7. März 2006 Joachim Bischoff und Björn Radke

Scheitert der Parteibildungsprozess?

Die politischen Konflikte und Debatten in der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit spitzen sich offenkundig zu. In den Landesverbänden Berlin und Mecklenburg-Vorpommern befürwortet eine deutliche Mehrheit einen eigenständigen Wahlantritt gegen die Linkspartei.PDS bei den Landtagswahlen im Herbst; bundesweit wird diese Option von Teilen der Mitgliedschaft unterstützt. Auf der anderen Seite sehen in der Linkspartei etliche Politiker sich in ihrer Haltung gegenüber der WASG bestätigt: Relevanten Teilen der WASG gehe es nicht um einen erfolgreichen Parteibildungsprozess, sondern um ein eigenständiges politisches Auftreten.

Die Regierungsbeteiligungen sind aber auch in der Linkspartei umstritten. Auf der einen Seite verstehen es die Protagonisten der Koalitionen, sich immer wieder in die öffentliche Debatte mit dem Argument einzubringen, mit den Bündnissen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern eine antisoziale Politik zu verhindern. Auf der anderen Seite argumentiert der Ehrenvorsitzende der Linkspartei, Hans Modrow: "Im Prozess der Gründung der ›Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG)‹ unterlag die Teilnahme der PDS an den Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin schärfster Kritik und Ablehnung. Was bei der Bundestagswahl in den Hintergrund trat, ist als Problem nicht gelöst und wird im Prozess der Gründung einer neuen Linkspartei gewiss zu diskutieren sein." Die Kernüberlegung, diesen Konflikt mit in die neue gesamtdeutsche Partei der Linken hinein zunehmen und dort die Auseinandersetzung über ein anti-neoliberales Programm fortzuführen, stößt jedoch auf immer größere Widerstände.

Im Zentrum der Kritik steht die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften, Wasserwerken und Krankenversorgung; es geht aber auch um durch die Koalitionsregierungen zu verantwortenden Einkommenskürzungen, Arbeitszeitverlängerungen der öffentlichen Beschäftigten und Entlassungen. Diese Politik hat zu Protesten – nicht nur der zuständigen Gewerkschaften – geführt und die politische Glaubwürdigkeit der Linkspartei beschädigt.

Die Auseinandersetzungen prägen die WASG

Seit dem gemeinsamen Antritt von WASG und Linkspartei.PDS zu den Bundestagswahlen ist zwar keine grundsätzliche Veränderung der politischen Konstellation eingetreten, doch nunmehr wird die Beteiligung an den Landesregierungen von einem Teil der Kritiker zum politischen Lackmus-Test erklärt. Bei Fortführung der Regierungsbeteiligung und Aufrechterhaltung einer grundsätzlichen Koalitionsbereitschaft soll der Parteibildungsprozess blockiert werden, wobei allerdings auch die Frage "Kann ein Bundesland sich der neoliberalen Logik der Privatisierung von Wasserwerken, Wohnungsbaugesellschaften etc. oder der Aufkündigung von Tarifverträgen und einer Verlängerung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst etc. entziehen?" höchst unterschiedlich beantwortet wird.

Wir sind also bei den Bemühungen zur Bildung einer breiten pluralistischen Partei der demokratisch-sozialistischen Linken, vorangetrieben von Linkspartei und WASG, mit einer deutlichen Intensivierung der Auseinandersetzung konfrontiert.

Mittlerweile hat die Debatte derart an Heftigkeit gewonnen, dass der gesamte Parteibildungsprozess in der WASG davon bestimmt wird. Vor allem in den Landesverbänden von Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland Pfalz und Sachsen-Anhalt wird die Kontroverse als wenig hilfreich für den Wahlkampf gewertet. Die Entscheidung des Berliner Landesverbandes, eigenständig – d.h. in der Konsequenz gegen die Linkspartei.PDS – im Herbst anzutreten, wird zunehmend zugespitzt auf die Frage, ob eine Neue Linke mit einer Partei zusammengehen dürfe, die – wie die Berliner Linkspartei – "neoliberale Politik" betreibe. Es bleibt allerdings noch abzuwarten, ob der Berliner Landesvorstand für seine Politik in der von ihm durchgeführten landesweiten Urabstimmung die Legitimation erhält, die er sich wünscht und erhofft.

Auch der Anfang März tagende Länderrat der WASG war geprägt von dieser Zuspitzung und so blieb es nicht aus, dass trotz eindringlicher Warnungen hinsichtlich der Gefährdung des Gesamtprojektes keinerlei Annäherung der Positionen erkennbar war. Im Gegenteil: Mit denkbar knappen Abstimmungsergebnissen (21:18) wurde eine "Verurteilung der bundesweiten Urabstimmung" durch den Länderrat verhindert. Ein Dringlichkeitsantrag aus Schleswig-Holstein, "der Länderrat akzeptiert den eigenständigen Antritt des Berliner Landesverbandes der WASG" wurde mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. 14 UnterzeichnerInnen aus dem Kreis der KritikerInnen hatte einen Initiativantrag vorgelegt, der eine scharfe Zurückweisung Bodo Ramelows enthält, da dieser in einem Interview gegenüber der Saarländischen Zeitung geäußert hatte, nach der Mitgliederbefragung habe der WASG-Vorstand jede Handhabe, "um die Berliner zum Rückzug von einer eigenständigen Landtagskandidatur zu zwingen, sie in die Schranken zu weisen oder einen neuen Landesverband zu gründen". Dieser Antrag wurde mit 21 gegen 13 Stimmen durchgesetzt. Statt Konzentration auf die wirklichen politischen Problemlagen also viel Scharmützel. Der Appell eines Gastes aus Hessen, den Parteibildungsprozess nicht dadurch zu gefährden, dass man durch Hervorheben des Trennenden auch jene Kräfte innerhalb der Linkspartei stärke, die keine Veränderung wollen, blieb ohne Wirkung.

Diese Konfrontations- und Blockbildung hat keine Zukunft, weil sie keine Anziehungskraft auf die Menschen ausübt, die angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Konflikte von einer starken Linkspartei und ihrer Fraktion im Bundestag, in Landtagen und Kommunen Unterstützung und Stärkung der gesellschaftlichen Kräfte wie beispielsweise den streikenden Gewerkschaften erhoffen und erwarten.

Die Urabstimmung ist eine Chance

Drei Landesvorständen der WASG - Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern - haben vor diesem Hintergrund eine Mitglieder-Urabstimmung beantragt, um gegen die Tatsache, dass ein "Teil der Medien jeden noch so kleinen Konflikt innerhalb oder zwischen beiden Parteien in die Öffentlichkeit (zerrt), um das Bild der zerstrittenen und gespaltenen Linken zu festigen, (...) ein klares Zeichen zu setzen und die Mitgliedschaft zu befragen." Der Prozess zur Bildung einer neuen Partei solle "nicht länger ergebnisoffen hinsichtlich der Frage, ob es eine neue Partei geben wird, geführt werden."

Der WASG-Bundesvorstand unterstützt die Durchführung und die Fragestellung der Urabstimmung letztlich aufgrund der Tatsache, dass der kommende Parteitag nicht auf Basis von neu gewählten Delegierten entsprechend der gewachsenen Mitgliederzahlen durchgeführt werden kann. So hat der Länderrat auf seiner Sitzung vom 5. März entschieden, die Zahl der Delegierten auf 350 zu beschränken. Dieses entspricht rechtlich unanfechtbar der Satzung, aber eben auch nur einem Stand von ca. 3.300 Mitgliedern. Bis heute ist die Mitgliederzahl auf 11.800 angewachsen. Deshalb ist das Einholen eines Mitgliedervotums ein sinnvoller Schritt zur Klärung des tatsächlichen Willens zum Parteibildungsprozess.

Heute beginnen die Vorbereitungen zur Versendung der schriftlichen Unterlagen der bundesweiten Urabstimmung in der WASG. Abzustimmen ist bis zum 31. März über folgenden Text: "Ich bin dafür, den Parteibildungsprozess zwischen WASG und Linkspartei unter Einbeziehung der sozialen Bewegungen fortzusetzen. Am Ende dieses Prozesses soll eine neue linke gesamtdeutsche Partei stehen. Ich fordere den Bundesvorstand auf, bis Herbst 2006 den Mitgliedern Vorschläge für ein Programm, eine Satzung und den zeitlichen und organisatorischen Ablauf der Neubildung einer linken Partei zur Diskussion vorzulegen."

Ein eindeutiges Ergebnis zu Gunsten der gemeinsamen Parteibildung mit der Linkspartei.PDS wird ein wichtiges Signal sein, einen Prozess umzukehren, an dessen Ende das Scheitern dieses für die politische Kultur und die kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen so wichtigen politischen Projektes steht. Wenn das Projekt einer gemeinsamen neuen politischen Formation zeigen kann, dass es von einer breiten Mehrheit getragen wird, wird es seine positive Ausstrahlung in der politischen Öffentlichkeit zurück gewinnen. Deutlicher als bisher sollten sich daher jene in der WASG, die diese Erwartungen ernst nehmen, formieren und deutlich machen, dass der Weg unumkehrbar ist.

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