8. August 2024 Joachim Bischoff: Kann das »linksradikalste Duo in der US-Geschichte« gewinnen?
Team Harris–Walz löst eine Dynamik aus
Der amtierende US-Präsident Joe Biden hat nach längerem Zögern auf eine erneute Kandidatur für eine zweite Amtszeit verzichtet. Der 81-Jährige ist dem Rat vieler führender Mitglieder der Demokratischen Partei gefolgt, und hat den Platz freigemacht für eine Neubesetzung des Kandidatenteams gegen die republikanischen Herausforderer Donald Trump und J.D. Vance.
Biden hat in einer Rede an die Nation seinen Rückzug begründet: »Ich verehre dieses Amt, aber ich liebe mein Land mehr.« Der beste Weg, das Land zu vereinen, sei es, »den Staffelstab an eine neue Generation zu übergeben«. Er skizzierte sein politisches Vermächtnis und pries seine Stellvertreterin Kamala Harris als Ersatzkandidatin an: »Sie hat Erfahrung. Sie ist zäh. Sie ist fähig.«
Mit Bidens Verzicht war die Herausforderung für die Demokraten nicht zu Ende. Die Partei musste sich zügig auf die vorgeschlagene Kandidatin einigen. Nachdem sich kurzer Zeit alle ernsthaften Konkurrenten aus dem Rennen genommen hatte, wurde Kamala Harris von den Delegierten in einer Online-Abstimmung mit überwältigender Mehrheit als Präsidentschaftskandidatin nominiert.
Sie hat als in den Primärwahlen gewählte ehemalige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft nicht nur die größte Legitimation und genießt die Unterstützung Bidens, sondern inzwischen auch die einer großen Zahl führender Demokraten. Nach Angaben ihres Teams gelang es seit Bidens Rückzug eine Rekordsumme an Spenden einzusammeln. Zudem symbolisiert sie für die Wähler*innen, die in den Vorwahlen für Biden gestimmt haben, die Fortführung der politischen Programmatik gegen Trump und Vance und deren Konzept einer rechtskonservativen Revolution.
Inzwischen hat Harris Tim Walz als ihren »Running Mate«, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, benannt. Mit Walz habe sie eine respektierte Führungspersönlichkeit an ihrer Seite. Er gebe »den Menschen das Gefühl, dazuzugehören und sie zu großen Träumen inspiriert. Das ist die Art Vizepräsident, die Amerika verdient«. Walz würde »unsere Nation einen und uns voranbringen – ein Kämpfer für die Mittelschicht, ein Patriot, der wie ich an das außergewöhnliche Versprechen Amerikas glaubt.«
Die Überlegung der Demokraten dürfte sein, dass sich viele Amerikaner in Walz, der als nahbar und fleißig gilt, wiederfinden. Auf ersten Wahlkampfveranstaltungen erschien er unter anderem in T-Shirt statt im Anzug, er postet witzige Social-Media-Videos mit seiner Tochter und beschreibt sich selbst als »Veteran, Jäger und Waffenbesitzer«. Trotzdem tritt Walz etwa für strengere Waffengesetze ein.
Als er seine frühere Unterstützung der Waffenlobby NRA angesprochen wurde, verwies er auf Erfahrungen: »Ich weiß, dass eine grundlegende Sicherheit bei Waffen keine Bedrohung für meine Rechte ist. Es geht darum, dass unsere Kinder sicher sind.« Darum schlafe er ruhig bei dem Gedanken, seine Haltung geändert zu haben.
Sein Agieren als Gouverneur von Minnesota habe gezeigt, dass man Wahlen nicht gewinne, »um politisches Kapital anzuhäufen, sondern um Leben zu verbessern«. Als ihm Kritiker vorwarfen, zu weit links zu stehen, entgegnete er ironisch: »Was für ein Monster« er doch sei, indem er sich für freies Schulessen eingesetzt und dafür eingesetzt habe, dass Frauen selbst über ihren Körper entscheiden können.
Harris hob darüber hinaus Walz’ Unterstützung für Militärveteranen und Gewerkschaften, sein Erlass von Schulgebühren für einkommensschwache Familien, die Förderung von Medicare und Einführung des bezahlten Urlaubs im Krankheitsfall hervor, die er in seinem Bundesstaat durchgesetzt hat. Seine frühere Tätigkeit als Lehrer und Footballtrainer zeihe zudem, dass er es verstehe es, Nähe zu den Menschen aufzubauen.
»Für diejenigen, die ihn am besten kennen, ist Tim mehr als ein Gouverneur«, sagte Harris. »Wir glauben beide daran, Menschen aufzurichten, anstatt sie niederzuschlagen. Wir wissen beide, dass die große Mehrheit von uns so viel mehr gemeinsam hat als das, was uns trennt. Und wir sehen in unseren amerikanischen Mitbürgern Nachbarn, niemals Feinde.«
Kamala Harris hat mit ihrer Kandidatur und mit der Nominierung von Walz die Hoffnung ins Lager der Demokraten zurückgebracht. Beide markieren deutliche Unterschied zu Trump. Dieser und sein Team ergeht sich bei seinen Auftritten stets in Horrorszenarien vom Untergang des Landes unter der Führung »linksradikaler« Demokraten, die die USA zerstören wollten. Harris und Walz dagegen mobilisieren für eine bessere Zukunft.
Walz nutzte seinen ersten Auftritt als Vize unter anderem für direkte Angriffe auf Trump. Erneut bezeichnete er ihn und seinen Vize Vance erneut als »these guys are as weird as hell«, also als eine »verdammt seltsame« Truppe. Schon zuvor hatte er in einem TV-Interview Trump, Vance und die MAGA-Republikaner entsprechend charakterisiert: »Diese Kerle sind einfach schräg«, die Bücher verbannen wollen, im Untersuchungszimmer beim Arzt sitzen und Kinderlose benachteiligen.
»Wir haben keine Angst vor sonderbaren Leuten. Wir finden das nur ein wenig unheimlich.« Vor allem dann, wenn sie wie Trump für das Amt als US-Präsident einen zu selbstbezogenen Charakter zu haben. »Donald Trump – er sieht die Welt anders. Er weiß nicht das Geringste darüber, der Nation zu dienen, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, sich selbst zu dienen.« Trump versuche, die Wirtschaft absichtlich für seine eigenen Zwecke zu schwächen, Recht und Ordnung zu verhöhnen und »Chaos und Spaltung« zu säen.
Die Parteiführung der Demokraten unterstrich, man werde auf dem anstehenden Parteitag einen »transparenten und geordneten Prozess« starten. In den amerikanischen linksliberalen Medien wird Harris bereits aufgebaut, indem Qualitäten in den Vordergrund gerückt werden, die sie für eine Präsidentschaft befähigen – als harte, aber faire Generalstaatsanwältin von Kalifornien in der Vergangenheit und der Fähigkeit, in Debatten überzeugend zu argumentieren. Hinzu komme ihr Kampf für das Recht auf Abtreibung und gegen Waffengewalt ein.
Walz wird stark vom linken Flügel der Demokraten unterstützt. So kommentierte der bekannte linke, aber parteilose Senator Bernie Sanders: »Als Gouverneur hat er für Arbeiterfamilien in Minnesota abgeliefert. Als Vizepräsident wird er für Arbeiterfamilien in den USA abliefern.« Auch die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez äußerte sich auf der Online-Plattform X ähnlich und sprach von einer »exzellenten Entscheidung«.
Die Reaktion von Trump auf diese Aufbruchstimmung bei den Demokraten fiel entsprechend aus: Auf seiner Online-Plattform Truth Social schrieb er: »Das ist das linksradikalste Duo in der amerikanischen Geschichte« Er bezeichnete Harris außerdem als »verrückt» und nannte sie »Kamabla«. Es gehört zu seinen unangenehmen Angewohnheiten, politischen Gegnern teils beleidigende Spitznamen zu verpassen. Harris hatte er bereits als Vizepräsidentin zuvor unter anderem als »Lügende Kamala« und als »Kamala Crash«.
Auch der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Vance, überzeugter Isolationist und Verfechter der konservativen Revolution, polemisierte in die gleiche Richtung: Harris habe Bidens »Politik der offenen Grenzen und des grünen Betrugs« mitzuverantworten, sie habe zudem »fast vier Jahre lang über Bidens geistige Fähigkeiten gelogen«.
Mit der Kandidatur der demokratischen Teams ist das Rennen um die Präsidentschaft wieder offen, auch wenn einige politische Beobachter Harris nach Bidens Ausstieg als »Außenseiterin« bezeichneten. Bei einer Kundgebung in Philadelphia am Dienstag verkündete sie ihre offizielle Nominierung als Kandidatin der Demokraten und griff diese Bezeichnung auf: »Jetzt haben wir also noch einiges zu tun. Wir müssen in den anstehenden allgemeinen Wahlen gewinnen. Und an alle Freunde, die zuhören: Wir müssen auch beim Wettbewerb um die Stimmen aufholen. Wir sind die Außenseiter in diesem Rennen. Aber wir haben die Dynamik und ich weiß genau, was auf uns zukommt.«