22. Mai 2020 Peter Stahn: Wohnen in Frankfurt

Zwischen Luxussanierung und Obdachlosigkeit

Frankfurter Skyline. Foto: Daniel Mennerich/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Die Frankfurter Immobilienmakler sind zufrieden. Corona wird ihrer Prognose nach – wenn überhaupt – nur eine kleine Delle in Miet- und Kaufpreisen von Wohnungen verursachen. Verfügbarer und vor allem bezahlbarer Wohnraum wird im Rhein-Main-Gebiet und insbesondere in Frankfurt a.M. weiterhin Mangelware bleiben.

Auch der Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen geht zurück. Spekulation, Luxussanierung und Luxusneubauten bestimmen dagegen das Bild. Einen »Nachfrageüberhang« – sprich die verzweifelte Suche nach einer bezahlbaren Wohnung – wird es in naher Zukunft weiter geben.

Selbst an den Obdachlosen verdienen die Betrüger*innen aufgrund der Wohnungsnot: 900 Euro für acht Quadratmeter in einer menschenunwürdigen Lagerhalle mit zerstörten Fenstern am Autobahnkreuz an der Stadtperipherie (hessenschau vom 27.4.2020) zahlt und toleriert die Stadt Frankfurt a.M. für deren Unterbringung. Dass es Zeit ist, Schluss zu machen mit Profiten aus der privaten Verfügung über städtischen Grund und Boden, zeigt sich auch in Zeiten der Pandemie, in der Empfänger*innen des Kurzarbeitergeldes und Arbeitslose durch hohe Mieten besonders belastet sind und die Ungleichheit in den Lebensverhältnissen sich noch weiter verschärft. Es ist Zeit für ein Grundrecht auf bezahlbares und menschengerechtes Wohnen in der Stadt und auf dem Land.

Die Zahl der Wohnungs­suchenden steigt

Hauptgrund für die Wohnungsnot: Seit Jahren wird zu wenig gebaut. Unter den sieben deutschen Großstädten mit über 600.000 Einwohner*innen nimmt Frankfurt mit etwa 4.000 neu gebauten Wohnungen im Jahr 2018 zwar den dritten Rang ein, es muss jedoch bei einem jährlichen Einwohner*innenzuwachs von fast 10% seit 2012 mit jährlich 10.000 Wohnungssuchenden gerechnet werden. Der Fehlbestand an Wohnungen beläuft sich in Frankfurt a.M. auf fast 40.000 Wohnungen.

Statistische Tricks der Stadtverwaltung, die sich im Wohnungsmarktbericht 2018 widerspiegeln, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wohnungsversorgungsquote in der Stadt, die das Verhältnis von Wohnungen und allen Haushalten darstellt, Jahr für Jahr bis 2015 auf 90,4% gesunken ist und seitdem kaum steigt. Die Quote müsste bei einem ausreichenden Angebot an Wohnungen jedoch bei mindestens 103% liegen, wenn Leerstand und Sanierungen berücksichtigt werden.

Auch erhöhte sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort Frankfurt a.M. 2017 um 2,9% auf 575.532 (Vorjahr: 559.544). Dies war der größte Anstieg seit 2008. Der Anteil der Einpendler*innen beträgt davon 64,2%. D.h. ein großer Teil dieser rund 370.000 Beschäftigten verstärkt noch den Druck auf den Wohnungsmarkt. Wenn sie keinen bezahlbaren Wohnraum in Frankfurt a.M. gefunden haben, sind sie gezwungen, einen längeren Arbeitsweg in Kauf zu nehmen (siehe auch untere Abb.).

Die Mieten gehen weiter durch die Decke

Folglich steigen angesichts des knappen Angebots an Wohnungen die Mieten zu Mondpreisen: Im gesamtstädtischen Durchschnitt seien die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 44,6% gestiegen, so ein Fazit einer Studie des Beratungsunternehmens »Immo Concept« (FAZ Online v. 13.10.19). »Wenn Wohnraum zur lukrativen Ware wird, werden Menschen zum Kostenfaktor degradiert. Können oder wollen sie sich eine erhöhte Miete nicht leisten, werden sie zum Hindernis, das es aus dem Weg zu räumen gilt. Gentrifizierung und Entmietung sind in Frankfurt nichts Neues«, heißt es in der FAZ (ebd.).

Ganze Stadtteile, ehemals Arbeiterviertel, haben sich zu Trendbezirken der Vermarktungswelle gewandelt. Auch vor dem Rotlichtviertel macht die Entwicklung nicht halt. »An der von Rotlicht und Drogen geprägten Taunusstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel etwa kann man nun für 1.500 Euro monatlich ein Ein-Zimmer-Apartment mieten. Im Gallus laufen Mieter und Lokalpolitiker Sturm gegen das börsennotierte Unternehmen Vonovia – durch Modernisierung sei die Miete derart angestiegen, dass einige Mieter ausziehen müssten; die Häuser liegen im Milieuschutzgebiet, dessen Satzung begrenzt alle Vorhaben, die zu einer Änderung der sozialen Struktur führen können, beispielsweise ein Zusammenlegen von Wohnungen auf 130 Quadratmeter. So soll die Vertreibung von alteingesessenen Mieterinnen und Mietern durch Luxussanierungen verhindert werden. Im Ostend bekommt die Nachbarschaftsinitiative »NBO« regen Zulauf, die Mietern Rechtshilfe bietet – mit Erfolg: Einzelne Räumungsklagen nach Eigenbedarfskündigungen wurden vom Amtsgericht bereits abgewiesen.« (Ebd.)

In Frankfurt a.M. werden mittlerweile Mietpreise von bis zu 20 Euro/qm gefordert. Im Städtevergleich nehmen München und Frankfurt a.M. bei den Mietpreisen die beiden Spitzenplätze bei Neuverträgen mit einem Durchschnitt mit 17,76 und 14,92 Euro/qm ein. Um der Spekulation mit Wohnraum entgegenzuwirken, müssten laut dem Darmstädter »Institut Wohnen und Umwelt« jährlich ca. 6.700, bis 2040 100.000 Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet und 500.000 Wohnungen in ganz Hessen gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Das alleinige Setzen auf Neubautätigkeit wird den Mangel vor allem an bezahlbarem Wohnraum allerdings nicht schnell genug beseitigen können – zudem neue Wohnungen in der Regel zu deutlich höheren Preisen angeboten werden als Wohnungen im Bestand.

Zu wenig Sozialwohnungen und zu geringe Einkommen

Hinzu kommt, dass es der Landesregierung mit den bisher ergriffenen Maßnahmen nicht gelungen ist, die Belegbindungen für Sozialwohnungen in nennenswertem Umfang zu steigern bzw. wenigstens nicht auslaufen zu lassen. Anstatt mit dem Rückkauf der Sozialbindung und gefördertem Wohnungsneubau dem Rückgang am Bestand von Sozialwohnungen entgegenzusteuern, ist die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen allein im vergangenen Jahr von 85.484 auf 80.309 Wohnungen erneut gesunken (siehe auch Abb. unten), obwohl der Bedarf an Sozialwohnungen sowie günstigen Wohnungen für kleine und mittlere Einkommen unaufhörlich steigt.

Die Haushaltseinkommen sind in Frankfurt a.M. im Vergleich zu München mit ähnlich hohen Mietpreisen im Schnitt jedoch bedeutend geringer. Auch im gesamten deutschen Großstadtvergleich sind die Haushaltseinkommen in Frankfurt a.M. relativ gering (siehe untere Abb.).

Somit ist die Disparität zwischen verfügbarem Einkommen und hohen Mieten in der Stadt besonders drastisch. Die durchschnittliche Mietbelastung beträgt für die vielen einkommensschwächeren Haushalte in Frankfurt a.M. mittlerweile mehr als ein Drittel ihrer Budgets. Ein weiteres Indiz für die Disparität ist, dass die Zahl der Wohnungswechsel immer mehr abnimmt. Zuletzt sank die Fluktuationsrate in den Mietwohnungen von 2016 auf 2017 von 15,5 auf 13,8%. Kein Wunder: Wer nicht unbedingt muss, bleibt in seiner Wohnung und erhält sich damit seine günstigere Miete.

Geringverdiener*innen und Hartz IV-Empfänger*innen leiden unter der Wohnungsnot am extremsten. Im Jahr 2017 verfügten 20,1% der Frankfurter Haushalte über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen unter 1.300 Euro. Bei 32,6% der Haushalte lag es bei 3.200 Euro und mehr. 40,6% der Haushalte bezogen ein Nettoeinkommen von unter 2.000 Euro im Monat. (Siehe untere Abb.)

Folglich gibt es eine hohe Zahl an Sozialleistungsempfänger*innen (94.119), die in besonderem Maße auf preiswerten und geförderten Wohnraum sowie Wohngeld angewiesen sind. Hierunter fallen Personen, die Leistungen wie Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV), Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Asylbewerberleistungen erhalten. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug 12,2% (nach 12,7% im Vorjahr). (Siehe untere Abb.)

Der Frauenanteil an den Empfänger*innen bedarfsorientierter Sozialleistungen ist von 49,3% auf 49,5% gestiegen. In Frankfurt a.M. leben laut Jugendamt rund 18.600 Kinder im Alter bis 14 Jahren von Hartz IV (FR Online v. 7.4.20). In Coronazeiten mit geschlossenen Kitas und Schulen ohne Notbetreuung gibt es in meist zu kleinen Wohnungen kaum einen Rückzugsort für die Kinder. Die Folge sind häusliche Gewalt statt Homeschooling. Arm sein wird in Krisenzeiten doppelt bestraft.

Obdachlosigkeit prägt das Bild in manchem Stadtviertel

Von Sozialleistungen meist ganz ausgeschlossen sind die in Frankfurt a.M. auf Jobsuche befindlichen Arbeitssuchenden und zugleich oft Wohnungslosen, die inzwischen das Bild in mehreren Stadtteilen prägen. Laut einer Studie, die seit zwei Jahren vom Senat Frankfurt unter Verschluss gehalten wird, ist die Gruppe wohnungsloser EU-Bürger*innen sehr heterogen. Unter den Befragten waren Menschen aus Bulgarien, Rumänien, Polen, Italien, Ungarn und Lettland. Einige der Befragten hatten eine Ausbildung und Berufserfahrung, wenige sogar eine Universität besucht.

Fast alle Interviewten berichteten, dass es schwer sei, aus der Obdachlosigkeit heraus Arbeit zu finden. Arbeits- und Wohnungslosigkeit sei kausal oft eng miteinander verbunden, Obdachlosigkeit häufig ein Effekt des Ausschlusses von sozialen Leistungen. Roma berichteten zusätzlich von Diskriminierung. Obwohl die jobsuchenden EU-Bürger*innen neben ihrer schweren Lebenssituation auch über ständige Kontrollen durch die Stadtpolizei berichteten, dachten die Interviewten kaum darüber nach, Frankfurt a.M. zu verlassen, da es weder im Herkunftsland noch andernorts bessere Perspektiven gebe.

Die Autor*innen der Studie leiten aus ihrer Forschung 28 Handlungsempfehlungen für die Stadt Frankfurt a.M. ab. Die wichtigste ist, den Zugang zu Notunterkünften nicht länger an den Anspruch auf Sozialleistungen zu koppeln, sondern sie für alle Menschen, die in der Stadt wohnungslos sind, zu öffnen. Zudem sollten spezielle Angebote für Kranke und Menschen mit Behinderung entstehen. Roma bräuchten zudem Räume, wo sie vor Rassismus geschützt seien. Außerdem schlagen die Wissenschaftler*innen der Stadtverwaltung vor, Obdach zu schaffen, z.B. Übergangswohnheime einzurichten, in denen EU-Bürger*innen während ihrer Ankunfts- und Orientierungsphase zeitweise unterkommen könnten und wunschgemäß mehr Deutschkurse anzubieten (vgl. ebd.).

Wohnen muss Grundrecht werden

All dies untermauert eindrücklich die Notwendigkeit, dass die Politik viel stärker als bisher regulierend in den Wohnungsmarkt eingreifen muss. Die durch die Koalition im Bund beschlossene Verschärfung der Mietpreisbremse reicht nicht aus, um Mietpreissteigerungen weitgehend zu verhindern. Sie muss durch einen Mietendeckel, den es bisher nur in Berlin gibt, und den die hessische Landesregierung explizit ablehnt, sowie durch ein Zweckentfremdungsverbot und die Ausweitung der Milieuschutzsatzung dringend ergänzt werden. Deshalb fordert die Bundestagsfraktion der LINKEN eine Erweiterung der Verfassung um einen Artikel 14a, eines Grundrechts auf »angemessenes und bezahlbares Wohnen«, der den Staat zu weitergehenden Maßnahmen und Instrumenten zur Lösung des sozialen Wohnraumproblems ermächtigt. Ein derartiges Grundrecht würde den Wertecharakter unserer Verfassung verstärken und den Sozialstaatsgedanken verdeutlichen, dies meint auch der Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips.

Zu oft gilt: »Seine Altmieter loszuwerden ist der größte Werthebel für Immobilien«, wie einer der Leidtragenden der Gentrifizierung richtig feststellt (FAZ Online v. 13.10.19). Und weil immer mehr Mieter*innen befürchten müssen, verdrängt zu werden oder die nach erfolgter Sanierung fälligen Mieterhöhungen nicht tragen zu können, organisiert sich der Widerstand und macht Druck auf die Stadt- und Landesregierung. Das Bündnis »Mietenwahnsinn Hessen« verlangt einen gesetzlichen Mietendeckel und die Vergesellschaftung großer, renditeorientierter Wohnungsunternehmen. Wohnen als Grundrecht fordert Solidarität mit den Schwächeren der Gesellschaft ein und das Zurückdrängen der privaten Verfügung über Grund und Boden in den Städten zugunsten einer gemeinschaftlichen Planung und Nutzung der noch vorhandenen Bauressourcen für an die Bedürfnisse der Menschen angepasste Wohnformen.

Um die Not der von Einkommensverlusten aus Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit unter der Corona-Pandemie betroffenen Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, zu mildern, müssen die bisher von der Bundesregierung kurzfristig ergriffenen Schutzmaßnahmen erweitert werden: bei Mietzahlungsrückständen ist ein längerer Kündigungsschutz über den 30. Juni 2020 hinaus erforderlich, eine zinslose Stundung der Mietzahlungen und ein unbürokratischer Zugang zu Wohngeld. Auch der DGB fordert, den gesetzlichen Kündigungsschutz für Mieter*innen in der Corona-Krise auf bis mindestens Ende September zu verlängern (dpa v. 20.5.20).

Peter Stahn ist aktiv in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST) und Redakteur von vorortLINKS.


[1] Bürgeramt, Statistik und Wahlen, Statistisches Jahrbuch Frankfurt am Main, Ziff. 6.6; Angabe zum Jahresende. Sämtliche Abbildungen wurden dem Wohnungsmarktbericht 2018, herausgegeben von der Stadt Frankfurt, Amt für Wohnungswesen, erschienen September 2019, entnommen.
[2] Die Angaben beziehen sich auf Wohnungen für Baujahre der jeweils letzten zehn Jahre mit einer Größe von 60 bis 80 Quadratmetern und gehobener Ausstattung. Statista Research Department, 27.4.2020.
[3] Hessisches Statistisches Landesamt, Mikrozensus 2017, Tabelle REG-HH 5.
[4] Bürgeramt, Statistik und Wahlen, Statistisches Jahrbuch Frankfurt am Main, Ziff. 7.1.
[5] Wie die Frankfurter Rundschau online v. 11.3.2020 berichtet.

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