10. September 2018 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Schweden: Politisches Patt – Rechtspopulisten als Zünglein an der Waage

Der Parteichef Jimmie Åkesson der Schwedendemokraten umringt vom blumigen Parteilogo (Foto: flickr.com/Per Pettersson (CC BY 2.0))

Die Schwed*innen haben ihre politischen Kräfteverhältnisse auf kommunaler wie auf nationaler Ebene neu bestimmt. Wichtigstes Ergebnis: der weitere Aufstieg der Schwedendemokraten.

Die Wahlbeteiligung lag mit 84,4% leicht über der von 2014, als 83,4% der Wahlberechtigten zur Urne gingen. Die Sozialdemokraten bleiben in Schweden mit Abstand stärkste Kraft. Nachdem fast alle Stimmen der Parlamentswahl[1] ausgezählt waren, lag die Partei von Premierminister Stefan Löfven bei 28,4%. Es ist das schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten seit mehr als hundert Jahren, 2014 hatten sie noch 31,1% erhalten.

Als politischer Block verlor das Regierungslager aus Sozialdemokraten und Grünen deutlich an Unterstützung; die Grünen kamen nur auf knapp über 4% und schafften den Verbleib im Parlament gerade so. Dafür legte die Linkspartei (7,9%) deutlich zu gegenüber 2014. Dennoch kommen die Parteien links der Mitte zusammen nur noch auf etwa 41% und liegen damit nach Stimmenanteil und Mandaten nur mehr ganz knapp vor dem bürgerlichen Block aus Moderater Sammlungspartei, Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten. Der Mitte-links-Block hat nach derzeitigem Stand 144 Sitze im Parlament. Mitte-rechts kommt auf 143 Sitze.

Löfvens Herausforderer Ulf Kristersson musste mit seinen bürgerlichen Moderaten ebenfalls Verluste hinnehmen. Die Partei kam auf 19,8%, blieb so aber immerhin zweitstärkste Kraft im Parlament.



Eindeutiger Wahlsieger sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Vor acht Jahren bei 6% und vor vier Jahren bei 13% liegend, haben sie mit einem Resultat von 17,6% einen neuerlichen deutlichen Zuwachs verbucht. Von einer politischen Randerscheinung sind sie zu einem gewichtigen Faktor der schwedischen Politik avanciert. Mit ihrer nun erlangten Stärke kommt ihnen die Rolle des Züngleins an der Waage zu. Sie können die Politik jeder Regierung, komme sie nun aus dem rot-grünen oder aus dem bürgerlichen Lager, nahezu unmöglich machen. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem rechtsextremen Umfeld der späten 1980er Jahre will von den übrigen Parlamentsparteien mit ihnen allerdings bisher niemand etwas zu tun haben, weder direkt als Partner, noch indirekt.

Die Schwedendemokraten entstanden 1988 in einem rechtsextremen und rassistischen Milieu als eine rechtsextreme Formation. Seither beruht ihre steile Karriere ähnlich wie die des französischen Front National auf einer Ent-Diabolisierung, d.h. sie versucht mehr oder minder überzeugend ihre rechtsextreme und rassistische Ausrichtung abzustreifen und wird doch auf die eine oder andere Weise immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die Schwedendemokraten haben 2010 als parlamentarische Partei den Sprung in den Reichstag geschafft, indem sie mit 6% die Vier-Prozent-Hürde übersprungen haben. 2014 verdoppelten sie ihren Wähleranteil auf 13% und zogen bei den Europa-Wahlen ins Europaparlament ein. Bei den aktuellen Reichstagswahlen erreichte die Partei das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte.

Björn Söder, der stellvertretende Sprecher im Riksdag, dem schwedischen Parlament, hat kürzlich gesagt, dass Juden und Samen (eine Minderheit in Skandinavien) keine Schweden seien. Auch der Parteivorsitzende Jimmie Åkesson hat die rassistische Grundausrichtung unterstrichen, indem er vor Jahren in einem Artikel für das Boulevardblatt Aftonbladet Muslime in Schweden als »größte ausländische Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg« bezeichnete.

Der Vorsitzende Åkesson verpasste den rechtskonservativen Schwedendemokraten im Wahlkampf ein bürgerliches Gesicht: Er betonte, dass die Partei mit ihrer Nazi-Vergangenheit nichts mehr zu tun habe. Programmatisch sind die SD Abtreibungsgegner, unterstützen ein traditionelles Familienbild und sind sowohl gegen die »Ehe für alle« als auch gegen das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem bestreiten sie die Notwendigkeit einer radikalen ökologischen Politik, denn die Gesellschaften trügen keine Schuld am Klimawandel und an der Erderwärmung. Wirtschaftlich sind sie eher liberal und wollen den Einfluss der Politik auf die Wirtschaft einschränken und kleine sowie mittelständische Unternehmen stärken. Der Europäischen Union stehen sie skeptisch gegenüber und wollen Zahlungen an Brüssel minimieren sowie eine Abstimmung über einen möglichen Austritt aus der Union: #swexit. Zu den Zielen der Schwedendemokraten gehören außerdem die radikale Eindämmung jeder Form von Zuwanderung sowie die Einschränkung der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU.

Entscheidend für den Stimmenzuwachs für die SD ist die harte Haltung in Sachen Migration. Auch die systematische Diffamierung von Flüchtlingen als Kriminelle ist Teil ihrer Rhetorik. Die SD steht deutlich rechts von den rechtspopulistischen Parteien in Skandinavien.

Im zurückliegenden Wahlkampf dominierten andere Themen als noch in der Vergangenheit. Statt über Rente, Gesundheitsvorsorge und Bildung debattiert Schweden nun vorwiegend über Migration und Klimaschutz. Das Thema Migration hat in Schweden aus zwei Gründen massiv an Bedeutung gewonnen: Einmal, weil das Land im Zuge der Migrationskrise pro Kopf mehr Menschen aufgenommen hat als jeder andere Staat in der EU (insgesamt etwa 160.000); aber auch, weil die Schwedendemokraten es zum Mittelpunkt ihrer Oppositionsarbeit gemacht haben.

Die schwedische Sozialdemokratie ist auf einem historischen Tiefpunkt in der Wähler*innenzustimmung angelangt. Schwedens Sozialdemokraten wollten die Wahlen zu einem Referendum über den Wohlfahrtsstaat machen. Dieser brauche mehr Geld, weshalb höhere Steuern nötig seien. Die schwedische Gesellschaft hat in Jahrzehnten sozialdemokratischer Vormachtstellung den skandinavischen Wohlfahrstaat zu einem internationalen Referenzpunkt gemacht. Über weite Strecken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte die sozialdemokratische Partei den Regierungschef und die entsprechende parlamentarische Mehrheit.

Während die Sozialdemokraten bei Wahlen im 20. Jahrhundert zwischen 35% und 50% der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen konnten, befindet sich die Partei seit dem Jahrtausendwechsel in einem chronischen Niedergang. Sie ist zwar immer noch die größte politische Formation des Landes, doch bei den Parlamentswahlen musste sie erneut Verluste hinnehmen – und erreichte nurmehr das schwächste Ergebnis seit 100 Jahren.

Schwedens Wirtschaft brummt, und war daher auch kein Wahlkampfthema – oder höchstens dann, wenn es für die rot-grüne Regierung darum geht, die eigenen Verdienste in den Vordergrund zu stellen. Das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) wurde für das erste Halbjahr 2018 auf 3,3% gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode veranschlagt. Prognosen von Beobachtern für das ganze Jahr laufen auf einen Wert zwischen 2,5 und 3% hinaus. Die Arbeitslosenquote sank per Mitte 2018 auf rund 6%, wobei insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit und der Arbeitslosigkeit von Zuwanderern relativ gesehen Erfolge erzielt wurden.

Die Einkommensverhältnisse haben sich nicht im gleichen Maße entwickelt, die schwedische Gesellschaft ist ungleicher geworden. Entscheidend aber: Die Steuern sind nach vier Jahren rot-grüner Regierung hoch wie eh und je, doch die Leistungen stimmen nach Ansicht einer wachsenden Anzahl von Bürger*innen nicht mehr. Grob zusammengefasst heißt das: Die sozialen Dienstleistungen und damit die öffentliche Infrastruktur entsprechen nicht den Ansprüchen der Mehrheit der Bevölkerung. Drei Problemfelder ragen heraus:

  • Erstens geht es um die Gesundheitsversorgung. Die vom Staat abgegebene »Pflegegarantie«, die Patient*innen mit ernsthaften Problemen zusichert, innerhalb von 90 Tagen einen Spezialisten sehen oder eine Behandlung beginnen zu können, konnte im Juni 2014 in 44.000 Fällen nicht eingehalten werden, im Juni dieses Jahres waren es bereits 86.000 Fälle.




  • Zweitens steht der eklatante Lehrer*innenmangel und die Situation des Schulsystems im Fokus. In den Gemeinden (die für das Schulwesen in Schweden zuständig sind). In den nächsten Jahren werden Zehntausende qualifizierter Lehrer*innen fehlen. Außerdem gibt es einen Konflikt über die Rolle der privat geführten sogenannten freien Schulen. Diese sind, wie die kommunalen Schulen, mit einem Staatsbeitrag pro Schüler*in finanziert; im Gegenzug dürfen sie kein Schulgeld verlangen. Weil sie oft effizienter geführt sind als die kommunalen Schulen, sind sie bei bildungsnahen Eltern beliebt, weshalb zum Teil jahrelange Wartezeiten bestehen und Kinder für die beliebtesten Schulen quasi bei ihrer Geburt schon in die Warteschlange gestellt werden müssen.
  • Drittens geht es auch auf dem Terrain öffentliche Sicherheit um einen Personalmangel.
    Der gemeinsame Nenner der Probleme im öffentlichen Sektor – Gesundheits-, Schul- oder Polizeiwesen – sind die finanziellen Ressourcen zum Ausbau der Infrastruktur. Die sozialdemokratische Regierung machte die fehlenden Investitionen aus der Zeit der konservativ geführten Vorgängerregierung dafür verantwortlich und antwortet mit einem umfangreichen Investitionsprogramm für Infrastruktur und Personal. Doch angesichts der unterminierten politischen Glaubwürdigkeit zieht die Kampagne gegen die modernen Sündenböcke – weniger Migrant*innen und weniger Leistungen für sie.

Die Schwedendemokraten haben sich in den letzten Jahren und auch im Wahlkampf als einzige »echte« Opposition präsentiert Die Partei kann zudem darauf verweisen, dass der durch die Umstände der Migrationskrise erzwungene dramatische Kurswechsel der regierenden Sozialdemokraten in der Asylpolitik genau diejenigen Maßnahmen gebracht habe, die man selber schon lange gefordert habe. Man habe also recht gehabt, obwohl man ständig als rassistisch und extremistisch dargestellt werde.

In allen Nachbarländern sind die Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt oder stützen sie. In Schweden sind sie bisher isoliert. In Skandinavien sind Minderheitsregierungen üblich, die für jede Entscheidung neue Mehrheiten finden müssen. Wenn da die Schwedendemokraten als drittstärkste Partei im Parlament einen Vorschlag mitgetragen haben, hat sich zwar meist niemand beschwert. Nach außen hin aber war die Botschaft klar: keine Geschäfte mit den Rechten. Die SD haben jetzt 17,6% erreicht, damit ist die bisherige politische Konstellation im Land infrage gestellt.

 

[1] Endgültige Klarheit gibt es erst am Mittwoch. Dann werden noch Stimmen von Auslandsschwed*innen ausgezählt – sie könnten das knappe Ergebnis noch einmal verändern.

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