31. August 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Zur Debatte über die Vermögenssteuer

Von wegen »Neiddebatte« oder »Instrument des Klassenkampfs«

Die SPD strebt die Wiedereinführung der Vermögensteuer für Superreiche an. Sie soll bei einem Prozent des Vermögens liegen und dem Staat bis zu zehn Mrd. Euro pro Jahr einbringen. Auf Initiative des kommissarischen SPD-Chefs Thorsten Schäfer-Gümbel sollen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen wieder stärker in den Mittelpunkt der SPD-Programmatik gerückt werden.

Eine endgültige Entscheidung fällt auf dem Parteitag im Dezember. Schäfer-Gümbel betonte: »Wir wollen die Vermögensteuer auf die besonders reichen Teile der Gesellschaft konzentrieren.« Zu diesem Zweck seien hohe Freibeträge geplant – die genaue Höhe sei allerdings noch offen. Im Gespräch ist ein Steuersatz von einem bis 1,5% auf Grundbesitz, Immobilien, Unternehmensanteile sowie Bargeld.

Schon im Grundsatzprogramm der SPD fordert die Partei diese Wiedereinführung. Seit der Aussetzung des Vollzuges der Vermögenssteuer durch das Bundesverfassungsgericht 1997 – die Gleichbehandlung von Geld- und anderen Vermögensarten sei nicht gewährleistet – gibt es innerhalb der Sozialdemokratie eine strittige Debatte. Vertreter des linken Parteiflügels verteidigten diese Steuer als Instrument für mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die wirtschaftsorientierten Strömungen lehnten sie stets als zu aufwendig und politisch nicht durchsetzbar ab. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel erklärte die Steuer 2014 bei einer Podiumsdiskussion mit dem Ökonomen Thomas Piketty für »tot«. Er habe gelernt, dass sie »in Deutschland keine Chance« habe.

Vor der Bundestagswahl 2017 beschloss ein SPD-Parteitag, sie nicht ins Wahlprogramm aufzunehmen. Eine Arbeitsgruppe sollte die Chancen für die Steuer prüfen. Unter Leitung von Schäfer-Gümbel, der damals noch nicht Interimschef der SPD war, veranstaltete diese Kommission im April 2019 eine öffentliche Anhörung zur Vermögensteuer. Diese parteiinterne Kommission hat jetzt eine Empfehlung für den SPD-Vorstand vorgelegt.

Laut Eckpunkten, die das SPD-Präsidium beschloss, wären ein bis zwei Prozent der reichsten Vermögenseigentümer betroffen. Besteuert werden sollen nur Personen mit einem Vermögen von mehreren Millionen Euro. Genau festgelegt sind die entsprechenden Freibeträge noch nicht. In einem älteren Gesetzentwurf von SPD-regierten Ländern war davon die Rede, die Steuer ab zwei Mio. Euro zu erheben. Bei zusammen veranlagten Ehegatten und Lebenspartnern sollte es das Doppelte sein. Auch juristische Personen – insbesondere Kapitalgesellschaften – sollen der Vermögensteuer unterliegen. »Omas klein' Häuschen« solle nicht betroffen sein, unterstreicht Schäfer-Gümbel.

Vor allem für wirtschaftliche Notlagen sollen Schutzregeln greifen. Teile des Betriebsvermögens wie Maschinen oder Grund und Boden sollen nicht veräußert werden müssen. Die Steuer soll dem Staat rund 10 Mrd. Euro pro Jahr bringen. Die Länder, die das Geld bekommen würden, sollen damit dringend nötige Investitionen etwa in Bildung leisten. Der Verwaltungsaufwand werde bei 5% bis 8% liegen, also bei maximal 800 Mio. Euro pro Jahr.

Warum wird jetzt die Vermögensteuer wieder auf die Tagesordnung gesetzt? Das Argument des kommissarischen SPD-Vorsitzender: Zunächst habe die Grundsteuerreform auf den Weg gebracht werden müssen. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1997. Durch die Grundsteuerreform könne der rechtliche Vorbehalt des Bundesverfassungsgerichts gegenüber einer Besteuerung von Immobilienvermögen auf Basis überholter Werte entfallen. Mag sein, dass den Auflagen des Verfassungsgerichtes entsprochen wird. Aber eine wirksame Besteuerung des Immobilienvermögens – inklusive der enormen Wertsteigerungen – wird die neue Grundsteuer nicht bringen.

Die in einer existentiellen Krise steckende SPD will mit der Aktualisierung der Vermögenssteuer ihr Profil schärfen. »Natürlich hat das am Ende auch Auswirkungen auf unser Profil – das ist ausdrücklich erwünscht«, sagte Schäfer-Gümbel. Beim SPD-Parteitag im Dezember, auf dem über das Konzept entschieden werden soll, wolle die SPD ihr Profil als linke Volkspartei näher bestimmen. Gleichzeitig hoffe sie auf eine neue »Dynamik« in der Steuerdebatte – an deren Ende es auch im Bundesrat Umsetzungschancen geben könne.

Der sofort ausgebrochene Sturm der Entrüstung belegt die Profillogik. CSU-Chef Markus Söder, gerade zum Öko-Fan mutiert, kritisierte die Debatte als »völlig aus der Zeit« gefallen. Die Vermögensteuer werde auf keinen Fall kommen – das sei »das falsche Instrument zur falschen Zeit«. Union und Wirtschaftsvertreter positionierten sich klar gegen das Konzept des Sozialdemokraten: »Klassenkampf mittels Steuerpolitik«, Griff in die ideologische Mottenkiste etc.

Die Mehrheit der Deutschen (58%) befürwortet den Vorschlag hingegen, wie eine repräsentative Umfrage zeigt: Rund 41% der Befragten bewerten der Vorschlag dabei sogar als »sehr positiv«. Etwa jeder dritte Bundesbürger (33%) sah den Vorstoß kritisch. Darunter bewerteten ihn 23% als »sehr negativ«.

Ein Problem besteht darin, dass die SPD mit ihrem Vorschlag äußerst verhalten bleibt. Auf die von der Partei in Auftrag gegebenen Vorarbeiten wird nicht Bezug genommen. Das DIW Berlin hat in mehreren Studien die Aufkommens- und Verteilungswirkungen einer einmaligen Vermögensabgabe und einer Wiedererhebung der Vermögensteuer in Deutschland untersucht. In einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden die Analysen zur Vermögensteuer aktualisiert und weiterentwickelt.

Ein Ergebnis: Die Einkommens- und Vermögensverteilung ist in vielen kapitalistischen Ländern merklich ungleicher geworden, insbesondere im oberen Bereich. Für Deutschland lässt sich diese Entwicklung bei der Einkommensverteilung seit Mitte der 1990er Jahre beobachten. Zudem ist die Ungleichheit der Vermögensverteilung hierzulande im internationalen Vergleich besonders krass. Zugleich ist die Umverteilungswirkung der Steuersysteme in den OECD-Ländern zurückgegangen. Diese Entwicklung hat negative Rückwirkungen auf die Binnenökonomie.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spricht sich daher auch für die Einführung einer Vermögensteuer in Deutschland aus. »Grundsätzlich sehen wir bei der OECD Vorteile in einer Vermögensbesteuerung«, sagte die Deutschland-Expertin der Organisation, Nicola Brandt. Das Vermögen in Deutschland ist ungleich verteilt.[1]

Die Daten zeigten: Eine Vermögenssteuer wirke »weniger verzerrend« und habe daher weniger negative Effekte auf das Wirtschaftswachstum als zum Beispiel eine hohe Besteuerung von Arbeitseinkommen. »Sie ist auch in der Regel verteilungsgerecht, weil Vermögen insbesondere in Deutschland sehr ungleich verteilt sind.« Grundsätzlich befürworte die OECD »eine höhere Besteuerung von Grund und Boden« in Deutschland. Wichtig sei, eine aktualisierte Bewertung als Steuerbemessungsgrundlage heranzuziehen. Ebenso halte es die OECD für denkbar, »eine höhere Erbschaftssteuer, auch für Familienunternehmen« einzuführen. Die Zahlungen müssten aber gut organisiert werden, außerdem müsse genügend Zeit eingeräumt werden, um die Abgabestrukturen zu etablieren.

Dass es in der laufenden Wahlperiode in der großen Koalition nichts wird mit der Vermögensteuer, ist allen Beteiligten klar. Die konzeptionelle Schwäche der SPD besteht darin, dass keine Diskussion über die aktuellen Defizite des bundesdeutschen Kapitalismus angestoßen wird. Um die Ungleichheit der Einkommen und vor allem auch der Vermögen einzudämmen, ist die Wiedereinführung der Vermögenssteuer unverzichtbar. Auch die Modernisierung der Erbschaftssteuer ist ein wichtiger Hebel, um der weiteren Zunahme der Vermögensungleichheit entgegen zu arbeiten.

Darüber hinaus geht es aber auch darum, die Vermögenszuwächse beim Immobilieneigentum deutlich zu beschränken, etwa durch eine Grundsteuer, die die Vermögenszuwächse abschöpft, aber auch um regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt wie Mietendeckel oder Mietpreisbremse. Mit der stärkeren Beteiligung der Vermögensbesitzer an der Finanzierung des Gemeinwesens ließen sich die Vorschläge zur Lösung der neuen Wohnungsfrage nachhaltig finanzieren.[2]

Bei allen kritischen Einwänden zu empirischen Details: Die vorgelegten Daten zu Vermögen, Vermögensverteilung und Volkseinkommen markieren eine neue Qualität und setzen somit eine Zäsur in der wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Debatte. Reiche werden reicher, wer hingegen nur Einkommen aus Arbeit erzielt, fällt zurück. Verstärkt wird dieses Phänomen durch die Globalisierung, die die Lohnabhängigen in entwickelten kapitalistischen Ländern mit denen in den Schwellenländern einer die Löhne drückenden Konkurrenz aussetzt und mit der begleitenden Deregulierungspolitik, die sozialpolitischen Rahmenbedingungen der Lohnarbeit aushebelt.

Verstärkt wird diese Entwicklungstendenz durch eine Verteilungs- und Steuerpolitik in den kapitalistischen Hauptländern, die die Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in den letzten Jahrzehnten drastisch reduziert hat. Die Wahrnehmung gravierender sozialer Ungleichheit empört immer mehr Menschen. Vermögens- und Einkommensunterschiede, die nicht allein von der Leistung abhängen, sondern auch von der Herkunft, verlangen nach einem Ausgleich. Um mehr geht es bei der Vermögensteuer nicht. Es wird Zeit, dass sie kommt.

Solange allerdings die SPD diesen Aspekt verdrängt, wird sie bei der Schärfung ihres programmatisch-politischen Profils nicht vorankommen.


Anmerkungen


[1] Siehe dazu auch Roland, Schneider, IWF kritisiert Ungleichheit und die Finanzpolitik im Lande des Exportweltmeisters, Sozialismus.deAktuell vom 14.8.2019.
[2] Vgl. dazu Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Der Immo-Boom verstärkt die soziale Ungleichheit, Sozialismus.deAktuell vom 3.7.2019.

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