28. März 2019 Stephanie Odenwald: Zum 90. Geburtstag einer bedeutenden Autorin

Was hat uns Christa Wolf heute zu sagen?

Fotowand in der U-Bahnstation Bockenheimer Warte in Frankfurt a.M., wahrscheinlich anlässlich der Poetik-Vorlesungen 1982

An Christa Wolf wird anlässlich ihres 90. Geburtstages am 18. März mit einer Ausstellung im Literaturhaus Berlin erinnert. Eine erfreuliche Ehrung, denn sie kann als eine der großen deutschsprachigen Autorinnen des letzten und dieses Jahrhunderts gelten.

Und nicht zuletzt kann sie als Wegweiserin für eine andere Gesellschaft betrachtet werden, gerade weil sie die sozialistische Gesellschaft, in der sie lebte, kritisierte und gleichzeitig davon überzeugt war, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Sie als DDR-Schriftstellerin zu schubladisieren, die uns heute nichts mehr zu sagen hat, würde ihr nicht gerecht.

Um eine friedfertige Gesellschaft, jenseits der Ausbeutung von Menschen und Zerstörung der Natur, zu erreichen, hielt sie auch die Überwindung patriarchalischer Strukturen für wesentlich. Das verdient heute gehört und beachtet zu werden.

Die Ausstellung präsentiert ihr Werk als ein wechselvolles Leben und charakterisiert dessen einzelne Abschnitte immer nach dem spezifischen Bezug des schreibenden Subjekts zum Geschriebenen. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus: »mit niemandem identifizierbar«. Dann nach dem Ende des Faschismus Hoffnung auf ein anderes Deutschland, während im Westen die kapitalistische Restauration einsetzte: »Subjekt hinter dem Geschriebenen«.

Später tiefe Enttäuschung über den Sozialismus in der DDR: »Vergangenes ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen«. Der letzte Lebensabschnitt 2003-2011 ist mit der Frage überschrieben: »Wohin mit mir?«

Aufschlussreich ist auch das Buch ihrer Enkelin Jana Simon aus dem Jahr 2013: »Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf«. Christa Wolf gelang es einerseits, nicht zu verzagen, ihren Lebensmut zu bewahren, auch wenn sie Mitte der 1960er Jahre den Rückwärtsgang in der DDR psychisch sehr schwer verkraftet hat. Andererseits kommt ein eher resignatives Lebensgefühl zum Ausdruck, so in »Kein Ort nirgends« (1979), in dem Roman über die Schriftstellerin Günderode, wie auch in anderen späten Werken.

Sie verließ die DDR nicht, weil sie nicht wusste, wohin, äußerte sie gegenüber ihrer Enkelin. Das Engagement vieler Sozialisten am Ende der DDR – mit denen Christa Wolf die Hoffnung teilte, das unterdrückerische politische DDR-System durch einen wirklich demokratischen Sozialismus abzulösen « erwies sich als vergeblich.

Christa Wolf machte sich dann äußerst angreifbar, nicht nur durch ihre öffentlich gewordene kurzzeitige Verbindung mit der Stasi als junge Frau, sondern weil sie sich nicht auf den Begriff »Diktatur« für die DDR festlegen ließ. Sie beharrte darauf, die DDR differenziert zu sehen, das Negative und das Positive in Abgrenzung zu dem herrschenden Delegitimierungsdiskurs. Auch das verdient heute gehört und gelesen zu werden, siehe ihre kritische Auseinandersetzung mit der DDR vor allem in ihrem letzten ausgesprochen biografischen Buch »Stadt der Engel«.

Hervorgehoben sei ihre literarische Auseinandersetzung mit patriarchalischen Strukturen, die den Verlauf der Geschichte nachhaltig geprägt haben, bis hinein in die heutige Zeit, in der, provokativ formuliert, dass das Patriarchat ums Überleben kämpft. Im rechten nationalistischen Weltbild geht es unter anderem darum, dass Männer wieder richtige Männer sein können und Frauen richtige Frauen.

In Christa Wolfs Werken finden wir Orientierung für eine Gesellschaft jenseits der Ausbeutung von Mensch und Natur, in der das Recht auf Individualität statt Normierung gilt. Individualität in vielerlei Hinsicht: weg von starren Geschlechterrollen, selbstbestimmte sexuelle Orientierung, vielfältige Art und Weise des Zusammenlebens. Mit ihren Texten, die sich auf weit zurückliegende mythische Frauengestalten beziehen – »Kassandra« (1983) und »Medea« (1996) – zielte Christa Wolf auf eine andere Kultur des Zusammenlebens jenseits patriarchaler Machtausübung.

Das war natürlich auch eine Kritik an der DDR. In der »Stadt der Engel « heißt es: »Also das wissen wir jetzt: Dieser Staat ist wie jeder Staat ein Herrschaftsinstrument.« Obwohl in der DDR weibliche Berufstätigkeit von Anfang an selbstverständlich und weniger geschlechtsspezifisch geprägt war als im Westen, standen die Frauen in der Leitung des Staates und der herrschenden Partei eher im Hintergrund. Und die familiäre Aufgabenverteilung blieb ziemlich unangetastet.

In der sehr fragwürdigen Ideologie der sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung waren alte Konventionen, wie geschlechtsspezifische Lebensmuster, keineswegs überwunden. Im wiedervereinigten Deutschland war Christa Wolf mit einer sich verstärkenden Rechtsentwicklung und damit der Tendenz zurück zu traditionellen Werten und Strukturen konfrontiert und erhob ihre Stimme dagegen.

Trotz alledem. Nicht verzagen! Sich nicht entmutigen lassen! Dabei hilft, Christa Wolf zu lesen und auch wieder neu zu lesen. Ihr Werk weitet immer wieder den Blick im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft. Im Kontrast zum Feuilleton, nach dem mit ihrem Tod 2011 eine ganze Epoche zu Ende ging, lässt sich mit Christa Wolf aus der Vergangenheit lernen, Geschichte als Prozess begreifen, zurückschauend auf Niederlagen, Schlachtfelder und Trümmer, wie Walter Benjamin es in seinem »Engel der Geschichte« beschreibt.

Mit Christa Wolfs »Stadt der Engel ...« aus ihrem Alterswerk erschließt sich ein epochaler Möglichkeitsraum, in dem sich die Lebensentwürfe der Individuen ganz anders mit den gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten verbinden können, indem »die Entwicklung der Fähigkeiten der Gattung Mensch, obgleich sie sich zunächst auf Kosten der Mehrzahl der Menschenindividuen und ganzer Menschenklassen macht, schließlich diesen Antagonismus durchbricht und zusammenfällt mit der Entwicklung des einzelnen Individuums.« (Marx) Dann ist der Himmel über den Liebenden auch nicht mehr geteilt, wie Christa Wolf in ihrem Frühwerk »Der geteilte Himmel« geschrieben hat.

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