3. Juni 2018 Otto König/Richard Detje: Kolumbien – linker Kandidat mit Chancen auf Präsidentschaft

»Tiempos de cambio«

Gustavo Francisco Petro (Foto: https://petro.com.co)

Nach über 50 Jahren Bürgerkrieg wurde im Dezember 2016 ein Friedensvertrag zwischen der größten Guerillaorganisation FARC-EP und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos unterzeichnet.[1] Die Entscheidung darüber, ob der eingeschlagene Friedenskurs und der damit verbundene soziale Ausgleich fortgesetzt oder rückgängig gemacht werden soll, wurde jedoch Ende Mai bei den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien vertagt.

Der frühere Senator Iván Duque Márquez, Kandidat der ultrarechten »Partei Demokratisches Zentrum«, der zu den Gegnern des Friedensvertrags zählt, ging aus dem ersten Wahlgang mit 39,1% der Stimmen als Sieger hervor. Der Kandidat der linken Wahlbewegung »Menschliches Kolumbien« und »Bürgerkraft«, Gustavo Francisco Petro, der den Friedenspakt mit der Farc unterstützt, erhielt 25,1% der Stimmen.

Das sieht auf den ersten Blick nach einer klaren Zurückweisung der Linken aus. Doch nach Jahrzehnten der systematischen Verfolgung und Ermordung linker Aktivist*innen ist Petro der erste progressive Kandidat, der nach der Verfassungsreform von 1991 die Stichwahl am 17. Juni überhaupt erreicht hat.

Den dritten Platz belegte der Mathematikprofessor und ehemalige Bürgermeister von Medellín, Sergio Fajardo Valderrama, Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses »Koalition Kolumbien« mit einem Stimmanteil von 23,7%.

Für den scheidenden Präsidenten Juan Manuel Santos, der nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten durfte, ist das Wahlergebnis ein schwerer Schlag, denn die beiden Bewerber des rechts-liberalen politischen Zentrums auf die hinteren Plätze verwiesen: Germán Vargas Lleras mit 7,2% und Humberto de la Calle, Santos’ Unterhändler bei den Friedensverhandlung mit der Farc, mit zwei Prozent. Rodrigo Londoño alias »Timochenko«, Kandidat der von der Farc neugegründeten Partei »Alternative revolutionäre Kraft des Volkes« (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Comun), schied wegen einer Herzoperation aus dem Wahlkampf aus.

Mit der Beteiligung von 20 Millionen Wahlberechtigten (53,1%) an dem Urnengang wurde die über Jahrzehnte niedrige Wahlbeteiligung erstmals übertroffen. Das Wahlergebnis offenbart die tiefe ideologische Spaltung in Kolumbien: zwischen Friedensgegnern und -befürwortern, zwischen rechten und neoliberalen Hardlinern und den fortschrittlichen Kräften, die für eine Stärkung des öffentlichen und staatlichen Sektors eintreten, um die Ungleichheit und soziale Diskriminierung abzubauen und einen neuen sozialen und politischen Pakt unter breiter Beteiligung der Menschen und Bürgervertretungen anstreben.

Exemplarisch stehen Duque und Petro für völlig unterschiedliche Visionen für das Land. Der Bankier Ivan Duque, Schützling des Ex-Präsidenten Alvaro Uribe,[2] will den Friedensvertrag mit der Ex-Guerillagruppe FARC für nichtig erklären, durch neoliberale Reformen Wirtschaft und Staat von den ohnehin nur zaghaften sozialen Verbesserungen der Santos-Ära bereinigen und unter dem Deckmantel der Beschwörung der Gefahr einer verschärften Drogenpolitik das Landes weiter militarisieren. Inzwischen ist Duque ein Stück zurückgerudert und spricht nur noch davon, den Friedensvertrag ändern zu wollen: Im Kern geht es den Rechten um die Amnestie-Regeln, die den ehemaligen Guerilleros milde Strafen oder Straffreiheit zusichern, sowie um die der Farc-Partei für zwei Legislaturperioden garantierten Parlamentssitze.

»Wir glauben, dass das Abkommen nicht geändert werden kann«, sagt hingegen der scheidende Präsident Santos. Der Politikwissenschaftler Cristian Rojas von der Universität La Sabana relativiert jedoch diese Einschätzung: »Die grundlegenden Punkte des Vertrags dürften in der Tat schwer zu ändern sein, aber der neue Präsident kann entscheiden, ob er ihn weiter umsetzt«.

Denn trotz aller Rückschläge und Stolpersteine geht die Umsetzung des Friedensabkommens in Kolumbien langsam voran. Doch der Boden, auf dem sich der Friedensprozess bewegt, verwandelt sich zunehmend in Treibsand. Die Farc-Rebellen haben ihre Waffen abgegeben, sich in eine politische Partei umgewandelt, die erstmals an den Kongresswahlen im März teilnahm. Dennoch hält die Gewalt an: 385 Aktivist*innen aus der Zivilbevölkerung und den sozialen Bewegungen sowie 58 ehemalige Kämpfer der FARC wurden seit Beginn des Friedensprozesses ermordet. Eine Folge, dass zwar die Farc, aber nicht die rechtsradikalen Paramilitärs entwaffnet wurden, die nun viele Regionen, die von der Farc verabredungsgemäß geräumt wurden, besetzt haben.

In der Kritik steht auch, dass wichtige Punkte des Abkommens durch die Regierung nicht eingehalten werden, wie die Zusage einer integralen Landreform, die der Bevölkerung die landwirtschaftliche Nutzung garantieren soll, und die Integration der ehemaligen der Farc-Kämpfer*innen ins gesellschaftliche und politische Leben. Insbesondere gegen Führungskader wird jetzt unter Vorwänden juristisch vorgegangen. So wurde Jesús Santrich, einer der zehn Farc-Abgeordneten im kolumbianischen Parlament und Mitglied der Kommission zur Umsetzung des Friedensvertrags auf Betreiben der US-Antidrogenbehörde DEA mit Drogenkriminalität in Verbindung gebracht und ohne vorliegende Beweise in Untersuchungshaft genommen. Die US-Behörden verlangen seine Ausweisung.

Gustavo Francisco Petro sieht dennoch in dem Abkommen die historische Chance, nach Jahrhunderten von Unterdrückung und politischer Gewalt das Land in eine friedliche Demokratie zu überführen. Auf einer Kundgebung in Bogotá machte er vor zehntausenden Anhänger*innen jedoch deutlich: »Frieden wird es nur mit sozialer Gerechtigkeit geben«. Sein Programm zielt auf die Überwindung der Ungleichheit im Lande ab. Der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Bogota schlägt dazu eine drastische Besteuerung und Umverteilung großer unproduktiver Ländereien vor.

Kernstück seiner Wirtschaftspolitik ist der Ausstieg aus dem extraktivistischen Rohstofferzeugungs-, -export- und -energiemodell auf der Grundlage fossiler Brennstoffe, hin zum Ausbau erneuerbarer Energieträger und einer damit gekoppelten Agrarpolitik. Eine staatliche Stärkung des Sozialsystems und die Vertreibung des Finanzkapitals aus dem Gesundheits- und Rentensystem sind ebenso Teil der von ihm angestrebten Reformen wie die Gewährleistung einer kostenlosen Hochschulbildung für alle.

Während Petro mit seiner Agenda bei Kleinbauern und der indigenen Bevölkerung als auch bei der fortschrittlichen Mittelschicht in den Städten auf Zustimmung stößt, bringt er mit seinem Anti-Establishment-Kurs die Unternehmerschaft und die Eliten des Landes, die um ihre Macht fürchten, gegen sich auf. Arm in Arm mit den Rechtskonservativen setzen sie auf Angstkampagnen und warnen bei der Wahl von Petro vor einem drohenden »Castrochavismus«, der sich aus dem Gedankengut Fidel Castros und Hugo Chávez' speise.

»Den Hass zu verwenden, um einen Klassenkampf heraufzubeschwören, ist ein Risiko, das die Kolumbianer nicht eingehen können«, warnte die ehemalige Verteidigungsministerin Marta Lucia, die unter Duque Vizepräsidentin werden will, im Gespräch mit der Welt (26.5.2018). Entsprechend lautet die Parole der Rechten »Vote para que Colombia no sea otra Venezuela«, frei übersetzt: Wer nicht will, dass sich Kolumbien in ein zweites Venezuela verwandelt, der muss Ivan Duque wählen. 

Bei der Stichwahl am 17. Juni geht es deshalb um ein »voto del miedo«, eine Stimmabgabe aus Angst für Duque bzw. um einem »voto de la esperanza«, die Stimme der Hoffnung für den linken Kandidaten Petro. Und es geht es um die Zukunft des international gefeierten, aber im Land selbst sehr umstrittenen Friedensprozesses mit der Farc-Guerilla. Es wird sich zeigen müssen, ob in Kolumbien die Zeiten des Wandels eine Chance haben.

In den kommenden Wochen wird Petro versuchen müssen, Allianzen zu schmieden und die Wählerstimmen des Drittplatzierten Fajardo zu gewinnen. Dieser vermied es bisher jedoch, eine Wahlempfehlung abzugeben. Nach Ansicht von León Valencia, Direktor der »Stiftung für Frieden und Versöhnung«, wird sich der Vertreter des Mitte-Links-Bündnisses »Koalition Kolumbien« jedoch »entscheiden müssen, wen er mit seinen 4,5 Millionen Stimmen unterstützen will.«

Sollte Gustavo Francisco Petro von der linken Wahlbewegung »Menschliches Kolumbien« und »Bürgerkraft« die Stichwahl gewinnen, wäre dies ein Schritt zu einer weiteren Aussöhnung, der Sicherung der Menschenrechte und einer langwierigen Demokratisierung. Langwierig deshalb, weil er gegen die Mehrheit der rechten und konservativen Vertreter von Centro Democratico, Cambio Radical und Partido Conservador im Repräsentantenhaus und im Senat regieren müsste.[3]

[1] Otto König/Richard Detje: Kolumbien – Guerilla und Regierung schließen Waffenstillstand. Ende des längsten Bürgerkriegs in Lateinamerika, Sozialismus Aktuell v. 3. Juli 2016.
[2] Es war Uribe, der massiv gegen das Friedensabkommen mobilisierte und dem es gelang, beim Referendum vom 2. Oktober 2016 eine Mehrheit der Kolumbianer zur Ablehnung des Abkommens zu bewegen. Mit 50,2% war die ablehnende Mehrheit denkbar knapp.
[3] Bei den Parlamentswahlen Anfang März ist die Partei der Gegner des Friedensabkommens, die rechtskonservative Partei »Centro Democrático« mit 16,5% für den Senat und 16,1% für die Abgeordnetenkammer als stärkste Kraft hervorgegangen. Die drei Parteien der Zentrumskoalition von Präsident Juan Manuel Santos kamen zusammen auf 38 bzw. 43%. Verschiedene linke Gruppierungen brachten es insgesamt auf enttäuschende elf Prozent für beide Parlamentskammern. Die nach dem Friedensschluss in eine Partei umgewandelte FARC erhielt weniger als ein Prozent der Stimmen.

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