8. März 2022 Stephanie Odenwald/Petra Reichert: Gedanken zum Internationalen Frauentag 2022

Wir wollen Frieden, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung

Abbildung: frauen.verdi.de

Der internationale Frauentag ist seit seiner Entstehung 1910 eng mit der Friedensbewegung verbunden, und somit auch eine Mahnung gegen kriegerische Gewalt. Dieses Jahr richtet sich unser Protest sowohl gegen den barbarischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, wie auch gegen die immer noch bestehende Ungleichheit der Geschlechter und patriarchale Machtausübung.

Der skrupellose Missbrauch von Macht, die brutale Gewalt gegen Menschen erreicht in einem solchen Krieg ihren Höhepunkt bis hin zur totalen Zerstörung der Welt durch einen möglichen atomaren Krieg. Generationen von Frauen haben sich gegen Militarismus und Krieg gewendet. Bereits beim ersten Aufruf für einen internationalen Frauentag anlässlich der II. Konferenz sozialistischer Frauen in Kopenhagen im Jahr 1910 wurde eine »Resolution, die Erhaltung des Friedens betreffend« verabschiedet.

Damals war das Frauenwahlrecht eine weitere Hauptforderung. Es wurde dann in Deutschland mit Beginn der Weimarer Republik 1920 schließlich auch verwirklicht. Gleichwohl konnten die Katastrophen des Ersten Weltkriegs und 19 Jahre später des Zweiten Weltkriegs nicht verhindert werden. Danach blieb der Krieg in Europa über viele Jahrzehnte hinweg eine große Ausnahme, wenn auch abgelöst vom »Kalten Krieg« zwischen dem Westen und der Sowjetunion, der eine Remilitarisierung Deutschlands zur Folge hatte, nämlich Wiedereinführung der Bundeswehr und Beitritt zur NATO. Erinnert sei an den Kriegseinsatz der NATO gegen Serbien, als Jugoslawien zerfiel. Erinnert sei an die zahlreichen Kriege rundum in der Welt, eine der Hauptursachen für die gigantische Zahl von derzeit über 60 Millionen Flüchtlingen, mehrheitlich Frauen und Kinder.

Nach 1945 waren Frieden und der Kampf gegen die Wiederbewaffnung, gegen die sich ein breites Oppositionsbündnis bildete, bei den Internationalen Frauentagen im westlichen Deutschland vorrangiges Thema. Leider waren die Gegenmächte stärker. Es folgte der internationale Kampf der Frauen gegen die Atomgefahr und zur Verhinderung einer multilateralen Atomstreitmacht. Es gab große Proteste wie bei der NATO-Tagung in Den Haag 1964, initiiert von der amerikanischen Bewegung »Woman strike for peace«. Ab Mitte der 1960er Jahre folgte der Protest gegen den US-Krieg gegen Vietnam bis zu der Niederlage der USA 1975. In den 1980er Jahren wurde gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen in Deutschland protestiert.

Hinzu kamen der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung und gegen den § 218. Gefordert wurde der Schutz vor sexualisierter Gewalt, was zur Einrichtung von Frauenhäusern führte. Bis heute ist allerdings der Bedarf immer noch viel größer als das Angebot. Inzwischen wird der Internationale Frauentag auch durch die breite #me-too-Bewegung gegen sexuelle Gewalt geprägt und die starke Bewegung gegen Rassismus »black lives matter«. Die strikte traditionelle Geschlechterordnung in weiblich-männlich wird in Frage gestellt, und die umfassende Anerkennung alternativer sexueller Identitäten gefordert, was auch die gleichgeschlechtliche Ehe und alternative Lebensformen einschließt.

Ab Ende der 1960er Jahren rückten andere Themen in den Vordergrund. Im Grundgesetz war mit erheblichem Einsatz mutiger Frauen der Gleichberechtigungsartikel verankert worden. Frauen wollten nicht länger auf Hausfrauentätigkeit und Kinderbetreuung beschränkt bleiben. Sie wollten gleichberechtigt an Bildung, beruflichen Chancen und eigenständigem Verdienst teilhaben, und verlangten staatliche Unterstützung. Ein langer mühsamer Prozess der Gleichstellung im schulischen und beruflichen Lebenslauf begann, der nach der Wiedervereinigung nochmal einen deutlichen Schub durch die ebenfalls grundgesetzliche Verpflichtung des Staates zur aktiven Förderung der Durchsetzung von Gleichberechtigung erhielt.[1] Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung und zahlreiche gesetzliche Regelungen wie bezahlte Elternzeit, Vätermonate, flexible Teilzeitregelungen etc. gehören dazu. Und es konnten tatsächlich in den letzten Jahrzehnten noch einmal erhebliche Fortschritte für die Frauen in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit und Einkommen erzielt werden.

Aber: Nach wie vor bestehen deutliche Unterschiede in der Wertigkeit der Berufsfelder und damit auch im Durchschnittseinkommen (Gender Pay Gap), in der Rente (Gender Pension Gap) und nicht zuletzt in der Aufteilung von bezahlter Erwerbstätigkeit und unbezahlter Carearbeit im häuslichen Bereich zwischen den Geschlechtern (Gender Care Gap).[2]

Gerade letzteres wird durch die Belastung der Frauen während der Corona-Pandemie in den Focus der Öffentlichkeit gerückt. In einer Reihe von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass der »Gender Care Gap« – also die Lücke zwischen dem von Frauen und Männern betriebene Zeitaufwand für häusliche Sorgearbeit – über 50% beträgt, d.h. dass Frauen ca. 90 Minuten mehr wie ihre männlichen Partner am Tag für Sorgearbeit verwenden. Dieses Ungleichgewicht hat sich in der Pandemie noch verschärft, und ist zu einem wesentlichen Risiko für psychosomatische Erkrankungen von Frauen geworden, wie mehrere Krankenkassen bereits vermelden.

Aus Sicht des Deutschen Frauenrats[3] sind Frauen mit Sorgeverantwortung nach vier Coronawellen voller Verzicht und Disziplin erschöpft und brauchen dringend Erholungsperspektiven. Durch die pandemiebedingten Unwägbarkeiten in der Betreuung von Kindern und Angehörigen hat sich die Arbeitsteilung in Familien nachweislich retraditionalisiert. Der Deutsche Frauenrat fordert daher die Bundesregierung zum Internationalen Frauentag auf, die enorme Belastung von Frauen, insbesondere von Müttern und Pflegenden, in der Pandemie anzuerkennen und Abhilfe zu leisten.

»Zum Frauentag wollen wir keine Blumen, sondern ein grundlegendes Aufholprogramm für Frauen, damit sie durch die Pandemie und ihren hohen Einsatz für Sorgearbeit nicht in die gleichstellungspolitische Steinzeit katapultiert werden«, fordert die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.

Ein weiteres zentrales Handlungsfeld betrifft die unterschiedliche Verteilung auf die Berufsfelder. Frauendominierte Berufsfelder sind hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten und Einkommen häufig schlechter ausgestattet als die typisch männlichen Berufe. Das gilt – wie besonders drastisch in der Pandemie zu erfahren – insbesondere für die Care-Berufe, die dringend eine angemessene Personalausstattung sowie in Verbindung damit eine Aufwertung und Reform des Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Aufstiegswesens benötigen.

Genauso dringlich muss dafür gesorgt werden, dass Mädchen und Frauen ein geschlechtergerechter Zugang zur Digitalisierung gewährleistet wird. Bislang ist eine ausgeprägte Ungleichverteilung der Geschlechter in den Arbeitsfeldern der Digitalbranche festzustellen. Der Anteil der Studentinnen im Bereich Informatik liegt nur leicht über 20%, in den anschließenden Berufsfeldern noch darunter. Hier müsste es erklärtes Ziel von Gleichstellungspolitik sein, das Interesse und den Anteil von Mädchen an den MINT-Fächern schon in der Schule zu erhöhen. Im Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht wird darüber hinaus besonders auf die Veränderung der Arbeitskultur im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Sorgeverpflichtungen gedrungen: »Die Arbeits-, Organisations- und Ausbildungskultur (in den IT-Berufen) muss geschlechtergerecht gestaltet werden.«

Dies sind nur ein paar Schlaglichter auf die zentralen Themen, die am Internationalen Frauentag in Deutschland eine Rolle spielen. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung findet sich noch eine ganze Palette von Maßnahmen zu den Rechten von Kindern und Familien, zu reproduktiver Selbstbestimmung und nicht zuletzt zu häuslicher Gewalt, die wichtige Bausteine für Geschlechtergerechtigkeit werden könnten.

Zum Internationalen Frauentag gehört im Übrigen auch das Auftreten der »Omas gegen rechts«, das exemplarisch zeigt, wie bedrohlich die Rechtsentwicklung für Frauen geworden ist. Gefordert wird, dass entschieden dagegen angegangen werden muss. Die Frauen sind heute damit konfrontiert, dass ihre emanzipativen Ziele den rechten nationalistischen Bewegungen geradezu verhasst sind. So wird auf kriminelle Weise das Internet als Forum für Hasstiraden gegen Frauen missbraucht. Eine solche Hetze bis hin zu Gewalttaten richtet sich auch gegen Menschen auf der Flucht, besonders wenn sie aus moslemischen Ländern kommen und ihre Hautfarbe eine andere ist. Das wiegt umso schwerer als inzwischen Frauen aus vielen Ländern in Deutschland Schutz gesucht haben, und hier für sich und ihre Kinder auf ein besseres Leben hoffen.

In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass Frau Weigel im Bundestag bei der Debatte um die »Zeitenwende« Gleichstellungspolitik als »Gender Gaga« verhöhnte, um demgegenüber die Bedeutung der geplanten Erhöhung des Wehretats hervorheben zu können.

Wir halten fest: In den sieben Jahrzehnten der in Europa annähernd kriegsfreien Zeit konnten – wenn auch im Schneckentempo – etliche Verbesserungen hinsichtlich der Gleichstellung der Frauen durchgesetzt werden. Andererseits müssen wir nach wie vor eine Reihe von überkommenen (Stichwort häusliche Care-Arbeit), aber auch sich abzeichnenden neuen Benachteiligungen (Stichwort Voraussetzungen für digitalisierte Berufsbereiche) konstatieren, die nicht nur für die Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch für die weitere wirtschaftliche, demografische, soziale Entwicklung von großer Bedeutung sind, und den Einsatz erheblicher staatlicher Mittel erfordern werden (Stichwort Aufwertung, personelle Ausstattung und Ausbildungsreform des Care-Sektors).

Es ist aber zu befürchten, dass die gewaltigen Ressourcen, die jetzt allein zur Abfederung der Kriegsfolgen – wirtschaftliche Einbußen aufgrund der Sanktionen, Kostensteigerung der Energieversorgung, Versorgung und Integration der Flüchtenden etc. – und zur Aufrüstung und Modernisierung der Verteidigungskräfte eingesetzt werden sollen, die Finanzierung der beschriebenen Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit infrage stellen.

Hinzu kommen die Finanzierung der nicht weniger wichtigen Projekte zum Klimaschutz und zur sozialen Gerechtigkeit, die besonders für die Situation von Frauen und Kindern in weniger günstigen Verhältnissen von erheblicher Bedeutung sind.

An diesem Frauentag wird die Kriegsbedrohung alle anderen Themen überschatten. Die Frage stellt sich: Ist die Logik des Aufrüstens und der Waffenlieferung, also das, was jetzt im Bundestag und von der Regierung beschlossen wurde, alternativlos? Ein einmaliges Sondervermögen von 100 Mrd. Euro soll für eine höhere Finanzierung der Verteidigung per Verankerung im Grundgesetz gesichert werden und die Finanzierung der Bundeswehr auf mindestens 2% des Staatshaushaltes erhöht werden.

Wir empfinden ein Dilemma: Angesichts der Kriegsbilder aus der Ukraine, betroffen vom Leid der Flüchtlinge und der Bedrohung der Dagebliebenen, fällt es schwer, eine Strategie jenseits einer Eskalationsspirale ins Gespräch zu bringen. Aber muss das bedeuten, dass eine beispiellose Aufrüstung der Bundeswehr geplant wird, die die 2% Forderung der NATO noch übersteigt, und wo der längerfristige Einsatz der nicht unerheblichen Summe von 100 Mrd. Euro auch nicht annähernd geklärt ist?

Immerhin zeichnet sich auch Widerstand gegen dieses Vorhaben ab, z.B. von der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion und vom DGB. Frank Bsirske, derzeit sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, merkt an, dass der Rüstungsetat seit 2015 um mehr als ein Drittel gestiegen sei. Es müsse also erstmal geklärt werden, wozu das Geld verwendet worden ist, und ob was schiefgelaufen sei, bevor man neues »hinterherwirft«.

Fakt ist auch: Das langjährige Ziel der Friedens- und Frauenbewegung, weltweit abzurüsten, rückt in weite Ferne. Die vorrangige Botschaft aus weiblicher Sicht kann aktuell nur sein, dass der Schutz des Lebens Vorrang hat, und unbedingt ein Kompromiss gefunden werden muss, der das Blutvergießen und die Zerstörung beendet.

Anmerkungen

[1] Zum Artikel 3 Abs.2 des Grundgesetzes »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« kam 1994 die Ergänzung hinzu: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.«
[2] Die verschiedenen Gerechtigkeitslücken sind u.a. ausführlich beschrieben und untersucht in den Gleichstellungsberichten der Bundesregierung von 2010, 2017 und 2021, hrsg. durch das BMFSF. Siehe dazu: Petra Reichert, In Reichweite des Ziels? Geschlechtergleichstellung in bisherigen Regierungsberichten und im neuen Koalitionsvertrag, in: Sozialismus.de, Heft 2/2022.
[3] Der Deutsche Frauenrat ist eine politische Interessenvertretung von rund 60 aktiven Frauenorganisationen mit Sitz in Berlin und veröffentlicht seine Stellungnahmen unter www.frauenrat.de

Zurück