4. Dezember 2000 Redaktion Sozialismus

»Wer die Welt verändern will, muss sie als Möglichkeit annehmen«

Michael Schumann ist am 2. Dezember 2000 zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückt. Das langjährige Mitglied des Bundesvorstandes der PDS war in der Landtagsfraktion von Brandenburg zugleich ein profilierter Innen- und Rechtspolitiker. Die von der veröffentlichten Meinung gehätschelte seichte, oberflächliche Rhetorik war seine Sache nicht. Schumann war ein überzeugter Sozialist.

Zum Grundbestand der modernen Sozialisten gehörte für ihn, dass man das Erbe der Aufklärung und der dialektischen Vernunftkritik ernst nahm. Mit beißendem Spott und polemischer Ironie wurden all jene in und außerhalb der Partei bedacht, die sich für Politik nach Art des bundesdeutschen Stammtisches oder der Pop-Kultur stark machten. Nichts verachtete Michael Schumann mehr als billige politische Manöver und geistlose Interessenvertretung.

Er hat es auch seiner Partei mit seinem Insistieren auf theoretischer Begründung und intellektueller Redlichkeit nicht leicht gemacht. Für ihn haben sich zu viele damit begnügt, auf den Wellen des Zeitgeistes zu surfen und unpolitische Kleingartenkulturen anzulegen. Es war Michael Schumanns Überzeugung, dass in der hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft in aller Regel jede gesellschaftliche Minderheit - auch die politische Linke - ihre Identität pflegen und demonstrativ ausstellen kann, dass man aber Vereinskultur nicht mit Politik verwechseln solle. Gerade eine linkssozialistische Partei zeichnet sich für ihn durch ihren Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Reform und Veränderung der realexistierenden Verhältnisse aus.

Die aufklärerisch-emanzipatorische Idee des Bewusst-Geschichte-Machens muss sich durch die Anstrengung der Begriffe und der mühseligen Aneignung von empirisch-theoretischen Zusammenhängen ausweisen. Deshalb geriet Michael Schumann in Rage, wenn er merkte, dass Politiker und Publizisten – der Rechten wie der Linken – einer begriffslosen Sicht der Geschichte, besonders der jüngsten, frönten.

Unablässig betonte er: Wir müssen aufpassen, dass uns nicht Geschichte enteignet, das Leben genommen und ein Phantom untergeschoben wird; wer seine Herkunft nicht kennt, hat keine Zukunft, schon gar keine sozialistische. Das Ausblenden des geschichtlichen Zusammenhanges und seine Ersetzung durch Kategorien eines pharisäerhaften moralischen Rigorismus, der immer dann »entdeckt« wird, wenn er ins Kalkül passt, entwertet unsere Geschichte und fälscht die Lebensläufe Hunderttausender. Hat da jemand noch Zweifel, dass ein solche Persönlichkeit selbst in ihrer eigenen Partei aneckte und nie wirklich »populär« sein konnte?

Zweifellos: Michael Schumann war in der PDS fest verankert, war immer wieder mit überzeugenden Voten in Vorstände und andere Entscheidungsgremien gewählt worden. Seine Reden auf Parteitagen und Konferenzen - insbesondere wenn es um die kritische Analyse des stalinschen Erbes des Staatssozialismus ging - waren Höhepunkte in der Auseinandersetzung um ein demokratisches, rechtsstaatliches, zivilgesellschaftliches Sozialismusverständnis. Michael Schumann ging es nicht um Rechthaberei, sondern um das Ringen um Hegemonie im Gramsci'schen Sinne: um Aufklärung, Überzeugung, Führung.

Wer menschliche Emanzipation und soziale Gerechtigkeit verwirklicht sehen will, der kann nur dann überzeugend die anderen zur Veränderung auffordern, wenn er vor sich selbst nicht halt macht. Nur wenn wir erreichen - so Schumann - dass die demokratische Linke in Deutschland von der breiten Öffentlichkeit, von den demokratisch gesinnten Menschen als selbstverständlicher und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der politischen Kultur dieses Landes akzeptiert wird, kann ernsthaft von pluralistischer Demokratie gesprochen werden. Nur in diesem Rahmen werden sozialistische Ideen eine Chance und eine Zukunft haben.

Die PDS und die politische Linke dieses Landes haben gewiss viele fähige Politikerinnen und Politiker. Aber Sozialisten wie Schumann sind rar. Wir haben einen streitbaren Diskussionspartner und einen Freund verloren.

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