18. Juli 2021 Joachim Bischoff: China setzt seinen Entwicklungsprozess fort

Weiter auf Stabilisierungskurs

Das Bruttoinlandprodukt der Volksrepublik China ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum laut Angaben des dortigen Statistikamtes um 7,9% gestiegen. Schon im ersten Quartal hatten die Zahlen eine beeindruckende Wachstumsrate der wirtschaftlichen Leistung angezeigt.

Nach dem Rekordstart ins Jahr 2021 hat sich das Wachstum der hinter den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt im zweiten Quartal zwar etwas verlangsamt, aber China hat die Pandemie schon lange überwunden und die Wirtschaft läuft wieder voll auf Touren.

Im Februar 2020 hatte die Führung in Peking das Leben in der Volksrepublik massiv heruntergefahren: Restaurants, Fabriken, Kinos, Schulen, Kindergärten – das gesamte soziale Leben war erheblich beschränkt. Exemplarisch war die Isolation der Millionenstadt Wuhan und die umliegende Provinz Hubei. Um 80% brachen damals etwa die Autoabsätze ein. Allenfalls ein paar Zehntausend Wagen wurden verkauft, und das in einem Land, in dem sonst ein bis zwei Millionen Neuzulassungen pro Monat die Regel sind.

Der wirtschaftliche Einbruch in den ersten drei Monaten war historisch: ein Minus von 6,8%, das war zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 ein negatives Ergebnis in einem Quartal. Die neuen Wachstumszahlen liegen im Rahmen der Erwartungen der chinesischen Führung, fallen allerdings geringer als im ersten Quartal aus, als das Statistikamt noch einen Rekordwert von 18,3% meldete.

Der ungewöhnlich hohe Zuwachs im ersten Quartal erklärte sich damit, dass die Konjunktur im Frühjahr 2020 wegen der Corona-Krise stark eingebrochen war, womit der Vergleichswert niedrig war. Nun ist das Wachstum Expert:innen zufolge dabei, zum langfristigen Trend vor der Pandemie zurückzukehren. Zusammengerechnet lag das Wachstum im ersten Halbjahr bei 12,7%.

»Im Allgemeinen hat sich die Volkswirtschaft im ersten Halbjahr stetig erholt«, hieß es in der Mitteilung des Statistikamtes, in der zugleich vor Unsicherheiten gewarnt wurde. Als Risiko wird die unvorhersehbare Entwicklung der Pandemie genannt, die international auf dem Vormarsch sei. Ausbrüche in anderen Teilen der Welt könnten sich schnell auf Chinas Handel auswirken.

Die Weltbank schätzte zuletzt, dass die chinesische Wirtschaft im Gesamtjahr um 8,5% zulegen könnte. Sowohl das Vertrauen von Verbraucher:innen als auch Unternehmen habe sich zuletzt weiter verbessert, weshalb von besseren Arbeitsmarktbedingungen und einer steigenden Binnennachfrage auszugehen sei. Auch Chinas Exporte dürften sich laut der Vorhersage gut entwickeln.

China hebt sich damit deutlich von der wirtschaftlichen Entwicklung anderer Staaten in der Region ab. Die Weltbank schraubte für die Region Ostasien und Pazifik ohne China wegen schleppender Impfstoffversorgung ihre Wachstumsprognose zurück. Für dieses Jahr werde ein Wachstum von 4% erwartet, sagte Weltbankpräsident David Malpass. Damit liegt die BIP-Prognose unter der Schätzung von 4,4% vom März.

Die chinesische Regierung ist vorsichtiger bei der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Leistung und legte ihr offizielles Wachstumsziel im Frühjahr auf einen Wert von »über 6%« fest. Die Regierung in Peking verfolgt eine »Null-Covid-Strategie«. Mit Ausgangssperren, Massentests, Kontaktverfolgung, Quarantäne und strengen Einreisebeschränkungen hat das Land das Coronavirus weitgehend im Griff. Es gab seit dem vergangenen Sommer nur noch wenige, kleinere Ausbrüche, so dass sich die Wirtschaft und das Alltagsleben normalisieren konnten.

Auch andere Daten zeigen eine weitgehend stabile Entwicklung: Die Industrieproduktion, ein Maß für die Aktivität im verarbeitenden Gewerbe, legte im Juni im Vorjahresvergleich um 8,3% zu, die Einzelhandelsumsätze stiegen um 12,1%. Beide Werte lagen über den Erwartungen.

Die chinesischen Behörden haben auch deutliche Zuwachsraten für den Außenhandel vorgelegt. Eine restriktive Krisenpolitik sowie eine erhöhte Nachfrage nach Elektronik- und Pharmaprodukten beschert den chinesischen Exportunternehmen ein spektakuläres Comeback auf den Weltmärkten. Laut der chinesischen Zollbehörde stiegen die Exporte der im Vorjahresvergleich um fast ein Drittel auf rund 281 Mrd.US-$. Die Einfuhren nach China stiegen sogar um 36,7% und betrugen in der ersten Jahreshälfte somit rund 230 Mrd. US-$.

Von der Erholung der chinesischen Wirtschaft profitieren auch die Unternehmen in den kapitalistischen Hauptländern. Viele Firmen, die in China tätig sind, konnten sich im vergangenen halben Jahr über überdurchschnittliche Profite freuen. Laut einer Umfrage der EU-Handelskammer ist dafür vor allem die schnellere Überwindung der Pandemie im vergangenen Jahr verantwortlich. Von diesem Prozess der chinesischen Wirtschaft partizipierten selbstverständlich auch deutsche Unternehmen.

Die zügige Rekonstruktion der kapitalistischen Ökonomien insgesamt nach der globalen Pandemie hat drei Komponenten: der überraschend kohärente Übergang zur keynesianischen Kreditpolitik, der Rückgriff auf sozialstaatliche Instrumente (Kurzarbeit, Sozialttransfers, Unterstützungen der privaten Haushalte) sowie die Entwicklung und anschließende Massenproduktion von Vakzinen. Im internationalen Wettbewerb der Nationen führte die Asymmetrie in der Krisendynamik dazu, dass von der chinesischen Wirtschaft (wie schon in der großen Finanzkrise) ein eindeutiger Stabilisierungsimpuls für die Globalökonomie ausging.

Die chinesische Akkumulationsdynamik wurde durch die Pandemie ebenfalls massiv geschädigt. Die nun rasche Stabilisierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses nutzt die Partei- und Staatsführung trotz der Orientierung auf hohe Wachstumsraten, auch die Schattenseiten eines solch dynamischen Rekonstruktionsprozesses in den Blick zu nehmen.

Daher erklärt sich die augenblickliche Wirtschaftspolitik: Während den Banken mit einem niedrigeren Reservesatz die Kreditvergabe vereinfacht wird, beschränkt man durch strengere Regeln gleichzeitig das Kreditwachstum. Außerdem halten sich die Provinzen und Metropolen mit Infrastrukturinvestitionen deutlich zurück. Dennoch will die Führung gleichzeitig den kleineren Unternehmen unter die Arme greifen.

Auch wenn dem chinesischen Wachstum durch das schwächere Kreditwachstum nach oben Grenzen gesetzt werden, ist das längerfristig eine gute Nachricht. Dadurch soll etwa eine Immobilienblase verhindert werden. Als zukünftige Wachstumstreiber sieht die Führung eher den privaten Konsum als Infrastruktur und Bausektor. Der Konsum wird daher genau beobachtet: Der Einzelhandelsumsatz im Juni liegt 12,1% höher als im Vorjahr. Das ist keine schwache Erholung, aber es ist wohl zu langsam, als dass der Privatkonsum die Rolle des neuen Wachstumstreibers übernehmen könnte. Die Einkommen der Privathaushalte langfristig zu steigern, wird für Peking daher Priorität haben.

Von dieser Ausrichtung profitierten im Juni auch deutsche Unternehmen. Für Autokonzerne und Unternehmen der Maschinenbau-Branche gilt China als der wichtigste Absatzmarkt weltweit. Die deutschen Ausfuhren nach China stiegen im Vorjahresvergleich um 28,6%. Dennoch hat China Deutschland als stärksten Maschinenbauer weltweit abgelöst.

Ein Grund liegt offenbar darin, dass die erhöhte Auslandsnachfrage während der Corona-Krise in China zu einer gesteigerten Industrieproduktion geführt hat. Die wiederum erforderte mehr Produktionsmaschinen. Die konnten viele deutsche Unternehmen aufgrund von Einreisebeschränkungen und unterbrochenen Lieferketten aber nicht im entsprechenden Umfang liefern. Also baute China sie selbst.

Auch wenn es vielen westlichen Beobachter:innen, die vor allem auf die unbestreitbaren Schattenseiten diese Gesellschaftsformation fixiert sind, nicht in die Argumentation passt: Mit Ausgangssperren, Massentests, Kontaktverfolgung, Impfkampagnen, Quarantäne und strengen Einreisebeschränkungen hat die chinesische Partei- und Staatsführung die globale Pandemie und die daraus resultierenden Krisenentwicklungen deutlich besser bewältigt als die kapitalistischen Hauptländer. Und die Auswertung dieser Pandemie wird im chinesischen Gesellschaftstypus sicher folgenreichere Konsequenzen haben.

Auch auf dem Terrain der Klimakrise gibt es aus China eher positive Nachrichten. Die Volksrepublik ist weltgrößter Emittent von Treibhausgasen und der Energiebedarf wächst nach wie vor rasant. Die Autoren einer Studie der britische Initiative Carbon Tracker und des indischen Instituts CEEW[1] gehen davon aus, dass fast 40% des steigenden Weltenergiebedarfs bis 2040 in China anfallen werden. Derzeit wird in China noch mehr Kohlestrom zugebaut als Ökostrom, doch gehen die Autoren davon aus, dass sich dies bis 2025 ändern wird.

Abgesehen von China wird der Studie zufolge der steigende Energieverbrauch in Schwellen- und Entwicklungsländern bereits jetzt zum allergrößten Teil durch erneuerbare Energien gedeckt. Demnach wurden 2019 bereits 87% des Zuwachses der Stromproduktion mit Hilfe von Wind und Sonne erzeugt. In Summe aber spielt vor allem die Windkraft in diesen Ländern mit 4% Anteil an der Stromproduktion bisher noch eine untergeordnete Rolle in der Energieerzeugung.

Anmerkungen

[1] Der weltweite fossile Energieverbrauch hat nach der neuen Studie der beiden Nichtregierungsorganisationen seinen Höhepunkt mutmaßlich bereits im Jahr 2018 überschritten. Wegen der stark gesunkenen Kosten von Sonnen- und Windenergie würden viele Entwicklungsländer Kohle und Gas beim Ausbau ihrer Energieversorgung quasi überspringen, wird in dem Papier argumentiert. Grundlage der Studie sind vor allem die Daten und Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA und der OECD. Ausgangspunkt ist, dass der Energieverbrauch in Schwellen- und Entwicklungsländern weit schneller steigt als in den Industriestaaten des Westens und Japan.

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