Rechtspopulisten-Allianz nicht schaden, betonte Salvini. Die Regierung in Rom werde bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 im Amt bleiben. Salvini sieht sich in Italien im Aufwind: Die Lega hat in einem Jahr ihre Stimmen verdreifacht, liegt in Umfragen bei über 30% und proklamiert daher: »Jetzt wird auch Europa verändert.«

Das neue Rechtsaußen-Bündnis für die Europawahl wird ohne eine gemeinsame Kampagne antreten. »Wir gehen nicht mit einem gemeinsamen Programm in die Europawahl, das Projekt ist noch im Entstehen. Jeder fährt seine nationale Kampagne und versucht, so viele Stimmen wie möglich zu holen«, sagte der Mitbegründer und Ko-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS). Übereinstimmungen gibt es vor allem bei der Migrationsfrage, da sind alle ungefähr gleich kategorisch. Meuthen sagte, Europa müsse zur »Festung« werden und hob dann zu einer Generaleloge über Salvini an. Der habe in Italien »beispielhaft« bewiesen, dass es möglich sei, die Zuwanderung zu stoppen. In wirtschaftlichen Fragen ist man sich dagegen viel weniger einig. Gerade zwischen der AfD und der populistischen Regierung in Rom sind die Divergenzen beim Umgang mit den Staatsfinanzen groß.

Bereits im Sommer 2018 hatte Lega-Chef Salvini eine europaweite »Lega delle Leghe« (einen »Verband der Verbände«) angekündigt, die im EU-Parlament zur stärksten Kraft avancieren solle. Anfang April nun nannte er erneut dieses Ziel, als er Gesinnungsgenossen von der deutschen AfD über die Finnen-Partei bis zur Dänischen Volkspartei in Mailand zusammentrommelte. Realistisch ist dieser Plan noch immer nicht. Zwar kann Salvini auf Zuwachs aus der EFDD-Fraktion hoffen, der die Auflösung droht, weil die britischen Nationalisten vor dem Ungewissen stehen, und weil die Fünf-Sterne-Bewegung aus dem rechtsnationalen Dunstkreises treten will. Doch Salvinis Bemühungen, auch mit der polnischen PiS oder gar mit Orbán ein Bündnis zu schmieden, haben noch nicht gefruchtet. Die PiS könnte vielmehr versuchen, weiterhin mit den britischen Tories zusammenzuspannen oder Parteien aus Osteuropa um sich zu scharen, die sich zwar von Brüssel nicht reinreden lassen, aber einen offenen Binnenmarkt und die Kohäsionszahlungen von West nach Ost erhalten wollen. Damit gäbe es künftig je eine Fraktion mit moderateren und mit radikaleren EU-Skeptikern.

Selbst wenn die Umgruppierung der modernen Rechten im europäischen Parlament gelingen sollte, werden die rechten EU-Kritiker eher nicht zur größten Fraktion – und sie müssten sich mit internen Differenzen herumschlagen. 2007 scheiterte die rechte Allianz »Identität, Tradition, Souveränität« nach kurzer Zeit, weil die Großrumänien-Partei die Fraktion unter Protest verließ, nachdem sich eine italienische Abgeordnete abfällig über rumänische Zuwanderer*innen geäußert hatte. Auch heute gibt es Widersprüche: Wenn die FPÖ Familienzulagen für Einwanderer*innen begrenzen will, wehren sich Osteuropäer*innen gegen die Degradierung ihrer Wähler*innen zu EU-Bürger*innen zweiter Klasse. Während Salvini Solidarität in der Flüchtlingspolitik einfordert, verhindert Orbán die Entlastung der Mittelmeeranrainer. Für die PiS ist Russland ein Feindbild, Le Pen, Salvini und Orbán aber kokettieren mit dem russischen Autokraten Wladimir Putin. Und nordische EU-Kritiker*innen haben deutliche Vorbehalte gegenüber der abenteuerlichen Finanzpolitik der italienischen Rechten.

Rechte Nationalisten stimmen in der Ablehnung der EU überein. Doch da die nationalen Interessen divergieren, fällt es ihnen schwer, eine konstruktive Agenda für Europa zu definieren. Die abstrakten Ziele eines Rückbaus der EU und der Stärkung der Nationalstaaten bleiben ohne Konkretisierung.


Matteo Salvini – der rechte Populist

Salvinis Popularität stützt sich vor allem auf seine rigorose Immigrationspolitik. Kritiker*innen an der rassistischen Instrumentalisierung werden von ihm als Anti-Italiener gebrandmarkt. Seine Popularität stützt sich auf das verbreitete Misstrauen gegenüber der politischen Elite. Sein politisches Patentrezept: Der gesunde Menschenverstand komme mit der Lega an die Regierung. Er verkauft sich als jemand, der pragmatische Entscheidungen trifft, um echte Probleme zu lösen – so wie das alle anderen Italiener*innen in ihrem Alltag auch täten.

Näher besehen hat dieser Pragmatismus einen ideologischen Hintergrund. Das italienische Volk sei jahrelang missachtet und verletzt worden. Zu den Akteuren gehörten: die internationale Finanzclique, das Europa der Bürokraten und natürlich auch die eigenen angeblichen Volksvertreter*innen, die stets bereit seien, vor den Finanzmärkten und Diktaten aus Brüssel in die Knie zu gehen.

Salvini begegnet seinen Wähler*innen niemals mit jener gelangweilten Verachtung, die dem etablierten politischen Diskurs eigentümlich war. Er belehrt oder führt die Massen nicht, er schwimmt mit ihnen. Er hat keine Hemmungen, über das zu sprechen, worüber nun mal alle sprechen, über Sanremo, Fußball, die Fernsehsendungen, die en vogue sind. Dank einem Team fähiger Kommunikationsexperten weiß er, welches gerade das bewegendste Thema ist, um dann seine Meinung in ebenso klarer wie jovialer Art kundzutun. Seine Richtschnur: Man muss die Sorgen, die Ängste der Leute ernst nehmen. Sie haben guten Grund, Angst zu haben

  • vor einer unkontrollierten Immigration zu haben, die irgendwie mit der Mafia und den Terroristen des IS zusammenhängt;
  • vor der Auflösung der traditionellen Familie;
  • vor dem Fortschreiten des Genderdenkens in der Schule;
  • vor dem Verlust ihrer Ersparnisse, an dem die internationalen Finanzspekulanten schuld sind;
  • davor, dass die massenweise hereinströmenden Immigrant*innen die Italiener*innen auf ihrem eigenen Boden ersetzen und damit die italienischen Traditionen und Werte dem Untergang geweiht sind.

Die Botschaft, die er anbietet, kommt an: Wir Italiener*innen sind nicht schlechter als die anderen Europäer*innen. Die Leute fühlen sich anerkannt und befreit, die eigene immense Wut und den eigenen Frust offen zu zeigen, ohne sich dafür zu schämen. Sie sehen ihre Vorurteile durch Salvini und seinen Pragmatismus bestätigt.

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