11. Mai 2015 Ulrich Bochum: Großbritannien wählt die Austerität

»This was a terrible night for Labour«

David Cameron und seine konservative Partei haben die Wahl in Großbritannien deutlich gewonnen und können ohne Koalitionspartner regieren. Die im Vorfeld veröffentlichten Meinungsumfragen lagen mit ihrer Vorhersage eines knappen Wahlausgangs gründlich daneben. Als um 22:00 Uhr die ersten Ergebnisse aus den Wahllokalen eingingen und im Fernsehen veröffentlicht wurden, glaubten manche ihren Augen nicht.

Im Labour-Hauptquartier hielt man sich die Hand vor den Mund und beobachtete, wie sich eine nächtliche Tragödie entfaltete. Schon die erste Prognose sah die Tories bei 316 Sitzen und damit weit jenseits aller Vorhersagen eines hängenden Parlaments. Labour-Quellen hielten die ersten von der BBC veröffentlichten Prognosen schlicht für falsch.

Die Konservative Partei gewann 331 Sitze von insgesamt 650, Labour nur 232, die Liberaldemokraten haben im neuen Unterhaus nur noch 8 Sitze und verloren 49. Ukip hat zwar knapp 3,9 Mio. Stimmen erhalten, dies schlägt sich im britischen Mehrheitswahlsystem jedoch nur in einem Parlamentssitz nieder. Die Scottish National Party (SNP) hat in Schottland 56 von 59 Sitzen gewonnen und Labour in ihrem klassischen Stammland quasi hinweg gefegt. Die Wahlergebnisse haben zu sofortigen Rücktritten der Parteivorsitzenden bei Labour, den Liberaldemokraten und bei Ukip geführt.

Sofort nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse hob wieder eine Diskussion über die Ungerechtigkeiten des britischen Wahlsystems (first past the post) an. Dies betraf natürlich das Ukip-Ergebnis – die Rechtspopulisten konnten sich nur in einem einzigen Wahlkreis an der Ostküste durchsetzen. Vergleicht man die Anzahl der Stimmen, dann hat Ukip immerhin nur etwas weniger als die Hälfte der Labour-Stimmen erreichen können.

Allein mit sich und dem Wahlzettel haben viele Wähler sich dann doch für den konservativen Kandidaten entschieden. Entscheidend war, dass die Konservativen Schlüsselwahlkreise für sich gewinnen konnten – Wahlkreise, die Ed Milliband hätte gewinnen müssen, um eine Chance zur Regierungsbildung haben zu können.

Die regionale Verteilung der Stimmenabgabe zeigt, dass der Süden Englands, sowohl der Süd-Osten als auch der Süd-Westen,  bis in die Midlands hinein konservativ dominiert ist, mit roten Einsprengseln. Zu den roten Einflusssphären gehören London, Wales und Teile der Midlands um Birmingham. Der Nord-Osten, Yorkshire sowie der Nord-Westen um Manchester, also die früheren klassischen Industrieregionen,  sind Labour geprägt.

Möglicherweise hat die Unsicherheit, was eine mögliche Koalition von Labour und der Scottish National Party für das englische Kernland und die weitere ökonomische Entwicklung bedeuten könnte, zum Sieg der Konservativen beigetragen. Wer Labour wählt, gesteht gleichzeitig den schottischen Nationalisten einen größeren Einfluss auf die Entwicklung Englands zu – diese Karte wurde offensichtlich erfolgreich im Wahlkampf der Konservativen gespielt und hat zur Belebung von Ängsten bei den Wählern geführt.

David Cameron mag sich über einen überraschend klaren Sieg der Konservativen freuen, aber seine kommende Legislaturperiode ist voll von Risiken und spielt sich vor dem Hintergrund einer gespaltenen Nation ab.

Die energische Parteivorsitzende der erstarkten SNP, Nicola Sturgeon, hat bereits angekündigt, dass es ein »business as usual« nicht mehr geben könne und den Premierminister zu weitreichenden Zugeständnissen hinsichtlich der schottischen Eigenständigkeit veranlasst. Cameron wird weitere Ausgabenkürzungen durchführen müssen, um sein Versprechen eines ausgeglichenen Haushalts einlösen zu können. Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was der Anti-Austeritäts-Partei SNP in Schottland zum Sieg verholfen hat.

Cameron wird weiterhin ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs abhalten – nicht wenige seiner konservativen Fraktionsmitglieder wollen aus der EU aussteigen – die SNP ist jedoch eine Unterstützerin der EU-Mitgliedschaft. Ein  Ergebnis für einen EU-Ausstieg könnte damit zu einer Aufspaltung des Vereinigten Königreichs führen.

Die Labour-Party wird ein neuen Parteivorsitzenden wählen müssen und dabei bringen sich die »Blairites« schon wieder in Stellung. Die Wahl habe schließlich gezeigt, dass man ohne die Mitte nicht gewinnen könne. In der populären Andrew-Marr-Show, die jeden Sonntagmorgen in der BBC ausgestrahlt wird, hat Peter Mandelson, der Strippenzieher der Blair-Regierung, bereits erklärt, es sei ein fataler Fehler gewesen mit New Labour abzurechnen und Ed Milliband erhebliche Fehler in der Wahlkampagne vorgeworfen.

Die Messer sind also bereits ausgepackt. Im Kampf um den Parteivorsitz wird man sich den Namen des bisherigen Schatten-Wirtschaftsministers Chuka Umunna merken müssen. Ein junger schwarzer ehemaliger City-Rechtsanwalt – glatt, smart, geschmeidig und medienorientiert, eine Art britischer Obama. In besagter Andrew Marr Show meinte er, die letzte Labour Regierung hätte vor dem Crash nicht ein so hohes Defizit aufbauen sollen. Eine solche Position bedeutet letztlich, dass der Vorwurf der Konservativen, Labour sei mitverantwortlich für den Crash und habe die Wirtschaft ruiniert, akzeptiert wird.

Es sieht daher so aus, als sei die SNP die einzig wirkliche Oppositionspartei im neu gewählten House of Commons.

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