24. September 2023 Redaktion Sozialismus.de: Vor den Landtagswahlen in Bayern

Söder manövriert die CSU weiter nach rechts

Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. 9,4 Mio. Bürger*innen des Freistaats können darüber abstimmen, ob er weiterhin von einer Koalition aus CSU und den Freien Wählern regiert wird, die nach der Wahl 2018 die Geschicke des Bundeslandes gelenkt hat – oder ob sich die politischen Gewichte verschieben.

Zwei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl mobilisieren die Christsozialen auf einem Parteitag in München, um ihre Spitzenposition zu behaupten und möglichst wenig Prozentpunkte an den Koalitionspartner abzugeben.

Dieser war unter Führung von Hubert Aiwanger während der gesamten Legislaturperiode kein pflegeleichter Koalitionspartner. Hinzu kam, dass Ende August durch eine Recherche der Süddeutschen Zeitung bekannt geworden war, dass in der Schultasche des damals 17-Jährigen ein Flugblatt mit antisemitischen, völkischen und nationalistischen Inhalten gefunden worden war. Aiwanger bestreitet, Urheber des Pamphlets gewesen zu sein, sein Bruder Helmut bekannte sich dazu, es verfasst zu haben.

Der schon vor dieser Enthüllung mit hart an Rechtspopulismus grenzenden Bierzeltreden aufgefallene stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister ging mit den ihm zur Last gelegten Vorwürfen »problematisch« um – wie es der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, höflich formulierte. Aiwanger sah sich vor allem als Opfer einer Schmutzkampagne seitens der Medien.

Seit der »Flugblatt-Affäre« agiert der Chef der Freien Wähler noch forscher im Wahlkampf, weil ihm dieser politische Skandal nicht geschadet hat: Seine Freien Wähler haben in den Meinungsumfragen deutlich zugelegt, wohingegen die CSU ein Minus verbuchte.

Die CSU bleibt zwar im Umfragetief, kommt aber trotzdem auf 36 bis 38% – und würde damit die meisten Stimme holen. Um den zweiten Platz kämpfen drei Parteien: die Grünen, die AfD und Freie Wähler. Während die Grünen nach ihrem Höhenflug nur noch zwischen 14 und 15% erreichen, folgt die AfD je nach Institut mit 13 bis 14%. Die Freien Wähler kommen auf zwischen 14 und 17,5%. Die SPD erreicht aktuell 8,5 bis 9%. Fraglich ist, ob es die FDP in den Landtag schafft. Sie hat derzeit zwischen 3% und 4%. Die Linke kommt nicht auf mehr als 2% und wird erneut nicht in den Landtag einziehen.

CSU-Chef Markus Söder gab sich in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag alle Mühe, diesen Trend aufzuhalten. Er unternahm den Versuch, sich von den Freien Wählern abzugrenzen, ohne sie anzugreifen, sie in die Schranken zu weisen, ohne das angespannte Verhältnis weiter zu belasten, weil er die Option aufrechterhalten will, die Koalition mit den Freien Wählern fortzusetzen.

Für diese politische Orientierung wird der Parteichef bei der auf dem Parteitag ebenfalls anstehenden Wahl zum Vorsitzenden ohne Gegenkandidaten mit einem Rekordergebnis ausgestattet. Söder erhielt 646 der 669 gültigen Stimmen, also 96,56%. Bei seiner letzten Wahl hatte er lediglich 87,6% bekommen.

Die deutlichsten Worte an die Adresse des Koalitionspartners findet Söder, als er auf dessen Träume von mehr Ministerposten zu sprechen kommt: »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dem einen oder anderen die Umfragen zu sehr zu Kopf gestiegen sind«, stichelt er, »unser Koalitionspartner fordert mehr Macht.« Vor allem zum Landwirtschaftsministerium, das Aiwanger nach der Landtagswahl gern für seine Freien Wähler hätte, hat Söder eine klare Botschaft: »An die Freien Wähler, bei allem Respekt: keine Hoffnung!«, die CSU werde das Landwirtschaftsministerium behalten.

In einem Interview vertieft Söder die Abgrenzung: »Nach den jüngsten Umfragen ist der Eindruck entstanden, dass man ein bisschen abgehoben ist, dass man ein bisschen nur noch an sich denkt, an die eigenen Karrieren.« Doch nach wie vor seien die »Größenordnungen doch ziemlich wuchtig unterschiedlich«. Schließlich war auch im BayernTrend die CSU bei der Sonntagsfrage mehr als doppelt so stark wie die Freien Wähler.

Mit seinem bisher besten Ergebnis wird Söder zwei weitere Jahre an der Spitze der Partei stehen, deren Chef er seit 2019 ist. Er geht damit formell gestärkt in die letzte Phase des Wahlkampfs, seine Truppen auf den entscheidenden Schlussspurt eingeschworen – und zum Rundumschlag gegen die Arbeit der Ampelregierung ausgeholt. Die zentrale Botschaft lautet: Bayern sei die Nummer eins – etwa beim Wirtschaftswachstum und im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. In Deutschland dagegen gehe es dank der Ampelregierung bergab.

»Diese Bundesregierung ist wohl die schlechteste Regierung, die Deutschland jemals hatte«, sagte er. »Es braucht einen Ruck für unser Land. So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.« Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) keilt zurück: Bei einem Wahlkampfauftritt für die SPD kritisiert er den Regierungsstil des bayerischen Ministerpräsident scharf: »Jede Woche ein neuer Plan und eine andere Richtung klingt zwar nach Führung, ist aber keine […] Markus Söder ist wahrscheinlich unter den deutschen Politikern der Spitzenreiter von nicht erledigten Ankündigungen, markig, aber wirkungsfrei. Das, glaube ich, ist nicht der richtige Weg.« Wenn Bayern stabil regiert werden solle, dann müsse die SPD in die Regierung.

Das allerdings ist lautes Pfeifen im Wald, denn eine Mehrheit für das seit 2018 regierende Bündnis aus CSU und Freien Wählern steht außer Frage, beide Seiten wollen es fortsetzen. Dass Söder auch nach der Affäre um Aiwanger dieses Bündnis fortsetzt, nutzt bislang indes nur Aiwanger und den Freien Wählern, während die CSU darum kämpft, möglichst dicht an der 40 %-Marke zu bleiben. Ob nach der Wahl die innerkoalitionären Kräfteverhältnisse zuungunsten der Christlichsozialen verschieben werden, hängt vom Wahlergebnis ab.

Es gehe bei der Wahl nicht um ein Flugblatt, das vor 30 Jahren geschrieben wurde, sondern um die Zukunft der nächsten Jahre, so Söder. Gleichzeitig betonte er: Die Freien Wähler träumten von Berlin, hätten aber keinen Einfluss auf die Politik in Berlin – auf die CSU komme es an. »Wir sind der Stachel im Fleisch der Ampel.« Eine Koalition mit den Grünen schließt er aus.

Die CSU will ihre herausragende Rolle in der bayrischen Politik verteidigen und kämpft gegen den schon zuvor sichtbaren schleichenden Trend eines Machtverlustes.

Dass es den Christlichsozialen misslingt, stärker von den miserablen Zustimmungswerten zur Berliner Ampelregierung zu profitieren, hat mit der Konkurrenz rechts der Mitte zu tun. Bayerns Wähler können sich mit den Freien Wählern und der AfD zwei Parteien aussuchen, die wie die CSU um Proteststimmen gegen die Bundesregierung werben.


Die Themen der Wahlentscheidung

Kurz vor dem Wahltermin deutet sich in den Umfragen eine leichte Verschiebung bei den thematischen Schwerpunkten an. Im Januar lag noch die Energiepolitik auf Platz eins, gefolgt von Zuwanderung/Flucht und Umweltschutz/Klimawandel. Jetzt liegt das Politikfeld Einwanderung/Asyl an erster Stelle.

Während im Januar 11% der Befragten Inflation und steigende Preise als wichtigstes Thema sahen, nennen es derzeit nur noch 6% der Befragten als eines der drängendsten Probleme. Auch das Thema soziale Ungerechtigkeit wird weniger häufig genannt, aktuell von 8% der Befragten.

Nach Söder würden Expert*innen in diesem Jahr mit bis zu 400.000 Asylanträgen rechnen. Aus seiner Sicht ist Integration damit nicht mehr leistbar. Er fordert deshalb einen »Deutschlandpakt« gegen ungeregelte Migration und eine Integrationsgrenze. Dafür schlug ihm viel Kritik entgegen, u.a. von SPD-Chef Lars Klingbeil. Er erhielt aber auch Zuspruch, zum Beispiel von der Schwesterpartei CDU.

Markus Söder beschreibt seinen Vorschlag einer Integrationsgrenze als »Richtwert für unser Land, wie wir glauben, Migration organisieren zu können«. Zusätzlich brauche man eine Reihe von Maßnahmen, um die Ziele zu erfüllen. Darunter ein Rückführungsprogramm, Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen und die Veränderung der Sozialstandards. Auch Söder weiß, dass man Menschen mit Verweis auf eine Obergrenze nicht abweisen kann.

Söders politisches Kernproblem liegt dort, wo nach den Worten von des ehemaligen legendären Parteivorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1915–1988) gar nichts existieren dürfte: rechts von der CSU. Tatsächlich kommen Freie Wähler und AfD inzwischen in Umfragen zusammengezählt auf rund 30%. Ein CSUler aus der Parteiführung konstatiert zu Recht: »Der Aiwanger kann immer ein Stück populistischer sein, ruchloser als wir«. Deshalb gehe es darum, trotz der Absicht, auch weiterhin gemeinsam zu regieren, ein Rezept gegen die Freien Wähler zu finden. Deren Erstarken gefährdet zwar nicht die Rolle der CSU als regierende Staatspartei und Söders Ziel, erneut Ministerpräsident zu werden. »Aber wenn wir unter 35 Prozent rutschen, wird es eng für den Vorsitzenden.«

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