4. September 2021 Joachim Bischoff/Björn Radke

Trumpfkarten im Wahlkampf – Richtungswahl?

Die neueren Wahlumfragen bestätigen den Trend der letzten Wochen: Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, läge die SPD auf Platz eins vor der Union und den Grünen. Eine rot-grün-rote Koalition wäre demnach wieder möglich. Auch eine Neuauflage der großen Koalition scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Die Union muss – soweit diese Umfragen die Stimmung einfangen – mit starken Verlusten rechnen. Auch die Grünen haben in den vergangenen Wochen in der Wählergunst erheblich nachgelassen, sie könnten gleichwohl im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren stark zulegen und ihren Wähleranteil fast verdoppeln. Die Unionsparteien wären der eindeutige Verlierer der Wahl.

Scholz hängt seine KonkurrentInnen ab

Ein wichtiger Grund für diese Umschichtung in den Präferenzen: Die SpitzenkandidatInnen Annalena Baerbock und Armin Laschet verlieren gleichermaßen an Popularität, der Kanzlerkandidat der SPD Olaf Scholz konnte hingegen stark zulegen.

Ein zweiter Aspekt: die Verschiebung in den thematischen Präferenzen. Die Pandemie war mehr als ein Jahr lang das mit Abstand wichtigste Thema vor dem Klimawandel, der Migration und der Wirtschaftslage. Laut dem letzten ZDF-Politbarometer vom 3. September ist das Thema »soziale Gerechtigkeit« für die mögliche Wahlentscheidung wieder deutlich in den Vordergrund gerückt: 51% der Befragten nannten dies als »sehr wichtig«, es folgen der Klimaschutz mit 39%, Corona mit 23% und Flüchtlinge/Asyl mit 21%.

Bereits in vorherigen Umfragen hatten erstmals wieder weniger als 50% der Befragten Corona als »wichtiges Problem« bezeichnet. Der Klimawandel hatte stark an Bedeutung gewonnen, »soziale Ungerechtigkeit« lag da noch bei 16%.

Die gewachsene Bedeutung von Umwelt/Klima schlug aber nicht bei den GRÜNEN zu Buche, sondern kam schon bei der infratest dimap-Umfrage vor allem der SPD zugute. Einen nicht zu unterschätzenden Grund hat der NABU ausgemacht. Obwohl die dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen bei vielen Menschen in Deutschland das Bewusstsein hinsichtlich der Klimaveränderungen noch einmal steigen lassen, berücksichtigen knappe 58% bei ihre Wahlentscheidung nicht die Klimaschutzinteressen der jungen Generation, die zukünftig jedoch erheblich von den Folgen des Klimawandels betroffen sein wird.

Das hat eine vom NABU in Auftrag gegebene, repräsentative Umfrage bestätigt. Der Anteil derer, die der Aussage »Meine Entscheidung zur Bundestagswahl orientiere ich an Klima- und Naturschutzinteressen junger Generationen« zustimmen, nimmt mit zunehmendem Lebensalter der Befragten immer weiter ab. Nach der jüngsten Umfrage sind es bei den 30- bis 39-Jährigen etwas über 40%, bei den 40- bis 49-Jährigen 36%, bei den 50- bis 64-Jährigen noch 30%.

Mit Blick auf die über 65-Jährigen ergibt sich folgendes Bild: 59,1% lehnen es ab, die Klima- und Naturschutzinteressen junger Generationen bei ihrer Wahlentscheidung zu berücksichtigen. 27,9% beziehen sie in ihre Wahlentscheidung ein.

Bei den 18- bis 29-Jährigen haben 39,2% die Klima- und Naturschutzinteressen junger Generationen im Blick und stimmen zu. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: »Das Ergebnis hat uns wirklich erschreckt. Wir wissen aus anderen Umfragen, dass Klima- und Umweltschutz mit der wichtigste Themenkomplex für die Bundestagswahl ist. Die Ursachen des Klimawandels haben eine direkte Verbindung zu der langen Wohlstandsphase in unserem Land. Wir alle, insbesondere die geburtenstarken Generationen, haben direkt davon profitiert. Mit den Folgen werden sich vor allem unsere Kinder und Enkelkinder befassen müssen. Damit dürfen wir sie nicht alleine lassen. Die Bekämpfung der Klima- und Artenkrise ist eine gemeinsame Aufgabe aller Generationen. Mit unserer Stimme bei der Bundestagswahl entscheiden wir gemeinsam, wie zukunftsfähig die Politik in unserem Land gestaltet wird.«

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Olaf Scholz gerade bei der älteren Generation mehr Zuspruch findet, weil das Corona-Krisenmanagement zur Stützung der Wirtschaft eher seiner Rolle als Finanzminister zugeschrieben werden kann. Ihm wird deshalb auch weiterhin Führungsstärke bei kommenden Krisen zugetraut. Die SPD steht geschlossen hinter ihm, ohne selbst groß in Erscheinung zu treten.

Der CDU-Kandidat Laschet hofft mit einem zusammengestellten »Zukunftsteam« aus dem Umfragetief wieder herauszukommen. Zusammen mit den vier Frauen und vier Männer – neben dem früheren Unions-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU), der Terrorismusexperte Peter Neumann sowie Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, die sächsische Kultur- und Tourismusministerin Barbara Klepsch, CDU-Vizin Silvia Breher, der stellvertretende Unionsfraktionschef Andreas Jung sowie der Bundestagskandidat und Musikmanager Joe Chialo – will er die letzten Wochen des Wahlkampfs bestreiten.

Laschet betonte, es gehe bei der Bundestagswahl um eine Richtungsentscheidung, deshalb sei es nun wichtig, über Inhalte zu sprechen. Dies könne man über Theorien, aber auch mit Menschen tun. Nun könne man mit dem Wahlkampfteam – so Merz – zeigen, was man könne: »Und dann wird Vollgas gegeben.«

Und die Richtungsentscheidung wird nicht nur im Slogan sichtbar, unter dem das Team vorgestellt wurde: »Experten statt Experimente«. Der Klimawandel und die Transformation, die Dekarbonisierung der Lebenswelt, spielen keine tragende Rolle für das CDU-Team. »Ludwig Erhard hat gesagt: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts«, leitete Laschet die Präsentation des Teams ein und bekräftigte, dass gerade nach der Pandemie die Wirtschaft wieder angekurbelt werden müsse: »Wachstum statt Abschwung, entlasten statt belasten«.

Dann stellt er Friedrich Merz als den renommiertesten Wirtschaftspolitiker des Landes vor. Dieser freut sich, »dass ich als Experte diese Position in Armin Laschets Zukunftsteam besetzen darf« benennt die Ziele der Union: Erhalt der Schuldenbremse, ein stabiler Euro, solide Staatsfinanzen, eine starke Wirtschaft. »Dafür steht die Union, dafür stehe ich persönlich und dafür stehe ich im Team von Armin Laschet.«

In der Tat wird damit deutlich: Mit dem Duo Laschet/Merz wäre die Krisenbekämpfung der zurückliegenden Monate sicher zögerlicher ausgefallen, weil die stabilen öffentlichen Finanzen eben die höchste Priorität haben. Mit der zusammenfassenden Formel »entlasten statt belasten« soll die Aufwertung der sozialen Marktwirtschaft durch die christlichen Unionsparteien deutlich werden. Laschet verweist darauf, dass es nicht einfach wird, einen Großteil der WählerInnen auf diese Richtung einzuschwören. Vor vier Wochen hätte er gesagt, man werde die Wahl gewinnen. »Heute sage ich er, es wird schwer. Aber gerade, weil es jetzt schwer geworden ist und gerade weil diese Umfragen so sind wie sie sind, geht jetzt ein Ruck durch die CDU.«

Der Generalsekretär der CSU, Markus Blume, spitzte die These von der Richtungswahl in einem Interview mit dem »Mittelstandsmagazin« zu. In der Grundphilosophie seien sich CDU und CSU einig. »Deutschland steht vor einer Richtungswahl. Die Union steht für neues Wachstum und die linken Parteien stehen für neue Schulden und für mehr Staat. Diese Kombination ist toxisch, weil sie uns nicht aus der Misere herausführt, sondern die Krise weiter verstärkt. Wir bieten ein Kontrastprogramm: ein Programm für Stabilität, aber auch für Erneuerung. Die Grundmelodie ist Entlastung statt Belastung.«

Die GRÜNEN werben in den letzten Wochen vor allem mit der Parole »Aufbruch jetzt«, wobei die Schnittmengen mit der Sozialdemokratie gerade im Bereich der Sozialpolitik recht groß sind. Noch ist aber nicht ausgemacht, ob solche Annäherungen am Ende zu entsprechenden Ergebnissen führen. Angesichts der zurückliegenden Monate mit den einprägenden Krisenerfahrungen ist sehr fraglich, ob diese Trumpfkarte von der Richtungswahl sticht.

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