26. August 2018 Redaktion Sozialismus: Vor den Parlamentswahlen

Schweden driftet nach Rechts

Schwedendemokraten-Chef Jimmie Åkesson (Foto: dpa)

In Schweden wird am 9. September ein neues Parlament gewählt. Gewinner der Wahl werden die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) sein. Diese Rechtspartei steht deutlich weiter rechts als die mitregierenden rechtspopulistischen Parteien in Finnland und Norwegen.

In Umfragen werden die Schwedendemokraten auf knapp 20% taxiert, was sie zur zweistärksten Partei hinter den Sozialdemokraten machen würde.[1] Der Hauptakteur in Schwedens aktueller Mitte-Links-Koalition mit den Grünen stellt auch den jetzigen Ministerpräsidenten Stefan Lofven. Für viele Schwed*innen haben die Sozialdemokraten deutlich an Glaubwürdigkeit verloren.

Die Grünen sind vor vier Jahren (sie erreichten 2014 6,9% der Wähler*innenstimmen) zum ersten Mal an die politische Macht gekommen und bilden mit den Sozialdemokraten eine Minderheitsregierung. Werden sie unter der Regierungsverantwortung leiden oder können sie davon profitieren, dass der Klimawandel seit dem von Waldbränden heimgesuchten Sommer immer mehr an Bedeutung gewinnt? Die letzten Umfragen sagen den regierenden Sozialdemokraten einen Anteil von nur 21% der Stimmen voraus – 10% weniger als bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2014. Das würde das schlechteste Ergebnis der Partei seit mehr als einem Jahrhundert bedeuten.

Die »Moderate Sammlungspartei« (Wahlergebnis 2014: 23,3%) repräsentiert das Mitte-Rechts-Spektrum, die nach wie vor für einen deregulierten Arbeitsmarkt und Steuersenkungen eintritt. Sie hatte die Sozialdemokraten 2006 von der Regierung verdrängt und acht Jahre regiert. In der letzten Legislaturperiode haben sich die Moderaten in Richtung der Programmatik der Schwedendemokraten bewegt. »Die derzeitigen Integrationsprobleme benötigen für viele Jahre eine stramme, verlässliche und rechtssichere Einwanderungspolitik«, heißt es im Programm der Moderaten. Diese Annäherung an die Rechtspartei ist eine Reaktion auf die Wahlerfolge der Schwedendemokraten.

Größtes Hindernis für den Ausbau der Zusammenarbeit der bürgerlichen Mitte mit den Schwedendemokraten und Moderaten ist die Spitzenkandidatin der grün-liberalen Zentrumspartei, Annie Lööf. Das Zentrum agiert traditionell auf der Seite der Konservativen, hat sich aber in der letzten Zeit durch einen strikten Anti-SD-Kurs profiliert. Lööfs klare Haltung gegen Rechts bringt viele Stimmen ein. Bei der Wahl kann ihre Zentrumspartei je nach Umfrage mit 8 bis 10% rechnen, das sind bis zu 50% mehr als vor vier Jahren. Ohne das Zentrum, nur mit den Schwedendemokraten allein, werden die Moderaten wohl keine stabile Minderheitsregierung bilden können.

In Schweden gibt es eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit, der Wohlstand pro Person liegt über dem EU-Durchschnitt und die Bevölkerung gehört zu den zehn »glücklichsten« Ländern der Welt. Den Schwed*innen gehe es wirtschaftlich blendend, behauptet Finanzministerin Magdalena Andersson, deshalb habe die Regierung auch die Ausgaben für Bildung und Infrastruktur ausweiten können. Die konservativ-rechte Opposition kritisiert, die Regierung habe aus dem günstigen weltwirtschaftlichen Umfeld und den niedrigen Zinsen viel zu wenig gemacht. Die Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitswesen hätten sich verdoppelt, es fehle an Polizist*innen, und die Integration von Zuwanderer*innen komme nicht voran. In der Tat bewegt sich die Immigranten-Arbeitslosenquote Ende 2017 bei 23%, während in Schweden geborene Arbeitslose nur 4% ausmachten.

In Schweden gilt die Regulation der Einkommensverteilung als wichtige staatliche Aufgabe. Das ist in einem Kernland der Sozialdemokratie kein Zufall. Und dennoch hat Schweden in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung weg von der Wohlfahrt für alle hin zum Wohlstand für wenige vollzogen. In keinem anderen westlichen Industriestaat sind laut OECD die Einkommensunterschiede so schnell gestiegen wie in Schweden.

Die wohlhabenden Gesellschaftsmitglieder profitierten seit den 1980er Jahren von einer Reihe politischer Maßnahmen. Erstens erfolgten sowohl unter sozialdemokratischen als auch später unter bürgerlichen Regierungen zahlreiche Steuersenkungen, die die Wettbewerbsfähigkeit Schwedens stärken sollten, von denen aber vornehmlich die Reichen profitierten. Den bedeutendsten Einschnitt stellte dabei die Anfang der 1990er Jahre von den Sozialdemokraten durchgeführte »Steuerreform des Jahrhunderts« dar. Die bürgerlichen Regierungen führten den von den Sozialdemokraten eingeschlagenen Weg anschließend fort.

Im Herbst 2014 wurde die bürgerliche Allianz aus dem Amt gewählt. An ihre Stelle trat eine Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen. Trotz einer Anhebung des Arbeitslosengeldes und einer anschwellenden Debatte über ein Ende der Sparpolitik konnte die rot-grüne Regierung bisher keinen wirklichen Politikwechsel durchsetzen.

Größtes Problem ist aktuell die Schwächetendenz des schwedischen Immobilienmarkts in der zweiten Hälfte 2017. Zurzeit liegen die Preise rund 10% unter dem Niveau des vergangenen Sommers. Den Mangel an günstigem Wohnraum wird Schweden auch durch die gegenwärtige Korrektur am Immobilienmarkt nicht los. 70% der schwedischen Immobilienbesitzer*innen haben Hypotheken mit variablem Zinssatz und sind von den Aussichten auf höhere Zinsen nicht erbaut.

Die Nationalbank hält nach wie vor an ihrer ultraexpansiven Geldpolitik mit Negativzinsen fest, um die Inflation in die Gänge zu bringen. Eine Trendumkehr bei der Zinspolitik ist vorläufig nicht abzusehen. Immerhin liegen die jüngsten Inflationszahlen bei 1,9% für den Gesamtwert und 1,4% für die Kerninflation. Die schwedische Krone quittierte den Trend mit einem leichten Anstieg aus dem Wellental in den letzten Wochen.

 

Gegenüber anderen Währungen, etwa dem US-Dollar oder dem Pfund und dem Franken, ist diese nämlich deutlich stabiler geblieben. Neben dem Euro befindet sie sich im Vergleich mit der dänischen und der norwegischen Krone, den Währungen zweier wichtiger Handelspartner, ebenfalls in einer Schwächephase.

Die Wähler*innen, die von den großen Parteien zu den Schwedendemokraten abwandern, empfinden eher eine chronische Unsicherheit. Sie meinen, es sei früher besser gewesen. Keine Frage: Es geht den meisten Wähler*innen der Schwedendemokraten gut, sie können nicht als marginalisiert bezeichnet werden. Es geht um Unzufriedenheit und hohe Erwartungen. Viele Menschen denken, dass die Politik nicht das liefert, was sie liefern sollte.

Das Wichtigste ist – und dabei läuft es ähnlich wie beim Brexit in Großbritannien oder bei Trump in den USA –, dass die Menschen sich kulturell nicht zu Hause fühlen, sie bezweifeln, dass Schweden auf dem richtigen Weg ist. Als Gegenmaßnahme versprechen die Schwedendemokraten, die Einwanderung stark zu begrenzen und die Traditionen zu stärken. Im ihrem Wahlprogramm steht u.a., dass Schweden de facto keine Asylbewerber*innen mehr aufnehmen soll. Außerdem fordern sie ein Referendum über einen EU-Austritt Schwedens. »Die EU ist eine große Korruptions-Truppe, in der niemand die Kontrolle über irgendetwas hat«, sagt SD-Chef Jimmie Akesson.

Künftig müsse »die Nation« in den Vordergrund rücken. Schweden soll nicht länger Bestandteil einer supranationalen Union sein. »Wir werden natürlich mit anderen Ländern zusammenarbeiten und mit Ländern in unserer Region Handel treiben, aber wir sehen keinen Sinn darin, in einer politischen Union zu bleiben, wie die EU eine ist«. Der Nationalismus sei ein grundlegender Teil der gesamten schwedischen Gesellschaft und des Volksbaus gewesen, »aber vor ein paar Jahrzehnten wurde er aufgegeben. Die Sozialpolitik konzentrierte sich nur auf den sozialen Teil, verlor aber die gesamte Verbindung zur Nation und zur nationaler Identität.«

Nach einer Umfrage des öffentlich-rechtlichen Senders Sveriges Television (SVT) würden 21,9% für die Schwedendemokraten stimmen, was im Vergleich zum Vormonat einem Anstieg von 2,9% entspricht. Die Sozialdemokraten würden 23,8% der Wählerstimmen erhalten, was im Vergleich zum Vormonat einem Rückgang von 3,1% entspricht. Die Schwedendemokraten wären damit die zweitstärkste Kraft im Reichstag. Die drittstärkste Partei wäre die liberal-konservative Moderate Sammlungspartei mit 21,1%. Die Linkspartei (Vänsterpartiet) würde auf 9,1%, die Zentrumspartei (Centerpartiet) auf 8,9%, die Liberalen (Liberalerna) auf 4,6%, die Grünen auf 4,5% und die Christdemokraten (Kristdemokraterna) auf 2,9% kommen. Da es eine Vier-Prozent-Hürde in Schweden gibt, würden die Christdemokraten den Einzug in den Reichstag verpassen.

[1] Laut einer veröffentlichten Yougov-Studie liegen die Schwedendemokraten mit 25,2% in der Popularität derzeit vor den regierenden Sozialdemokraten (23,4%) und den oppositionellen Konservativen (»Moderaterna«, 21%). Anfang Juli veröffentlichte die Boulevardzeitung »Expressen« einen von einem allgemein angesehenen Institut ermittelten Wert von fast 19%.

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