13. Oktober 2020 Joachim Bischoff

Veränderte IWF-Wirtschaftsprognose und überraschende Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik

Chefökonomin des IWF, Gita Gopinath. Foto: IMF/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Der Internationale Währungsfonds (IWF) korrigierte seine Konjunkturprognose von Juni. Dank historisch beispielloser Konjunkturhilfen und Kreditunterstützung hätten die großen Volkswirtschaften die Folgen der Corona-Krise im zweiten Quartal besser bewältigt als zunächst eingeschätzt.

Die Hilfspakte – Konjunkturhilfen für Unternehmen und private Haushalte sowie Garantien – summierte der IWF auf 12 Bio. US-Dollar. Eine Wiederholung einer »Finanzkatastrophe« wie während der letzten großen Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 habe dadurch bislang verhindert werden können. Allerdings bleibt der Ausblick unsicher. Die Erholung ab kommendem Jahr werde »langsam, ungleich, unsicher und anfällig für Rückfälle« sein, betonte der Währungsfonds.

Trotz der unsicheren Konstellation bei der gesellschaftlichen Kontrolle der Pandemie hob der Währungsfonds seine Prognose vom Juni um 0,8 Prozentpunkte an. »Wir gehen von einer etwas weniger heftigen, aber immer noch tiefen Rezession aus«, erklärte IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath.

Die Industrieländer, angeführt von den USA, sollen voraussichtlich nur noch um 5,8% schrumpfen, das ist eine Verbesserung um 2,3 Prozentpunkte gegenüber der Juni-Prognose. Für die USA alleine beträgt die Korrektur erstaunliche 3,7%. 2020 dürfte die US-Wirtschaft demnach um 4,3% schrumpfen. Damit passt sich der IWF anderen namhaften Prognosen, etwa jener der US-Zentralbank Fed, an.

Für die Industrieländer Europas sagen die IWF-Ökonomen für 2020 immer noch einen Einbruch um über 8% aus, der im kommenden Jahr erst teilweise wettgemacht wird. Vergleichsweise gut da stehen Lettland (-1,8%) und Irland (-3%), relativ schlecht Frankreich (-9.8%), Italien (-10,6%), Spanien (-10%), Portugal (-10%) und Großbritannien (-9.8%).

Die Wachstumsprognose für 2021 senkte der IWF vor allem wegen anhaltender Belastungen durch die Corona-Krise um 0,2 Prozentpunkte auf 5,2%. Eine Erholung der Weltkonjunktur sei zudem nicht sicher, solange die Pandemie sich weiter ausbreite und eine Rückkehr zum normalen wirtschaftlichen Alltag verhindere. Um weiteren Rückschlägen vorzubeugen, dürften Regierungen ihre Konjunkturhilfen keinesfalls zu schnell wieder zurücknehmen. Es gebe jedoch Anlass zur Hoffnung, so würden bei den Corona-Tests sowie bei der Behandlung der Krankheit und bei der Impfstoff-Entwicklung Fortschritte gemacht.

In den meisten Industrie- und Schwellenländern wird die Erholung also langsamer vonstattengehen. In den USA etwa rechnen die Expert*innen für 2021 mit einem Plus von lediglich 3,1%, das sind 1,4 Punkte weniger als noch im Juni erhofft. Deutschland dürfte mit 4,2% statt wie erwartet mit 5,4% wachsen. Das bedeutet, dass die hiesige Wirtschaft selbst in zwölf Monaten das Niveau von vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht haben wird. Verglichen mit der letzten IWF-Vorhersage von vor Ausbruch der Krise werden dem Land bis Ende 2021 gar mehr als 200 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung fehlen.

Insgesamt zeichnet der IWF für die Post-Corona Zeit ein eher düsteres Bild: Die Pandemie werde vielen Ländern langfristige wirtschaftliche Schäden zufügen, sämtliche Fortschritte bei der Armutsbekämpfung seit den 1990er Jahren rückgängig machen und die soziale Ungleichheit erhöhen. Für die Eurozone sagt der IWF im laufenden Jahr einen Wirtschaftseinbruch um 8,3% voraus, im kommenden Jahr dürfte es dann um 5,2% nach oben gehen.

Vor allem für die USA zeigt sich der IWF inzwischen deutlich optimistischer. Hier soll die Wirtschaft 2020 laut aktualisierter Prognose um 4,3% schrumpfen, im Juni war noch ein Einbruch um 8% angenommen worden. Für 2021 rechnet der IWF nun mit 3,1% Wachstum. Deutlich schneller geht die Erholung in China voran, der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA. Hier sei die Rückkehr zum Wachstum bereits vollzogen und stärker als erwartet ausgefallen. Bereits im aktuellen Jahr prognostiziert der IWF einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 1,9%, das sind 0,9 Prozentpunkte mehr als noch im Juni. Für 2021 rechnet der Währungsfonds unverändert mit einem Wachstum von 8,2%.

Das eigentliche Problem für die Weltwirtschaft sind laut Währungsfonds nicht die kurz-, sondern die mittel- und langfristigen Aussichten, denn anders als noch zu Beginn der Pandemie prognostiziert, werde die Krise vielerorts noch lange nachwirken. »Die meisten Volkswirtschaften werden einen bleibenden Schaden davontragen«, heißt es in dem IWF-Bericht. Dazu gehören unter anderem Firmenpleiten, Beschäftigungsabbau, teure Strukturanpassungen, ein verändertes Verbraucherverhalten, eine weiter sinkende Produktivität sowie niedrigere Investitionen. Besonders betroffen seien Staaten, deren Wohlstand stark vom Tourismus oder von Rohstoffexporten abhänge. In den Industrieländern muss man sich nach der Prognose des Fonds darauf einstellen, dass sich das Wirtschaftswachstum mittelfristig auf durchschnittlich 1,7% verringern wird.

Das alles wird nicht ohne Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bürger*innen bleiben. Besonders betroffen sind dem Bericht zufolge Frauen, Geringqualifizierte und Arbeitnehmer*innen ohne Festanstellung. Auch Kinder und Teenager, die aufgrund langer Schulschließungen Bildungsrückstände aufwiesen, dürften zu den Verlierern gehören. In den Entwicklungsländern, die ohnehin mit Armut zu kämpfen haben, werden darüber hinaus zusätzlich fast 90 Mio. Menschen in existenzielle Not geraten. Alle Fortschritte, die seit den 1990er Jahren weltweit beim Abbau extremer Armut erreicht worden seien, würden durch die Pandemie zunichtegemacht, so der IWF.

In einer Studie der amerikanischen Ärztekammer wurde diese langwierige Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie in den USA genauer untersucht. In dem Gutachten wird davon ausgegangen, dass die Pandemie bis Herbst 2021 weitestgehend eingedämmt sein wird. Unter Berücksichtigung von Sterblichkeit, Morbidität, psychischen Erkrankungen und direkten wirtschaftlichen Verlusten kommt die Ärztekammer auf einen wirtschaftlichen Verlust von 16 Bio. US-Dollar. Das entspricht ungefähr 90% des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der USA.

Zum einen kostet die Pandemie die US- Ökonomie Arbeitsplätze. Das Kongressbudgetbüro prognostiziert allein wegen dieser Verluste für das nächste Jahrzehnt einen Produktionsausfall von insgesamt 7,6 Bio. US-Dollar. Ein weiterer Faktor sind die Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Die wirtschaftlichen Kosten für vorzeitige Todesfälle, die auch noch für das nächste Jahr erwartet werden, werden auf 4,4 Bio. US-Dollar geschätzt, heißt es im Bericht der Ärztekammer. Langzeitfolgen wie Atemwegs-, Herz- und Geistesstörungen sind mit weiteren 2,6 Bio. US-Dollar angegeben. Weitere Krankheitsfolgen wie Depressionen etc. sind auf insgesamt 1,6 Bio. US-Dollar taxiert.

Angesichts der Herausforderungen sowohl der Überwindungen der direkten ökonomischen als auch der indirekten Schädigungen der Gesellschaft wird es aus Sicht des Fonds nicht reichen, wenn Regierungen bestehende Arbeitsplätze über Lohnsubventionen oder andere Hilfsmaßnahmen sichern. Vielmehr werde es einzelne Branchen geben, in denen die Zahl der Beschäftigten das Vorkrisenniveau womöglich nie wieder erreichen werde. Als Beispiel nennen die Expert*innen die Reisebranche, die nicht nur mit einem sich ändernden Urlaubsverhalten vieler Menschen zu kämpfen habe, sondern auch mit einer womöglich andauernden Flaute bei Dienstreisen. Hier müsse der Staat mit Bildungsangeboten und Überbrückungsgeldern dabei helfen, Arbeitnehmer*innen für solche Bereiche umzuschulen, in denen weiteres Wachstum zu erwarten sei, etwa im Online-Handel.

Um schwere wirtschaftliche Rückschläge zu verhindern, müssten die Regierungen und Notenbanken dafür sorgen, dass Hilfsprogramme nicht zu rasch ausliefen, heißt es in dem IWF- Bericht. Die Regierungen sollen prüfen, ob Schuldenbremsen vorübergehend ausgesetzt und die Einnahmebasis des Staats ausgeweitet werden könnten, so der IWF. Denkbar seien etwa höhere Steuern auf Spitzeneinkommen, Luxusimmobilien, Kapitalerträge und Vermögen.

Die weltweiten fiskalischen Stützungsmaßnahmen im Umfang von bisher gegen 12 Bio. US-Dollar sowie die Zinssenkungen, Wertpapierkäufe und Liquiditätsinjektionen der Zentralbanken haben geholfen, Leben zu retten und eine finanzielle Katastrophe abzuwenden, konstatiert der IWF. Um die Erholung sicherzustellen, brauche es mehr internationale Kooperation, nicht zuletzt im medizinischen und logistischen Bereich.

Darüber hinaus müsse die Wirtschaftspolitik darauf achten, dass nicht permanenter wirtschaftlicher Schaden entstehe. Regierungen sollen daher via Direktzahlungen, Lohnsubventionen und Arbeitslosengeldern die Einkommen von betroffenen Arbeitnehmer*innen stützen. Auch sollen lebensfähige Firmen mit Steuererleichterungen, Schuldenstreckungen oder Kapitaleinschüssen unterstützt werden, damit flächendeckende Konkurse verhindert werden können. Diese Hinweise auf eine umfassende gesellschaftliche Politik der Überwindung der Folgen der Pandemie dürften allerdings nur in seltenen Fälle umgesetzt werden.

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