22. September 2014 Ulrich Bochum: Das Ergebnis der Unabhängigkeits-Referendums

Schottland wählte No

Am 19. September fiel vielen Briten ein Stein vom Herzen. Die Schotten hatten sich mit 55% für einen Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden. Der Vorsprung von 10% gegenüber der Pro-Unabhängigkeitskampagne fiel doch größer aus als zuletzt erwartet worden war. Noch am Abend kündigte der Erste Minister Schottlands und Vorsitzende der Scottish National Party (SNP), Alex Salmond, seinen Rücktritt an.

Insgesamt verliefen die Kampagne, die breite politische Debatte und die Abstimmung in zivilisierten Formen. Das lebendige zivilgesellschaftliche Engagement im Kontext des Referendums hat gezeigt, dass eine politische Aktivierung breiterer Schichten für eine kapitalismuskritische Position, denn das war es auf Seiten der Yes-Aktivisten durchaus, möglich ist.

In den letzten Tagen vor der Abstimmung hatten die Westminster-Parteien noch einmal alle Kräfte mobilisiert, um die Schotten von der Abspaltung abzuhalten. Dies gipfelte in einem Schwur, im Falle des Verbleibs Schottlands weitere Rechte der Selbstverwaltung auf Schottland zu übertragen. Dieser Schwur wurde von David Cameron, Ed Milliband und Nick Clegg unterschrieben und in einer Glasgower Zeitung auf der Titelseite veröffentlicht.

Bereits im Laufe der Abstimmungsnacht wurde klar, dass die Unabhängigkeitsbewegung Wahlbezirke nicht gewinnen konnte, die sie eigentlich als sichere Bank für sich verbuchen zu können glaubte. Letztlich haben nur drei Bezirke sich mit deutlicher Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen, dazu gehört Glasgow als größte Stadt in Schottland.

Eine Analyse der Wahlentscheidungen auf Basis einer Telefon- und Online-Befragung zeigt, dass sowohl Frauen als auch Männer mehrheitlich für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmten, dass aber insbesondere die sehr jungen Wählerinnen und Wähler zur mehr als 70% für die Unabhängigkeit votierten. Bei den Älteren dreht sich dies wieder um.

Die ausschlaggebenden Themen für die Wahlentscheidung waren die Unzufriedenheit mit der vom Westminster-Parlament betriebenen Politik, die Frage der Währung sowie die weitere Entwicklung des nationalen Gesundheitsdienstes und die öffentliche Ausgabenpolitik (siehe hierzu die weiteren Übersichten im Guardian).

Sowohl die SNP als auch die das Unterhaus tragenden Parteien haben während der Kampagne Fehler gemacht. Die SNP konnte nicht vermitteln, über welche Währung ein unabhängiges Schottland verfügen würde. Der Verweis auf Panama, das unauthorisiert den US-Dollar als Zahlungsmittel benutzt, war in Bezug auf das britische Pfund nicht überzeugend. Die Unterhaus-Parteien haben die schottische Kampagne lange Zeit nicht Ernst genommen und alles daran gesetzt, das Bestreben nach Unabhängigkeit als politisch und ökonomisch unsinnig darzustellen.

Die gleichwohl beeindruckende Zahl der Stimmen für eine Unabhängigkeit hat eine tiefgreifende Unzufriedenheit über die neoliberale Politik in Großbritannien zum Ausdruck gebracht. Die Befürworter der Unabhängigkeit hatten in der Kampagne eine längerfristigere Perspektive für die Zeit nach der Abspaltung sichtbar gemacht. Sie verdeutlichten, dass die zukünftige Regierung eines Kleinstaats näher bei den Problemen und Bürgerinnen und Bürgern zu sein würde und deshalb eine bürgernahe Politik die Konsequenz wäre.

Diese Erneuerung des sozialen und politischen Zusammenhanges werde zu mehr Produktivität und Wachstum, zu einer faireren Verteilung des Erwirtschafteten und zu einer ökologisch nachhaltigeren Entwicklung führen. Als positiven Beleg führten sie an, dass die wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten in Europa zur Mehrzahl Kleinstaaten sind. Als besonderes Vorbild gelten die skandinavischen Staaten.

Edinburgs Lob von Kleinheit, Selbstverantwortung und Bürgernähe ist plausibel. Eine wenig verschwommen blieb diese Zukunftsperspektive eines sozial gerechteren und wirtschaftlich wie ökologischen Gemeinwesens. In der Tat sind diese Anforderungen an eine umfassende Gesellschaftsreform auch für die anderen Teile Großbritanniens attraktiv. Wie die Londoner Politik diesen Geist einer umfassenden Reform wieder in die Flasche eines nationalstaatlichen Gewächses bekommen will, bleibt das große Rätsel.

Trotz der Niederlage der Unabhängigkeitsbewegung wird der Ausgang der Abstimmung einen Anstoß zu mehr Dezentralisierung in Großbritannien geben, denn die den Schotten zugestandenen größeren Rechte auf Selbstverwaltung müssen auch für Wales und Nord-Irland gelten. Die Frage ist nun: Soll England ebenfalls ein eigenes Parlament bekommen und werden die angekündigten Veränderungen auch zügig umgesetzt? Hierbei gibt es erhebliche Zweifel, da in der konservativen Partei bereits Unmut über die Zugeständnisse an die Schotten aufgekommen ist.

Beeindruckend waren die Lebhaftigkeit und die Breite der politischen Debatte in Schottland über wichtige Zukunfts- und Entwicklungsfragen des Landes. Dabei ist es der Yes-Kampagne gelungen, durch die Aktivierung verschiedener Initiativen wie z.B. Common Wealh (Gemeinwohl), National Collective (eine Künstlerinitiative) und Radical Independence Campaign (linke Labour- und Gewerkschaftsaktivisten) der lange Zeit vor sich hin dümpelnden Kampagne den richtigen Drive zu verpassen. Es ist also gelungen, ein Bündnis zu formen, das weit über die schottische Nationalisten Partei hinaus ging.

Daraus könnte man lernen. Es wird in Schottland weiterhin unruhig bleiben.

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