15. Januar 2019 Stephanie Odenwald: Gedanken anlässlich der Berliner Demonstration

Was hat uns Rosa Luxemburg heute zu sagen?

Ariel Esperante/flickr.com (CC BY 2.0)

Die Demonstration in Berlin am vergangenen Sonntag diente wie jedes Jahr der Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Erinnerung an deren Ermordung während der Novemberrevolution vor hundert Jahren. Besonders Rosa Luxemburg hat eine ungebrochene Faszination für viele Menschen. Warum?

Am 15. Januar 1919 wurde sie abends verhaftet und ermordet. Bis heute eine nie vergessene Schuld, hinter der zum einen rechte Sozialdemokraten und zum anderen die Meute hasserfüllter reaktionärer Feinde stand, die monarchistischen Anhänger und ihre Parteien, die ganz unverhüllt und brutal per Plakat zum Mord der beiden Spartakisten aufgerufen hatten. Ein blutdürstiger, die Revolution hassender Mob sollte auf die beiden gehetzt werden und wurde zunächst beschuldigt, Rosa gelyncht zu haben. TatsächIich wurde der Mord durch politische Instanzen in die Wege geleitet. Zu den ausführenden und verantwortlichen Personen: Der Freikorps-Offizier Pabst hatte von dem Stadtkommandant der Berliner Polizei Noske die Genehmigung. Ebert als nächster sozialdemokratischer Reichspräsident deckte dieses Verbrechen, was längst hinreichend bewiesen ist und inzwischen auch von Führungspersonen der SPD anerkannt wird.

Eine Folge dieses Verbrechens war: Die bereits vorhandene verhängnisvolle Spaltung zwischen den Mehrheitssozialdemokraten der SPD, der USPD und Spartakus, also ehemalige Sozialdemokraten und zukünftige KPD-Gründerinnen und Gründer, wurde vertieft. Rosa Luxemburg hatte vor der Spaltung gewarnt, sich aber nicht durchsetzen können. Heute wissen wir, dass ihre Bedenken sehr hellsichtig waren. Die Weimarer Republik scheiterte unter anderem auch deswegen, weil die linken demokratischen Kräfte zerstritten waren, sich gegenseitig bekämpften und dann nach 1933 brutaler Gewalt ausgeliefert waren. Nun saßen sie gemeinsam in den KZs und wurden ermordet: Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen, Gewerkschafter*innen, kritische Journalist*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen, alle, die sich nicht kritiklos dem Hitlerregime fügten.

Wenn Rosa Luxemburg sich heute mit all diesen Erfahrungen zu Wort melden könnte, würde sie wieder vor Spaltung warnen. Sie würde dafür plädieren, dass sich fortschrittliche Kräfte zusammenfinden, um die Reaktion zu stoppen, um einen Kapitalismus zu überwinden, der Menschen und Natur ausbeutet. Ihr Anliegen wäre, aus der historischen Lektion zu lernen, wie furchtbar die Quittung sein kann, wenn keine Überzeugung und Tatkraft für die Bildung einer Gegenmacht gegenüber der Reaktion, gebildet von skrupellosen ultra-rechtsgerichteten Politikern, vorhanden ist. Unter Gegenmacht hat sie sicher mehr verstanden als spontane radikale Bewegung, sonst wäre sie keine Warnerin vor der Spaltung gewesen. Gegenmacht in ihrem Sinne beinhaltet effektive Organisation, überzeugende Konzepte der Umgestaltung, Beteiligung von unten, Respekt vor demokratischen Entscheidungsstrukturen, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Frau und Mann, umfassende Achtung gegenüber Mensch und Natur. Sie wehrte sich gegen politische Rigorosität, persönliche Bedürfnisse politischem Engagement unterzuordnen oder gar auf Eis zu legen und steht für die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach Freundschaft, Liebe und Muttersein, nach liebevollem Umgang mit der Natur, Pflanzen und Tieren. Davon zeugen ihre Briefe.

Rosa Luxemburg war bekannt für ihre unbeugsame Haltung und mitreißende Reden. Keine Zustimmung zum Krieg, keine Kriegskredite, kein Jubelpatriotismus. Keine faulen Kompromisse. Sie war gleichzeitig eine Gegnerin der strikten formalen Parteidisziplin und äußerte sich in ihrer Analyse der bolschewistischen Revolution skeptisch darüber, von oben herab, ohne die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung mit Gewalt eine Revolution durchzusetzen. Ihre Unbeugsamkeit galt den Zielen Frieden, Demokratie und Sozialismus, und sie kämpfte ihr Leben lang für die Gleichberechtigung der Frauen, wofür sie selbst das beste Beispiel war. Diese Unbeugsamkeit ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Bereitschaft, in der politischen Praxis andere Meinungen gelten zu lassen und zugunsten des gemeinsamen Handelns kompromissbereit zu sein. Nur so geht gemeinsames Handeln und nur so geht der Aufbau von Gegenmacht. In diesem Sinne lässt sich aus der Vergangenheit lernen.

Stephanie Odenwald war im GEW Hauptvorstand zuständig für Berufliche Bildung und Weiterbildung, lebt in Berlin.

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