19. Oktober 2018 Joachim Bischoff: Welthandel am Rand eines protektionistischen Schocks

Trump im Konfrontationsmodus, China auf Öffnungskurs

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Die Konturen von US-Präsident Donald Trumps Handelsstrategie werden mit jedem Tag klarer. Amerikas Handelspartner sehen sich dramatischen Bedrohungen ausgesetzt. Zwar hat es in einigen Konflikten (Südkorea, U.S.-Mexico-Canada-Agreement) Abschlüsse gegeben und Gespräche mit Kontrahenten (EU und Japan) über mögliche Freihandelsabkommen, aber die Gefahr eines umfassenden Handelskriegs ist nicht vom Tisch.

Der US-Präsident hält auch die Konfrontation mit dem gültigen Welthandelssystem aufrecht, das durch die WTO repräsentiert wird. Im Zentrum des Konflikts steht der chinesisch-amerikanische Konflikt mit gewichtigen und unvorhersehbaren geostrategischen Auswirkungen. Trumps Wirtschaftsnationalismus und seine Vorstellung, dass Handel ein Nullsummenspiel sei, bei dem ein Land dasjenige gewinne, was ein anderes verliere, sind Anlass für die Errichtung von Strafzöllen, die letztlich den gesamten Welthandel treffen.

Sein Vorgehen, protektionistische Maßnahmen mit Verweis auf die nationale Sicherheit zu begründen, kann letztlich das WTO-System aushebeln oder gar zum Einsturz bringen. Das Recht des Stärkeren wird dann die Regel im Welthandel. Die Drohgebärden der USA, Chinas und der EU machen einen Handelskrieg wahrscheinlicher. Der Welthandel kommt mit dieser Eskalationslogik an den Rand eines umfassenden protektionistischen Schocks.

Bis vor kurzem diente die Handelspolitik in überwältigender Weise der Liberalisierung. Von den 1960er Jahren bis in die 1990er Jahre wurde dieser Prozess primär durch unter Federführung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und der diesem nachgefolgten Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarte allgemeine Zollsenkungen vorangetrieben. Doch der jüngste Versuch allgemeiner Zollsenkungen – die sogenannte Doha-Runde – wurde nie umgesetzt, und zwar vor allem, weil Indien (nicht China) sich der Öffnung einiger seiner Schlüsselmärkte widersetzte.

In gewissem Umfang trugen regionale Handelsabkommen – normalerweise zwischen ähnlich denkenden, bereits stark integrierten Volkswirtschaften – dazu bei, die Liberalisierungsdynamik aufrechtzuerhalten. Doch diese Abkommen haben einen eingeschränkten Horizont, weil sie per se »präferenzieller« Art sind. Wenn für die wenigen an der regionalen Vereinbarung beteiligten Handelspartner die Handelsschranken gesenkt werden, tendieren die Produzenten in diesen Ländern dazu, ihre Aufmerksamkeit auf jene Partner zu verlagern, was zu einem Rückgang der Importe aus anderen Ländern führt. Statt insgesamt den Handel anzuregen, lenken regionale Vereinbarungen diesen möglicherweise in erster Linie um: Zwischen den teilnehmenden Ländern nimmt der Handel zu, wovon diese profitieren, aber in Bezug auf Dritte, denen dadurch (geringe) Kosten entstehen, geht er zurück.

Das amerikanische Finanzministerium hält nach wie vor an der Prüfung von Währungsmanipulation für eine Reihe von »Handelspartnern« fest: China, Japan, Südkorea, Deutschland, die Schweiz und Indien. Es geht um den Verdacht, ob die jeweilige Landeswährung absichtlich und auf unfaire Weise abgesenkt wird, um so im internationalen Handel Vorteile herauszuschlagen. Zum Beispiel räumt das US-Finanzministerium ein, dass Chinas Leistungsbilanzüberschuss seit der Finanzkrise stark zurückgegangen ist, auf jüngst noch 0,5% des BIP per Mitte 2018. Aber China erziele weiterhin einen hohen und beständigen Handelsüberschuss gegenüber den USA von jüngst 390 Mrd. US-Dollar auf Jahresbasis per Mitte 2018. Chinas Exportüberschuss im Warenaustausch mit den USA stieg zuletzt auf ein Rekordhoch.

Der US-Präsident kritisiert diesen hohen Überschuss schon länger und wirft China unfaire Handelspraktiken vor. Daneben legen die USA China zur Last, seine Währung gegenüber dem US-Dollar abzuwerten, was tendenziell das US-Handelsdefizit noch vergrößert. Das stehe einer faireren und ausgeglicheneren Handelsbeziehung im Weg. Man werde deshalb die chinesische Währungspolitik und -praxis in den kommenden Monaten weiter prüfen.

Immerhin hat der Internationalen Währungsfonds (IWF) bestätigt, dass die Bewertung der chinesischen Währung als mehr oder weniger den ökonomischen Fundamentaldaten entsprechend fair sei. Die Kritik aus Washington kam postwendend: Im Streit über den Umgang mit internationalen Handelsbeziehungen hat US-Finanzminister Steven Mnuchin dem IWF vorgeworfen, nicht entschieden genug aufzutreten. Der Fonds, dem 189 Länder der Welt angehören, müsse klar deutlich machen, wo seine Mitglieder Währungs- und Handelspolitik betreiben, mit denen sie sich auf unfaire Art und Weise Vorteile verschaffen.

Zuletzt hatte Mnuchin in einem Interview erklärt, die USA schauten auch genau auf die chinesische Währung. Er deutete den Verdacht an, China könne seine eigene Währung nach unten manipulieren, um sich Vorteile beim Export zu verschaffen: »Wir rufen den IWF auf, auf mehr Transparenz in der Währungspolitik zu dringen.« IWF-Chefin Christine Lagarde hat die Argumentation zurückgewiesen. Die Währungsschwankungen seien eher dem starken US-Dollar als einer künstlichen Schwächung des Yuan geschuldet.

Schlussfolgerung: Der von den USA ausgelöste Handels- und Währungskonflikt zielt auf eine Schwächung der aufstrebenden Supermacht China. Eine Beendigung dieses Konflikts ist nicht in Sicht. Die Vereinigten Staaten werden den Druck auf Peking lange Zeit aufrechterhalten und ihre Verbündeten dazu drängen, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen.

Die Gespräche zwischen den USA und China zur Beilegung ihres Handelsstreits liegen auf Eis. Die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sind ausgehend von Präsident Trump wechselseitig mit Strafzöllen auf Güter im Wert von Hunderten Milliarden US-Dollar überzogen worden.


Die chinesische Strategie

Peking hat Vergeltung auf die Strafzölle angekündigt. Sollte es bis zum Ende des Jahres nicht zu einer Einigung kommen, erhöht sich der Zusatzzoll der USA auf 25%. Aber die chinesische Führung zeigt sich bereit, weitere Reformen zur Öffnung des Landes auf den Weg zu bringen. Faktisch bleibt China dabei, Zollsätze zu senken. Der chinesischen Partei- und Staatsführung ist bewusst, dass US-Präsident Trump durch den Handelskonflikt den wirtschaftlichen Aufstieg des Reichs der Mitte zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Vereinigten Staaten stoppen möchte.

Washington will die über viele Jahre entstandenen Wertschöpfungsketten, in denen China eine zentrale Rolle spielt, sprengen. Ausländische Unternehmen sollen ihre Produktionsstätten in China schließen und in andere Länder verlagern. Ob Trump das gelingen wird, ist fraglich. Die Konzerne haben Hunderte Milliarden US-Dollar in ihre chinesischen Standorte investiert. Zudem soll nach dem Willen des US-Präsidenten der technologische Aufstieg Chinas verhindert werden. Dahinter steckt viel Heuchelei: Washington prangert mit »Made in China 2025« jenen industriepolitischen Ansatz an, mit dem die USA in den 1950er und 1960er Jahren das Fundament für die heutige Wirtschaft gelegt haben.

Schon jetzt erheben die USA einen Zoll von 10% – viermal so hoch wie der US-Durchschnitt – auf chinesische Waren im Wert von mehr als 200 Mrd. US-Dollar. Im kommenden Jahr könnte dieser Zoll auf 25% erhöht (das Zehnfache des durchschnittlichen US-Zolls auf Importe aus anderen Ländern) und auf ein breiteres Spektrum von Importgütern ausgeweitet werden. Dies legt eine Umleitung von Handelsströmen im beträchtlichen Umfang nahe.

Ein wesentlicher Anteil des Handels zwischen den USA und China dürfte also nach Europa, Japan und in andere asiatische Volkswirtschaften mit engen Beziehungen zum chinesischen Markt umgeleitet werden. Insbesondere die Europäische Union dürfte hiervon stark profitieren, weil sie einer der größten Handelspartner sowohl der USA als auch Chinas bleibt, und weil die europäischen Hersteller häufig die stärksten Konkurrenten der US-Unternehmen sind.

Letztendlich dürfte die chinesisch-amerikanische Konfrontation zu beträchtlichen Verlagerungen beim Welthandel führen. Es ist möglich, dass die meisten Volkswirtschaften weltweit davon profitieren, doch zugleich wird es ernste Folgen für die USA und China haben, wo auf importierte Maschinen angewiesene Verbraucher*innen und Unternehmen mehr werden bezahlen müssen.

Die Verluste dürften für die USA größer sein als für China, weil die chinesischen Importe aus den USA einen größeren Anteil an Agrarprodukten umfassen, für die sich relativ leicht alternative Lieferanten finden lassen. So kann China beispielsweise Sojabohnen aus Brasilien statt aus den USA importieren, ohne dass ihm dadurch wesentlich höhere Kosten entstehen. Zudem waren die chinesischen Gegenmaßnahmen bisher moderater. Es besteht kaum Aussicht auf einen pauschalen Zoll von 25% auf US-Importe.

Alles in allem könnte der chinesisch-amerikanische Handelskrieg für China zu gewissen Verlusten führen, doch dürften sich diese im Vergleich zu den Kosten, die den USA selbst entstehen, als verschwindend gering erweisen.

Die chinesische Regierung hat dieser Tage außerdem signalisiert, dass sie nicht von ihrer Konzeption einer Erweiterung des Freihandels abrücken will. In einer Regierungserklärung heißt es: Am 1. November dieses Jahres sinken die Zollsätze für 1.585 Produktkategorien um 2,7% auf einen durchschnittlichen Satz von 7,8%. Der Schritt sei für eine gleichgewichtige Entwicklung des Außenhandels förderlich und stehe für eine weitere Öffnung des Landes.


Den Binnenkonsum im Blick

Die Maßnahmen der Regierung sehen vor, dass die Zollsätze auf Maschinen von 12,2 auf 8,8% sinken; jene für Textilien und Baumaterialien gehen um 3,1 Punkte auf 8,4% zurück, und auf Produkte aus Holz sowie Papier verringern sie sich um 1,2 Punkte auf 5,4%. Laut Berechnungen der Regierung werden durch die Reformen Chinas Unternehmen und Konsumenten um rund 60 Mrd. Yuan entlastet. Damit verfolgt Regierungschef Li Keqiang, der beim Weltwirtschaftsforum in Tianjin Erleichterungen für Chinas Konsumenten angekündigt hatte, vor allem ein Ziel: Die Chines*innen sollen einen größeren finanziellen Spielraum erhalten, damit sie durch höhere Ausgaben den chinesischen Binnenkonsum ankurbeln und die Gesamtwirtschaft stabilisieren.

Die chinesische Wirtschaftsführung hat auch im Blick, dass die Strafzölle der USA die chinesische Wirtschaft schon jetzt treffen. Auffallend sind die rückläufigen Auftragseingänge bei den Exporten. Zuvor hatte Chinas Regierung bereits zum 1. Juli die Zölle auf 1.449 Produktkategorien zum Teil deutlich gesenkt. Im Fokus standen damals Güter des täglichen Bedarfs wie Kleidung, Schuhe, Küchengeräte, Sportausrüstung, verarbeitete Speisen sowie kosmetische Produkte. Bereits im Sommer verfolgten Chinas Machthaber das Ziel, den Binnenkonsum anzukurbeln. Zudem sollte sich eine breitere Bevölkerungsschicht die Produkte des täglichen Gebrauchs leisten können.


Bei den Dienstleistungen im Defizit

China weist beim Warenhandel einen Überschuss mit den Vereinigten Staaten und der EU aus. Mit Ländern wie Japan, Südkorea und Taiwan, von denen es die zur Endfertigung von Elektronikprodukten notwendigen Zulieferungen bezieht, hat China dagegen ein Handelsbilanzdefizit. Beim Dienstleistungshandel verschieben sich die Gewichte. Bei diesem hat sich im August Chinas Defizit gegenüber dem Vormonat Juli um 14,8% auf insgesamt 29 Mrd. US-Dollar erhöht, den höchsten Wert seit Juni vergangenen Jahres. Da in reifen Volkswirtschaften der Anteil von Dienstleistungen an der Wirtschaftsleistung deutlich höher ist als in sich entwickelnden, dürfte dieses chinesische Marktsegment für ausländische Anbieter in den kommenden Jahren immer lukrativer werden.

Chinas Defizit im Dienstleistungshandel mit den USA

Zwischen 2001, als China der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten ist, und 2017 hat sich das Volumen des Dienstleistungshandels zwischen China und den USA von annähernd 10 Mrd. US-Dollar auf mehr als 75 Mrd. US-Dollar um 658% erhöht. Besonders profitiert haben davon die amerikanischen Firmen, deren Ausfuhren nach China in dem Zeitraum um 967% auf 57,6 Mrd. US-Dollar zugelegt haben. Ein vergleichbares Bild ergibt sich beim Handel mit Waren und Gütern zwischen Amerika und China. Zwischen 2001 und 2017 haben die US-Güterausfuhren in das asiatische Land um 580% zugelegt, während der Zuwachs bei Ausfuhren in den Rest der Welt sich auf »nur« 100% belaufen hat.

Das chinesische Defizit im Dienstleistungshandel stammt aus drei Bereichen: Transport, Tourismus sowie Zahlungen für die Nutzung geistigen Eigentums von US-Firmen. So gaben 2017 laut Schätzungen des Pekinger Handelsministeriums chinesische Tourist*innen, Schüler*innen, Student*innen sowie all jene, die sich in den Vereinigten Staaten medizinisch betreuen ließen, 51 Mrd. US-Dollar aus. Und in den vergangenen Jahren schossen auch die Zahlungen chinesischer Firmen für die Nutzung geistigen Eigentums von US-Firmen in die Höhe. Sie verdoppelten sich zwischen 2011 und 2017 von 3,46 Mrd. US-Dollar auf insgesamt 7,2 Mrd. US-Dollar.

China zahlt Milliarden für die Nutzung ausländischen geistigen Eigentums

Im Jahr 2000 haben sich die chinesischen Zahlungen für die Nutzung ausländischen geistigen Eigentums auf eine Mrd. US-Dollar belaufen. Im vergangenen Jahr überwiesen die chinesischen Firmen bereits 29 Mrd. US-Dollar. Damit schneidet China im internationalen Vergleich gut ab.


Trumps Credo

Schaut man auf die Entwicklungstrends, gibt es keinen Grund für eine die gesamte Nachkriegsordnung umstürzende Konfrontationspolitik. Doch die Trump-Aministration wird sich nicht von einer faktenbasierten Logik überzeugen lassen. »Wir lehnen die Ideologie des Globalismus ab und wir huldigen der Doktrin des Patriotismus«, sagte der US-Präsident vor der UNO-Generalversammlung und rief den Vertreter*innen von 193 Mitgliedsstaaten zu: »Amerika wird von Amerika regiert. Wir werden Amerikas Souveränität nie aufgeben.«

Donald Trump verfolgt seit seinem Amtsantritt im Januar des vergangenen Jahres eine »Amerika zuerst«-Politik und hat mehrfach gegen internationale Abkommen verstoßen oder sie gebrochen. »Amerika wird Unabhängigkeit und Kooperation immer der Kontrolle und Dominanz der globalen Ordnung vorziehen«, lautet sein Credo. »Ich erkenne das Recht jeder Nation in diesem Raum an, ihre eigenen Bräuche, Glaubensbekenntnisse und Traditionen zu praktizieren. Die Vereinigten Staaten werden euch nicht vorschreiben, wie ihr zu leben, zu arbeiten oder zu beten habt.« Im Gegenzug erwarteten die USA aber, dass auch ihre Souveränität anerkannt werde.

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