8. Februar 2023 Otto König/Richard Detje: Kampfpanzer, -flugzeuge – und dann?

»We are fighting a war against Russia«

Während die grüne Chefdiplomatin der Bundesrepublik, Annalena Baerbock, die westeuropäische »Panzerallianz« im Krieg mit Russland sieht, so ihre Aussage[1] vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg, appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag an die Bürger*innen: »Vertrauen sie mir!«

Doch Vertrauen worin? Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regel, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, ist längst Makulatur. Noch im April vergangenen Jahres antwortete der Kanzler auf die Frage des SPIEGEL nach der Lieferung »schwerer Waffen«, man müsse alles tun, um »eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt«.

 

Zuerst wurden Haubitzen, dann Marder-Schützenpanzer und das Flugabwehrsystem Iris-T SLM an die Ukraine geliefert. Zuletzt kam die Zustimmung, 14 Kampfpanzer Leopard 2 A6 zur Verfügung zu stellen, kombiniert mit der Erlaubnis, dass alle Käufer von in Deutschland produzierten »Leopard« diese an die Ukraine weiterreichen dürfen.

Von den 14 europäischen Staaten, die den »Leopard« im Bestand haben, signalisierten zuerst Polen und Finnland Lieferbereitschaft. Mittlerweile haben auch die Niederlande und Norwegen grünes Licht gegeben, außerdem Spanien, Portugal und Dänemark; in Schweden ist nur noch unklar, wie viele seiner 120 »Strdisvagn 122« – eine modernisierte Variante des »Leopard 2« – es abgeben will. Nicht angesprochen fühlen sich Griechenland und die Türkei, die jeweils über mehrere Hundert »Leopard« verfügen.

Addiert man die zugesagten ein Dutzend Kampfpanzer »Abrams« aus den USA und die von London zugesagte Kompanie aus »Challenger 2« hinzu, kommt man auf über 100 Kampfpanzer westlicher Bauart, die an die Ukraine geliefert werden (sollen). Hinzu kommen Waffensysteme, die laut NATO-Doktrin »im Gefecht einen Verbund« mit den Kampfpanzern bilden: Schützenpanzer, Artillerie und Flugabwehr. Deutschland entwickelte sich zwischenzeitlich nach den USA zum zweitgrößten Waffenlieferanten für den osteuropäischen Staat.

Mit der Entscheidung, Kiew Kampfpanzer zu liefern, tritt faktisch eine von ukrainischen Militärs gesteuerte NATO-Panzertruppe in den Krieg ein. In Verbindung mit Ausbildung könnte die Lieferung dieser Panzergattung als Kriegsbeteiligung gewertet werden – nicht zuletzt deshalb zögerte das Kanzleramt über einige Wochen. Es ist ein extrem schmaler Grat, der gegenwärtig beschritten wird. Nicht jede/r weiß ihn zu gehen. Zu der Frage, ob die Bundesrepublik bereits Kriegspartei sei, äußerte sich kurz vor seinem Amtsantritt der neue Rüstungsminister Boris Pistorius: Deutschland sei in der Ukraine am »Krieg beteiligt [...], indirekt«.

Eine völkerrechtliche Einschätzung der Lage haben bereits im März vergangenen Jahres die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vorgenommen.[2] Sie kamen zu dem Ergebnis, unterstützende Waffenlieferungen an die Ukraine seien zunächst unbedenklich – sogar unabhängig vom »Umfang« der Lieferungen und von der »Frage, ob es sich dabei um ›offensive‹ oder ›defensive‹ Waffen handelt«. Wenn jedoch »neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde«, hieß es weiter, »würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.« Aktuell steht die Ausbildung an den Leopard-2-Kampfpanzern an. Denkbar ist laut Berichten die Ausbildung in der Panzertruppenschule in Munster und der Technischen Schule des Heeres in Aachen.

Mit der Entscheidung der Ampel-Koalition zur Lieferung der »Leopard«-Panzer ist das Risiko gestiegen, dass Deutschland noch tiefer in das Eskalationsgeschehen hineingezogen wird. Die Vorstellung, dass deutsche Kampfpanzer durch den Osten der Ukraine fahren und auf den russischen Feind feuern, weckt die bittersten Erinnerungen. Vor 80 Jahren eroberte die Wehrmacht dieselben sowjetischen Gebiete zwischen Dnjepr und Donez, in die jetzt der »Leopard« entsandt werden soll. Das Trauma der Russen im 20. Jahrhundert jetzt wieder wachzurufen, ist mit unkalkulierbaren Gefahren verbunden.

Große Teile der Bevölkerung scheinen das zu erahnen. Nach einer aktuellen RTL/ntv-Umfrage ist die Zustimmung für die Kampfpanzerlieferungen von 46% auf 44% gesunken, während 45% dagegen sind. Gerade einmal 26% der Befragten glauben den Versprechungen, dass sich durch mehr Waffenlieferungen und weitere schwere Waffen die Chancen für ein Ende des Kriegs verbessern.[3]

Die bisherige Erfahrung lehrt, dass auf neue Waffensysteme nichts anderes folgen als neue Waffensysteme. »Nach dem Leopard ist vor dem Tornado, ob ihn der Kanzler jetzt ausschließt oder nicht«, notierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Forderungen nach Kampfflugzeugen, Kriegsschiffen und U-Booten liegen bereits auf dem Tisch. »Halleluja! Jesus Christus!”, twitterte Vizeaußenminister Andrij Melnyk: »Und nun, liebe Verbündete, lasst uns eine starke Kampfjet-Koalition für die Ukraine auf die Beine stellen, mit F-16 und F-35, Eurofightern und Tornados, Rafale und Gripen-Jets – und allem, was ihr der Ukraine liefern könnt.«

Zusätzlich hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg um Langstreckenraketen gebeten. Angesichts der dürftigen Begründungen für deutsche Waffenlieferungen »ließe sich auch die Lieferung taktischer Nuklearwaffen an die ukrainischen Streitkräfte rechtfertigen«, erklärte der Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dem SPIEGEL.

Das Narrativ, die Ukraine kämpfe für die »Freiheit und Sicherheit der deutschen Bevölkerung« ist genauso falsch wie die Begründung für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan, »Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt«. Es ist richtig, dass die Ukraine um ihre Souveränität und um die territoriale Integrität des Landes kämpft. Zugleich gibt es das geopolitische Interessen der US-Regierung, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass die USA sich dem eigentlichen Rivalen im Ringen um globale Hegemonie zuwenden kann: China.

Der Ausgang des Krieges in der Ukraine ist nicht auf dem Schlachtfeld zu entscheiden – Frieden muss verhandelt werden. Diplomatische Kanäle müssen offengehalten und genutzt werden. Gerade weil die Entscheidung, Kampfpanzer zu liefern, getroffen wurde, müssen Verhandlungsinitiativen und Ausstiegsszenarien folgen.

Anmerkungen

[1] Eine Aussage, die vom Auswärtigen Amt wieder zurückgenommen wurde. Die mediale Kritik an Baerbock blieb milde: »Scheinbar unbedachte Äußerung« (ntv), »unglücklich Aussage« (taz) und im ZDF-Morgenmagazin sprach Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik von einem »extrem unglücklichen Versprecher«.
[2] Sachstand: Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 019/22. Berlin, 16.03.2022.
[3] Die Daten wurden vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von RTL Deutschland am 20. und 23. Januar 2023 erhoben. Datenbasis: 1004 Befragte. Statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte.

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