27. Dezember 2022 Redaktion Sozialismus.de: Auch die Ukraine-Hilfe wird schwieriger
US-Rekordhaushalt 2023 – vor allem für das Militär
Kurz vor Ablauf der Frist hat der US-Kongress einem Teil des Haushalts für das bereits laufende Fiskaljahr zugestimmt. In den USA ist es mittlerweile üblich, dass der Kongress den Bundeshaushalt nicht regulär und pünktlich verabschiedet.
Das neue Fiskaljahr begann am 1. Oktober, das neue Gesetz sichert die Finanzierung der Bundeseinrichtungen entsprechend bis zum 30. September 2023. Der Kongress muss bei der Verabschiedung eine Frist einhalten, sonst droht eine Zahlungsunfähigkeit (»Shutdown«) der Regierung. Dann müssten etwa Staatsbedienstete zwangsbeurlaubt werden oder vorübergehend ohne Bezahlung arbeiten. Oft dauern die Verhandlungen bis zur letzten Minute.
In diesem Fall wäre die Frist eigentlich bereits in der vergangenen Woche abgelaufen gewesen. Sie wurde aber durch Verabschiedung eines Übergangshaushaltes um eine Woche verlängert. Ab 1. Januar 2023 werden die Republikaner im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben. Diese wird sich jedoch erst auf das Budget 2024 auswirken.
Die Ausgaben aus der Budgetvorlage des Weißen Hauses belaufen sich für 2023 auf 5.792 Milliarden US-Dollar. Das abgesegnete Teilpaket repräsentiert lediglich 29% des präsidialen Budgetvorschlages. Die Rüstungsausgaben von 858 Milliarden US-Dollar machen 14,8% des Haushalts aus. Die Unterstützung der Ukraine wurde zudem durch das Einlenken der Republikaner möglich.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war gerade abgereist, und ein aufziehender Wintersturm sorgte für Unruhe im öffentlichen Leben, als der Haushalt doch noch vor den Feiertagen von beiden Kammern des Kongresses bewilligt wurde. Binnen weniger Stunden erhielt das über 4.000 Seiten starke Mammutgesetzespaket die Zustimmung.
Der gesamte Haushalt für das bereits seit dem 1. Oktober laufende Fiskaljahr umfasst rd. 1,7 Billionen US-Dollar, umgerechnet also etwa 1,6 Billionen Euro. Bei dem Votum im Kongress konnten die Demokraten mithilfe von wenigen Ja-Stimmen aus den Reihen der Republikaner die Vorlage durchsetzen. Diese Abstimmung machte die innere Zerrissenheit der konservativen Fraktion sichtbar.
Der kalifornische Republikaner Kevin McCarthy, bisheriger Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, hatte eine Ablehnung des Pakets zu einem zentralen Bestandteil seiner Kampagne zur Wahl des nächsten Speakers des Repräsentantenhauses gemacht und versuchte, eine kleine, aber entschlossene Gruppe Parteimitglieder für seine Linie zu gewinnen, selbst solche, die gegen seine Kandidatur sind.
Der republikanische Fraktionschef Mitch McConnell, ein kühler Stratege und Machtpolitiker, befürchtete zu Recht chaotische Zustände, wenn die Republikaner im Januar die Mehrheit im Repräsentantenhaus übernehmen, und ließ die Haushaltsvorlage passieren. In der neuen Fraktion haben nämlich die Trumpisten, die unter anderem die Ukraine-Hilfen beenden wollen, maßgeblichen Einfluss. Nach der Unterschrift von US-Präsident Joe Biden tritt der Etat in Kraft, der Haushalt ist bis zum 30. September des kommenden Jahres abgesichert.
Vorrang für Rüstung und Militärhilfe
Etwa die Hälfte des Budgets entfällt mit knapp 858 Milliarden US-Dollar auf Verteidigungsausgaben, im vergangenen Fiskaljahr waren es 740 Milliarden US-Dollar, die Rüstungsausgaben werden also um knapp 10% erhöht. Darunter sind auch 45 Milliarden US-Dollar, die als Finanzhilfen an die Ukraine gezahlt werden sollen. Der Etat sieht damit etwas mehr Unterstützung für die Ukraine vor, als Biden ursprünglich vom Kongress gefordert hatte. Rund neun Milliarden Dollar sind für militärische Hilfe und knapp 16 Milliarden Dollar für wirtschaftliche und humanitäre Hilfe für das angegriffene Land vorgesehen. Zudem sind zwölf Milliarden Dollar eingeplant, um nach Lieferungen an die Ukraine die Munitionsbestände und Lager des US-Militärs wieder aufzufüllen. Weitere sieben Milliarden Dollar sind für zusätzliche Aufwendungen der US-Truppen in Europa vermerkt. Die Ausgaben für die zivilen Strukturen wuchsen nur um sechs Prozent und blieben damit unter der aktuellen Inflationsrate, was real auf weniger Finanzmittel hinauslaufen dürfte.
Der 1,7 Billionen Dollar-Etat mit Vorrang für die Rüstung
»Das ist das größte Gesetzespaket, das wir seit langer Zeit verabschiedet haben«, stellte Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, heraus. Bei den Republikanern war die Begeisterung verhaltener, zumal ein Teil die geplanten Milliarden-Hilfen für die Ukraine ablehnt und fordert eine höhere finanzielle Unterstützungsleistung für das Land seitens der Europäer. Der konservative republikanische Abgeordnete Tim Burchett sagte, der Gesamthaushalt berücksichtige nicht, welche Kosten mit den 45 Milliarden den US-Bürgern aufgebürdet würden, »wo doch Europa eigentlich die Last dieser Ausgaben tragen müsste«.
Noch immer gibt es in der sonst so polarisierten amerikanischen Bundespolitik eine breite Zustimmung für die Ukraine-Unterstützung. Doch es ist ungewiss, wie lange diese angesichts der knappen republikanischen Mehrheit und des Drucks nationalkonservativer Trump-Anhänger im Abgeordnetenhaus anhält. Die Ukraine-Hilfe dürfte künftig umstrittener sein und öfter als Pfand für politische Konzessionen eingesetzt werden.
Letztlich gründete der positive Haushaltsbeschluss auch einer Kombination von politischen Faktoren. Die Demokraten waren damit einverstanden, die finanziellen Aufwendungen für Militär- und Verteidigungsprogramme deutlicher zu erhöhen als jene für die Bereiche Gesundheitswesen, Bildung und Veteranenangelegenheiten – nur um die Stimmen der Republikaner zu gewinnen.
Die enormen Aufwendungen für den amerikanischen Verteidigungssektor werden von den linken Demokraten scharf kritisiert. »Die Rüstungsausgaben sind unverschämt – viel zu hoch«, erklärte der unabhängige Senator Bernie Sanders aus Vermont, der zu den schärfsten Kritikern des Pentagon-Budgets gehört. Nachdem zuletzt vor allem zum Beispiel die Ausgaben im Sozial- und Krankenversicherungsbereich oder die umfangreichen Hilfsmaßnahmen zur Linderung der Pandemiefolgen erhöht worden waren, rückt jetzt der Verteidigungsetat wieder nach vorn. Die Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez stimmte als einzige aus der Fraktion der Demokraten gegen das Gesetz. Ihre progressive Kollegin Rashida Tlaib, ebenfalls Mitglied der »Squad« – einer Gruppe linker Abgeordneter – enthielt sich.
Zu den Verlierern gehört auch die internationale Finanzierung gegen den Klimawandel. Das Gesetzespaket enthält nur eine Milliarde US-Dollar, um armen Ländern bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen. Die Zahl bleibt weit hinter dem Versprechen von Präsident Biden zurück, dass die Vereinigten Staaten bis 2024 jährlich 11,4 Milliarden US-Dollar ausgeben würden, um den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.
Die Budget-Vorlage des Präsidenten sieht für das gesamte Haushaltsjahr 2023 Einnahmen von 4.638 Milliarden vor, womit ein Defizit von 1.154 Milliarden entstehen soll. Ob es bei diesem Defizit bleiben wird und was das für Gesamtverschuldung der USA bedeutet, werden aber erst die noch folgenden Budgetverhandlungen ergeben.
Die Aufrechterhaltung der Ukraine-Hilfe wird 2023 schwieriger
Die beschlossenen Milliarden für die Ukraine stehen zunehmend im Gegenwind von Teilen der oppositionellen Republikaner. Dem Ruf Kiews, noch modernere Waffen und mehr Munition zu liefern, stehen selbst Teile von Bidens Team und den Demokraten skeptisch gegenüber. Dazu kommen die Ängste vor allem westeuropäischer NATO-Partner vor einer Eskalation des Konflikts mit Russland.
Das Grundproblem ist die fragile Einigkeit über das Ziel der westlichen Militärhilfe, die darin besteht, genügend Waffen zu liefern, damit Russland nicht gewinnt. Was dies längerfristig heißt, bleibt unklar. Den ukrainischen Ambitionen auf eine Rückeroberung aller von Moskau besetzten Gebiete inklusive der Krim stehen viele westliche Nationen skeptisch gegenüber. Auch Präsident Biden machte Selenskyj bei dessen Besuch laut »Washington Post« (siehe dort den Beitrag »Amid a show of unity, Zelensky and Biden differ on some war needs«) klar, dass Washington bei allem »freundlichen Händeschütteln« verschiedene Optionen erwägt.
Für eine westlich-ukrainische Einheitsfront bleibt die amerikanische Führung entscheidend – auch deshalb, weil die Europäer gegenüber den grundlegenden strategischen Fragen ambivalent bleiben. Berlin hält sich mit öffentlichen Aussagen zurück, während Präsident Macron regelmäßig von der Notwendigkeit spricht, Russland Sicherheitsgarantien zu geben. Selenskyjs beständiger Appell an die »internationalen Gemeinschaft« im Kampf gegen den Überfall auf die Ukraine verliert an Überzeugungskraft, denn eine derartige Gemeinschaft besteht nicht.
Russlands Vetomacht im Sicherheitsrat hat die Vereinten Nationen zur Ohnmacht verdammt. Der Multilateralismus bleibt wichtig, doch seine Wirksamkeit wird vom Abschluss enger gefasster Vereinbarungen zwischen gleichgesinnten Regierungen abhängen. Ein Multilateralismus nach dem Motto »Alles oder nichts« wird nichts bringen. Diese Gemengelage zwingt die Ukrainer zu einem Balanceakt: Sie müssen den Sinn für die Gefahren schärfen, um zu verhindern, dass sich die internationale Aufmerksamkeit abwendet. Und ihre Forderungen müssen sie an spezifische Adressaten richten, ohne diese vor den Kopf zu stoßen oder durch ständige Wiederholung abzustumpfen.
Gerade im Verhältnis zu Deutschland fiel (siehe das Beispiel des inzwischen abberufenen ehemaligen ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk) und fällt Letzteres nicht immer leicht. Deutlich wird das auch an der Grenzziehung, die Bundeskanzler Olaf Scholz vornimmt: Bei den Waffenlieferungen wird er auch künftig darauf achten, dass die NATO, und damit Deutschland nicht zur Kriegspartei wird.
Dazu passt nicht wirklich die beständige Forderung an westlichen Unterstützer zu mehr Militärhilfe. Der ukrainische Generalstabschef Waleri Saluschni warnte jüngst in dramatischen Worten und klaren Ansagen zu den erwarteten Hilfen vor einer bevorstehenden russischen Offensive: »Wir können diesen Feind schlagen«, sagte er gegenüber dem »Economist«, »aber ich brauche 300 Panzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen.« Dazu kämen noch Luftverteidigungssysteme für die Abwehr der russischen Raketen. Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba ergänzte, dass nun Panzer sowie Patriot-Systeme aus Deutschland folgen müssten.
Obschon Selenskyj immer betont, es gehe um die Sicherheit der gesamten freien Welt, bleibt er Bittsteller und kann letztlich nur mit moralischen Appellen punkten. Die Intensität der Ukraine-Hilfe hängt stark von den innenpolitischen Konstellationen in den einzelnen Ländern ab. Sie enthält damit ein Element des Unberechenbaren, auf das auch der langfristig kalkulierende Wladimir Putin zählt.
Wenn neutrale Länder Generatoren und Transformatoren liefern, um die notleidende und frierende Bevölkerung zu unterstützen, hat das sicherlich auch strategisch eine wichtige moralische Bedeutung. Das ändert jedoch nichts daran, dass Kriege von Armeen entschieden werden und der aktuelle nach Lage der Dinge nur auf diplomatischen Wegen beendet werden kann. Mehr Militärhilfe ohne die Klärung der damit zu erreichenden Ziele dürfte nicht nur in den USA, sondern auch in den Bevölkerungen der westlichen Allianz auf Dauer immer weniger Zustimmung finden.