24. März 2023 Redaktion Sozialismus.de: Aktualisierte Konjunkturprognose des SVR

Wirtschaftsweise erwarten Mini-Erholung

Die fünf Wirtschaftsweisen heben ihre Prognose für dieses Jahr an, nachdem sie im vergangenen November noch einen Rückgang des BIP um 0,2% geschätzt hatten. Durch die stabilisierte Energieversorgungslage und gesunkene Großhandelspreise habe sich die Wirtschaftsentwicklung leicht gebessert.

Die Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) erwarten jetzt ein Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2% im Jahr 2023 und von 1,3% im kommenden Jahr.

Der kurzfristige Ausblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland habe sich gegenüber dem Herbst 2022 leicht verbessert, die Lage bleibt aber angespannt. »Die hohe Inflation stellt in diesem Jahr weiterhin eine große Belastung für die Konjunktur dar. Sie ist der größte Belastungsfaktor für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr und dämpft den privaten Konsum. Zudem belasten die steigenden Zinsen die Investitionen.«

Nach Einschätzung des Sachverständigenrates hat die Inflation ihren Hochpunkt vom Herbst 2022 überschritten. Sie dürfte aber nur langsam zurückgehen. »Die Inflation kommt zunehmend in der Breite der Wirtschaft an«, erklärte SVR-Mitglied Martin Werding während der Vorstellung ihrer aktuellen Konjunkturprognose in der Bundespressekonferenz. »Die gestiegenen Erzeugerpreise und die zu erwartenden Lohnsteigerungen dürften die Verbraucherpreisinflation noch bis ins kommende Jahr hinein hochhalten.« Die Inflation dürfte im Jahresverlauf zwar rückläufig, aber noch deutlich erhöht bleiben und für 2023 durchschnittlich 6,6% betragen. Für das kommende Jahr wird ein Rückgang auf 3,0% erwartet.

Entscheidend für die Korrektur der Wachstumsprognose ist die Aufhellung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das globale BIP wuchs im Jahr 2022 um 2,9% und damit um 0,1% mehr als im Jahresgutachten 2022 prognostiziert. Dazu trug insbesondere das überdurchschnittliche Wachstum von 1,2% im 3. Quartal 2022 gegenüber dem Vorquartal bei, während das globale BIP im 4. Quartal gegenüber dem Vorquartal mit 0,2% nur geringfügig zulegte. Die globale Industrieproduktion schrumpfte im 4. Quartal 2022 um 0,8% und der globale Warenhandel um 2,1% gegenüber dem Vorquartal. Das schwache Wachstum zum Jahresende 2022 war durch die Stagnation der chinesischen Wirtschaft und das geringe Wachstum der fortgeschrittenen Volkswirtschaften bedingt.

Die globalen Konjunkturaussichten haben sich im Vergleich zum Herbst 2022 leicht verbessert. Insbesondere die Abkehr Chinas von der strikten Null-Covid-Politik dürfte das globale Wirtschaftswachstum zunehmend stützen. So revidiert der Sachverständigenrat die Prognose für das globale BIP-Wachstum im Jahr 2023 um 0,3 Prozentpunkte auf 2,2% nach oben. Im kommenden Jahr dürfte sich das Wachstum auf 2,7% erhöhen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Engpässe bei Vorprodukten für die Industrieunternehmen weiter zurückgehen.

Die deutschen Warenexporte dürften im Jahr 2023 daher stärker an Fahrt gewinnen als im Herbst 2022 erwartet. Es bestehen jedoch verschiedene Risiken für die Weltkonjunktur. Sollte sich die Konjunktur etwa in den USA stärker als erwartet abkühlen, z.B. aufgrund einer verstärkten geldpolitischen Straffung, würde dies andere Wirtschaftsräume in Mitleidenschaft ziehen. Dies könnte insbesondere die sich gerade erholende und für den Weltmarkt wichtige chinesische Industrie bremsen.

Umgekehrt könnte eine höhere Produktion in China über eine steigende Nachfrage nach Rohstoffen wie Metallen oder Energieträgern preistreibend wirken. Auch besteht das Risiko, dass sich die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China auf die weltweite Konjunktur auswirken – insbesondere, falls es zu Sanktionen oder höheren Zöllen auf bestimmte Rohstoffe und Produkte kommen sollte.

Aufgrund der Handels- und Finanzmarktbeziehungen könnte eine unerwartete Abkühlung der US-Wirtschaft auf den Euro-Raum überspringen. Demgegenüber könnte eine stärker als erwartete Erholung der Nachfrage in China der Exportwirtschaft im Euro-Raum einen zusätzlichen Schub geben. Aufgrund der hohen Importabhängigkeit von China könnte das Wirtschaftswachstum in diesem Fall durch eine erneute Zunahme von Lieferkettenstörungen zumindest kurzfristig gebremst werden und die Inflation steigen.

Die Abhängigkeit Deutschlands von chinesischen Importen hat im Jahr 2022 weiter zugenommen. Sie konzentriert sich aber auf einzelne kritische Rohstoffe und Produkte – wie etwa Laptops (rund 80%) oder Seltene Erden (teilweise mehr als 85%).

Die Europäische Zentralbank (EZB) habe angesichts der hohen Inflation begonnen, ihre Anleihebestände zu reduzieren, und die Leitzinsen deutlich angehoben. Dies verschlechtere die Finanzierungsbedingungen für Haushalte und Unternehmen, was sowohl die Konsumnachfrage als auch die Investitionen dämpfe. Die straffere Geldpolitik dürfte sich laut SVR erst im Verlauf des Jahres merklich auf die Inflation auswirken und deren Entwicklung spürbar bremsen. »Die Inflation ist noch weit vom Ziel der EZB von 2 Prozent entfernt, daher dürften weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr erforderlich sein«, sagte SVR-Mitglied Ulrike Malmendier. Die hohe Unsicherheit an den Finanzmärkten erschwere allerdings die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken.

Ausdrücklich betonten die fünf Weisen die Stabilität des Finanzmarktes. Die Unsicherheit an den Finanzmärkten sei zwar durch die Schließung der Silicon Valley Bank (SVB) und die Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS zuletzt gestiegen. »Anders als in der globalen Finanzkrise basieren die Schwierigkeiten einzelner Banken aber nicht auf weitgehend wertlosen Finanzprodukten.« Zudem seien derzeit der Interbankenmarkt und die Kreditversorgung der Realwirtschaft nicht gestört. Die Finanzmarktstabilität dürfte daher »aktuell nicht gefährdet sein«.

Die Finanzmarkt-Expertin Malmendier geht nicht davon aus, dass die bisher bekannten Problemfälle bei Banken in den USA und in der Schweiz eine neue Finanzkrise auslösen könnten. Die Beinahe-Pleiten der SVB und der CS hätten völlig unterschiedliche Ursachen, stünden in keinem Zusammenhang und seien eher zufällig in kurzer Reihenfolge aufgetaucht. Der Startup-Finanzierer SVB sei eigentlich gut genug aufgestellt gewesen, doch hätte der massenhafte Abzug von Einlagen durch die Kund*innen — ein so genannter Bank Run — die Schieflage ausgelöst. Ohne den US-Milliardär Peter Thiel, der gut vernetzt sei und seinen »Freunden« den Abzug von Geldern empfohlen habe, wäre das SVB-Problem vermutlich nicht entstanden, sagte sie.

Anders die Situation in der Schweiz: Dort seien die besonderen Probleme der CS seit Langem bekannt gewesen, sie hätten ohnehin gelöst werden müssen. Die Fusion mit der UBS mache »wirtschaftlich großen Sinn«. Dennoch müssten die Vorfälle Konsequenzen für die Bankenregulierung haben, forderte der Rat.

Der letzte Banken-Stresstest der EZB von 2017 habe auf dem Szenario dauerhafter Niedrigzinsen beruht. Nun sei die Lage eine völlig andere, weil das Zinsniveau gestiegen sei. Von einem strukturellen Problem vieler Banken, die ihr Geld in Staatsanleihen angelegt haben, die wegen der Zinssteigerungen nun weniger wert sind, wollte Malmendier aber nicht sprechen. Und »Rufe nach weniger Regulierung sind jedenfalls nicht das Richtige«, sagte auch die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer. Die Bankenaufsichten müssten im Gegenteil bei den Banken jetzt eine »zeitnahe Betrachtung« vornehmen. Dass in Zukunft weitere Banken in Schieflage geraten, wollte der Rat nicht ausschließen.

Die Energiepreise seien in den vergangenen Monaten deutlich gesunken, doch für den kommenden Winter könne man trotzdem keine Entwarnung geben, unterstrich die Energie-Expertin Veronika Grimm. Die Gefahr einer Gasmangellage bestehe im nächsten Winter, weil der Ausfall der russischen Gaslieferungen nicht vollständig durch andere Energiequellen kompensiert werden könne. Für Gas- und Strompreisbremse müsse die Regierung wegen der gesunkenen Preise aber viel weniger ausgeben als ursprünglich erwartet: Die Gaspreisbremse koste den Staat 2023 voraussichtlich nur etwa 15 Mrd. Euro, die Strompreisbremse etwa 13 Mrd. Euro.

Im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (»Doppel-Wumms«) hatte die Regierung aber 200 Mrd. Euro bereitgestellt. Über die Verwendung des übrig bleibenden Geldes gibt es in der Ampel-Koalition unterschiedliche Auffassungen: Während Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf das WSF-Gesetz pocht, wonach das Geld nur zweckgebunden ausgegeben werden darf, drängen Teile von SPD und Grünen darauf, die Gelder auch für andere als energiepolitische Zwecke zu nutzen.

Der Prognose des Sachverständigenrates liegen verschiedene Annahmen zugrunde. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen wirtschaftliche Auswirkungen stellen weiterhin den größten Unsicherheitsfaktor für die Prognose dar. Unverändert zum Jahresgutachten 2022 gehen die Sachverständigen davon aus, dass es infolge des Krieges nicht zu verschärften wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Volkswirtschaften im Euro-Raum kommen wird. Unabhängig vom weiteren Verlauf des Krieges werde es auf absehbare Zeit keine Normalisierung der Handelsbeziehungen zu Russland geben, und auch das Sanktionsregime der Europäischen Union bleibe bestehen.

Und das Ratsmitglied Achim Truger wies zudem darauf hin, dass »zumindest für das Jahr 2023 [...] der Lohnanstieg niedriger als die erwartete Inflation« sein werde. »Einen Anstieg der Reallöhne werde es erst 2024 geben. Dies wird voraussichtlich den privaten Konsum beleben.«

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