23. November 2023 Jon Lansman: Gegen den ewigen Krieg in Israel und Palästina

Wenn Geschichte zur Waffe wird

Schriftzüge: Salam und Schalom, arabisch und hebräisch für Frieden.

Wie kann ich als linker Jude sowohl die Palästinenserinnen und Palästinenser als auch die Israelis unterstützen? Meine Sympathie gilt den Menschen, nicht den Politikern. Es sollte nicht so schwer sein, das deutlich zu machen.

Wenn man sich als linker Jude zu irgendeinem Aspekt dieses jahrhundertealten Konflikts äußert, riskiert man Isolation und Hass von beiden Seiten. Das weiß ich, seit ich 2015 und 2016 die erfolgreichen Kampagnen zur Wahl Jeremy Corbyns zum Vorsitzenden der Labour Party geleitet und zugleich den Antisemitismus jener Zeit angeprangert habe. Als ich am 8. Oktober die Details des Hamas-Massakers vom Vortag vernahm, fürchtete ich die Konsequenzen, wenn ich mich erneut zu Wort melden würde.

Während des Labour-Parteitags Anfang Oktober hätte ich unter diesen Umständen nirgendwo mehr Solidarität finden können als bei einem Treffen einer Gruppe jüdischer und muslimischer Frauen in einer Synagoge in Liverpool. Die in diesem Rahmen geteilte Trauer war für uns alle – Musliminnen und Muslime, Jüdinnen und Juden – ein großer Trost und eine gewisse Erleichterung.

Früher war es nicht schwierig, die Menschen, die in Israel und in den palästinensischen Gebieten leben, zu unterstützen, zumindest auf meine Weise: indem ich ihre Bedürfnisse und Bestrebungen von denen ihrer politischen Führer unterschied. Doch mit dem Aufstieg der ehemaligen Rechtsterroristen Menachem Begin und Jitzchak Schamir in die höchsten Staatsämter Israels (ab 1977) begann sich eine supremistische Philosophie in der Politik der israelischen Juden durchzusetzen.

Wie immer sprach die rechtsextreme Politik diejenigen an, die sich von ihrer Regierung im Stich gelassen oder ignoriert fühlten. In diesem Fall waren es die mizrachischen Juden (mit Wurzeln im Nahen Osten oder Nordafrika) und die stark religiös gebundenen Jüdinnen und Juden, die sich gegenüber dem säkularen aschkenasischen (europäischen) Establishment der israelischen Arbeitspartei benachteiligt sahen.

Auch die Palästinenserinnen und Palästinenser im besetzten Westjordanland und im Gazastreifen begannen, das Vertrauen in das Führungspersonal der Fatah und der Palästinensischen Verwaltungsbehörde zu verlieren, die als eigennützig oder gar korrupt galten – eine Entwicklung, die den eher religiösen Kandidaten und der Hamas zugutekam. Die Spannungen innerhalb und zwischen den beiden Gemeinschaften nahmen zu.

Aber auch die israelische Linke trägt ihren Teil der Verantwortung. In der Vorgeschichte Israels beobachteten diejenigen, die die jüdische Regierung im Wartestand vor der Staatsgründung führten, den Holocaust vom britisch verwalteten Palästina aus. Ihre Haltung gegenüber den sechs Millionen Ermordeten und der einen Million Überlebenden, die ihren Weg nach Israel fanden, lässt sich mit dem Satz charakterisieren, mit dem sie deren Tod beschrieben: »Sie gingen wie Schafe zur Schlachtbank.«

Die Verachtung von Schwäche war in der israelischen Linken tief verwurzelt. Nach dem politischen Hegemoniewechsel hat sich das bei ihren rechtsextremen Nachfolgern in eine Kultur des permanenten Krieges verwandelt, supremistisch und autoritär gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern. Eine Kultur, die sich in der Hamas spiegelt.

Wie also kann ein linker Jude in dem Krieg, der unweigerlich auf die Angriffe der Hamas folgen würde, die Unterstützung für die Menschen beider Völker aufrechterhalten, wenn in der eigenen Familie, unter Freunden und Genossen gegensätzliche Positionen vertreten werden?

Beide Völker leben auf engstem Raum im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina, jeweils rund sieben Millionen Menschen. Nach fast einem Jahrhundert Krieg sind beide Völker erstaunlich widerstandsfähig. Kriege. Terrorismus auf beiden Seiten. Shoah und Nakba. Pogrome und »Transfers«. Und auf beiden Seiten Führer, auf die man besser verzichten sollte. Benjamin Netanyahu und Ismail Haniyeh. Von Eseln geführte Löwen.

Ich habe mich schon früh mit der jahrhundertelangen Leidensgeschichte der Juden beschäftigt. Die Vertreibung aus England 1290, dann 1492 zusammen mit den Muslimen aus Spanien. Und so ging es weiter bis zur ultimativen Vernichtung, bis schließlich mit dem UNO-Beschluss von 1947 über die Teilung Palästinas ein Zufluchtsort für die Überlebenden des Holocaust errichtet werden sollte.

In Großbritannien hatte der Parteitag der Labour Party den Teilungsplan unterstützt, insbesondere die Labour-Linke. Die Labour-Regierung unter Premierminister Attlee ignorierte den Parteitagsbeschluss – manche Dinge ändern sich nie. Sie lehnte den Teilungsplan ab und berief sich auf ihre Pflichten als Mandatsmacht.

Ich akzeptiere nicht die offizielle Darstellung, die seltsamerweise sowohl von Zionisten als auch von Antizionisten geteilt wird, dass Israel aufgrund einer Kette von Ereignissen gegründet wurde, die von der Inspiration durch Theodor Herzl über die Balfour-Deklaration bis zum UNO-Teilungsplan reicht. Die Gründung war eher von Schuldgefühlen als von Prinzipien geleitet: Niemand wollte die Holocaust-Flüchtlinge aufnehmen, und es gab keine andere Möglichkeit. Es ist schwer zu ertragen, dass der Holocaust heute oft von Linken als Grund angeführt wird, nicht die »richtige Linie« (was immer das sein mag) gegenüber Israel zu vertreten.

In den 1960er-Jahren unterstützte die Linke Israel. Als ich 1967 zehn Jahre alt war, schnitt ich jeden Tag die Nachrichten über den Sechstagekrieg aus den Zeitungen aus. Als Israel 1973 im Jom-Kippur-Krieg von ägyptischen und syrischen Streitkräften überrascht wurde, war es wieder der Außenseiter, der in Großbritannien von der damals oppositionellen Labour Party unterstützt wurde, nicht aber von der konservativen Regierung unter Premierminister Heath.

Die Tatsache, dass Israel 25 Jahre nach seiner Gründung als Zufluchtsort für Überlebende des Holocaust immer noch von seinen Nachbarn angegriffen wurde, ist der Grund für meine Sympathie für die Jüdinnen und Juden in Israel/Palästina; sie gilt den Menschen, aber nicht unbedingt ihrer Regierung.

Die Geschichte selbst ist eine Waffe in der Gegenwart. Meine Generation erinnert sich an eine Zeit, in der Israel von der Linken geführt und anderswo von der Linken unterstützt wurde. Die Generation meiner Kinder sieht ein Israel, in dem es keine nennenswerte Linke mehr gibt.

Ich bin zwar nicht religiös und glaube nicht, dass das Land den Juden von jemand anderem als der UNO gegeben wurde, aber ich feiere die gleichen Feste wie sie und habe die gleichen Essgewohnheiten. Ich fühle immer noch eine Verbundenheit, die ich nicht erklären kann.

Es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt. Aber sieben Millionen Jüdinnen und Juden und sieben Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser werden nicht einfach verschwinden. Sie brauchen politische Repräsentant*innen, die sich für den Frieden einsetzen und die Palästinenserinnen und Palästinenser sowie Israelis zusammenbringen. Es darf keinen Platz für diejenigen geben, die einen ewigen Krieg wollen.


Jon Lansman
ist Mitbegründer und ehemaliger Vorsitzender von »Momentum«, einer politischen Organisation, die seit 2015 mit der Labour Party verbunden ist. Sein hier dokumentierter Beitrag erschien am 20.11.2023 auf der Website des »Guardian« unter dem Titel »How can I, as a leftwing Jew, show support for both Palestinians and Israelis?« (Übersetzung: Hinrich Kuhls)

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