26. März 2007 Klaus Bullan
UNO-Sonderberichterstatter kritisiert Bildungswesen in Deutschland
2007)
Dreist nennt die FAZ in ihrem Kommentar vom 22.3.2007 den Bericht des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskommisssion, Vernor Muñoz, zum Bildungswesen in Deutschland. Der Professor aus Costa Rica, einem Land mit viel geringerer Bildungsbeteiligung als Deutschland, erdreiste sich, Deutschland in neun Tagen zu inspizieren, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein und dann noch grundsätzliche Kritik zu üben.
Die Reaktionen der Kultusministerien, der politisch Verantwortlichen und der konservativen Lehrerverbände fallen ebenfalls so aus: Zur Nestbeschmutzung bestehe kein Anlass, das deutsche Bildungswesen sei auf einem guten Weg. Demgegenüber ist die Reaktion der meisten bildungspolitischen Experten und Institute nüchtern: Die Befunde seien nicht neu und die Missstände seit längerem bekannt. Was hat der Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung festgestellt?
"Im Verlaufe seines Besuchs hat der Sonderberichterstatter die Umsetzung des Rechtes auf Bildung im Lichte von vier Querschnittsthemen analysiert: 1) die Auswirkungen des deutschen föderalen Systems; 2) die Reform des Bildungssystems, die infolge der Ergebnisse des OECD-Programms zur internationalen Bewertung von Schülerleistungen (PISA) durchgeführt wurde; 3) die Struktur des Bildungswesens; 4) der Paradigmenwechsel bei der Migration in Verbindung mit demographischen Veränderungen und sozioökonomischen Faktoren."
Damit sind in der Tat zentrale Mängel des deutschen Systems benannt:
1. Bildungsföderalismus: "Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland legt fest, dass die Länder die fast uneingeschränkte Gesetzgebung in Bildungsangelegenheiten haben. Jedes Land verfügt über umfassende Zuständigkeiten in Bildungsangelegenheiten, dies wird durch die Gesetzgebung festgelegt, die von den jeweiligen Parlamenten verabschiedet wird. Demzufolge verfügt Deutschland nicht über ein einheitliches Bildungssystem, da es keinen länderübergreifenden konsistenten Rahmen gibt."
2. Schulstruktur: Hier "legt der Sonderberichterstatter der Regierung eindringlich nahe, das mehrgliedrige Schulsystem, das selektiv ist und zu einer Form der De-facto-Diskriminierung führen könnte, noch einmal zu überdenken. In der Tat geht der Sonderberichterstatter davon aus, dass bei dem Auswahlprozess, der im Sekundarbereich I stattfindet (das Durchschnittsalter der Schüler liegt abhängig von den Regelungen der einzelnen Länder bei 10 Jahren) die Schüler nicht angemessen beurteilt werden und dieser statt inklusiv zu sein exklusiv ist. Er konnte im Verlaufe seines Besuchs beispielsweise feststellen, dass sich diese Einordnungssysteme auf arme Kinder und Migrantenkinder sowie Kinder mit Behinderungen negativ auswirken."
3. Integration: "Im Hinblick auf Kinder von Migranten und Kinder mit Behinderungen vertritt der Sonderberichterstatter die Auffassung, dass es notwendig ist, Aktionen einzuleiten, um soziale Ungleichheiten zu überwinden und um gleiche und gerechte Bildungsmöglichkeiten für jedes Kind sicherzustellen, insbesondere für diejenigen, die dem marginalisierten Bereich der Bevölkerung angehören."
Man kann in weniger als neun Tagen feststellen, dass das Fehlen gleicher Schulverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik für die Eltern und Kinder gravierende Nachteile hinsichtlich der Chancengleichheit verursacht, abhängig vom Wohnort.
Der Zusammenhang von Schulerfolg und sozialer und ethnischer Herkunft ist in Deutschland so groß wie nirgends sonst auf der Welt und die frühe Aufteilung auf Schularten spielt dabei eine zentrale Rolle - auch das ist inzwischen fast unstrittig. Allerdings führt das nicht zu entsprechendem politischen Gegensteuern.
Schließlich ist die Inklusion von Kindern mit Behinderungen in das allgemeine Schulwesen in Deutschland noch längst nicht gelungen. Viele andere Staaten, nicht nur in Skandinavien, sind uns da Lichtjahre voraus.
Es ist das Verdienst des Sonderberichterstatters der UN, dies auch international und offiziell festzustellen. Die deutschen BildungspolitikerInnen sollten das zum Anlass nehmen, um die dringend nötigen Reformen einzuleiten, statt sich für einige kleinere Kurskorrekturen wie z.B. dem Übergang vom drei- zu einem zweigliederigen Schulsystem in einigen Bundesländern, die an den grundlegenden Defiziten wenig ändern, selbst zu loben und dem Überbringer der schlechten Nachricht Glaubwürdigkeit und Sachverstand abzusprechen.
Klaus Bullan ist Vorsitzender der GEW in Hamburg.