4. Januar 2023 Otto König/Richard Detje: Deutsche Rüstungsexporte = »zweithöchster Wert aller Zeiten«

Skrupellose Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete

Die Forderung, Militärexporte nachhaltig zurückzufahren, war immer ein wichtiger Bestandteil der Parteiprogramme der Grünen. So hieß es ihrem Wahlprogramm für die vergangene Bundestagswahl, man wolle mit einer »restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische Rüstungsexporte an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete beenden«.

Doch der im Bundestagswahlkampf plakatierte Slogan »Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete« ist Schnee von gestern. Ebenso die Festlegung im Koalitionsvertrag, Rüstungsexporte einzuschränken. Die Bundesregierung verantwortet die zweithöchsten Exporte von Waffen und Kriegsgerät seit Bestehen der Bundesrepublik. Im Jahr 2022 wurden Rüstungsexporte für mindestens 8,35 Milliarden Euro genehmigt, wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht.

Mit 9,35 Milliarden Euro wurde 2021 der höchste Wert verzeichnet. Dieser ging vor allem auf Lieferungen an Ägypten zurück, für das die schwarz-rote Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Fregatten, Iris-T-Luftabwehrsysteme und andere Rüstungsgüter für 4,34 Milliarden Euro genehmigt hatte. Zwar ist der Wert der genehmigten Ausfuhren von 2021 auf 2022 insgesamt um rund eine Milliarde gesunken. Doch zuvor war er von 2020 auf 2021 um mehr als drei Milliarden gestiegen. Der Anteil der Kriegswaffen an den gesamten Rüstungsexporten liegt mit 47,5% (3,96 Milliarden Euro) so hoch wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Mehr als ein Drittel ging an »Drittländer« – insbesondere an solche, die laut Koalitionsvertrag nicht mehr beliefert werden sollten.

Ausfuhren im Wert von 3,36 Milliarden Euro wurden für EU-Länder genehmigt, im Umfang von 1,76 Milliarden für NATO- oder gleichgestellte Staaten. 3,23 Milliarden Euro sollen an sogenannte Drittstaaten gegangen sein, davon wiederum 2,49 Milliarden Euro in Entwicklungsländer. Zu letzteren zählt nach der Definition der OECD die Ukraine. Unter den Empfängerländern lag die Ukraine mit 2,24 Milliarden[1] auf dem ersten Platz, gefolgt von den vier NATO-Staaten: Niederlande mit 1,83 Milliarden Euro, USA 863,7 Mio. Euro, Großbritannien 453 Mio. Euro und Ungarn 249,2 Mio. Euro. Zu den Top-Ten-Belieferten gehören Australien (196,1 Mio.), Singapur (175,1 Mio.) und Südkorea (166,5 Mio.).

Deutschland übernehme »die Verantwortung für die Sicherheit Singapurs«, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), als er jüngst gemeinsam mit Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong auf der Kieler Werft Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) die beiden 70-Meter-Boote »Impeccable« (makellos) und »Illustrious« (erhaben) taufte. Sie gehören zu den größten U-Booten, die seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurden. Dass Scholz durch seine Teilnahme den kommerziellen Rüstungsexport in ein sogenanntes Drittland außerhalb der EU würdigte, ist ein weiteres Zeichen der bundesdeutschen Militarisierung, galten doch Rüstungsexporte in der Vergangenheit als »Schmuddel-Thema«, mit dem man politisch nur verlieren konnte. Doch dies scheint sich nun mit der von ihm ausgerufenen »Zeitenwende« in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik geändert zu haben.

Unter den Drittstaaten sind in der Statistik wieder mehrere Staaten aus der Golfregion. Von Januar bis zum 13. Dezember 2022 wurden allein Qatar, das für seine Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht, 53 Ausfuhrerlaubnisse mit einem Gesamtwert von 50,2 Millionen Euro erteilt, darunter Kriegswaffen für 10,2 Millionen Euro. Nach Saudi-Arabien, das eine Allianz arabischer Staaten im Jemen-Krieg anführt,[2] dürfen Rüstungsgüter für 16,7 Millionen Euro geliefert werden, fast die Hälfte des Betrags, rund 7,1 Millionen, entfällt auf Kriegswaffen. Dabei hatte die Ampel-Koalition solche Waffengeschäfte kategorisch ausgeschlossen, wie im Koalitionsvertrag zu lesen ist: »Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.«

Das Ignorieren selbstaufgestellter Regeln rechtfertigte Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) auf dem Grünen-Bundesparteitag im Oktober 2022 damit, dass man ja nicht direkt liefere, sondern dass es sich um europäische, gemeinschaftliche Rüstungsprojekte mit Italien, Spanien und Großbritannien handele. Und aus dem von Robert Habeck (Die Grünen) geführten Wirtschaftsministerium hieß es: »Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der engen Zusammenarbeit und Kooperation mit unseren EU- bzw. NATO-Verbündeten hohe Bedeutung zukommt, gerade in der aktuellen Lage.«

Teilen der Ampel-Koalition geht es anscheinend um laxere statt strenger Exportregeln für die deutsche Rüstungsindustrie. »Wir Deutschen sind da in einer Bringschuld. Mit unserem Wertevorbehalt stellen wir uns quasi über unsere europäischen Partner. Aber was bedeuten europäische Werte überhaupt, wenn wir unseren Partnern sagen, eure Moral, die reicht uns nicht. [...] Und wir müssen deswegen an die deutschen Exportregeln ran«, sagte die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bei ihrer Grundsatzrede Mitte September.

»Überraschend ist das nicht, aber atemberaubend schon, wie es der Verteidigungsministerin gelingt, die Forderung nach einer faktischen Absenkung der ohnehin bereits laxen deutschen Exportkontrolle auf den kleinesten gemeinsamen Nenner zu einer europäischen Wertefrage zu erheben.« (Jürgen Wagner, IMI) Der verstorbene Satiriker Wiglaf Droste sang einst: »Ist das Hirn zu kurz gekommen, wird sehr gern Moral genommen.«

Der Vorstoß der SPD-Politikerin dient wohl als Versuchsballon, um in der Öffentlichkeit und innerhalb der Ampel die Stimmung zu testen, ob die bestehenden Regelungen für Waffenexporte zurückgefahren werden können. Schließlich stärken Exporte die einheimische Rüstungsindustrie, die als wichtiger Bestandteil des immer wieder formulierten »Führungsanspruchs« erachtet wird. Strikte Rüstungsexportrichtlinien stehen diesen Ambitionen im Wege.

Ursprünglich geplant hatte die Bundesregierung ein Rüstungsexportkontrollgesetz, in dem strenge Kriterien festgelegt werden sollten. Damit sollte das Wirrwarr unterschiedlicher rechtlicher und politischer Grundlagen für den Rüstungsexport beendet und die deutsche Rüstungsexportpolitik auf ein neues Fundament gestellt werden. Zwischenzeitlich hat das Bundeswirtschaftsministerium »Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz«[3] vorgelegt.

Für Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung soll ein Kriterienkatalog gesetzlich festgeschrieben werden, der sich maßgeblich an den Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes der EU zu Rüstungsexporten orientiert:

  • Menschenrechte stärken: Die Berücksichtigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Empfängerland wird durch die Einführung eines erweiterten Menschenrechtskriteriums größeres Gewicht erhalten.
  • Europa stärken: Bei Kooperationsprojekten im Rüstungsbereich sollen neue verbindliche Regelungen getroffen werden. Erstmals soll die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen der projektbeteiligten Länder zum Export von gemeinschaftlich produzierten Rüstungsgütern ermöglicht werden.
  • Transparenz erhöhen: Die Transparenz über erteilte Genehmigungen wird mit verschiedenen Maßnahmen erhöht. Die Unterrichtung des Bundestages wird weiter verbessert.
  • Opferschutz stärken: Die Rechte derer werden gestärkt, die infolge qualifizierter Pflichtverstöße der Rüstungsexporteure zu Schaden an Leib und Leben kommen. Eine entsprechende zivilrechtliche Haftung kann unterstützend durch Verbände vor Gericht geltend gemacht werden.
  • Bürokratie abbauen: Das umständliche zweifache Genehmigungserfordernis bei der Ausfuhr von Kriegswaffen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz wird in einem Verfahren konzentriert.

»Es ist ein riesiger Erfolg friedensbewegter Organisationen, dass endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg gebracht werden soll und nun der Diskussionsprozess dazu angestoßen ist. Jedoch bleiben die Eckpunkte weit hinter den Erwartungen an eine wirkliche restriktive Exportpraxis zurück, wenn es auch gute Punkte darin gibt«, so pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann.

Für den Bundessprecher der DFG-VK, Jürgen Grässlin, ist enttäuschend und kurzsichtig, dass ausgerechnet das von den Grünen geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) das Verbandsklagerecht, für das die Partei jahrelang gekämpft hat, fallenlässt.[4] Ein Verbandsklagerecht sei das entscheidende juristische Kontrollinstrument, mit dem die Regierung gezwungen werden könne, ihre Exportgenehmigungen streng am Gesetz auszurichten und nachvollziehbar zu begründen. Man müsse von einem grausamen »Tauschhandel« sprechen, wenn auf der einen Seite die Opfer illegaler Waffenexporte in ihren Rechten gestärkt werden, jedoch andererseits die »legalen« Opfer nicht verhindert werden können, »weil kein Verbandsklagerecht eingeführt wird, mit dem Rüstungsexportgenehmigungen juristisch überprüft und gegebenenfalls gestoppt werden können.«

So verlangt ein breites Bündnis von 28 zivilgesellschaftlichen Organisationen von den Mitgliedern des Bundessicherheitsrates und den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien in einem »Offenen Brief«[5] mit allem Nachdruck die Einführung eines Verbandsklagerechts. Rüstungsexportgenehmigungen müssten juristisch daraufhin überprüft werden können, ob sie im Rahmen des Rüstungsexportkontrollgesetzes rechtmäßig erteilt worden sind. Ohne diese Kontrollmöglichkeit sei die Glaubwürdigkeit des Gesetzesvorhabens mehr als fraglich. Schließlich soll das Gesetz dazu dienen, »das Friedensgebot des Grundgesetzes umzusetzen, Abrüstung zu fördern und menschliches Leid zu vermindern.«

Das ist dringlicher denn je. Angesichts von Leid und Zerstörung sollten alle politischen Anstrengungen darauf gerichtet sein, Kriege wie in der Ukraine und im Jemen zu beenden. Stattdessen wird eine Eskalationsdynamik entfacht mit dem Ruf nach immer mehr schwereren Waffen, nach noch mehr Geld für die Rüstung.

Menschen, die diplomatische Lösungen anmahnen, werden als »Putin-Versteher« denunziert. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der auf dem Debattenkonvent der SPD anfangs November öffentlich gemacht hat, dass er auf eine ukrainischen »Liste von Informationsterroristen« gesetzt wurde, weil er sich für eine Waffenruhe und für weitere diplomatische Schritte zur Beendigung des Krieges einsetzt, hat für diese ungeheuerliche Attacke keinen Rückhalt, sondern jede Menge Kritik erfahren.

Zu Recht stellt der Journalist Heribert Prantl fest: »Es ist fatal und unendlich töricht, dass hierzulande schon die Wörter ›Waffenstillstand‹, ›Friedensappell‹ und ›Frieden‹ als anrüchig gelten, wenn sie im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine gebraucht werden. Es ist fatal, wenn das Werben für eine diplomatische Offensive fast schon als Beihilfe zum Verbrechen bewertet wird.« (NDR, 9.10.2022)

Anmerkungen

[1] Laut Verteidigungsministerium liefert Deutschland das, »was verfügbar, entbehrlich, rasch umsetzbar und in der Ukraine effektiv einsetzbar ist«. Die Palette ist breit und umfasst sowohl leichte wie auch schwere Waffen. Sie reicht von 500 Stinger-Fliegerabwehrraketen über 14.900 Panzerabwehrminen bis hin zu 30 Gepard-Flakpanzern, 14 Panzerhaubitzen 2000 (schwere Artilleriegeschütze), fünf Mehrfachraketenwerfer und das Flugabwehrsystem Iris-T.
[2] Seit sieben Jahren kämpft eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz gegen die Huthi-Milizen im Jemen. Laut den Vereinten Nationen sind seit 2014 insgesamt 380.000 Menschen zu Tode gekommen und vier Millionen vertrieben worden, knapp 19 Millionen Menschen leiden an Hunger. »Saudi Arabien und ihre Militärallianz bombardieren Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Wohnhäuser. Das sind alles Kriegsverbrechen. Millionen sind auf der Flucht im Land, Millionen leiden an Hunger, und am meisten leiden die Kinder«, so Wenzel Michalski von Human Rights Watch (WDR/Monitor, 6.10.2022).
[3] 20221013_eckpunkte-ruestungsexportkontrollgesetz-entwurf
[4] https://dfg-vk.de/ruestungsexportkontrollgesetz-nachschaerfen
[5] https://aufschrei-waffenhandel.de/fileadmin/user_upload/dokumente/offener_brief/Offener_Brief-REKG_14.12.2022.pdf.

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