2. Mai 2019 Thomas Jaitner: Die Ergebnisse der allgemeinen Wahlen

Spanien überrascht Europa

Ein Wahlsieg der Linken gegen die Rechten ist in Europa selten geworden. Aber genau dies ist in Spanien bei den allgemeinen Wahlen vom 28. April geschehen. Die sozialdemokratische PSOE und das Wahlbündnis Unidas Podemos UP erreichten 165 Parlamentssitze gegenüber 148 für den rechten Block aus PP, Ciudadanos und VOX. Die befürchtete Übernahme der Madrider Regierung durch die dreifaltige Rechte ist damit unmöglich geworden.

Unbestrittener Wahlsieger war die PSOE, die 2,08 Millionen Stimmen gewann und auf 28,7% kletterte. Unidas Podemos verlor 1,3 Millionen Stimmen und ein Drittel seiner Abgeordnetensitze, schaffte aber noch 14,3% und nimmt eine Schlüsselstellung für die Regierungsbildung ein. Anders sieht es auf der Rechten aus: Die PP erlebte ein Debakel. Sie verlor 3,5 Millionen Stimmen und wurde praktisch halbiert, sie erreichte nur noch 16,7%. Der Absturz wird noch dramatischer, wenn man bedenkt, dass die PP 2011 noch 44,6% erreicht hatte. Ciudadanos gewann eine Millionen Stimmen hinzu und ist mit 15,9% nahe an die PP herangerückt. VOX schaffte es mit 10,3% der Stimmen und 2,67 Millionen Wähler*innen erstmals ins Parlament.



Dieses Wahlergebnis wurde vor allem möglich durch eine besonders hohe Wahlbeteiligung. Sie stieg gegenüber der letzten Wahl 2916 um 9% auf 75,7%. In Katalonien wuchs sie sogar um fast 12%. Es gab eine massive Mobilisierung in der spanischen Bevölkerung gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen die Rückkehr in eine düstere Vergangenheit und für ein soziales Spanien der Vielfalt.

Danach sah es lange Zeit nicht aus. Beflügelt von ihrem Erfolg bei den Regionalwahlen in Andalusien vom vergangenen Dezember, bei dem erstmals die rechtsradikale VOX in ein Parlament eingezogen war, hatte die spanische Rechte einen aggressiven Kurs eingeschlagen. VOX war zwar die kleinste Partei im rechten Block, bestimmte aber die Themen und die Art der Auseinandersetzung.

Vor allem der neue PP-Vorsitzende Pablo Casado, gebärdete sich als echter Hooligan. Als Höhepunkt bot er VOX Ministerposten in einer neuen Regierung an. Aber auch die moderne, moderate Rechte von Albert Riveras Ciudadanos rollte für VOX den Teppich aus: Zunächst noch ließ man sich in die andalusische Regierung zusammen mit der PP von VOX wählen, aber bei der Demonstration auf dem Colón-Platz in Madrid am 10. Februar traten die drei Parteiführer gemeinsam auf.

Der Wahlkampf wurde als eine Ansammlung von Lügen, Beschimpfungen und Appelle an die Emotionen geführt, in dem Argumente keinen Raum haben. Es lebte wieder das Denken »wer nicht für mich, ist gegen mich« auf. Hinter dem unermüdlichen Schwenken von Fahnen verbarg sich eine antisoziale Politik, die streng neoliberal vor allem Steuersenkungen propagierte. Die für die Zukunft so wichtigen Themen wie die Arbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Entwicklung, die Klimaentwicklung oder die Entvölkerung ganzer Provinzen blieben außen vor.

Die »VOXisierung« ist der spanischen Rechten nicht gut bekommen. Sie hat dazu geführt, dass die Linke mobilisiert wurde, ließ die PP abstürzen und in eine tiefe Krise geraten. In den beiden wirtschaftlichen Zentren Spaniens ist die PP fast unsichtbar geworden: In Katalonien verlor sie drei Mandate und schickt nur noch einen einzigen Abgeordneten nach Madrid, im Baskenland schaffte sie nicht einmal mehr dies. Die VOXisierte Rechte ist nicht mehrheitsfähig.

In der Rechten ist der Kampf um die Hegemonie voll entfacht. Rivera hat sich sofort nach der Wahl zum neuen Oppositionsführer ernannt, er möchte die Rechte in Zukunft führen. Der rechte Chefstratege, der ehemalige Ministerpräsident Aznar, der vor allem Casado zu seiner Rolle als Hooligan gedrängt hatte, hat jetzt zur Wiedervereinigung der Rechten aufgerufen. Aber das wird ein sehr kompliziertes Unterfangen werden.

Dass die PSOE nach all den strategischen Fehlentscheidungen, Korruptionsfällen, mangelnden Ideen und innerparteilichen Kämpfen wieder auferstanden ist, grenzt an ein kleines Wunder. Sie ist nicht die Regionalpartei des spanischen Südens geworden, wie einige vermutet hatten. Offenbar sind ihre Verankerung in der Arbeiterschaft und ihr taktisches Geschick nach so vielen Jahren in der Regierung größer als gedacht. Angesichts der Bedrohung, dass Podemos sie überflügeln würde, gelang Pedro Sánchez eine personelle Erneuerung, die auch unter dem Zeichen einer Rückbesinnung auf eine „linke Politik“ stand. Die Macht der alten „Barone“ aus der Ära von Felipe González wurde beschnitten oder sie machten sich selber unmöglich wie die ehemalige andalusische Ministerpräsidentin Susana Díaz. Diesmal reichte es für einen fast flächendeckenden Platz 1, sogar in Galicien, dem eigentlich unanfechtbaren Stammland der PP. Aber die Rahmenbedingungen sind auch für die PSOE nicht mehr dieselben wie in der Vergangenheit, als sie im Zweiparteiensystem der unbestrittene Hegemon auf der Linken war und Koalitionen nicht einzugehen brauchte. Noch 2008 erhielt sie 43,9% der Stimmen.

Unidas Podemos musste deutliche Verluste hinnehmen. Besonders schmerzlich waren diese in Katalonien und im Baskenland, wo man 2015 und 2016 zweimal Platz eins belegt hatte. Stimmenverluste von knapp 10% bzw. 12,4% deuten vor allem an, dass UP in der territorialen Frage keinen eigenen klaren Standpunkt entwickelte und eine Zuschauerrolle einnahm. Es gelang nicht, einerseits die autoritäre antikatalanische Politik der nationalistischen Rechten zu kritisieren und andererseits den Mangel an einer realistischen Strategie, die demokratischen Defizite und die Abwesenheit einer sozialen Politik bei den Separatisten aufzudecken. Immer weder ließ man sich anstecken von den Aktionen der Separatisten, wofür auch die Übertritte mehrerer führender Podemos- und IU-Politiker*innen in Parteien der Separatisten zeugen.

Vor allem Podemos befindet sich seit längerem in einer schwelenden Krise, die Anfang 2019 offen ausbrach. Parteiübertritte und auseinanderfallende Bündnisse waren an der Tagesordnung, viele Parteigliederungen, die »círculos«, waren inaktiv. In Madrid konnte erst in buchstäblich letzter Minute verhindert werden, dass zu den Kommunalwahlen im Mai 2019 statt eines gemeinsamen Wahlauftritts wie 2015 drei unterschiedliche Formationen antreten. Nach einer Einigung von Podemos und Izquierda Unida treten jetzt immerhin nur zwei Gruppen an.

Unter diesen Bedingungen sind die 14,3% besser als erwartet, was vor allem auf einen intelligenten Wahlkampf zurückzuführen ist. Auch das ist neu in Spanien: Erstmals seit 1978 gibt es links von der PSOE einen relativ stabilen Block, der auch unter widrigen Bedingungen gewählt wird. Das hatte Izquierda Unida in der Vergangenheit nicht geschafft, ihre Ergebnisse schwankten zuletzt bei den Wahlen zwischen 2000 und 2011 um die 4-6%. Immerhin ist UP stark genug, um eine entscheidende Rolle bei der Neubildung der Regierung zu spielen. Unidas Podemos steht vor einem Prozess der Erneuerung, bei dem es um die die weitere Strategie und den Charakter des Bündnisses gehen wird.

Demokratische und soziale Veränderungen sind in Spanien nur im Bündnis der Linken mit den Nationalisten der Peripherie möglich, das war schon in der 2. Republik so. Im Baskenland hat die Baskische Nationalistische Partei PNV ihre Stellung als meist gewählte Kraft von UP zurückgewonnen. Sie bietet sich als verlässlicher und berechenbarer Partner für eine von der PSOE geführte Regierung an, wenn die Interessen des Baskenlandes gebührend berücksichtigt werden.

In Katalonien hat sich die Republikanische Linke ERC gegen Junts per Catalunya durchsetzen können und damit den Hegemoniekampf innerhalb der Separatisten für sich entscheiden können: ERC trat mit 24% die Nachfolge von UP als meistgewählte Partei an, JxCat Junts schaffte 12%. In der Frage, wie es mit der Unabhängigkeitsbewegung weiter gehen soll, vertritt die ERC einen Kurs des Realismus, während die Partei von Ministerpräsident Quim Torra und dem von Waterloo aus agierenden Carles Puigdemont eher auf Konfrontation setzt. Dies ist ein Zeichen, dass sich die Stimmung in Katalonien wandelt und vielleicht eher ein Dialog auf einer rationalen, nicht nur von Emotionen diktierten Grundlage aufgenommen werden kann.

Was ist in den nächsten Wochen zu erwarten? PSOE hat zwei Möglichkeiten zur Regierungsbildung: Zum einen ein Bündnis mit Ciudadanos, das über eine ausreichende Mehrheit von 180 Sitzen verfügt, und einer Koalition mit Unidos Podemos, das von Nationalisten unterstützt werden müsste. Dazu sind nicht die katalanischen Stimmen erforderlich.

Schon am Tag nach der Wahl hat der Vorsitzende des Unternehmerverbandes, Antonio Garamendi, eine PSOE-Regierung gefordert, die in einem zweiten Wahlgang, bei dem nur die einfache Mehrheit erforderlich ist, durch die Stimmenthaltung von Ciudadanos gewählt wird. Diese Konstellation würde zwar an die gemeinsame Kandidatur von Sánchez und Rivera Anfang 2016 anknüpfen (damals fand sie keine Mehrheit), aber die Bedingungen sind heute anders. Rivera möchte der Führer der Rechten werden, dabei ist eine Rolle als Steigbügelhalter der PSOE aber hinderlich. Unidos Podemos verlangt eine Koalitionsregierung, ein politisches Neuland für Spanien, das aber nach dem Ende der Zweiparteienherrschaft ohne Alternative sei.

Bei der PSOE-Siegesfeier in der Wahlnacht forderten die Parteianhänger vor dem PSOE-Hauptquartier in der Calle Ferraz in Madrid in Sprechchören ausdrücklich die Koalition mit Unidos Podemos. Aber Sánchez hat bereits angekündigt, dass er den Wahlsonntag im Mai mit den Kommunal-, Regional- und Europawahlen abwarten will. Nach einem zu erwartenden zweiten Sieg auf der ganzen Linie und einem schlechteren Abschneiden von Unidos Podemos (siehe z.B. die Konstellation in Madrid) hat er vielleicht mehr taktische Möglichkeiten, um eine portugiesische Lösung (Alleinregierung der PSOE mit parlamentarischer Unterstützung durch Unidos Podemos) durchzusetzen.

Es lässt tief blicken, dass Sánchez nicht schon jetzt, wo die Wahlergebnisse der nationalen Wahl auf dem Tisch liegen, an der Bildung einer Reformregierung arbeitet. Es ist fraglich, ob dieses Vorgehen alten Stils aus der Zeit einer nicht hinterfragbaren linken Hegemonie der PSOE noch zeitgemäß ist.

Die Wahl von 2019 war die dritte Wahl innerhalb von vier Jahren. Es wird deutlich, dass Reformen anstehen, aber die offene Frage ist, um welche es gehen soll und wer sie umsetzt. Diese Unklarheiten führen seit Jahren zu einer instabilen politischen Situation. Das konstruktive Misstrauensvotum vom Mai 2018 führte zwar zur Abwahl der PP-Regierung und der Installierung eines neuen PSOE-Kabinetts, aber in der Sache war es ein destruktives Misstrauensvotum.

Einig war man sich in der Ablehnung der korrupten Rajoy-Regierung, nicht aber bei einem gemeinsamen Regierungsprogramm. Dies wurde spätestens im Februar 2019 deutlich, als der gemeinsam von PSOE und Unidos Podemos eingebrachte Haushaltsentwurf von den katalanischen Separatisten abgelehnt wurde, die im Mai 2018 noch mitgemacht hatten. Damit korrigierten ERC und JxCat Junts ihre Entscheidung beim Misstrauensvotum, das Puigdemont von Anfang an abgelehnt hatte, weil es seinem Konfrontationskurs schadete.

Nach den Wahlen vom 28. April ergibt sich noch einmal eine, verbesserte, Chance auf einen Reformkurs. Sie nicht zu nutzen, würde die erhoffte Stabilität nicht bringen. Und dann trüge die PSOE die Schuld.

Zurück