15. Februar 2015 Joachim Bischoff: Die Ukraine und Russland

Waffenstillstand bei wirtschaftlichem Chaos

Im ukrainischen Krieg wäre schon ein weithin respektierter Waffenstillstand ein großer Erfolg. Dieser ist jedoch nur die erste große Hürde für einen Frieden in der Region. Der Fahrplan von Minsk soll bis zu Wahlen in den abtrünnigen Regionen und einer neuen Verfassung für das Land reichen.

Am zweiten Tag des Waffenstillstands sollen beide Seiten, die ukrainische Armee und die prorussischen Separatisten, mit dem Abzug ihrer schweren Waffen beginnen und eine Pufferzone einrichten. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll den Rückzug vom ersten Tag an überwachen. An diesem Tag sollen auch Gespräche über Regionalwahlen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk beginnen.

Der fragile Prozess des Waffenstillstandes hat einen gesellschaftlichen Hintergrund, der gleichfalls nicht zu großem Optimismus veranlasst. Auf der einen Seite wird der politischen Elite Russland ein rücksichtsloser Machtwille zur Herstellung von Großmachtansprüchen unterstellt. Auf der anderen Seite gab es keinen Masterplan zur politischen Neuordnung eines gemeinsamen europäischen Hauses nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Die Entscheidung diverser Staaten nach Jahrzehnten der sowjetischen Dominanz, eigene Wege zu gehen, war mit neuen politischen Risiken und Konflikten verbunden. Während sich in Moskau eine nationalistische Ideologie durchgesetzt hat und die Chancen zum Übergang eines demokratischen Kapitalismus mit einer elaborierten Zivilgesellschaft nicht genutzt wurden, hat sich in den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein Staats- und Gesellschaftsverständnis durchgesetzt, das nicht partnerschaftlich oder auf Ausgleich ausgerichtet ist. In der Ukraine etwa ist das Weltbild der höchst komplexen politischen Klasse gegenüber Russland und dem russisch sprechenden Teil der eigenen Bevölkerung konfrontativ und militant.


Ohne Finanzhilfen wäre die Ukraine längst pleite

Die Regierenden in der Ukraine lavieren mit der Gesellschaft wirtschaftlich und finanziell am Abgrund: Das Land dürfte auch in diesem Jahr in einer tiefen Rezession verharren, die Währung hat stark an Wert verloren, die Devisenreserven sind auf ein Minimum geschrumpft, die Inflation steigt. Und mit dem Eingeständnis, dass Kiew die Gläubiger um einen Schuldenerlass ersuchen muss, ist auch formell ein Staatsbankrott eingetreten.

In der Ukraine fällig werden Fremdwährungs-Anleihen, in Mrd. $

Seit Monaten gibt es ein Pokerspiel um westliche Finanzhilfen, ohne die der ukrainische Staat vor der Zahlungsunfähigkeit steht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) veranschlagt die zusätzlich notwendigen Hilfen auf 15 Mrd. US-Dollar – über das bereits laufende Beistandsprogramm von 17 Mrd. US-Dollar hinaus. Die ukrainische Regierung appellierte an den Westen, dass man dringend frische Hilfen benötige. Die Erosion der wirtschaftlichen Strukturen ist weit fortgeschritten und ohne »westliche« Hilfe droht ein Kollaps des Alltagslebens.

Der IWF hatte der Ukraine bereits im Mai 2014 einen Kredit von 17 Mrd. US-Dollar für zwei Jahre bereitgestellt. Auch damals hatten die EU und andere Geldgeber weitere Milliarden beigesteuert. Um einen Bankrott zu verhindern, hatten die Geber schon im Frühjahr 2014 weitere Hilfskredite von 27 Mrd. US-Dollar zugesagt. Die Hilfen reichten aber nicht aus. Die ukrainische Wirtschaftsleistung schrumpfte 2014 um 7,5%, für 2015 wird ein Minus von 5,0% erwartet. Die Währung Hrywnja verlor die Hälfte ihres Wertes. Die EU hatte Anfang Januar ein neues Darlehen für die Ukraine von 1,8 Mrd. Euro angekündigt. Bisher hat die EU dem Land 1,36 Mrd. Euro überwiesen. Zugesagt hat sie 1,6 Mrd. Euro.

Der IWF hat im Februar ein 40-Mrd.-Dollar-Paket für die Ukraine angekündigt. Der Fonds selbst will 17,5 Mrd. $ (rund 15,5 Mrd. Euro) bereitstellen. Die restliche Summe soll von anderen multilateralen und bilateralen Geldgebern kommen. So haben die EU und die USA Hilfen bzw. Kreditgarantien über je rund zwei Mrd. US-Dollar versprochen. Weltbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und die Europäische Investitionsbank (EIB) werden ebenfalls Kredite gewähren. Alles in allem dürften rund 10 Mrd. $ an frischen Geldern fließen – über jene Mittel hinaus, die im April 2014 versprochen wurden.

Das Paket soll vier Jahre lang laufen und die wirtschaftliche Lage in der Ukraine sowie grundlegende institutionelle Reformen unterstützen. Teil des Pakets ist offenbar auch eine Restrukturierung der ukrainischen Schulden. Die Zustimmung des IWF-Direktoriums steht nach noch aus. Das Paket soll aber noch bis Ende des Monats zur Abstimmung gestellt werden.

Eine Schuldenrestrukturierung war Bedingung des IWF für das neue Programm. Wie viel sie einbringen wird, ist aber unklar. Eine moderate Variante wie das Aussetzen der Zinszahlungen dürfte den ukrainischen Staatshaushalt um gut drei Mrd. $ pro Jahr entlasten; ein nominaler Haircut brächte mehr an finanzieller Entlastung.

Schwierig dürften sich die Verhandlungen mit dem russischen Staat gestalten, der der Ukraine noch vor den Maidan-Protesten eine Anleihe über drei Mrd. $ gewährt hatte. Moskau kündigte jüngst an, man bestehe auf der vollen Rückzahlung. Auch die Schulden aus den russischen Energielieferungen sind noch nicht vollständig abgetragen.

Russland hat also nicht nur einen Handlungszwang wegen der Diskriminierung der russisch sprechenden Bevölkerungsteile und durch die politisch-militärische Rebellion in den Ostprovinzen. Durch die Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise, die Abschwächung der weltwirtschaftlichen Akkumulationsdynamik und die wirtschaftlichen Folgen der militärischen Auseinandersetzungen inklusive der westlichen Wirtschaftssanktionen befindet sich Russland selbst in einer Abwärtsspirale.


Wirtschaftliche Talfahrt in Russland

Russlands wirtschaftliche Situation hat sich deutlich verschlechtert. 2013 belief sich die Auslandverschuldung des öffentlichen Sektors auf lediglich 3,8% des BIP, und die Auslandverschuldung der Privatwirtschaft lag bei vertretbaren 30,2%. Im vergangenen Frühjahr beliefen sich die Devisenreserven des Landes auf ansehnliche 472 Mrd. $, gestützt durch einen erheblichen Leistungsbilanzüberschuss. Die gesamten ausländischen Vermögenswerte des Landes betrugen laut russischer Zentralbank insgesamt 1,4 Bio. $ und übersteigen seine Verbindlichkeiten in Höhe von 1,2 Bio. $. Diese Situation hat sich gründlich verändert.

Durch den Verfall der Öl- und Rohstoffpreise ist Russland 2014 in eine Wirtschafts- und Finanzkrise hineingerutscht. Gebündelt hat sich dies in einer Währungskrise, die der Volkswirtschaft des drittgrößten Schwellenlandes großen Schaden zufügen wird. Notenbankchefin Elwira Nabiullina konstatierte, Russland müsse lernen, in einer neuen Ära zu leben und sich stärker auf eigene Finanzquellen zu besinnen.

Die internationalen Reserven des Landes beliefen sich Ende November auf 419 Mrd. $, davon 374 Mrd. $ direkt in Fremdwährung. Im Jahresverlauf hat die Notenbank für rund 80 Mrd. $ Rubel gekauft, um die Währung zu stützen. Die russische Alfa Bank erwartet, dass bei dem nun herrschenden neuen Zinsniveau die bereits schwächelnde russische Wirtschaft 2015 deutlich in die Rezession rutschen wird.

Die Regierung schätzt für dieses Jahr den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts auf ca. 3,0%. Gründe dafür sind unter anderem der niedrige Ölpreis und die westlichen Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew sagte, die Regierung gehe von einer Inflationsrate von 12% aus. Die Kapitalflucht, die 2014 einen neuen Rekord von 150 Mrd. $ (132 Mrd. Euro) erreichte, werde im laufenden Jahr bei 115 Mrd. $ liegen. Die Berechnungen basieren auf einem Ölpreis von 50 US-Dollar pro Barrel über den Jahresverlauf.

Bisher ging die Regierung in Moskau für 2015 von einem Rückgang des BIP um 0,8% aus, nachdem die Wirtschaft im vergangenen Jahr noch leicht um 0,6% gewachsen war. Uljukajew betonte, seine Prognose sei weniger pessimistisch als die vieler Ökonomen. Selbst die Zentralbank hatte Mitte Dezember gewarnt, die Wirtschaft könnte um bis zu 4,8% einbrechen. Die bereits zu konstatierenden dramatischen Veränderungen haben in der russischen Bevölkerung erhebliche Veränderungen im Alltagsbewusstein ausgelöst.

Insofern kann es wenig überraschen, dass die Ablehnung gegen den Westen nach mehreren Monaten Ukraine-Krise so tief wie lange nicht ist. Nach einer kürzlich veröffentlichten Erhebung des Lewada-Zentrums in Moskau haben 81% der Befragten eine negative Haltung gegenüber den USA, ein enormer Anstieg verglichen mit 44% im Januar 2014.

Der Anteil derjenigen, die die US-russischen Beziehungen als feindselig einordnen, hat sich im selben Zeitraum fast verzehnfacht – von 4% auf 42%. Auch die traditionell in Umfragen eher positiv bewerteten Beziehungen Russlands zur EU werden in der neuen Erhebung von 71% der Befragten negativ beurteilt. 24% schätzen die beiderseitigen Beziehungen als feindselig ein, im Vorjahr hatte dies nur 1% so gesehen. Über die Entwicklung der Beziehungen gingen die Meinungen auseinander: 40% votierten in der Erhebung für eine Stärkung der Beziehungen zum Westen, 36% befürworteten deutliche Distanz Moskaus zu Brüssel und Washington.

Eine so aggressive und starke Ablehnung des Westens habe es seit Beginn der Umfragen nicht gegeben, sagte der Direktor des Lewada-Zentrums, Lew Gudkow, der Nachrichtenagentur AFP. Er machte dafür auch die aggressive Propaganda im staatlichen Fernsehen verantwortlich. Von dessen Berichterstattung hänge ab, wie sich die Haltung der BürgerInnen weiter entwickle. Falls der Konflikt nicht weiter eskaliere und Russland nicht gegen Nachbarstaaten in den Krieg ziehe, werde sich die Welle der antiwestlichen Ressentiments wieder legen, gab sich Gudkow überzeugt. Auf Kritik stößt bei vielen Russen unter anderem, dass sich ein so weit entferntes Land wie die USA in die Ukraine-Krise einmischt.

Auch in den westlichen Ländern hat der Konflikt in der Ukraine deutliche Spuren hinterlassen. Exemplarisch sind die Veränderung in Deutschland: 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges droht eine neue Eiszeit. Nach dem Anschluss der Krim an Russland wird das Land anders wahrgenommen als zuvor. Es gilt plötzlich wieder als eine Macht, von der Gefahr ausgeht – eine Einschätzung, die vor der Eskalation der Krim-Krise nur von einer Minderheit der deutschen Bevölkerung geteilt wurde. Jetzt assoziieren wieder 55% Russland mit Gefahren, nur 10% sehen es als verlässlichen Partner an.

Dabei ist das Russlandbild der deutschen Bevölkerung keineswegs einseitig negativ. Die überwältigende Mehrheit würdigt die politische Bedeutung des Landes und assoziiert Russland mit einem ausgeprägten Nationalstolz, einer großen kulturellen Tradition, Reichtum an Bodenschätzen, herausragenden sportlichen Leistungen und beeindruckenden Landschaften. 65% schreiben Russland eine große kulturelle Tradition zu, knapp jeder Zweite auch eine Kultur der Gastfreundschaft. Gleichzeitig hält jedoch nur eine kleine Minderheit das Land für weltoffen.


Die ökonomischen Folgen des Krieges

Der Zerfall des Rubels hatte Anfang 2014 aufgrund der strukturell bedingten russischen Wirtschaftsschwäche und der Ukraine-Krise begonnen und sich nach Beginn der Sanktionen des Westens und der russischen Gegenmaßnahmen beschleunigt. Seit Sommer nahm der Abstieg mit der Korrektur des Erdölpreises nochmals an Tempo zu. Zwei Drittel der russischen Exporte bestehen aus Erdöl und Erdgas, wobei sich der Gaspreis am Erdölpreis orientiert. Die Hälfte des Staatshaushalts wird mit Steuern auf Förderung und Export dieser Produkte bestritten.

Bei einem auf dem gegenwärtigen Niveau konstanten Erdölpreis wird das Bruttoinlandprodukt 2015 zwischen 3% und 5% schrumpfen. Ironischerweise muss das Staatsbudget nicht leiden, denn der fallende Rubel gleicht einen fallenden Erdölpreis aus. Von Januar bis Ende November resultiert ein Haushaltsüberschuss von 1.300 Mrd. Rubel (rund 38 Mrd. $). Auch die in Fremdwährung anfallenden Einnahmen der großen Rohstoffkonzerne werden stabilisiert.

Umso schwerer wiegen dagegen die umfangreichen Auslandsschulden russischer Firmen, die sich per November auf rund 650 Mrd. $ beliefen. Die Bedienung der Zinsen und die Rückzahlung dieser Verbindlichkeiten werden immer teurer – genau wie importierte Vorprodukte, auf die die russische Industrie angewiesen ist. Gleichzeitig halten sich russische Banken mit Krediten zurück, da sie zur eigenen Refinanzierung das Geld immer stärker beisammen halten müssen.

Nicht zuletzt drückt der Rubelzerfall auf den Konsum, da viele Produkte im Einzelhandel teurer werden. Die Inflation hat bereits über 9% erreicht. Gerüchte über eine Auszeichnung der Produkte in Fremdwährung machen die Runde. Rubel-Ersparnisse werden gegen langlebige Konsumgüter getauscht oder in Fremdwährung konvertiert. Eine Panik unter der Bevölkerung ist allerdings nicht zu beobachten.

Für die Ukraine war und ist Russland ein wichtiger Handelspartner. Die Abhängigkeit des großen Rohstoffexporteurs mit über 140 Mio. Einwohnern von dem exsowjetischen »Bruderland« (45 Mio. Einwohner inklusive der Krim) dagegen hält sich in Grenzen . Laut dem russischen Wirtschaftsministerium sind die Exporte in die Ukraine vergangenes Jahr im Wert um 26% auf 17,5 Mrd. $ gesunken, die Einfuhren von dort gingen um 33% auf 10,7 Mrd. $ zurück. Beide Länder haben sich zudem mit gegenseitigen Importverboten überzogen. Die Verluste sind aber überschaubar im Vergleich mit dem gesamten russischen Außenhandel, der sich 2014 auf geschätzt 794 Mrd. $ belief (-5,7% zum Vorjahr).

Auch qualitativ ist der Rückgang für die Ukraine, die in einer weitaus tieferen Wirtschaftskrise steckt als das Nachbarland, schmerzhafter: Während sie aus Russland meist Rohstoffe einführte, verkaufte sie dorthin viele Produkte mit höherer Wertschöpfung; mehr als ein Drittel der Ausfuhren stammte aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau. In Westeuropa waren die Erzeugnisse nur partiell konkurrenzfähig, in Russland schon. Doch dort hat der Kreml seiner Wirtschaft eine Importsubstitution verordnet, viele staatliche Stellen müssen technische Erzeugnisse bevorzugt im Inland kaufen, allenfalls in China.

Die über Jahrzehnte gewachsenen grenzüberschreitenden Verflechtungen von Unternehmen und Banken stehen unter großem Druck. Laut ukrainischen Berichten hat Kiew Sanktionen gegen 160 russische Firmen verhängt. Russische Kreditinstitute, die vor der Krise nach einer Studie der Raiffeisen Bank Österreich einen Marktanteil von rund 12% im Nachbarland besaßen, haben hohe Rückstellungen gebildet. Besonders der Gewinn von Russlands zweitgrößter Bank VTB leidet. Präsident Putin bezifferte das Engagement russischer Banken in der Ukraine Ende 2013 auf 28 Mrd. $, was den meisten Experten überzogen erscheint.

Nicht vergessen werden dürfen die direkten Kosten des militärischen Einsatzes in der Ostukraine. Viele westliche Beobachter sind überzeugt von der Präsenz russischer Truppen und Militärausrüstung in den abtrünnigen Gebieten. Wie kostspielig dies für den Kreml im Endeffekt ist, wird sich nicht genau beziffern lassen. Da von dort vehement dementiert wird, in irgendwelche Kampfhandlungen verwickelt zu sein, wird kaum je ein entsprechend benannter Haushaltsposten auftauchen.

Kriegskosten sind in diesem Konflikt für Moskau sowieso nicht der entscheidende Punkt: Das russische Budget muss zwar aufgrund der heraufziehenden Wirtschaftskrise und des gefallenen Erdölpreises neu justiert werden. Doch an den Militärausgaben wird nicht gerüttelt werden. Sie sollen wie geplant um 30% auf 3.300 Mrd. Rbl. (49 Mrd. US-Dollar) steigen, den höchsten Wert seit dem Ende der Sowjetzeit.

Die Erhöhung ist Teil eines 2011 begonnenen Aufrüstungsprogramms. Davon abgesehen wird Geld für Krisenhilfen bereitgestellt, etwa zur Stützung von Banken. Andere Ausgaben werden gekürzt, und Analytiker halten es für möglich, dass die Summe der Aufwendungen etwa gleich bleibt. Ursprünglich wollte die Zentralregierung 2015 insgesamt 15.500 Mrd. Rubel (231 Mrd. $) ausgeben, knapp 12% mehr als im Vorjahr.

Auch die annektierte Krim verursacht dem Kreml Kosten. Da eine Rückgabe an die Ukraine in der internationalen Diplomatie derzeit keine Rolle spielt, wird das wohl so bleiben. Ihre Unterstützung soll auch nicht gekürzt werden. Im Oktober hieß es, die russische Zentralregierung plane hierfür 2015 rund 1,9 Mrd. $ ein. Vergangenes Jahr hob sie Löhne und Pensionen bereits deutlich an, aber weitere Ausgaben stehen an, denn weite Teile der Infrastruktur sind marode.

Probleme bereitet besonders die Energieversorgung. Die Inflation erreichte 2014 offiziell 43%; im Vorjahr waren die Preise noch stabil geblieben. Nach einer Reihe von Verstaatlichungen, auch von Banken und Supermärkten, kontrollieren die Behörden der mit Sanktionen belegten und isolierten Halbinsel inzwischen große Teile des Wirtschaftslebens.

Die Ökonomen erwarten für Russland insgesamt im Durchschnitt für 2015 eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um 4%. Morgan Stanley hat in der neusten Russlandanalyse die Wachstumsprognose für 2015 von -1,7% auf -5,6% korrigiert. Anders als 2009 sei auch nicht mit einer schnellen Erholung vom Tiefpunkt zu rechnen. Die Konsumentenpreisinflation hat im Dezember mit 11,4% das höchste Niveau seit über fünf Jahren erreicht. Laut Vize-Wirtschaftsminister Alexey Vedew könnte sie im April auf bis zu 17% steigen.


Welche Perspektiven hätte die Ukraine?

Was nun die Perspektiven für die Ukraine betrifft, hat sich die dortige Regierung verpflichtet, mit dem neuen Hilfspaket Reformen voranzutreiben. Dazu gehört nach Angaben von IWF-Chefin Christine Lagarde eine grundlegende Restrukturierung des Bankensektors, der Kampf gegen Korruption und Geldwäsche sowie die Verringerung der staatlichen Einflussnahme auf Staatsbetriebe. Auch sollen die Verwaltung der Gaspipelines sowie die Lieferung von Gas selbst innerhalb des Konzerns Naftogas strikt getrennt werden.

Ein wichtiges Zugeständnis sei auch, dass die Regierung einem weiteren Anstieg der stark regulierten Energiepreise zugestimmt habe, sagte Lagarde. Schon im vergangenen Jahr hatte die Ukraine die Preise stark angehoben. Für Gas für Privatleute liegt das Preisniveau inzwischen bei 56% der Einfuhrpreise und für Heizöl bei 40%. Um zu vermeiden, dass darunter vor allem die Ärmsten weiter leiden, soll das Sozialsystem entsprechend ausgebaut werden. Hoffnung mache weiterhin, dass die Ukraine ihre Haushaltsziele übertroffen habe, sagte Lagarde. So habe das Defizit 2014 bei 4,6% der Wirtschaftsleistung gelegen, statt der angestrebten 5,8%. Geradezu ein Tabubruch sei die Einführung eines flexiblen Wechselkurses für die ukrainische Währung gewesen.

Auch die politische Klasse der Ukraine müsste ein Interesse haben, dass der mit dem Waffenstillstand eröffnet Prozess vorankommt. Eine längere Phase der militärischen Auseinandersetzungen führte dazu, dass die letztlich bescheidenen Hilfspakete durch die Rüstungs- und Kriegsausgaben draufgingen. Allerdings konnte man in den letzten Wochen auch erkennen, dass die politische Mehrheit um den Präsidenten und Ministerpräsidenten durch nationalistische Parteien nachhaltig unter Druck kommt.

Eine Ausweitung der Hilfsoperationen durch Waffenlieferungen würde das Land weiter ruinieren. Die USA haben Russland vor ökonomischen Nachteilen gewarnt, sollte das Land im Ukraine-Konflikt nicht nachgeben. Aber trotz diplomatischer Rückschritte im letzten Jahr sprechen sich sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch US-Präsident Obama gegen eine militärische Lösung der Ukraine-Krise aus.

Die westliche Führung ist davon überzeugt, dass ein ukrainischer Waffengang gegen Russland wenig Aussicht auf Erfolg habe. Die Chance auf eine militärische Lösung des Problems war von Anfang gering. Die Alternative kann nur lauten, dass die westlichen Staaten die Ukraine dazu motivieren, auch auf weitere militärische Einsätze zu verzichten. Denn schon jetzt ist die Ukraine finanziell und wirtschaftlich ein Fass ohne Boden.

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