29. Juli 2022 John McDonnell: Widerstand gegen das Solidaritätsverbot mit Streikenden

Was ist mit der Labour Party geschehen?

Sam Tarry (links) bei Streikposten seiner Gewerkschaft TSSA

Der Labour-Vorsitzende Keir Starmer hat den stellvertretenden verkehrspolitischen Sprecher, Sam Tarry, aus der Fraktionsspitze ausgeschlossen. Er hatte entgegen Starmers Anweisung seinen streikenden Kolleg*innen der Bahngewerkschaften seine Solidarität bekundet, indem er während eines weiteren, eintägigen Warnstreiks Streikposten besuchte.

Die Krise der Lebenshaltungskosten trifft Millionen Menschen. Dafür, dass Starmer in dieser Situation sich weigert, streikende Lohnabhängige zu unterstützen, wird er bei den nächsten Wahlen einen Preis zahlen. Was ist mit der Labour Party geschehen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, sich für die Interessen der Arbeiterbewegung einzusetzen?

Es war 1977. Ich war Mitte 20 und war gerade aus Nordengland in den Westen Londons gezogen. Eine Gruppe Frauen asiatischer Herkunft, die in einer Filmentwicklungsfabrik in Brent arbeiteten, hatte einen Streik für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen begonnen. Gewerkschaftliche Betriebsgruppen und lokale Gewerkschaftsorganisationen aus ganz London und sowie Kreisverbände der Labour Party, darunter auch der meines Stadtbezirks Hayes, schickten Delegationen, um sich den Frauen in ihren Saris bei den Streikposten anzuschließen. Zwei Jahre lang hinweg zog sich dieser historische Grunwick-Streik, der von der unvergessenen, heldenhaften Jayaben Desai angeführt wurde.

Ich ging regelmäßig mit der Delegation meines Labour-Kreisverbandes dorthin zur Unterstützung. Es war eine harte und zeitweise gewalttätige Auseinandersetzung, zumal als die Polizei einen Bus voller Streikbrecher eskortierte, die vom Unternehmen eingesetzt wurden, um den Streik zu brechen und den Frauen eine Lektion zu erteilen.

Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung kam zusammen, um gemeinsam gegen die Ausbeutung dieser Frauen vorzugehen. Einige der prominentesten Mitglieder der Bewegung schlossen sich den Streikposten an, um ihre Solidarität zu bekunden, und unter denen, die sich den Streikposten der Frauen anschlossen, waren auch Mitglieder der Führungsspitze der Labour Party. Dabei handelte es sich nicht um oppositionelle Schattenminister, sondern um Kabinettsmitglieder, die zu dieser Zeit tatsächlich in der Regierung saßen, darunter auch die weithin bekannte Shirley Williams.

Dass sich Labour-Abgeordnete an Streikpostenketten beteiligten, war keine Ausnahme, sondern wurde von ihnen erwartet. Die Gewerkschaftsbewegung hatte die Labour Party gegründet, um die Stimme der Arbeiterschaft im Parlament zu vertreten. Um damals Mitglied der Labour Party zu werden, musste man nachweisen, dass man Gewerkschaftsmitglied war, und Gewerkschaftsmitglieder unterstützen sich gegenseitig. Es gab keine Befreiung von der grundlegenden Pflicht zur Solidarität, nur weil man von Parteimitgliedern und Gewerkschaftern zum Abgeordneten gewählt wurde und der Bewegung als Minister*in oder Schattenminister*in dienen sollte.

Wie kommt es also, dass ein Labour-Vorsitzender die Mitglieder seines Schattenkabinetts anweist, sich nicht an Streikpostenketten zu beteiligen, und dann einen Schattenminister, Sam Tarry, entlässt, weil er sich darüber hinweggesetzt hat?

Die Forde-Kommission, die kürzlich ihren Bericht über die Arbeitsweise der Labour Party veröffentlicht hat, hat sich über zwei Jahre lang Zeit gelassen, um das zu untersuchen, was sie als Parteikultur beschreibt. Der Bericht zeigt, wie weit sich die Partei von ihrem ursprünglichen Ethos entfernt hat. Die Labour-Bewegung hat überlebt und ist zeitweise stärker geworden, weil sie akzeptierte, dass sie als Organisation ein breites Spektrum politischer Ansichten umfasst, weil sie gegenseitigen Respekt für diese abweichenden Ansichten aufrechterhielt und weil sie vor allem in ihrem Inneren die Solidarität hochhielt.

Aber die Clique von Beratern, die Keir Starmer umgibt, und die die Partei zu kontrollieren scheint, scheint trunken von ihrer eigenen Macht zu sein und hat jegliches Verständnis für die Traditionen der Partei des gegenseitigen Respekts und der Solidarität verloren.

Es ist nicht schwer, sich die Denkweise derjenigen vorzustellen, die Starmer in Bezug auf die Streiks beraten: Schönfärberei wegen der Zahlen, es wird nur auf die Umfragewerte geschaut. Doch die Fokusgruppen der Meinungsforschungsinstitute mögen keine Streiks. Sie werden den Gewerkschaften und allen, die sie unterstützen, immer die Schuld für die verursachten Störungen geben, angestachelt durch eine wachsende Flut von Beschimpfungen in den rechten Medien. Der Rat an den Parteivorsitzenden wird also lauten, jede Verbindung mit den Gewerkschaften um jeden Preis zu meiden.

Dann werden so krasse Entscheidungen getroffen, wie unsere Gewerkschaften bei ihren Arbeitskonflikten nicht zu unterstützen, ganz gleich, wie gerecht ihr Anliegen ist, und dann werden Leute auf der Fraktionsführung angewiesen, sich nicht an Streikpostenketten zu beteiligen, ganz gleich, ob sie Mitglied einer der streikenden Gewerkschaften sind oder ob sie zu ihnen in einer anderen kooperativen Verbindung stehen. Derartige Entscheidungen beruhen auf einer völligen Fehleinschätzung nicht nur der Stimmung innerhalb der Labour- und Gewerkschaftsbewegung, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.

Die Wut über Starmers Vorgehen ist in den Gewerkschaften deutlich spürbar. Das mag dem Team des Parteivorsitzenden egal sein, solange sich die Tories gegenseitig die Hölle heiß machen, aber wenn die Zeiten für Labour wieder härter und die Gewerkschafts-Fußtruppen gebraucht werden, um den Parteivorsitzenden zu retten, dann werden sie wohl nicht vergessen haben, wer in diesem Sommer den Streikpostenketten beistand und wer nicht.

Was die breite Öffentlichkeit betrifft, so liegt der Grund für die beispiellose Sympathie für diese Streiks nicht nur in der beeindruckenden Eloquenz des RMT-Generalsekretärs Mick Lynch, der Klartext redet. Es liegt daran, dass Millionen von Menschen von der gleichen Krise der Lebenshaltungskosten betroffen sind, die zum wichtigsten Mobilisierungsfaktor für die massive Welle von Arbeitskämpfen geworden ist, die sich derzeit aufbaut.

Das Risiko besteht darin, dass die Millionen Betroffenen, wenn sie das nächste Mal zur Wahl gehen, dem Labour-Vorsitzenden die Frage stellen werden: Wo warst du, als wir dich gebraucht haben? Unabhängig von den Diktaten des Labour-Vorsitzenden lastet auf den Schultern der Labour-Mitglieder, gleich auf welcher Ebene sie in der Partei wirken, eine noch größere Verantwortung. Sie müssen in diesem Sommer der Solidarität in der Labour- und Gewerkschaftsbewegung füreinander einstehen.

John McDonnell ist seit 1997 Labour-Abgeordneter für den Wahlkreis Hayes und Harlington. Von 2015 bis 2020 war er wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher (»Schattenkanzler«) der Labour-Fraktion. Seine hier in einer leicht bearbeiteten Übersetzung dokumentierte Intervention erschien zuerst im Guardian vom 28.7.2022 unter dem Titel What has happened to the Labour party that it can’t stand up for labour?

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