7. November 2018 Hajo Funke/Christiane Mudra: Impressionen einer Reise vor den Midterm-Wahlen

Von Washington nach West-Virginia

Die Kollegen in den Think Tanks Washingtons warten auf die Wahlergebnisse, während über den Dächern um den Dupont Circle Regierungshubschrauber rattern. Auch wenn sie es nur verhalten zu verstehen geben, schütteln sie die Köpfe und sind im Grunde ratlos, was die Zukunft der amerikanischen Regierung anbelangt.

 

Die Rhetorik Trumps, das rassistische Erbe und der Kulturkampf heute

Charlottesville war am 11. und 12. August 2017 der Schauplatz einer dramatischen Eskalation zwischen verschiedenen teils bewaffneten Gruppen der extremen Rechten, die sich unter dem Motto »Unite the Right« versammelt hatten und zahlreichen Gegendemonstranten. Der Ku-Klux-Klan-Promi David Duke war ebenso angereist wie der White Supremacy Aktivist Richard Spencer und andere Neonazis aus den ganzen USA.

Mehr als ein Jahr danach wirkt Charlottesville auf den ersten Blick harmonisch und liberal. Doch mit der Tötung der Gegendemonstrantin Heather Heyer hat sich nicht nur das weltweite Bild von Charlottesville, sondern auch der Ort selbst geändert. Der Versuch eines großflächigen Zusammenschlusses der extremen Rechten ist auch durch die entsetzten Reaktionen der Öffentlichkeit gescheitert, zumal Donald Trump stur von Gewalt auf beiden Seiten sprach und die rechte Bewegung gleichsam in Schutz nahm.

Trotzdem hat die Entfesselung von Ressentiments, Hass und Gewalt mit Charlottesville ein Fanal gesetzt, sich mit den Hasstiraden des 45. Präsidenten weiter verstärkt und ist in den Wochen vor den Midterm-Wahlen zu einem gefährlichen Höhepunkt getrieben worden. Dies gilt für den Briefbomben-Attentäter ebenso wie für das größte Massaker an den Juden in den Vereinigten Staaten seit ihrem Bestehen, den Brandstifter von Brooklyn und schließlich für das Massaker an Frauen in einem Yoga-Studio in Tallahassee/Florida.

 

Moderate und Radikale in Virginia

Während unserer Recherche zur radikalen Rechten in Charlottesville und den Vereinigten Staaten in Zeiten des Rechtspopulismus übernachten wir in der Nähe von Harrisonburg am Rande der Apalachen an der Grenze zu West Virginia. Im Verlauf der Gespräche in Virginia wird deutlich, dass es in der Bevölkerung keinen mit Deutschland vergleichbaren Sozialstaatsgedanken gibt. Individualität und Unabhängigkeit sind traditionell ebenso hohe gesellschaftliche Werte wie die Wehrhaftigkeit des Einzelnen gegenüber staatlichen Autoritäten. Dies spiegelt sich besonders im Festhalten am Waffengesetz wider. Ein Minimalvertrauen in den Staat ist kaum vorhanden, auch über die Aufgaben der staatlichen Institutionen im fernen Washington herrscht kein Minimalkonsens.

Durch das Dilemma, sich zwischen nur zwei Parteien entscheiden zu müssen, gibt es keine Möglichkeit, sich detailliert zu Themen zu positionieren, vieles an Kritik wird unterdrückt. Einige träumen von einem Mehrparteiensystem, das die Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten aufbricht und die Vielfalt der Bevölkerung abbildet. Viele wünschen sich eine starke, glaubwürdige Persönlichkeit, die bei der nächsten Präsidentschaftswahl für die Demokraten kandidiert. Michelle Obama wird in diesem Kontext immer wieder genannt. Die Gleichberechtigung von Frauen ist auch in Virginia ein großes Thema.

Radikale Trump-Wähler legen ihr Weltbild meist in wenigen Sätzen dar und halten mit tiefer Überzeugung an althergebrachten Feindbildern wie dem Kommunismus, Einwanderern, Demokraten und der afro-amerikanischen Bevölkerung fest. Mit Trumps autoritärem Regierungsstil ohne jede Differenzierung identifizieren sie sich hundertprozentig. Ihr Credo lautet: Trump hält seine Versprechen, garantiert das Recht auf Waffenbesitz und bekämpft die Feinde des weißen Amerika.

 

Die neuen Demokraten. Eine historische Chance

Der Reporter Fabian Reingold (t-online 4.11.) beobachtete in Orange, zehn Meilen nördlich von Charlottesville, die frühere CIA-Mitarbeiterin und Kämpferin für die Demokratische Partei, Abigail Spanberger, die in dieser Region für einen fundamentalen Wechsel für Anstand, für Frauen und gegen Trump kämpft. Sie kandidiert gegen den bisherigen republikanischen Repräsentanten im Abgeordnetenhaus, Dave Brat. Dave Brat gilt unter Trump-Wählern als Größe. Ihm war es 2014 gelungen, den moderaten Republikaner Eric Cantor durch eine radikale Anti-Immigrations-Agitation aus dem Rennen zu werfen. Eric Cantor war einer der wichtigsten Männer in der republikanischen Partei im Kongress. Die Werbeanzeigen der Demokraten, selbst für Fox News, richten sich nicht zuletzt gegen Dave Brat, er betreibe eine Politik für die Reichen, obwohl er das Gegenteil versprochen hat.

Der Kampagnenmanager Stanley, der seit Jahren für die Demokraten kämpft, schwankt zwischen Zuversicht und Skepsis angesichts einer Kampfmentalität von Trump, die alles hinweggefegt hat, was die Werte der Vereinigten Staaten ausmachte. Der Demokrat setzt auf die jugendlichen Kandidaten in der Demokratischen Partei: Da ist der texanische Kandidat Beto O´Rourke, der fließend spanisch spricht, da ist der schwarze Gouverneurskandidat Andrew Gillum in Florida und da sind viele Frauen wie die Afro-Amerikanerin Stacey Adams in Georgia und Abigail Spanberger, die im republikanischen Virginia das Unmögliche versucht und gute Chancen hat. 2018 sind es sind die Frauen, die die Lage drehen könnten. 22 Frauen kandidieren für Senatsposten, 235 Frauen treten für das 435 Personen starke Repräsentantenhaus an, drei Viertel von ihnen sind Demokratinnen.

 

Pittsburgh und Trumps Unleashing of Rage in der letzten Wahlkampfwoche

Am 27. Oktober ereignet sich das schlimmste Massaker an Juden in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ein rechtsextremer Antisemit,[1] erschießt elf Jüdinnen und Juden vor einer Synagoge in Pittsburgh. Es ist der Höhepunkt der Gewalt nach einem Jahr, in dem sich laut ADL die antisemitischen Taten um 57% gesteigert haben.

Zwar ist der Präsident nicht der, der seine Waffe auf Jüdinnen und Juden gerichtet hat. Doch zeitgleich zur aggressiven Ausgrenzungsrhetorik Trumps sind die rechtsextremistischen Gewalttaten in den USA eklatant gestiegen – wie der Background Report von START zeigt. Auch seine Angriffe auf George Soros wiederholten sich. Und am 22. Oktober erklärte der Präsident auf einer Wahlrede in Houston/Texas: »I am a Nationalist!«

Am Dienstag, dem 30. Oktober besuchte Trump gegen den Willen der Hinterbliebenen Pittsburgh und wird von Vertretern der jüdischen Gemeinde nicht willkommen geheißen. Demonstranten stellen sich ihm entgegen und auch der demokratische Gouverneur bleibt dem Besuch des Präsidenten aus Protest fern. Am selben Tag verkündet Trump, dass er eine Verfassungsänderung anstrebt und das Gesetz abschaffen will, das in den USA Geborenen automatisch die Staatsbürgerschaft zusichert.

Am Freitag, dem 2. November sieht man einen noch furioseren Präsidenten, dessen Kaskaden bei einer Rede in Indiana sich auf wenige Sätze reduzieren lassen: Er warnt vor der »kriminellen« Karawane verzweifelter Familien auf dem Weg von Honduras an die mexikanische Grenze und bezeichnet sie als »gefährliche Infektion« für die USA, nachdem er bereits suggeriert hatte, dass sich islamistische Attentäter unter ihnen befinden könnten. Nebenbei erklärt er, dass er sich nicht wundere, wenn George Soros dahinterstecke und teilt damit den Antisemitismus der ungarischen Regierung.

Am selben Tag erschießt der misogyne, rassistische Scott Paul Beierle in Tallahassee, Florida zwei Frauen in einem Yoga-Studio.

 

Historisch. Ein Referendum über den Präsidenten

Drei Flugstunden südlich von Washington tritt am selben Freitag in Miami Barack Obama auf. Es ist eine seiner besten Reden, sie erinnert einen der demokratischen Kampagnenmanager an den Obama vor seiner Wahl als Präsident: Obama wirft dem Präsidenten vor, Lügen und falsche Daten über Obamacare zu verbreiten. In der Tat verbreitet Donald Trump in den letzten Wochen vor der Wahl laut Zählung der Washington Post 30 Lügen pro Tag statt der bisherigen 8,3.

In Miami kritisiert Obama den zunehmenden Rassismus, den Sexismus und die Homophobie und benennt die Hetze Trumps als Motor dieser Entwicklung. Es fehle fundamental an einer Orientierung an den universalen Werten, für die Amerika stehe. Deshalb seien Republikaner, Demokraten und Unabhängige gleichermaßen aufgerufen, diesem Kurs von Trump jetzt durch die Midterm-Wahl und eine Veränderung der Mehrheit im Kongress entgegenzusteuern. Es sei eine historische Wahl: »Wählen Sie, Sie haben die Chance, die Dinge zu ändern. You need to vote. Vote!«[2]

Die Umfragen in den letzten wenigen Tagen, ja Stunden, zeigen ein leichtes Absinken der Zufriedenheitswerte Trumps Politik sowie einen leichten Anstieg der Chancen von demokratischen Kandidaten in besonders umkämpften Staaten. Die Beteiligung an den Frühwahlen vor dem 6. November ist schon jetzt um ein Vielfaches höher als bei der letzten Wahl.

All das sind die Hoffnungen am Tag vor den Midterm-Wahlen in einem zerrissenen Land, mehr nicht. Aber was sich in den letzten Wochen vor den Zwischenwahlen herauskristallisiert hat, ist die neue Entschlossenheit der Trump-Gegner. Wenn es zu einer Wende der Mehrheitsverhältnisse im Kongress kommen sollte, besteht eine Chance, die vor wenigen Wochen noch nicht absehbar war: Die Chance, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten allenfalls diese Legislatur übersteht.

Hajo Funke – bis 2010 Professor an der Freien Universität Berlin – ist ausgewiesener Experte für Rechtsextremismus. Christiane Mudra – Autorin, Regisseurin und Schauspielerin – recherchiert seit 2013 schwerpunktmäßig zum NSU, zu Rechtsextremismus und zur Rolle der Nachrichtendienste. Bei haben zusammen bei VSA: die Handreichung zum demokratischen Widerstand Das Gäriger Haufen. Die AfD: Ressentiments, Regimewechsel und völkische Radikale verfasst.

[1] Der Attentäter hasst die Immigration und hält die Juden dafür verantwortlich. Seine Haltung gleicht dem Kampfruf der extremen Rechten in Charlottesville: »Jews will not replace us« und entspricht der Kritik Trumps an Soros, den dieser für die »Invasion« verantwortlich macht. Vgl. Bari Weiss (New York Times) im Gespräch mit Bill Maher, mit dem sie ihre Reaktion auf das Massaker an ihrer jüdischen Gemeinde in Pittsburgh teilt,  in: Haaretz vom 2. November 2018
[2] In Miami fragte Obama: »Woher kommt es, dass die Leute, die die letzte Wahl gewonnen haben, weiter so wütend sind? Das ist doch eine interessante Frage. Ich meine: Als ich die Präsidentschaftswahl gewann, haben sich meine Anhänger ziemlich gut gefühlt. Es ist eine interessante Erfahrung, dass die Leute, deren Lager an der Macht ist, immer noch wütend sind. Denn sie werden dazu aufgestachelt, wütend zu sein.«

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