12. Mai 2022 Redaktion Sozialismus.de: Rohstoffe als Waffen
Verschärfte Sanktionen gegen Russland
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat die Europäische Union (EU) täglich rund 800 Millionen US-Dollar für russisches Öl und Gas ausgegeben. Deutschland hat an Russland in dem Zeitraum etwa 9,1 Mrd. Euro für fossile Energieträger bezahlt.
Damit war es nach einer Studie des finnischen Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in diesem Bereich Russlands größter Kunde, gefolgt von Italien und China. Der Großteil der russischen Lieferungen besteht aus Gas. Laut den Zahlen der Studie gab Deutschland 6,5 Mrd. Euro für Erdgas aus, knapp zwei Mrd. Euro für Rohöl.
Neben der Lieferung von vor allem schweren Waffen an die Ukraine stehen die Importe von fossilen Energieträgern im Zentrum der medialen Debatte bei der Unterstützung der angegriffenen Ukraine. In den letzten Tagen haben sich die G-7-Staaten verpflichtet, die Einfuhr von russischem Öl auslaufen zu lassen oder zu verbieten. Zur Siebenergruppe der führenden Industrienationen gehören die NATO-Staaten USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland sowie Japan.
In Brüssel verhandeln die EU-Länder über die Modalitäten eines solchen Öl-Embargos gegen Russland, denn es soll Bestandteil eines weiteren Sanktionspakets sein. EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat dieses sechste Sanktionspaket ins Parlament eingebracht. Darin schlägt die Kommission den Mitgliedstaaten u.a. vor, innerhalb von sechs Monaten alle russischen Rohöleinfuhren einzustellen und raffinierte Erzeugnisse wie Benzin, Diesel oder Kerosin nur noch bis Jahresende in die EU zu importieren. »Wir müssen das einfach tun, auch wenn es schwierig ist«, sagte von der Leyen.
Diese Bemerkung der EU-Politikerin verdeutlicht, dass die EU sich mit diesen verschärften Wirtschaftssanktionen gegen Russland schwertut. Die 27 Mitgliedstaaten müssen dem Vorschlag zustimmen, und zwar einstimmig. Vor allem Ungarn und die Slowakei haben starke Vorbehalte. Beide Staaten bezogen im vergangenen Jahr zwischen 75% und 100% ihrer Erdöleinfuhren aus Russland. Für sie könnten deswegen Ausnahmeregelungen greifen. Ungarn droht nun aber mit einem Veto.
Noch problematischer ist für den westlichen Verbund das Einbeziehen der Gas-Importe in die Sanktionen gegen Russland. Vor allem die deutsche Wirtschaft ist laut einer Studie noch immer stark abhängig von russischem Gas. Die deutsche Regierung versucht, auch die Menge der russischen Gaslieferungen schnell zu senken. So sei deren Anteil im Vergleich zum Vorjahr von 55% auf 35% gesunken, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Bis Sommer 2024 soll er auf 10% gesenkt werden.
Ob und wie dies möglich ist, ist derzeit unklar. Denn die deutschen Gasimporteure haben sich in Langzeitverträgen dazu verpflichtet, selbst dann für russisches Gas zu zahlen, wenn sie es nicht mehr beziehen. Diese Verträge sollen bis mindestens 2030 laufen. Ein »abruptes Ende« der Gaslieferungen sei zudem »aktuell volkswirtschaftlich hoch riskant«. »Wir raten dringend davon ab, auf russisches Gas heute oder morgen zu verzichten«, sagte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Trotzdem sei die Lage erkannt und Krisenstäbe und Krisenzentren seien im Aufbau.
Der russische Staatskonzern Gazprom hat dieser Tage seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt. Außerdem setzt die Ukraine den Transit von russischem Gas im Gebiet Luhansk im Osten des Landes aus. Der Transit-Teilstopp betrifft die Sojus-Pipeline. Damit fallen bis zu 32,6 Mio. Kubikmeter Gas pro Tag weg – das ist fast ein Drittel der täglich über die Ukraine nach Europa transportierbaren Höchstmenge, teilte der ukrainische Gasnetzbetreiber mit. Aufgrund der russischen Besatzung sei es unmöglich geworden, den Betrieb zu kontrollieren – ein Fall »höherer Gewalt«. Diese Gegenmaßnahmen von Russland und der Ukraine stellen allerdings keine Bedrohung für die europäische Versorgung dar.
Ein Blick auf die Warenstruktur der Exporte Russlands verdeutlicht die These, dass in Russland die Transformation kapitalistischer Strukturen mit der Ausbildung eines ressourcen-extraktivistischen Kapitalismus verbunden war. Wir sehen eine spezifische Form peripherer kapitalistischer Entwicklung, bei der vor allem Rohstoffe und Agrarprodukte für den Export eingesetzt werden. Mit dieser extraktivistischen Ökonomie verbunden ist die Ausprägung eines autoritären Staates mit entsprechender Bedeutungslosigkeit von Zivilgesellschaft und Parlamentarismus.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist in der letzten Zeit kein wirklicher Fortschritt im Modus der Industrialisierung festzustellen. Der russische Kapitalismus zeichnet sich zudem durch extreme soziale Ungleichheit und unentwickelte Rechte der Lohnabhängigen aus. Bei den großen transnationalen Unternehmen handelt es sich fast ausschließlich um privatisierte Rohstoffkonzerne.
Mit einem Öl-Embargo soll der Geldtransfer nach Russland gestoppt werden. Damit will die EU Moskau zum Einlenken im Ukrainekrieg bringen. Öl ist die wichtigste Devisenquelle Russlands, rund 60% der Ölexporte gehen nach Europa. Zweifellos trifft ein umfassendes oder partielles Öl-Embargo die russische Ökonomie. Russland verzeichnete im vergangenen Jahr aufgrund der hohen Energiepreise einen hohen Leistungsbilanzüberschuss von 120,3 Mrd. US-Dollar, was 7% des Bruttoinlandprodukts entspricht.
Andererseits unternahm Moskau in den vergangenen Jahren große Anstrengungen, um den Staat unabhängig von den Petro-Dollars zu machen. So machten die Energieeinnahmen vor zehn Jahren noch mehr als die Hälfte des Staatsbudgets aus. Und die russische Staatsbank hat durch eine differenzierte Anlagepolitik auch dafür gesorgt, dass die großen Rücklagen nicht komplett durch die Sanktionspolitik eingefroren werden konnten.
Struktur der Einnahmen des russischen Staatshaushaltes
Laut der bereits erwähnten Studie von CREA hat der Westen seit Kriegsbeginn rund 48 Mrd. Euro für russisches Öl und Gas ausgegeben und damit den Angriffskrieg Russlands mitfinanziert. Durch die Sanktionen wird der Haushalt getroffen, doch die damit erhofften Auswirkungen für die Finanzierung der Kriegspolitik sind eher überzogen. Das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche schätzt den kriegsbedingten Rückgang der Wirtschaftsleistung Russlands für das laufende Jahr 2022 auf 9%.
Die Sanktionen des Westens konzentrieren sich zunächst auf die Durchsetzung eines Öl-Embargos. Weltweit ist der Anteil Russlands überschaubar: Russland lieferte vor dem Krieg 7,7 Mio. Fass Erdöl täglich weltweit aus. Das entsprach rund 7% des Bedarfs. Auf den Weltmärkten wird derzeit nicht mit einer akuten Knappheit gerechnet. Die Entwicklung des Ölpreises lässt jedenfalls nicht auf eine massive Verknappung schließen.
Weil mit dem Ausfall russischer Mengen bei einem angespannten Erdölmarkt der Ölpreis in die Höhe geht – auch wenn dieser Effekt begrenzt ist –, könnte Moskau am Ende gar mehr einnehmen als ohne Embargo. Der höhere Preis würde dann das geringere Volumen kompensieren. Zudem wird das Embargo von Ländern wie Indien oder China umgangen. Russland kann mit Sicherheit bei Preisabschlägen in den asiatischen Raum mehr absetzen, wenngleich die Transportkapazität begrenzt ist.
Wenn Russland kein Erdöl mehr nach Europa liefern darf, trifft dies die Länder unterschiedlich. Heftig zu spüren bekommen dies vor allem Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Finnland. Sie beziehen zwischen 75 und 100% ihres Erdöls aus Russland. Diese Länder pochen denn auch auf eine längere Übergangsfristen.
Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischem Öl in einem Rekordtempo von 35 auf 12% gesenkt hat und ist damit bereit für einen Stopp mit Übergangsfristen. Ein Problem ist noch die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) gehen etwa 60% der russischen Erdölexporte nach Europa und weitere 20% nach China. Peking denkt nicht daran, sich dem Importverbot von russischem Erdölexporte anzuschließen. Das Embargo der EU wird Russland zweifellos treffen, allerdings wird das Land nach Auswegen suchen. Schon jetzt lässt sich beobachten, dass Erdöl bei den See-Transporten aus den russischen Häfen an der Ostsee und am Schwarzen Meer vermehrt in Richtung Asien verschifft wird.
Erdölproduktion in Mill. Fass proTag
Das Ölembargo wird auch Europa beschädigen. »Wir werden uns selber schaden«, konstatiert Wirtschaftsminister Robert Habeck, aber um der Ukraine beizustehen, wolle man diese Lasten tragen. Der Boykott dürfte Energie weiter verteuern, die Inflation weiter antreiben und die Lasten für die Wirtschaft erhöhen.
Russlands Öleinnahmen sind im laufenden Jahr trotz den bisher verhängen Maßnahmen um 50% gestiegen. Hauptgrund sind die steigenden Preise. Laut einem Marktbericht der IEA verdient Moskau jeden Monat etwa 20 Mrd. US-Dollar mit Ölverkäufen. Selbst wenn die EU ein Importverbot durchsetzen kann und auch internationale Konzerne wie Shell oder Total die Käufe einstellen, wird Russland weiterhin Öl vor allem nach China und Indien exportieren können.
Ein Gas-Boykott Russlands wirft weitaus komplexere Probleme auf. Wirtschaftsminister Habeck hält es für möglich, dass Deutschland schon im kommenden Winter einen russischen Gasboykott verkraften könnte. »Wenn wir zum Jahreswechsel volle Speicher haben, wenn zwei der vier von uns angemieteten schwimmenden LNG-Tanker schon am Netz angeschlossen sind und wenn wir deutlich an Energie sparen, können wir im Fall eines Abrisses der russischen Gaslieferungen einigermaßen über den Winter kommen.«
Allerdings bleibt auch hier die russische Seite nicht passiv. Russland hat gegen die Firma Gazprom Germania und andere ehemalige Tochterunternehmen seines staatlichen Gaskonzerns Sanktionen verhängt. Mit insgesamt 31 aufgelisteten Firmen dürften von russischer Seite keine Geschäfte mehr gemacht werden.
Gazprom Germania war Anfang April unter staatliche deutsche Kontrolle gestellt worden. Den größten Effekt eines Stopps der Gaslieferungen hätte Moskau über die Länder, die am meisten von russischem Erdgas abhängig sind. Dazu zählen Länder wie Estland, Finnland, Lettland, die Slowakei, Österreich oder Ungarn. Die größten Auswirkungen könnte der Kreml mit einem Lieferstopp für Deutschland erzielen.
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland befördert die Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Energien. Die Ablösung fossiler Stoffe durch Energieformen, die weniger Treibhausgase freisetzen, ist langwierig und eine Aufgabe von gigantischer Größenordnung. Die bestehende Infrastruktur ist damit überfordert. Vor allem großtechnische Lösungen zur Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien fehlen noch.