10. Juni 2018 Joachim Bischoff: US-Präsident stellt Welthandelssystem in Frage

Trump brüskiert G7-Partner

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US-Präsident Donald Trump auf dem G7-Gipfel in Kanada den Konflikt des westlichen Lagers in beispielloser Weise verschärft und den Bruch mit der politischen wie wirtschaftlich-finanziellen Nachkriegs Ordnung deutlich gemacht. Aus Verärgerung über den kanadischen Premierminister Justin Trudeau entzog Trump am Samstag nachträglich der von allen G7-Staaten verabschiedeten Gipfelerklärung die Unterstützung.

In einer Twitter-Botschaft drohte er zudem erneut mit Strafzöllen auf die Einfuhr von Autos, was insbesondere Deutschland hart treffen würde. Die Gefahr eines Handelskriegs scheint damit nach dem G7-Gipfel akuter denn je. Der Konflikt in Quebec belegt erneut, dass der US-Präsident mit der Strategie des »America first« eine Zeitwende eingeleitet hat. Der Eklat ist kein Ausrutscher, sondern nur ein Vorbote dessen, was Europa in Zukunft zu erwarten hat. Die USA haben sich in Quebec offen als westliche Führungsmacht verabschiedet.

Der kanadische Premier Trudeau hatte mit Blick auf Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium gesagt: »Kanadier sind höflich und vernünftig, aber wir lassen uns auch nicht herumschubsen.« Er bekräftigte, an den zuvor schon angekündigten Gegenzöllen auf US-Produkte zum 1. Juli festzuhalten. Auch die EU bereitet solche Zölle zu diesem Termin vor.

Trumps Antwort kam schnell und war eindeutig: »Aufgrund von Justins falschen Aussagen in seiner Pressekonferenz und der Tatsache, dass Kanada unsere Farmer, Arbeiter und Unternehmen mit massiven Zöllen belastet, habe ich unsere US-Vertreter angewiesen, das Kommuniqué nicht zu unterstützen.« Die Bundesregierung ließ mitteilen: »Deutschland steht zu dem gemeinsam vereinbarten Kommuniqué.« Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wertet die Absage des US-Präsidenten als weitere Aufkündigung der internationalen Zusammenarbeit.

Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire fordert in der Konsequenz schnelle Entscheidungen zur Stärkung von Europäischer Union und Euro-Zone: »Es ist an der Zeit, eine stärkere Euro-Zone zu schaffen«, d.h. Europa müsse daran gehen, sich als dritter Block zu etablieren, um nicht zwischen China und den USA zermahlen zu werden. Ein »europäischer, regulierter Kapitalismus« könne mehr Zentralisierung, Harmonisierung und Umverteilung realisieren. In einer Währungsunion könnten 19 Formen von Wirtschaftspolitik nicht funktionieren. Wer eine gemeinsame Währung habe, brauche zur Abfederung zudem eine »Fiskalkapazität«. Mit einem solchen gemeinsamen Euro-Zonen-Haushalt zielt Paris zum einen auf die Finanzierung gemeinsamer Projekte (Investitionen), zum anderen auf Krisenprävention in den Mitgliedstaaten.

Der G7-Gipfel hat erneut verdeutlicht: Der amerikanische Präsident setzt seine Ankündigungen – in diesem Fall die protektionistische Rhetorik – auch in die Praxis um. Was vor einiger Zeit noch undenkbar schien, wird jetzt immer wahrscheinlicher: Die Weltwirtschaft schlittert in einen Handelskrieg hinein.

Trump hatte mehrmals darauf verwiesen, das amerikanische Handelsbilanzdefizit senken zu wollen, weil er das Ungleichgewicht als gravierenden wirtschaftlichen Nachteil bewertet. Die Forderung seiner Administration lautet: Die Gruppe der G7-Industrieländer solle untereinander alle Zölle und Subventionen abschaffen.

Auch Chinas Überschuss im Handel mit den USA ist aus Sicht des US-Präsidenten unfair und problematisch. Das Weiße Haus beziffert außerdem den jährlichen Verlust, der der US-Wirtschaft aus Fälschungen von Gütern und Raubkopien von Software sowie aus dem Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen entsteht, auf 225 bis 600 Mrd. $. Diese Spanne entspricht etwa 1 bis 3% der jährlichen US-Wirtschaftsleistung. In dieser Schätzung nicht berücksichtigt sind die Kosten von Patentverletzungen.

Donald Trump stellt die bisherige Welthandelsordnung in Frage. Strafzölle sind ein Vehikel, um eine umfassende Neuordnung in bilateralen Verträgen zu erzwingen. Das Weiße Haus will sich bei den Verhandlungen auf die Einführung von Quoten konzentrieren, die die Importe begrenzen, Transitlieferungen aus Drittländern verhindern und auf diese Weise die nationale Sicherheit der USA gewährleisten.

Der amerikanische Handelsminister Wilbur Ross hat mit dem Verweis auf die Gefährdung der nationalen Sicherheit den Hebel gefunden, die Welthandelsordnung zu unterminieren: »Ökonomische Sicherheit ist militärische Sicherheit. Und ohne ökonomische Sicherheit gibt es keine militärische Sicherheit.« Bereits für die inzwischen in Kraft getretene Verhängung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium musste die Wahrung der nationalen Sicherheit als Rechtfertigung herhalten. Mit dieser Begründung könnte Washington nun auch Strafzölle von 25% auf den Import von Autos und Autoteilen einführen.

Der Verweis auf das Handelsbilanzdefizit und die nicht geregelten Technologietransfers sind vordergründig überzeugend. Die bisherigen Handelspartner der USA verweisen aber zu Recht darauf, dass für sich genommen die Defizite in den Handelsbilanzen ein schiefes Bild geben. Denn die Vereinigten Staaten partizipieren von der Offenheit des gegenwärtigen Systems, wenn auch Dienstleistungen, Auslandsvermögen und Finanzströme in die Bilanzierung einbezogen werden. Die Forderung nach fairem Handel aus Washington ist letztlich einseitig, weil dadurch die amerikanischen Interessen – Stichwort »America first« – verschleiert werden sollen.

Das Vorgehen des US-Präsidenten ist nicht nur zu kritisieren, weil die Forderung nach »faireren« Handelsbedingungen auch ohne Strafzölle etc. zu einer Überprüfung der aktuellen Regelungen in den Freihandelsstrukturen führen könnten. Der wesentliche Kritikpunkt ist die Methode des unilateralen Ansatzes, der die Welthandelsorganisation (WTO) für wenig nützlich erachtet.

Trump hat zwar Recht damit, dass in China ausländische Unternehmen gelegentlich diskriminiert werden und dass beispielsweise die gewichteten und ungewichteten Durchschnittszölle der EU höher sind als diejenigen der USA. Aber er will keine Revision der Zölle und nichttarifären Handelsbarrieren, fordert keine Regelungen für den internationalen Austausch von Dienstleistungen und Kapitaltransfers, sondern im Rahmen der dollarbasierten Finanz- und Geldordnung sollen Anpassungen zugunsten der USA durchgesetzt werden.

Die US-Regierung erhebt seit wenigen Tagen einschneidende Zölle auf Stahl und Aluminium aus den wichtigsten Industrieländern. Die EU, China, Kanada und andere Länder drohen mit Vergeltungsmaßnahmen. Auch Indien, Russland, Japan und die Türkei versuchen dem Problem auszuweichen. Alle US-Restriktionen sind einseitig und wurden bei der WTO mit dem Argument angezeigt, dass die amerikanischen Strafzölle reine Schutzmaßnahmen darstellen würden. In weiterer Folge könnten diese Länder laut den WTO-Regeln dann Kompensation für entgangene Handelsverluste wegen der US-Zollpolitik verlangen – wenn nicht Washington auf das Argument der nationalen Sicherheit pochen würde.

So droht die Welthandelsordnung ausgehebelt zu werden. Und passend zu dem Angriff durch Strafzölle blockieren die USA die Neubesetzung von unabhängigen Richterposten für das Streitbeilegungsverfahren bei der WTO. Wenn sich die USA nicht bewegen, könnte auch das gesamte Streitschlichtungssystem lahmgelegt werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Vorläufer der Welthandelsorganisation GATT (heute WTO) entstanden, um die Fehler der nationalistischen Autarkie-Politiken im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zukünftig zu vermeiden. Die USA stiegen zu einem – wenn auch nicht immer zuverlässigen – Garanten der internationalen Kooperation auf und schützen militärisch wie mit dem Weltwährungssystem die Expansion des Freihandels. Die Zölle wurden zügig abgesenkt und sind heute überwiegend auf einem geringen Level. Die zweite Welle der Globalisierung hat einen deutlichen Anstieg des Wohlstands ermöglicht, auch wenn dieser die ungleichen Verteilungsstrukturen weder zwischen den Ländern noch in den Nationen selbst nicht beseitigt hat.

Das System der WTO wurde geschaffen, um multilaterale Vereinbarungen zu ermöglichen, Zölle abzubauen und andere Handelshindernisse und -hürden im Welthandelssystem zu beseitigen. Dazu gehörte die Schaffung der Akzeptanz von Regeln für den Welthandel, inklusive einer Streitschlichtung und die Verhängung von WTO-konformen Strafzöllen.

Die WTO erlaubt ihren Mitgliedern Importbehinderungen in folgenden Ausnahmefällen: Antidumpingzölle gegen Einfuhren unter Preis, Antisubventions- bzw. Ausgleichszölle gegen Exportsubventionen anderer Staaten, Schutzzölle gegen plötzlich stark ansteigende Einfuhren sowie Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit. Mitgliedsstaaten können auf dieser Grundlage gegen die Aktionen anderer Länder vorgehen. Dafür müssen sie aber ein WTO-Verfahren einleiten.

Die Schlichtungsverfahren der WTO stehen im Ruf, lange zu dauern. Die Genfer Organisation gibt die Dauer des Verfahrens einschließlich des Berufungsprozesses mit 15 Monaten an. Ein großer Teil der Verfahren kann bereits einvernehmlich während der Phase der Konsultationen gelöst werden. Zudem werden den Staaten, die im Verfahren unterliegen, bis zu 15 Monate gewährt, um die Entscheidung umzusetzen.

Freihandel war nicht als Selbstzweck gedacht, sondern als ein wirkungsvolles Instrument der Wohlstandssteigerung – für arme und für reiche Länder. Wem an Wohlstandentwicklungen gelegen ist, sollte die regelbasierte WTO stützen, verbessern und ausweiten, nicht sie aushöhlen. Mechanismen der gegenseitigen Anerkennung von Regulierungen sollten verfeinert und mehr angewandt werden.

Natürlich wäre es das Beste, zwischen der EU (sowie allen anderen Staaten) und den USA Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen. Nach dem Scheitern weiterer Zollsenkungsrunden wäre zweifellos eine multilaterale Zollliberalisierung ein wichtiger Schritt zur Beseitigung der bestehenden Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft.

Auch, wenn die Problemfelder auf dem Terrain der Dienste, der internationalen Wertschöpfungsketten und des Technologie- und Kapitaltransfers nicht gleichermaßen zügig zu lösen sein werden, entstehen mit einer Zerstörung der Welthandelsordnung neue und schwer zu überwindenden Hürden für alle diejenigen, die eine neue Reform-Agenda auf den Weg bringen wollen.

Die OECD hat in ihrem gerade veröffentlichten Länderbericht zur USA eine Analyse vorgelegt, die die Auswirkungen von Zollsenkungen auf das jeweils niedrigste, pro Wirtschaftssektor in der G20 geltende Niveau simuliert. Für die meisten Sektoren würde das eine Reduktion des Zollniveaus auf Null bedeuten, für einen Teil des Lebensmittel- und Textilbereichs wären es eine Senkung auf 1% bzw. 2%. Eine solche Liberalisierung würde die globalen Handelsflüsse um 3% erhöhen.

Weil China derzeit ein relativ hohes Zollniveau aufweist, würde das Land bei einer Liberalisierung die größten Handelszuwächse sehen. Aber auch die USA und die EU könnten sowohl ihre Importe als auch ihre Exporte erhöhen. Die USA würden dabei etwas mehr profitieren als die EU, weil die EU-Länder untereinander bereits zollfrei handeln. Aus US-Sicht besonders willkommen wäre, dass bei einer solchen multilateralen Handelsliberalisierung unter den G20-Ländern die US-Exporte gar leicht stärker steigen würden als die US-Importe.

Die Logik des »America first« steht einer solchen Entwicklungsrichtung entgegen. Deshalb werden wir uns auf einen konfliktreichen Prozess der Herausbildung einer zukunftsfähigen Weltordnung einstellen müssen. Eine oppositionelle Stimme aus den USA ist daher nur ein schwacher Trost, zumal wenn sie von einem Vertreter der republikanischen Partei kommt.

US-Senator John McCain hat seinen Präsidenten wegen dessen nachträglichen Ausstiegs aus der G7-Abschlusserklärung gerügt und sich direkt an die Bündnispartner gewendet. »An unsere Verbündeten: Die parteiübergreifende Mehrheit der Amerikaner bleibt für freien Handel, für Globalisierung und unterstützt Bündnisse, die auf 70 Jahre lang gemeinsam geteilten Werten basieren. Die Amerikaner stehen zu euch, auch wenn es unser Präsident nicht macht.«

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