26. September 2019 Joachim Bischoff/Hinrich Kuhls: Insolvenz im Herzen der Brexit-Ökonomie

Thomas Cook – ein folgenreiches Desaster

Der britische Reiseveranstalter Thomas Cook (TC) war ein wichtiges Unternehmen im Dienstleistungssektor des Vereinigten Königreichs (UK). Seine Insolvenz erlaubt einen Ausblick auf die Erfolgschancen des »Globalen Britiannien«, das die Brexit-Hardliner der britischen Regierung mit dem disruptiven Austritt aus der EU anstreben.

Sie bedeutet die sofortige Entfesselung des gesamten Dienstleistungssektors, der mit 80% des Bruttoinlandsprodukts die britische Ökonomie trägt. Auf Transport und Reisen entfallen dabei 20% des Dienstleistungsbereichs. Der Zugang zum EU-Markt wäre bei einem No-Deal-Brexit stark eingeschränkt.

Anders als bei der Abwicklung der Insolvenz von Air Berlin im August 2017 und jetzt beim Versuch der Rettung von Condor, einem Tochterunternehmen von Thomas Cook, durch die deutsche Bundesregierung, wollte die britische Regierung Thomas Cook nicht mit den beantragten 200 Mio. Pfund im Sanierungsprozess unterstützen. Die Bundesregierung hatte im Fall von Air Berlin mit einem umstrittenen, durch eine Bundesbürgschaft abgesicherten Übergangskredit in Höhe von 150 Mio. Euro die Rückkehr der Kund*innen aus ihren Urlaubsorten ermöglicht (mittlerweile ist der Kredit getilgt).

In Grossbritannien organisiert dagegen die Flugbehörde (Civil Aviation Authority – CAA) im Auftrag der Regierung die Heimflüge der insgesamt rund 150.000 Tourist*innen aus dem Vereinigten Königreich. Es wird die größte Notfallrepatriierung in Friedenszeiten. Weitere 350.000 nicht-britische Reisende warten in der Zwischenzeit, wie ihre Rückreise vonstatten gehen soll – gleich ob sie mit Thomas Cook oder mit einer der abhängigen, aber als selbstständige Kapitalgesellschaften geführten Unternehmen in anderen EU-Ländern (wie Condor, Öger Tours oder Neckermann-Reisen) ihre Reise angetreten hat. Unter dem Strich bleiben für viele Cook-Kunden erhebliche Kosten hängen.

Thomas Cook kollabierte, nachdem am Abend des 22.9. die Gespräche mit Kreditgebern, Aktionären und der britischen Regierung gescheitert waren, mit denen ein Rettungspaket für das 178-jährige Reiseunternehmen geschnürt werden sollte. Es blieb keine andere Wahl, als mit sofortiger Wirkung in die Zwangsliquidation einzutreten. Konzernchef Peter Fankhauser sprach in einer Erklärung von einem »tiefen Bedauern«, dass man keine Lösung für die Rettung des Konzerns gefunden habe. Zwar sei eine Einigung bereits zu einem großen Teil ausgearbeitet worden. Zusätzliche Forderungen in den letzten Tagen der Verhandlungen hätten sich am Ende jedoch als »unüberwindbare Herausforderung« erwiesen.

Die amtierende Rechtsregierung in London weigerte sich, die 200 Mio. Pfund bereitzustellen – und wurde auch nicht durch das Argument erweicht, dass die nötige Repatriierung der Feriengäste bis zu 600 Mio. Pfund kosten dürfte. Der Fall Cook ist ein Symptom für die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Kompetenzlosigkeit der auf die rechtspopulistische Seite gewechselten Konservativen Partei.

Der Zusammenbruch des Reiseunternehmens betrifft 21.000 Arbeitsplätze. Der Restrukturierungsspezialist AlixPartners ist mit der Leitung des Insolvenzverfahrens beauftragt worden, vorbehaltlich der Zustimmung des Gerichts. Thomas Cook sagte, dass von AlixPartners erwartet werde, mit der CAA zusammenzuarbeiten, um die Repatriierung seiner Kunden zu organisieren.

Das Aus von Thomas Cook trifft die Tourismusindustrie in vielen südeuropäischen Ländern hart.So rechnen in Spanien vor allem die Kanaren, die Balearen und Andalusien mit erheblichen Einbußen. Mit dem britischen Reiseveranstalter waren im vergangenen Jahr rund 3,6 Mio. der insgesamt 82 Mio. ausländischen Tourist*innen nach Spanien gekommen. Auf den Kanaren machten die Thomas-Cook-Kund*innen nach amtlichen Angaben 20% aller ausländischen Besucher*innen aus, auf den Balearen waren es 10 bis 15%. Die Konsequenzen der Pleite für Mallorca seien »von einer bisher nie dagewesenen Dimension«, sagte die Präsidentin des Hotelverbandes FEHM, Maria Frontera. Griechische Tourismusverbände gehen davon aus, dass die Insolvenz des Reisekonzerns Thomas Cook den Tourismussektor des Landes bis zu 500 Mio. Euro kosten könnte. Es sei für die Wirtschaft »der stärkste Schlag seit der Finanzkrise«, schrieb die Wirtschaftszeitung »Naftemporiki«.

Die britische Regierung war offiziell erst zwei Tage vor der Insolvenz involviert worden. Obwohl Wähler*innen, »deren Großmütter in Tunesien gestrandet sind«, das Agieren der Regierung negativ bewerten könnten, lehnten der Premierminister Boris Johnson und seine Fachminister Dominic Raab (Außen) und Grant Shapps (Verkehr) einen Suventionsantrag des Unternehmens ab. »Es trifft zu, dass bei der Regierung ein Subventionsantrag in Höhe von etwa 150 Millionen Pfund eingegangen war. Das ist eindeutig viel Geld der Steuerzahler und schafft ein moralisches Risiko im Falle zukünftiger wirtschaftlicher Schwierigkeiten, mit denen Unternehmen konfrontiert sind«, erklärte Johnson auf dem Weg zur UN-Generalversammlung in New York.

Er fügte hinzu: »Man ist geneigt, darüber nachzudenken, ob die Vergütungen der Vorstände dieser Unternehmen angemessenen strukturiert sind.« Außerdem müsse man die Regulierung der Reisebranche überprüfen, um sicherzustellen, dass Reisende ausreichend geschützt sind, damit Steuerzahler*innen nicht immer wieder die Kosten für das Einsammeln der Scherben aufbringen müssten.


Der Hauptaktionär

Die chinesische Investmentgruppe Fosun hat ein globales Reiseimperium aufgebaut, zu dem neben TC unter anderem große Anteile am Club Med (Club Méditerranée S.A.) und der kanadischen Zirkus- und Tanzgesellschaft Cirque du Soleil gehören. Das in Shanghai ansässige Unternehmen kaufte sich erstmals 2015 in den britischen Reisekonzern ein und war mit einem Anteil von 18% der größte Aktionär. Die Investitionen sind im Geschaftsbereich »Happiness« zusammengefasst: einer Sammlung von Reise- und Freizeitunternehmen, deren Angebote an Chinas expandierende Mittelschicht vermarktet werden.

Im Jahr des TC-Aktienerwerbs war der Fosun-Mehrheitseigner Guo Guangchang mit den chinesischen Behörden in Konflikt geraten. Trotz dieses Rückschlags hat Fosun weiterhin große Investitionen sowohl in China als auch in Übersee getätigt. Weitere Akquisitionen, mit denen sich der Mischkonzern in jüngster Zeit auf die veränderte Lebensweise wohlhabender Chinesen fokusierte, waren die Beteiligung an der chinesischen Brauerei Tsingtao Brewery und dem französischen Margarinehersteller St. Hubert.

Obwohl TC nicht vollständig in andere Fosun-Geschäftsbereiche integriert war, haben Analysten darauf hingewiesen, dass die Flugsparte des Reiseunternehmens eine wichtige Verbindung zu seinen Resorts auf der ganzen Welt hätten herstellen können. Daher war Fosun bereit, 450 Mio. Pfund zu investieren. Das Management stand aber auch unter dem Druck, das Eigenkapital zur Senkung der Verschuldungsrate einzusetzen, da die Regierung Chinas darauf drängt, dass jene chinesischen Unternehmen, die umfangreichen Acquisitionen getätigt haben, für potenzielle Risiken im Bankensystem besser gerüstet sein sollen.


Pleite mit Ansage

Der Reiseverananstalter TC hatte schon 2011 vor der Pleite gestanden. Damals gelang es noch, ein Kreditpaket zu schnüren. Die Kapitalerhöhung im Jahr 2013 sollte das Unternehmen auf eine stärkere Basis stellen, um seinen Umbau finanzieren zu können. Der Umbau ist Stückwerk geblieben, weil der Übergang von der »High Street zum Internet« nicht gelang, das Unternahmen also nicht den Schritt in die Plattformökonomie geschafft hatte. So wurde einerseits das landesweite Netz von über 300 Verkaufsbüros entwertet. Andererseits hielt das Unternehmen am Geschäftsmodell der Pauschalreisen fest, obwohl Tourist*innen zunehmend die Informations- und Differenzierungsmöglichkeiten der Online-Angebote nutzen, um Transportwege und Unterkünfte speziell zusammenzustellen.

Das nutzen die neuen auf der Plattformökonomie basierenden Konkurrenten in der Tourismusbranche. Sie stellen für ihre Reise-Kund*innen gleichsam in Echtzeit Pakete aus Flug und Übernachtung zusammen. Auch verkaufen sie nicht einfach Wochenarrangements, stattdessen können die Kund*innen die Reisedaten selber bestimmen. Im Branchenjargon nennt man dieses Schnüren von Reisen »Dynamic packaging«. Dabei kommt es ganz auf den Preis und die Geschwindigkeit an. Hier scheinen die Newcomer den meisten Etablierten überlegen zu sein.

Die Situation des nach dem Branchenprimus TUI zweitstärksten Unternehmens Thomas Cook hatte sich im Laufe der Branchenkrise seit 2018 zunehmend verschlechtet. Das Management verwies auf die Abwertung des Pfund Sterling, auf gestiegene Treibstoffkosten, Probleme mit bestimmten Reisezielen oder – wie soll es anders sein, wenn die makro- und mikroökonomischen Gründe nicht hinreichen – auf das Wetter. Die Kreditlinie belief sich zuletzt auf 1,7 Mrd. Pfund (1,9 Mrd. Euro). Davon hätten 1,1 Mrd. Pfund umgeschuldet werden müssen. Letztlich fehlten 200 Mio. Pfund. Warum fand sich hierfür kein Kreditgeber und warum sprang die britische Regierung nicht ein?

Schon Ende August war mit den größten Aktionären und Kreditgebern das Paket mit neuen Krediten in Höhe von 900 Mio. Pfund geschnürt worden. Die Schulden summierten sich zuletzt auf 1,7 Mrd. Pfund. Zum Unternehmen gehören neben fast 200 Hotels auch 100 Flugzeuge. Der Verkauf der Airline sollte im Frühjahr zur Sanierung beitragen, doch in der an Überkapazitäten und Preiszerfall leidenden europäischen Branche fand sich kein Interessent.Das Umschuldungspaket erforderte die Unterstützung von drei Vierteln der Anleihegeber. Es sah vor, dass Fosun, der chinesische Mischkonzern im Gegenzug für seine Kapitaleinlage von 340 Mio. Pfund dann 75% des Pauschalreisengeschäfts und bis zu 25% der Fluggesellschaft kontrollieren sollte. Andere Schuldner und kreditgebende Banken hatten sich bereit erklärt, die restlichen 450 Mio. Pfund im Austausch für die Kontrolle über die Fluggesellschaft von Thomas Cook und bis zu 25% Prozent des Reiseveranstalters bereitzustellen.


Die Rolle der Hegefonds

Eine Gruppe von Hedgefonds blockierte aber das Restrukturierungsprogramm anhaltend. Sie hatten ihre Kredite an das Reiseunternhemen auf dem Credit-Default-Swap-Markt (CDS) abgesichert. Die Derivate werden zur Zahlung fällig, wenn das durch die Kredite begünstigte Unternehmen in Liquidation geht. Die Hedgefonds leisteten also keinen Widerstand, weil sie den Rettungsplan negativ einschätzten. Es ging ihnen auch nicht darum, dass die Umstrukturierung die Aktionäre – also vor allem den Hauptaktionär Fosun – stärker als die Kreditgläubiger begünstigte. Es ging ihnen allein darum, dass der ausgehandelte Rettungsplan nicht dazu geführt hätte, dass die Auszahlung der CDS-Papiere fällig würde. Diese Derivate sind wie Versicherungsverträge strukturiert. Sie sollen den Inhaber vor dem Risiko schützen. Doch während ein Lebensversicherungsvertrag einfach zu regeln ist – entweder lebt eine Person oder ist tot –, kommt es beim Tod eines Unternehmens auf die Zwischentöne an, ob die CDS-Papiere fällig werden oder nicht.

Deshalb wurde in den Restrukturierungsverhandlungen eine Quadratur des Kreises versucht. Das Unternehmen sollte am Leben gehalten werden, und die Hedge Fonds sollten zugleich ihre Windfall-Profite einstreichen. Thomas Cook versucht, seine Schulden so zu sanieren, dass Verluste für die Anleihegläubiger entstehen, also mit einem Szenario, in dem sich die CDS buchstäblich auszahlen sollten. Aber aus »Gründen einer fast schon theologischen Komplexität« war das nicht möglich, wie ein Anleihegäubiger es ausdrückte.

Die Analogie erinnere – so Robert Smith in der Financial Times vom 16.9.2019 – an die Hohepriester des CDS-Marktes: Ein Branchengremium von Hausanwälten, bekannt als »Determinations Committee (DC)«, das sich aus neun Banken und fünf Fondsmanagern zusammensetzt, entscheidet, ob Swap-Inhaber ihre Windfall-Profite erhalten. Die Abhängigkeit dieses Ausschusses von hochkomplexen rechtlichen Argumenten hat zu einer Reihe bizarrer Ergebnisse geführt. Das DC wird allgemein als bestenfalls technokratisch oder im schlimmsten Fall als widersprüchlich angesehen. Im Fall Thomas Cook befürchteten einige Anleihegläubiger, dass selbst dann, wenn das Unternehmen vor den US-Gerichten Schutz vor Gläubigern beantragen würde, die Swaps möglicherweise immer noch nicht ausgelöst werden.

Faktisch wetten also die Hedgefonds, die wie bei Thomas Cook Firmenanleihen gezeichnet oder Kreditverträge abgeschlossen haben, auf den Bankrott des Unternehmens. Da hat dann die Schadenfreude ein Ende, wenn wenn die Folgen auf die reale Welt übergreifen und wie bei Thomas Cook 21.000 Arbeitsplätze vernichtet werden und insgesamt 600.000 Kund*innen betroffen sind.


Alternativen

Wie schon in der Brexit-Auseinandersetzung wird auch in der Causa Cook deutlich, was die Alternative zum Crash-Kurs der Allianz von Konservativer Partei und Brexit-Party ist: Notwendig ist ein von den Kommunen ausgehender wirtschaftlich-sozialer und ökologischer Transformationsprozess, mit dem die tiefe Spaltung der Gesellschaft überwunden werden kann. Es geht um eine umfassende Erneuerung des privatkapitalistischen und öffentlichen Kapitalstocks mit entsprechenden Arbeitplätzen.

Eingeleitet durch Arbeitzeitverkürzungen würde dies den Übergang zur Vier-Tage-Woche, einen kostenlosen Nationalen Pflegedienst für Ältere, Unternehmensanteile für Lohnabhängige und einen höherer Mindestlohn sowie eine Stärkung der Gewerkschaftsrechte ermöglichen. Mit öffentlichen Fonds und einem Umbau der Unternehmensverfassungen würden solche Zwangsliquidierungen im Interesse des Finanzkapitals verunmöglicht.

Zurück