6. Februar 2021 Redaktion Sozialismus: Erste Schritte der neuen US-Administration

Zähes Ringen um einen »Rettungsplan für Amerika«

Die frühere Notenbankchefin Janet Yellen ist Finanzministerin in der neuen US-Regierung von Joe Biden. Der Senat bestätigte die Ökonomin mit 84 zu 15 Stimmen. Erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten wird das einflussreiche Ministerium damit von einer Frau geführt.

Janet Yellen stand von 2014 bis 2018 an der Spitze der US-Notenbank Federal Reserve Board (Fed). Die 74-Jährige will die Wirtschaft mit massiven Konjunkturhilfen durch die Corona-Krise bringen: »Wir stehen vor großen Herausforderungen. Um uns zu erholen, müssen wir den amerikanischen Traum wiederherstellen – eine Gesellschaft, in der jeder Mensch sein Potenzial entfalten und für seine Kinder noch größer träumen kann. Als Finanzministerin werde ich jeden Tag daran arbeiten, diesen Traum für alle wieder aufzubauen.«[1]

Angesichts historisch niedriger Zinsen sei es momentan klug, »groß zu handeln«. Angesichts der wegen der Corona-Pandemie schwer angeschlagenen amerikanischen Wirtschaft wird Yellen eine zentrale Rolle bei den Anstrengungen gegen die Krise zukommen. Konkret geht es in Sondierungsgesprächen im Kongress um ein 1,9 Bio. US-$ schweres Corona-Paket.

Präsident Biden hofft, dass es mit Unterstützung beider Parteien im US-Kongress verabschiedet werden kann. Auch wenn ein Treffen mit zehn republikanischen Senator*innen produktiv verlaufen sei, so liefere deren auf 618 Mrd. US-$ abgespeckter Vorschlag in vielen Bereichen doch keine Antwort auf drängende Probleme. Biden und Yellen pochen insbesondere auf Hilfen für die Bundesstaaten und kommunalen Verwaltungen, die in dem republikanischen Paket nicht vorgesehen sind.

Die republikanische Senatorin Susan Collins sprach von offenen und nützlichen Gesprächen, die jedoch keinen Durchbruch gebracht hätten. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Demokraten angesichts der anhaltenden Polarisierung im Kongress gewillt sind, ihr 1,9 Bio. US-$ schweres Paket notfalls auch ohne einen parteiübergreifenden Konsens beschließen zu lassen. Mit dem vom demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, initiieren Plan B könnten sie Corona-Hilfsmaßnahmen als Teil der Haushaltsplanung deklarieren und so in einem vereinfachten Verfahren durch beide Häuser des Parlaments bringen.

Das Maßnahmenbündel könnte letztlich mit der entscheidenden Stimme von US-Vizepräsidentin Kamala Harris beschlossen werden, die in einer Pattsituation im Senat den Ausschlag geben kann. Expert*innen haben allerdings darauf verwiesen, dass ein solches Verfahren wohl mehr Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Zudem sei fraglich, ob dieser Prozess tatsächlich auf alle Teilvorhaben des Hilfsplans anwendbar sei. Die US-Finanzministerin will mit den demokratischen Senator*innen über das weitere Vorgehen beraten.

Ende des vergangenen Jahres hatte der Kongress nach langem Hin und Her ein 900 Mrd. US-$ schweres Hilfspaket auf den Weg gebracht. Die US-Wirtschaft wird unabhängigen Expert*innen des Kongresses zufolge dieses Jahr um 4,6% wachsen – auch angetrieben durch die Hilfspakete im Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie. Diese hatte 2020 für die US-Wirtschaft einen massiven Schrumpfungsprozess ausgelöst: Das Bruttoinlandsprodukt brach mit 3,5% so stark ein wie seit 1946 nicht mehr. Insbesondere das Millionenheer von Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen, gilt als eine der größten Herausforderungen für Bidens Regierung.

Die neue Administration bemüht sich um eine überparteiliche Einigung für das Maßnahmenbündel Die rd. 1,9 Billionen US-$ entsprächen fast 10% der US-Wirtschaftsleistung. Den Republikanern ist das zu hoch, deshalb ist ihr Vorschlag auf etwas mehr als 600 Mrd. US-$ begrenzt.

Der Plan der Biden-Administration zielt darauf ab, den Föderalismus durch Unterstützung der Einzelstaaten und Kommunen, deren Steuerbasis stark beschädigt wurde, mit rund 350 Mrd. US-$ zu stabilisieren. Diese Gelder werden zur Weiterbeschäftigung von Lehrer*innen, Feuerwehrleuten, Polizist*innen und anderen systemrelevanten öffentlichen Bediensteten dringend benötigt. Gleiches gilt für die zusätzlichen 20 Mrd. US-$ zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs während der Krise.

Und schließlich umfasst der Plan eine Strukturkomponente: Er sieht eine längst überfällige Erhöhung des nationalen Mindestlohns auf 15 US-$ pro Stunde vor, was eine Lohnsteigerung für rund 30% der amerikanischen Beschäftigten bedeuten würde. Die USA haben einen nationalen Mindestlohn von 7,25 $ pro Stunde. In 29 Gliedstaaten liegt er allerdings bereits über diesem Niveau. Präsident Biden möchte ihn nun bis 2025 mehr als verdoppeln. Untergebracht ist der Vorschlag in dem Rettungsprogramm, das derzeit im Kongress beraten wird.

Mit dieser Strukturkomponente soll die Zahl der »Working Poor« verringert werden, also von Menschen, die trotz Arbeit Einkommen unter der Armutsgrenze haben. Das Budgetbüro des Kongresses (CBO) schätzt, dass 17 Mio. Personen, die heute weniger als 15 US-$ pro Stunde verdienen, direkt profitieren würden. Allerdings verlören auch 1,3 Mio. Menschen ihre Arbeit, so die Schätzung der CBO-Ökonomen.

In der politischen Debatte überwiegt aktuell die Einschätzung, dass mögliche Rückwirkungen einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns auf die Beschäftigung vernachlässigbar sind. Der Mindestlohn wurde auf nationaler Ebene letztmals 2009 angepasst. Seither hat er real 17% an Kaufkraft eingebüßt.

Die Erhöhung des Mindestlohns ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Position der Lohnabhängigen und demzufolge auch populär. So haben 60% der Wähler*innen im konservativen Gliedstaat Florida im November einer stufenweisen Erhöhung des Mindestlohns von 8,56 US-$ auf 15 US-$ bis 2026 zugestimmt. Es ist deshalb gut möglich, dass eine Erhöhung des Mindestlohns in Washington sowohl bei Demokraten wie Republikanern eine Mehrheit findet – allerdings kaum auf 15 US-$, da auch einige demokratische Senator*innen diesem Ansinnen skeptisch gegenüberstehen.

Biden bezeichnet seinen Plan zu Recht als »Rettungsplan für Amerika« und nicht als »Wiederaufbau-« oder »Konjunkturprogramm«. Sollte er Erfolg haben, wird das Paket die negativen Folgen der Pandemie bekämpfen, verschiedene katastrophale soziale Entwicklungen abwenden und den Zusammenbruch der von Einzelstaaten und Kommunen erbrachten Leistungen verhindern.

Ein Wiederaufbau der Wirtschaft ist wichtig, aber dies ist ein separates Ziel, das durch ein zweites Maßnahmenpaket vorangetrieben werden kann. Biden hat diesen Punkt bewusst deutlich gemacht: Sobald der Rettungsplan umgesetzt ist, kann der Wiederaufbau beginnen, wobei der Schwerpunkt auf massiven Investitionen in den Bereichen Infrastruktur-, Energie- und Klimapolitik liegen soll. Diese zweite Phase kann u.a. genutzt werden, um z.B. Dienste im öffentlichen Sektor und zur Verbesserung sozialer Bedürfnisse wieder in Gang zu bringen. Diese Abfolge ist entscheidend, da diese Sektoren sich nicht einfach von selbst erholen und zu ihren früheren Positionen innerhalb der Volkswirtschaft zurückkehren werden.

Die Pandemie hat die Luftfahrt, die Bautätigkeit in Wirtschaft und Einzelhandel, den Energiesektor und viele weitere Branchen auf den Kopf gestellt. Daher wird man ein breites Spektrum an Fertigkeiten und Ressourcen umschichten müssen. Ein als zweite Phase durchgeführtes Wirtschaftsprogramm kann dabei den Weg weisen. Wie an der Strukturkomponente im Rettungsplan deutlich wird, werden hier Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung mit Perspektive auf eine Rekonstruktion der Ökonomie akzeptiert. Die Biden-Administration schlägt nicht nur vorübergehende Maßnahmen vor, die später wieder zurückgenommen werden sollen, und beruft sich nicht auf Wirtschaftsprognosen, um eine Lücke zwischen den Kosten und den Ergebnissen des Programms zu decken.

Nachdem sie sich von Anfang an einer ehrgeizigen Agenda verpflichtet hat, dürfte es für die Administration schwierig werden, substanzielle Rückzieher zu machen. Gleichwohl fehlen im Rettungsprogramm die auch bereits angekündigten Investitionspläne. Die Maßnahmen des Rettungsprogramms werden weder im Bereich der öffentlichen Gesundheit noch der Infrastruktur-, Energie- und Klima-Sektoren genügend Arbeitsplätze schaffen, um die Verluste in Amerikas riesigem Dienstleistungssektor auszugleichen.

Wenn die unmittelbare Krise vorbei ist, müssen zudem die Notfallmaßnahmen zur Stundung von Mietzahlungen, Hypothekenzahlungen, Rechnungen für die Krankenversorgung und Studentenkrediten in eine Strukturpolitik eingebunden werden, in dem durch Stärkung der Einkommensposition der Lohnabhängigen auch eine Sanierung der privaten Haushalte möglich wird, unbezahlbare Schulden auf faire und geordnete Weise abgeschrieben, erlassen oder verglichen werden können. Allerdings lassen die ersten Maßnahmen der Administration einen entschiedenen politischen Willen zu strukturellen Reformen erkennen.

Anmerkung

[1] »We face great challenges as a country right now. To recover, we must restore the American dream – a society where each person can rise to their potential and dream even bigger for their children. As Treasury Secretary, I will work every day towards rebuilding that dream for all.«

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