29. Dezember 2019 Otto König/Richard Detje: Ostsee-Pipeline Nord Stream 2

US-Wirtschaftskrieg gegen »transatlantische Freunde«

US-Präsident Donald Trump ist entschlossen, die Vollendung der zweiten Ostsee-Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland kurz vor der Fertigstellung zu verhindern. Nach der Unterzeichnung des »National Defense Authorization Act« (NDAA) 2020 durch Trump spitzt sich der Wirtschaftskrieg um Nord Stream 2 zu.

Das von Republikanern und Demokraten beschlossene »Protecting Europe's Energy Security Act of 2019« beinhaltet Sanktionen, die sich vorrangig gegen Betreiberfirmen wie die im schweizerischen Châtel-Saint-Denis ansässige Allseas Group richten, die mit Spezial-Schiffen die Rohre durch die Ostsee verlegen. Das von den Senatoren Ted Cruz (Republikaner) und Jeanne Shaheen (Demokraten) initiierte Gesetz sieht ferner Strafmaßnahmen wie »Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögen der Eigner« in den USA vor.

In einem Brief an den Allseas-Vorstandsvorsitzenden Jan Heerema drohte Cruz, der aus Texas stammt, wo Erdöl und Gas die führenden Wirtschaftszweige sind: Sollte das Unternehmen die Arbeiten »auch nur für einen einzigen Tag« nach Unterzeichnung des US-Sanktionsgesetzes fortführen und versuchen, die Pipeline in den nächsten 30 Tagen fertigzustellen, »würden Sie ihren Aktionärswert vernichten und die künftige finanzielle Existenzfähigkeit ihres Unternehmens zerstören«.

Die Drohungen haben Wirkung gezeigt: Allseas hat die Verlegearbeiten gestoppt. Die beiden Schiffe »Poineering Spirit« und »Solitär« haben die Baustelle südlich von Bornholm in Richtung Rügen verlassen. In einem Firmen-Kommuniqué heißt es, man werde entsprechend der Vorgaben des Sanktionsgesetzes vorgehen und erwarte von den »zuständigen amerikanischen Behörden die nötigen regulatorischen, technischen und ökologischen Anleitungen«.

Das muss nicht das Ende des 2.500 km langen Pipelinie-Projekts rd. 160 km vor dessen Fertigstellung bedeuten. Das Nord-Stream-2-Konsortium[1] teilte mit, die Pipeline so bald wie möglich weiterzubauen. Dazu soll das von Gasprom 2016 erworbene Verlegeschiff »Akademik Tscherski« aus dem äußersten Osten Russlands in die Ostsee verbracht werden. In jedem Fall verzögert sich das Projekt damit um einige Monate – der Bundesregierung zufolge wird nun mit einer Fertigstellung im zweiten Halbjahr 2020 gerechnet. Doch auch Washington ist damit Zeit gegeben, Sanktionen beispielsweise auf die Finanziers des Betreiber-Konsortiums auszuweiten, die Daumenschrauben also fester anzuziehen.

Selten ist wirtschaftliche Interessenpolitik unter »Verbündeten« so knallhart ausgefochten worden wie in diesem Fall. Der Adressat ist Deutschland, nachdem der Bundestag Mitte November mit der Umsetzung der EU-Erdgasrichtlinie in deutsches Recht den Weg für den endgültigen Betrieb von Nord Stream 2 frei gemacht hatte. Für die US-Regierung geht es darum, russisches Gas vom europäischen Markt zu verdrängen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit westeuropäischer Staaten mit Russland zu behindern.

Sanktionen als Mittel in einem fossilen Energie-Krieg richten sich nicht nur gegen Nord Stream 2, sondern auch gegen die Pipeline »Turkish Stream« durch das Schwarze Meer und eventuelle künftige Ersatz- oder Folgeprojekte. Nach Ansicht des Senior Research Fellow des Potsdamer »WeltTrends Institute for International Politics«, Siegfried Fischer, sind diese Sanktionen nicht legal, weil sie »extraterritorial« Menschen und Unternehmen bedrohen, »die nicht in den Vereinigten Staaten ansässig sind und sich nicht im Besitz von US-Bürgern befinden« (euronews, 22.12.2019).

Offiziell rechtfertigt die US-Regierung ihr Vorgehen mit Verweis auf europäische Interessen. Verhindert werden soll »eine zu große Abhängigkeit Europas von russischem Gas«. »Danke, Donald Trump«, twitterte der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Seit langem sei von europäischen Partnern zu hören, dass »die Vereinigten Staaten sie bei ihren Bemühungen unterstützen sollen.«

Richtig ist, dass EU-Staaten wie Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine aus eigenen wirtschaftlichen Interessen das Projekt ablehnen. In den erstgenannten Staaten wurden bereits Terminal für US-amerikanisches Flüssiggas gebaut. Die von Trump wie eine Bananenrepublik behandelte Ukraine befürchtet durch Nord Stream 2 ihre Position als Transitland Nummer eins für russisches Gas in die EU zu verlieren.

Allerdings unterzeichneten Anfang Dezember Vertreter des ukrainischen Energiebetreiber Naptogas und von Gazprom – unter Vermittlung der Bundesregierung und der EU-Kommission – in Minsk eine Vereinbarung über die künftigen Geschäftsbedingungen. Danach sollen 2020 rund 60 Milliarden Kubikmeter russisches Gas durch ukrainische Leitungen exportiert werden, in den darauffolgenden Jahren jeweils 40 Milliarden. Gleichzeitig verpflichtete sich Russland, der Ukraine eine Zahlung von 2,9 Milliarden US-Dollar zu leisten, zu der das Stockholmer Schiedsgericht das Land schon 2016 verurteilt hatte.

Die Argumentation der Washingtoner Administration, »die Energiesicherheit Europas« schützen zu wollen, ist scheinheilig. Die Erdgasversorgung in Europa ist stark diversifiziert, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schon im Juli 2018 in einer Studie feststellte. Es geht nicht um »Fürsorge« oder partnerschaftliche Besorgnis, sondern um knallharte Wirtschaftsinteressen, um neue Absatzmärkte für texanische Öl- und Erdgasvorkommen, um die Durchsetzung US-amerikanischer Energie- und Geopolitik sowie des Hegemonialanspruchs gegenüber den europäischen »Partnern«. Die Sanktionskeule ist nichts anderes als ein Instrument wirtschaftlicher Erpressung.

Die EU zählt weltweit zu den größten Absatzmärkten für Erdgas. Aktuell stellt Russland »ein Drittel des europäischen Erdgases« und liefert es mit Hilfe von drei Pipelines – eine Pipeline durch Belarus und Polen, eine andere durch die Ukraine und die Slowakei und Nord Stream 1. Letztere, deren zwei Röhrenstränge bereits 2011 und 2012 in Betrieb genommen wurden, hat im vergangenen Jahr erstmals ihre volle Kapazität von rund 55 Milliarden Kubikmetern erreicht. Nord Stream 2 soll die Gasleitung aus dem russischen Vyborg ins deutsche Lubmin um zwei zusätzliche Stränge erweitern. Zusammen hätten die dann vier Stränge durch die Ostsee ein jährliches Volumen von bis zu 110 Milliarden Kubikmetern Erdgas (GFP, 2.12.2019).

Tatsächlich will die Trump-Administration den Europäern ihr Flüssiggas (LNG) verkaufen, das durch das ökologisch und klimapolitisch negative Fracking-Verfahren entsteht, bei dem Gasvorkommen unter Einsatz giftiger Chemikalien aufgebrochen werden, unter hohem Energieaufwand verflüssigt und per Tanker verschifft wird. Das vom US-Energieministerium ernsthaft als »Moleküle der Freiheit« bezeichnete LNG-Gas ist damit teurer als das Pipelinegas aus Russland und ökonomisch betrachtet nicht konkurrenzfähig.

In ersten Stellungnahmen hat die Bundesregierung die Inkraftsetzung der Sanktionen als »Einmischung« verurteilt und betont, sie lehne derartige »extraterritoriale Sanktionen« ab. Sie seien »ein schwerer Eingriff in die inneren Angelegenheiten Deutschlands und Europas und der eigenen Souveränität«, sagte Bundesfinanzminister Scholz dem ARD-Hauptstadtstudio.

Für den SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat sich US-Präsident Donald Trump »offenbar von der Idee verabschiedet, die EU-Staaten als verbündete Partner zu betrachten«, da Trump Europäer als »tributpflichtige Vasallen« behandelt. »Diesen erpresserischen Methoden werden wir uns nicht beugen.«

Doch was folgt daraus? Wie im Fall der völkerrechtswidrigen Iran-Sanktionen, als zunächst von Hilfen für betroffene europäische Unternehmen die Rede war, letztlich doch nur heiße Luft? Mit dem erklärten Verzicht auf Gegenmaßnahmen signalisiert die Bundesregierung der Trump-Administration, »dass sie ihre Praxis des wirtschafts- und handelspolitischen Faustrechts ungestraft fortsetzen darf«, kommentiert Andreas Zumach in der taz (22.12.2019).

Die DIW-Ökonomin Claudia Kemfert plädiert dafür, die US-Sanktionen gegen den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht tatenlos hinzunehmen. Europa solle erwägen, »Klima-Zölle« gegen die USA zu verhängen, damit kein umweltschädliches Fracking-Gas aus den USA nach Deutschland und Europa exportiert werden könne.[2] Allerdings hält auch sie Nord Stream 2– »ähnlich wie viele Kohlekraftwerke« – für ein »stranded investment«, eine »Fehlinvestition«.

Gas ist eben nicht, wie gerne kolportiert wird, »saubere Energie«, sondern ein fossiler Energieträger, auf dessen Einsatz laut Pariser Klimaschutzprotokoll im Sinne einer vollständigen Dekarbonisierung zu verzichten ist. »Zugegeben, Gas wird in der Übergangszeit sowohl für die Stromerzeugung als auch für die Wärmeherstellung und als Treibstoff in der Mobilität eine Rolle spielen. Aber auch für diesen Übergang brauchen wir keine zusätzliche Pipeline. Nord Stream 2 ist energie- und betriebswirtschaftlich unnötig. Schon der erste Strang ist in weiten Teilen nicht ausgelastet.«[3]

Die Bundesregierung spielt nicht mit sauberen Karten – weder wirtschafts-, noch außen-, noch umweltpolitisch.

Anmerkungen

[1] Hinter dem Pipeline-Projekt steht der russische Staatskonzern Gazprom, der die Hälfte der geplanten Gesamtkosten von 9,5 Milliarden trägt, die andere Hälfte finanzieren fünf europäische Energieunternehmen, darunter Wintershall-Dea, OMV Uniper, Royal Dutch Shell und die französische Engie.
[2] Claudia Kemfert: Wir stehen am Beginn eines disruptiven Wandels hin zu mehr Klimaschutz, DIW 23.12.2019.
[3] Claudia Kemfert: Energiewende forcieren, statt unsinnige Pipelines bauen, DIW-Wochenbericht 4/2019, S. 72.

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