16. April 2020 Otto König/Richard Detje: Ein »verlässlicher« Generationenvertrag?

»Weder Fluch noch Segen«

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Rentenpolitik im Schatten von Covid 19 droht vor allem wieder eins zu werden: Krisenpolitik. Eigentlich war eine »Grundrente« zwischen den Koalitionsparteien fest vereinbart: Ab kommendem Jahr sollen rund 1,3 Millionen Versicherte finanzielle Zuschläge auf ihre nicht existenzsichernden Niedrigstrenten erhalten.

Eine Minireform, bei der der Kreis der Anspruchsberechtigten mehrfach kleingerechnet wurde. Und eine Gratisleistung ist das keineswegs: 33 Beitragsjahre (inklusive Zeiten für Kindererziehung und Pflege) muss man dafür auf dem Rentenkonto haben. Nun werden in der Unionsfraktion Stimmen laut, die den Kompromiss wieder in Frage stellen wollen. Das Schlichtargument: zu teuer. Der Euro könne nicht zwei Mal ausgegeben werden. Wird er zur Krisenüberwindung gebraucht, steht er zur Renten- und Sozialpolitik nicht mehr zur Verfügung.

Dieser Argumentation zufolge sollen die »Held*innen der Arbeit von gestern«, Minirentner*innen aus dem Handel, aus sozialen Dienstleistungsberufen, aus der Gastronomie usw. erneut abgespeist werden: mit nichts. Die Minireform scheint noch nicht durch zu sein. Die Zustimmung im Bundestag und Bundesrat steht noch aus.

Die Schatten der Krise reichen auch über das kommende Jahr hinaus. Das wäre eine erweiterte Chance für die Kommission »Verlässlicher Generationenvertrag« gewesen. Sie hat sie verstreichen lassen, als sie Ende März ihren Abschlussbericht präsentierte.[1] Die vor zwei Jahren von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eingesetzte Expertenrunde sollte Rentenreformvorschläge für die Zeit nach dem Jahr 2025 erarbeiten. Wer Perspektiven zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung erwartet hatte, wird ernüchtert feststellen: Die Kommission kreißte und gebar eine rentenpolitische Maus.

Der vorgelegte Bericht leuchtet zwar einige Pfade zu einem zukunftsfähigen Rentensystem aus, bleibt aber bei zentralen Aspekten konkrete Lösungsvorschläge schuldig. So heißt es, für die nächsten Jahrzehnte müsse »das Finanzierungsgefüge neu justiert werden«, da die demografische Entwicklung in Deutschland zu einer »erheblichen finanziellen Mehrbelastung« in der gesetzlichen Rentenversicherung führen werde. Doch es gibt kaum Vorschläge für eine solidarische Finanzierung der Rente.

Stattdessen ist zu lesen, dass ein dauerhaft verlässlicher Generationenvertrag »die ausgewogene finanzielle Beteiligung aller«, also von Beitragszahlern, Steuerzahlern und Rentnern, verlange. Eine Antwort auf die Frage, wie künftige Rentner*innen ihren Lebensstandard im Alter einigermaßen halten können, ist die Kommission schuldig geblieben. Man könnte es auch so sehen: Indem die Kommission den Finanzierungsvorbehalt stark macht, ohne Lösungspfade zu skizzieren, öffnet sie künftiger Krisenpolitik die Tür.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften weisen schon seit längerem auf die massiven Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung hin. Haben die Rentenausgaben im Jahr 2000 noch knapp 10% des Bruttoinlandsprodukts betragen, waren es 2018 nur noch 8,9%. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Rentner*innen um 10%, also zwei Millionen gestiegen. Das heißt: Immer mehr Rentner*innen werden trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung und jahrzehntelanger Beteiligung an der Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Wohlstands von diesem immer weiter abgehängt.

Die zentralen Punkte des Kommissionsberichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Für jeweils sieben Jahre festzulegende »Haltelinien«, die »vor Überforderung schützen« sollen, flankiert durch eine 15-jährige Vorausschau mit zwei zusätzlichen Kontrollvariablen: Gesamtbeitrag einschließlich eines eventuellen obligatorischen Beitrags zu zusätzlicher Vorsorge sowie Abstand der Standardrente zum Existenzminimum.
  • Für das Rentenniveau und den Rentenbeitragssatz schlägt die Kommission jeweils einen Korridor vor. Demnach soll das Rentenniveau – das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten – künftig zwischen 44% und 48% liegen. Der Rentenbeitrag soll zwischen 20% und 24% betragen. Bis 2025 greifen die von der großen Koalition festgelegten Haltelinien von 20% für den Beitragssatz und von 48% für das Rentenniveau.
  • Um Rentner*innen zu schützen, soll der Abstand zwischen der »Standardrente«, also der Rente, die jemand mit einem Durchschnittseinkommen nach 45 Beitragsjahren erhält, und der Höhe der Grundsicherung überprüft werden. Je geringer dieser Abstand, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik das Rentenniveau nach oben anpassen muss.
  • Die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre soll erhalten bleiben. Über eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenzen soll erst nach 2025 entschieden werden. Eine Entscheidung, ob die Arbeitnehmer*innen irgendwann doch länger arbeiten sollen, ist also nur aufgeschoben.

Das vorgelegte Ergebnis sei für die Arbeitnehmer*innen »weder Fluch noch Segen«, so das DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Kommission sei von Anfang an mit einem entscheidendem Geburtsfehler behaftet gewesen, stellt der DGB in seiner Bewertung des Abschlussberichtes[2] fest: Die Zusammensetzung, fünf der zehn Mitglieder waren aktive bzw. ehemalige MdBs aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, dazu drei Wissenschaftler*innen sowie ein Vertreter des DGB und der Arbeitgeber, habe zur Fortsetzung von Koalitionsverhandlungen über die Fragen geführt, die im Zuge der Verhandlungen der CDU/CSU mit der SPD über den Koalitionsvertrag nicht gelöst werden konnten.

Beim Thema »Rentenniveau« hat Annelie Buntenbach, die die Gewerkschaften in der Kommission vertreten hat, ein Sondervotum abgegeben. Anders als die Mehrheit der Kommission lehnt der DGB den vorgeschlagenen Korridor beim Rentenniveau zwischen 44% und 49% ab und fordert, als definitive Untergrenze 48% festzulegen. »Die aktuell geltende untere Haltelinie von 48% war schon eine Korrektur früherer Reformen. Eine Unterschreitung wäre gänzlich inakzeptabel«, warnt das für Sozialpolitik zuständige geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban. Statt einer weiteren Absenkung muss das Niveau wieder schrittweise auf 53% angehoben werden.

Heftig umstritten war in der Rentenkommission die Frage, ob das gesetzliche Rentenalter weiter steigen soll, indem die Regelaltersgrenze an die steigende durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt wird. Dieser Vorschlag wurde vor allem von den interessengebundenen Wissenschaftlern – allen voran Axel Börsch-Supan[3] von der TU München – sowie den Arbeitgebern propagiert. Dass die Mitglieder der Kommission nach intensiver Beratung davon Abstand genommen haben, ist nicht zuletzt dem erheblichen Widerstand der Gewerkschaften zu verdanken.

Der Kompromiss lautet: Die Kommission empfiehlt keine Festlegung, ob die Regelaltersgrenze nach 2031 weiter angehoben wird. Ob eine Anhebung überhaupt angemessen ist, soll erst 2026 geprüft und debattiert werden. Dabei sind neben der Finanzwirkung für die Rentenversicherung insbesondere die wirtschaftliche und soziale Lage der Arbeitnehmer*Innen sowie der Arbeitsmarkt zu beachten. »Weiter so«, giftete wütend Hubertus Pellengahr von der von Gesamtmetall finanzierten Lobbyorganisation »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«.

Für den DGB war bereits die »Rente mit 67« ein Fehler, denn sie ist für die Mehrheit der abhängig Beschäftigten nicht erreichbar. Mehr als die Hälfte (55 %) geht davon aus, dass sie ihren derzeitigen Beruf nicht bis 67 ausüben kann, wie eine repräsentative Umfrage des Berliner Kantar-Instituts im Auftrag der IG Metall zeigt. Gerade Menschen mit körperlich und psychisch belastenden Tätigkeiten haben eine kürzere Lebenserwartung und werden mit höheren Altersgrenzen besonders bestraft.

Hinzu kommt: Trotz der guten Konjunktur im vergangenen Jahrzehnt waren Ältere besonders oft langzeitarbeitslos. Hinzu kommt, durch die Anhebung der Regelaltersgrenze fällt der Beitragssatz nur um rund 0,5 Prozentpunkte geringer aus – bei 3.000 Euro Gehalt macht das 7,50 Euro im Monat. Dafür müssten die Beschäftigten aber zwei, drei Jahre länger arbeiten und mehr Beiträge zahlen. Höhere Altersgrenzen sind auch nicht generationengerecht. Denn nicht die Alten, sondern die Jüngeren müssten länger arbeiten und in der Summe sogar mehr Beiträge zahlen, während die Arbeitgeber entlastet würden.

Die Rentenkommission hat sich vorrangig auf die Fragen der Finanzierung der Rente und die für das Leistungsgeschehen relevanten Haltelinien konzentriert. Der Fehler ist, dass die Kommission »primär nach den akzeptablen Kosten fragt und erst dann nach den Leistungen, die damit finanzierbar sind«, kritisiert Urban. So enthält der Bericht keine Empfehlungen für sichere Übergänge von der Arbeit in die Rente vor dem 67. Lebensjahr. Weder Elemente des Solidarausgleichs noch Vorschläge für eine bessere Anerkennung von Bildungszeiten und Verbesserungen für den Bestand der Erwerbsminderungsrentner*innen finden überhaupt Erwähnung.

Darüber hinaus fehlt eine Empfehlung zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung, in die auch Ärzte, Anwälte, Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen Die Einführung einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung wäre ein echter rentenpolitischer Kurswechsel und ein großer Schritt in Richtung eines solidarischen Neuaufbaus der Alterssicherung, um Altersarmut zu verhindern und den Lebensstandard zu sichern. Die Expertenrunde hätte mit einer Empfehlung zum schleunigen Einbezug der Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung hier ein Signal setzen können.

Die Bundesregierung werde die Vorschläge der Kommission umgehend prüfen, kündigte Bundesarbeitsminister Heil nach der Vorlage des Gutachtens an. Auf Basis dieser Empfehlungen wolle er bis zum Herbst gesetzgeberische Vorschläge machen, die dann im Kabinett beraten werden sollen.

Vor dem Hintergrund der offen gebliebenen Fragen müssen sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften aktiv in diesen Prozess einmischen. Dabei geht es nicht nur darum, das Rentenniveau zu stabilisieren und im weiteren Schritt wieder anzuheben. Es geht auch darum, den Sozialausgleich zu stärken und Lücken bei den Übergängen in die Rente zu schließen.

Klar ist auch, dass die Regelaltersgrenze nicht steigen darf. Wie neue Sicherheit für alle Generationen funktionieren kann, wie und wer das bezahlen soll und was es darüber hinaus noch braucht, um Arbeitnehmer*innen gut im Alter abzusichern, hat der DGB in einem eigenen Bericht zur Rentenpolitik – »Neue Sicherheit für alle Generationen«[4] – zusammengefasst.

Geht es nach der Allianz von Arbeitgebern, neoliberal gesinnten Bundestagsabgeordneten der GroKo und interessengebundenen Wissenschaftlern soll das Rentenalter künftig weiter steigen und das Rentenniveau weiter sinken. Diese arbeitnehmerfeindliche Rentenpolitik würde für junge Menschen bedeuten: Sie sollen länger arbeiten sowie mehr Beiträge zahlen und dafür später relativ weniger Rente bekommen. Zusätzlich sollen sie privat vorsorgen, um die politisch herbeigeführten Versorgungslücken zu schließen.

Das ist weder ein Versprechen auf eine ausreichende Versorgung im Alter noch eine generationengerechte Politik. »Get less, pay more« – bekomme weniger und zahle mehr – darf nicht die Grundlage für einen gerechten Generationenvertrag sein.

Anmerkungen

[1] Bericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag. Kurzfassung, Berlin, März 2020.
[2] DGB (2020): Abschlussbericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag: Die Auseinandersetzung um starke Rente geht weiter!, Berlin, März 2020.
[3] Börsch-Supan leitet das Munich Center for the Economics of Aging (MEA), das 2001 mit finanzieller Unterstützung des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gegründet wurde.
[4] DGB (2020): Bericht zur Rentenpolitik in Deutschland: Neue Sicherheit für alle Generationen, Berlin: DGB-Bundesvorstand, Abteilung Sozialpolitik, März 2020.

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