17. Februar 2025 Joachim Bischoff/Bernhard Müller/Gerd Siebecke: Trump & Co verändern nicht nur die Weltlage

»There’s a new sheriff in town«

Die Münchner Sicherheitskonferenz begann mit einem Knall: Die von den Europäern beschworenen »gemeinsamen Werte« wurden vom US-Vizepräsidenten J.D. Vance brüsk in Frage gestellt.

Je länger die Rede dauerte, desto klarer wurde, dass es beim transatlantischen Streit nicht mehr »nur« um die Ukraine, den Nahen Osten oder andere Krisenherde der Welt geht bzw. eine »faire Lastenteilung. Der Bruch im Verhältnis zwischen den USA und ihren europäischen Partnern ist viel fundamentaler.

Jahrzehntelang war die vielbeschworene »Wertegemeinschaft« der ideologische Kitt, der die westliche Welt zusammenhielt. Auf die Verteidigung von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit konnten sich die Bündnispartner in der NATO und der Europäischen Union jederzeit berufen. Nun werden diese Begriffe von Teilen der politischen Elite in den USA (und nicht nur dort) gekapert, uminterpretiert und neu besetzt. Deser Riss zieht sich mitten durch das transatlantische Bündnis.

Als Vance in München davor warnte, »die Demokratie sei in Gefahr« meinte er nicht etwa Russland, China oder den Iran. »Worüber ich mir am meisten Sorgen mache, ist die Gefahr von innen«, sagte er. Es folgte eine Generalabrechnung mit all jenen europäischen Politikern, die die neue amerikanische Regierung offensichtlich ebenfalls zum von ihr bekämpften politischen Establishment zählt.

Jahrelang hätten laut Vance die Europäer den Amerikanern erzählt, dass all ihre Investitionen letztlich der Verteidigung der Demokratie zugutekämen, und fügte hinzu: »Aber wenn ich heute nach Europa blicke, frage ich mich, was aus den Gewinnern des Kalten Kriegs geworden ist.«

Im von ihm in düsteren Strichen gezeichneten Bild des alten Kontinents sei »die Meinungsfreiheit […] auf dem Rückzug«. Europas Regierungen würden ihre Bürger zum Schweigen bringen, weil abweichende Meinungen unter dem Verweis auf vermeintlich Falschinformation (»Fake News«) unterdrückt würden. »Es gibt keinen Platz für Brandmauern«, sagte er, »die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt.« Was damit genau gemeint ist, wurde auch dadurch deutlich, dass sich der US-Vizepräsident mit AfD-Chefin Alice Weidel abseits der Konferenz traf, da diese explizit nicht eingeladen war.

Aus der Sicht der neuen amerikanischen Regierung hätten sich aber die Zeiten gewandelt: »There is a new sheriff in town«. Was mit den Ländern geschehen wird, die dem Weg des neuen amerikanischen Sheriffs nicht folgen, machte er auch gleich klar: »Wenn Sie sich vor Ihren Bürgern fürchten, gibt es nichts, was Amerika für Sie tun kann.«

Zuvor hatte bereits US-Verteidigungsminister Pete Hegseth mit seiner Information und Interpretation des Telefonats zwischen Donald Trump und Wladimir Putin die europäischen Verbündeten schockiert: Die Europäer müssten künftig für die Sicherung einer möglichen Nachkriegsordnung in der Ukraine allein verantwortlich sein. Die USA würden keine Truppen abstellen; die Sicherung eines Waffenstillstands oder Friedensvertrages sei allein eine europäische Angelegenheit. Und auch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine schloss er aus. Das sei kein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung.

Allerdings sind offensichtlich nicht alle Hilfssheriffs von Trump kohärent in die politische Vision des neuen Chefs eingebunden. So hatte Vizepräsident gegenüber dem «Wall Street Journal» noch erklärt, die Option, amerikanische Truppen in die Ukraine zu senden, »liegt auf dem Tisch« und Russland mit ökonomischem und militärischem Druck gedroht, sollte es nicht einer Vereinbarung zustimmen, die der Ukraine langfristige Unabhängigkeit gewährleistete.

Wie auch immer, die Äußerungen von maßgeblichen Repräsentanten der neuen US-Administration haben schockiert und zugleich Ratlosigkeit hervorgerufen: Europa wird bewusst, dass es allein dasteht, die EU wird von den bevorstehenden Ukraine-Friedensverhandlungen überrumpelt. Man trifft sich auf Initiative von Frankreich in Paris, um zu klären, wie stark sich die USA noch in der NATO engagieren werden und wie Europas Sicherheit dann noch zu gewährleisten ist, wie allein schon der Blick auf die jeweiligen Militärausgaben deutlich macht.

Die USA investieren mehr als doppelt so viel in Verteidigung wie alle europäischen Nato-Staaten zusammen

In den europäischen Hauptstädten und in Brüssel jedenfalls sitzt der Schock tief, und die Ratlosigkeit war vor dem Hintergrund, dass sich die geopolitischen Ereignisse überschlagen Europa in eine Zuschauerrolle gedrängt werden soll, zunächst groß. Eine Zäsur oder weitere Zeitenwende, denn die Trump- Administration hielt es nicht einmal für nötig, ihre Verbündeten zu informieren. Nichts illustriert die geopolitische Bedeutungslosigkeit besser, die diese der EU beimisst.

Nach der ersten Schockstarre wurde dann mit einer Mischung aus Ärger und Trotz reagiert: »Unser gemeinsames Ziel sollte sein, die Ukraine in eine Position der Stärke zu bringen. Die Ukraine und Europa müssen Teil jeder Verhandlung sein«, hieß es in einer Erklärung der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Polens und Spaniens. Diese Position wurde zuvor schon unzählige Male von den Staats- und Regierungschefs beteuert.

Die EU- Außenbeauftragte Kaja Kallas fragte: »Warum geben wir Russland alles, was es will, noch bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben?« und fügte hinzu, dass »ein Abkommen hinter unserem Rücken« nicht funktionieren werde. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius findet es ebenfalls falsch, dass Trump schon vor Beginn der Friedensgespräche Zugeständnisse gemacht hat.

Die europäischen Staaten hatten allerdings drei Jahre lang Zeit, um aus eigener Kraft die Ukraine in eine vorteilhaftere Position zu bringen. Sie haben zwar viele Mittel aufgebracht und Waffen geliefert, das reichte offensichtlich nicht, denn die russischen Truppen haben auf dem Schlachtfeld in der Ukraine seit Monaten die Oberhand. Nun ist es aller Voraussicht nach zu spät, um die Lage zu wenden. Man ringt um Schadensbegrenzung. Aber anstelle erneut eine europäische Sicherheitspartnerschaft mit Russland zu entwickeln wird trotz überall angespannten Haushaltslagen wieder vor allem über mehr Rüstungsausgaben diskutiert: Auf der NATO-Tagung in Brüssel erklärten mehrere Verteidigungsminister, künftig deutlich mehr als zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben zu wollen. Dass dies Trump, der fünf Prozent fordert, zufriedenstellen wird, ist zu bezweifeln.


Reaktion der bundesdeutschen Politiker

Friedrich Merz, noch Oppositionsführer, hatte während der Münchner Sicherheitskonferenz eine separate Unterredung mit Vance. Seine Bewertung: »Wir respektieren die Präsidentschaftswahlen und die Kongresswahlen in den USA und erwarten, dass die USA dasselbe hier tun« und betonte: »Das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt das Recht auf freie Meinungsäußerung – es ist und bleibt Teil unserer offenen demokratischen Gesellschaft. Aber Fake News, Hassreden und Beleidigungen unterliegen weiterhin gesetzlichen Beschränkungen und der Kontrolle durch unabhängige Gerichte.« Zu den Verteidigungsausgaben äußerte er, in der Zukunft müsse man andere Wege als Sondervermögen finden, um sie zu finanzieren. Bei der NATO müsse Einigkeit herrschen, man dürfe nicht nur über Geld reden.

Eine deutlich kritischere Bewertung nahm Robert Habeck vor: »Das, was Vance gestern gemacht hat, geht ihn nichts an. So klar muss man das sagen. It's none of your business […] Kümmere Dich um Deinen eigenen Kram, da gibts Aufgaben genug in den USA.« Er wertere Vance Rede zugleich als »Zäsur«: »Die westliche Wertegemeinschaft ist gestern aufgekündigt worden«, die Regierung von US-Präsident Trump vertrete andere Wertepositionen und habe ein anderes politisches Verständnis, als es bisher Konsens zwischen Europa und den USA gewesen sei.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz übte scharfe Kritik an Vance und leitete seine Rede auf der Sicherheitskonferenz mit einer Referenz auf das Konzentrationslager Dachau ein. Er sei Vance »sehr dankbar« für seinen Besuch dort. Die Gedenkstätte zeige, warum man sich dafür einsetzen solle, dass so etwas nie wieder passiert. »Nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Angriffskrieg.« Dies sei nicht mit der Unterstützung zur AfD im Einklang zu bringen.

Scholz bekräftigte die Position der SPD zum Ukraine-Krieg: »Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. […] Ein Diktatfrieden wird deshalb niemals unsere Unterstützung finden.« Bei den Verhandlungen müsse klar und deutlich werden, dass Putin nicht relevante Ziele erreicht. Über die Folgen der Rede von Vance sagte er, die extreme Rechte sollte nicht an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden.


Die Zäsur in der internationalen Sicherheitsarchitektur

Dass der Wahlsieg von Donald Trump einen Kurswechsel in der amerikanischen Ukraine-Politik auslösen würde, war immer klar. Er hatte bereits im Wahlkampf deutlich genug gemacht, dass ihm die Zukunft dieses fernen Landes egal ist und er die Dollarmilliarden für den Abwehrkampf gegen Russland als reine Verschwendung betrachtet. Trump gewichtet einen raschen Waffenstillstand höher als die Souveränität der Ukraine, außerdem hat er mehrfach deutlich gemacht, dass die USA Zugriffsrechte auf Rohstoffe in der Ukraine fordern.

Dies dämmert inzwischen aus dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der in seiner Rede in München unterstrich, nun müsse Zusammenarbeit innerhalb Europas Putin in die Knie zwingen – zur Not auch ohne US-Hilfe. Zugleich ist sich die ukrainische Regierung ist ihrer militärischen Abhängigkeit von den USA bewusst genug, um gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Selenskyj hat deshalb bisher kein kritisches Wort über Trump verloren. Stattdessen geht er zumindest dem Schein nach auf dessen Vorschläge ein, stellt den Amerikanern lukrative Verträge für seltene Erden in Aussicht und gibt sich friedensbereit. Zugleich muss sich Kiew mit der Möglichkeit auseinandersetzen, mit einem Diktatfrieden ohne klare Sicherheitsgarantien konfrontiert zu werden oder aus eigener Kraft weiterkämpfen zu müssen.

Wie auch immer: Die USA werden sich in Europa, ganz wie es Putin vor dem Krieg gefordert hatte, auf eine Nebenrolle zurückziehen. »Klare strategische Realitäten verunmöglichen es den Vereinigten Staaten, Hauptgarant der Sicherheit in Europa zu sein«, lautete die entsprechende Botschaft des US-Verteidigungsministers Hegseth.

Das ist eine Zäsur nach acht Jahrzehnten amerikanischer Dominanz in der Sicherheitsarchitektur des Kontinents. Putin kann sich angesichts der amerikanischen Konzessionen beglückwünschen. Es liegt in der Logik von Verhandlungen, dass Russland ggf. noch weitere Zugeständnisse erreichen kann. Allerdings wird Trump früher oder später erkennen müssen, dass seine Verhandlungsmacht gegenüber Russland zu gering ist, um einen auch für die USA günstigen Frieden zu erreichen. Als mögliche Druckmittel hat er lediglich wirtschaftliche Instrumente ins Spiel gebracht, primär die Idee, Russlands Erdöleinnahmen zu bremsen.

Europa kann die Zeitenwende in Washington bedauern, aber muss sie als Realität anerkennen. Derzeit ist nicht erkennbar, wie sich die Europäer ohne die Führung und die militärische Macht Amerikas zusammenraufen könnten. Auch in manchen europäischen Hauptstädten wird die Versuchung groß sein, den Wählern eine Pseudodiplomatie oder einen Scheinfrieden als Lösung zu verkaufen.

Und es ist zu erwarten, dass die Reaktion vor allem zu an höheren Militärausgaben, einer Ankurbelung der Rüstungsindustrie und der Finanzierung einer Schutztruppe für die Ukraine führen wird. Das aber dürfte weder dauerhaften Friedenslösungen noch den angeschlagenen ökonomischen Problemen vieler Länder zuträglich sein.

Zurück