Alle Jahre wieder ...

... hat die Redaktion von Sozialismus.de gemeinsam mit dem Team des VSA: Verlags am Nikolaustag Tipps verschickt, damit niemand am 24. Dezember in enttäuschte Gesichter der Lieben schauen muss, weil nicht rechtzeitig Geschenke ausgesucht und besorgt wurden. Doch in diesem Jahr ist alles anders, auch bei uns. Mit Blick auf die verlängerten Lieferzeiten in einer weitgehend online geprägten Weihnachtszeit versenden wir unsere Empfehlungen eine Woche früher und nehmen den Vortag von Friedrich Engels’ 200. Geburtstag zum Anlass.

Dieser selbst mochte ungern gefeiert werden, wie er vor 130 Jahren an Friedrich Adolph Sorge schrieb: »Jetzt kommen schon die Gratulationen zu meinem übermorgigen 70. Geburtstag ... Ich wollt, die Geschichte wär’ vorüber, es ist mir gar nicht geburtstäglich zumut ... Und schließlich bin ich ja großenteils doch nur derjenige, der den Ruhm von Marx einerntet!« An anderer Stelle äußerte er sich ähnlich: »Ich habe mein Leben lang das gemacht, wozu ich gemacht war, nämlich die zweite Violine zu spielen.« Dass diese bei allem Understatement ein stimmgewaltiges Instrument war, machen die Autoren des VSA: Bandes mit dem Untertitel Friedrich Engels kennenlernen und bereits zuvor Elmar Altvater in dem hellblauen Bändchen Engels neu entdecken deutlich.

Wir wünschen wie alle Jahre wieder auch diesmal den Freund*innen und Unterstützer*innen des Zeitschriftenprojekts und des VSA: Verlags angenehme Festtage.
Bleibt trotz allem gesund und optimistisch!

Bernhard Sander [Redaktion Sozialismus.de]

Wer die Atmosphäre einer aufstrebenden preußischen Industriemetropole, die revolutionäre Unruhe im Bürgertum und den lebenslangen Bezug des größten Sohns der Stadt zu seinem »Wupperthale« nachvollziehen will, ist mit dem Buch Friedrich Engels im Wuppertal von Reiner Rhefus gut bedient.

Die zahlreichen Abbildungen bringen uns die Stadtentwicklung, die Verwandtschaft, die prägenden Menschen im Umfeld, die Lebenswelt des Bürgertums nahe. Rhefus breitet detailreich Portraits und urbane Entwicklungen (Fabriken, Zeitungen, Veranstaltungskultur) vor uns aus. Man kann an jeder Seite zum Schmökern aufsetzen und nachvollziehen, wie die Familie Engels, er selbst, die Sozialdemokratie und die Erinnerungskultur der Arbeiterbewegung die Stadt Wuppertal geprägt haben. Dieses Buch ist keine Hagiografie. Man sollte damit der Stadt einen Besuch abstatten: Sie will das Engels-Jahr bis November 2021 verlängern, da Corona ihr »ins Gedenkjahr grätschte«, wie Deutschlandfunk Kultur gerade vermerkte.

Leider bis zu diesem Sommer liegen geblieben, war dieses Buchgeschenk dann eine durchaus auch zum Schmunzeln animierende Ergänzung zum US-amerikanischen Wahlkampf. Der Hobby-Ornithologe Jonathan Franzen (diese Passion merkt man seinem Roman Freiheit an) schildert wieder eine Familiengeschichte bis ungefähr zum Amtsantritt Obamas. Diesmal geht es um die Dreiecksbeziehung eines Ehepaares, was ein bisschen an französische Spielfilme erinnert, und um ihren sozialen Aufstieg aus dem idealistischen akademischen Milieu in die Welt des Profits – samt einer schönen Nebenhandlung zu den Kindern und den Bereicherungsmöglichkeiten der Militärwirtschaft im Irak. Faszinierend sind Passagen über die ökologisch bemäntelten Gewinn-Interessen im Kohlebergbau des mittleren Westens, wo heute Donald Trump seine überzeugte Gemeinde hat. Der Autor stellt dar, wie die demokratisch Wohlmeinenden die Bergarbeiterinteressen instrumentalisieren. Franzen schreibt lässig im Stil einer Netflixserie. Als Aufmunterung zur Selbstreflexion kann man das Buch manchem Grünen unter den Baum legen. Spoiler: Der Autor findet keine allgemein-politische Lösung für sein Vogelschutzdilemma.

Louisa Bäckermann [Praktikum | ab Januar 2021 VSA: Teammitglied]

Obwohl Deutschland ein an vielen Enden gut funktionierendes Gesundheitssystem hat, rutschen Menschen durch das Netz. Denn das ist leider nicht unabhängig vom ökonomischen Status, der Hautfarbe und dem Wohnort und allem voran, ob eine Person einen deutschen Pass hat oder nicht. In diesem Jahr sind diese Ungleichheiten ohne Frage besonders sichtbar geworden. Die Poliklinik Veddel auf der südlichen Seite der Elbe in Hamburg wirkt dagegen. Sie berät, behandelt und unterstützt, wo das staatliche Gesundheitssystem die Zusammenhänge verdrängt oder nicht aufzufangen vermag. Durch eine Spende im Namen eurer Freund*innen und Familie könnt ihr sie bei ihrer Arbeit unterstützen – oder gleich durch eine Fördermitgliedschaft.
Gruppe für Stadtteilgesundheit und Verhältnisprävention e.V.
IBAN DE29 4306 0967 2065 8803 00
BIC GENODEM1GLS

Der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« in den Ländern Lateinamerikas befindet sich nicht gerade in einer Blütezeit. War es die ökologische Selbst-Ausbeutung und bestehende Abhängigkeit auf dem Weltmarkt, die Unfähigkeit der Regierungen, basisdemokratische Strukturen zu fördern, oder die fortwährende Einmischung der USA, die zu dessen Scheitern beigetragen haben? Für alle, die unablässig ihre Fühler nach Alternativen zum Neoliberalismus ausstrecken, die sich fragen, ob und wie eine linke Regierung die soziale Lage der Menschen verbessern kann, und für die, die den Sozialismus trotz der Situation in den Staaten Lateinamerikas nicht abschreiben, sondern ihn lieber in all seinen Facetten und Grenzen verstehen wollen, ist Krisen progressiver Regime die richtige Lektüre, um den Blues nach den Feiertagen mit Hintergrundinfos zum politischen System Venezuelas zu füllen. Auch wenn Hoffnung vielleicht nicht das erste ist, was in den Sinn kommt, wenn es wie in Klaus Meschkats Flugschrift vor allem ums Scheitern geht, so findet sich doch in jedem Scheitern immer Platz für Neues.

Richard Detje [Lektorat | Redaktion Sozialismus.de | WISSENTransfer]

Am 8. Mai feierte der Jazzpianist Keith Jarrett seinen 75. Geburtstag. Unter dramatisch veränderten Bedingungen, wie er im vergangenen Monat bekannt gab. 2018 hatte er zwei Schlaganfälle erlitten – mit der Folge, dass er vermutlich nie wieder solo Coram publico spielen kann. Und auch sein berühmtes Trio gibt es nicht mehr, nachdem am 4. September der Bassist Gary Peacock verstorben war. Mit diesem und Schlagzeuger Jack DeJohnette war Jarrett jahrzehntelang aufgetreten (ich empfehle z.B. After the Fall vom 14.11.1998). Eines der letzten Live-Solo-Konzerte gab Jarrett am 3. Juli 2016 in der Béla Bartók Concert Hall in Budapest, dessen Mitschnitt ECM jetzt unter dem Titel Budapest Concert herausbrachte. »Jarrett at his best« lauten die Kommentare der einschlägigen Expert*innen. Ein Stück aus dem Konzert könnte als ein vorweggenommener Abschied angehört werden. Das Ursprungsmaterial ist die Schnulze des »Capri-Fischer«-Komponisten Gerhard Winkler: »Glaube mir«, woraus Jarrett »Answer me« machte. Die Transformation ist hier zu hören.

Gut 20 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes des Opus magnum von Frank Deppe Politisches Denken im 20. Jahrhundert hat der VSA: Verlag das Gesamtwerk als eine Studienausgabe herausgebracht: 2.184 Seiten zum Gesamtpreis von 50 Euro. Das ist demokratisierter Einstieg in die Aneignung der bis heute relevanten politischen Blöcke, Systeme, Parteikonfigurationen mitsamt der maßgeblichen Vordenker und Akteure: nach den Anfängen im Fin de Siècle bis zum Weltenbrand des frühen 20. Jahrhunderts, der intellektuell turbulenten Zwischenkriegszeit, dem heißen und kalten Krieg, dem Golden Age bis zur – auch 2020 »nach Trump« – offenen Frage der Geburt einer neuen Weltordnung. Was den Gebrauchswelt der insgesamt fünf Bände außerordentlich steigert, ist die Vorstellung und Einordnung der für die jeweilige Epoche maßgeblichen Intellektuellen. Rund 30 von ihnen werden in den Bänden biografisch, ideengeschichtlich sowie als politische Akteure vorgestellt. Wer wissen will, wo wir heute stehen und wie weit der »lange Arm« des 20. Jahrhunderts reicht, kommt um Deppes »Politisches Denken« nicht herum. Deshalb: Als Geschenk für systematische Aneignung oder als Nachschlagewerk sehr empfohlen.

Marion Fisch [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus.de]

In linken Denkgebäuden fällt die Orientierung zunächst oft schwer. Für die »Frankfurter Schule« und die darin entwickelte Kritische Theorie gilt das allemal. Dazu erschien in diesem Jahr ein anschaulicher Wegweiser, geschrieben von dem britischen Journalisten Stuart Jeffries. Der einem Zitat von Georg Lukács entlehnte Titel Grand Hotel Abgrund deutet auf die geradezu unmögliche Aufgabe hin, Untergänge analysierend festzuhalten. Und wie konnte aus ein und derselben Schule der virtuos zersetzende elitäre Denker Adorno hervorgehen, aber auch Erich Fromm, der ein Massenpublikum mit »Die Kunst des Liebens« erreichte? Wie gelangt man vom Meister des negativen Denkens Walter Benjamin bis zum »Weltphilosophen« Jürgen Habermas, der mit dem »deutschen Papst« verkehrt? Jeffries’ Kollektivbiografie über die Theoretiker aus Frankfurt hilft jedenfalls, sich in dieser Schule und ihrer enormen Bandbreite besser zurechtzufinden.

Ein Weihnachtsgeschenk zur Einstimmung auf den kommenden März, in dem Rosa Luxemburgs 150. Geburtstag begangen wird, ist die »Spurensuche«, auf die sich das deutsch-polnische Autorenduo Holger Politt und Krzyzstof Pilawski begeben hat. Die von ihnen dargebotenen »Dokumente und Zeugnisse einer jüdischen Familie« führen durch zerklüftete historische Landschaften: Galizien, Russland, Polen, Litauen, Deutschland. Es ermutigt schon von daher, dass neben einer polnischen Edition u.a. auch eine russische in Vorbereitung ist. Zugleich wird in diesem Bild- und Textband Luxemburgs Leben nicht von seinem Ende und dessen spaltenden Auswirkungen, sondern von seinen Wurzeln her erzählt. So zeigen etwa die komplexen verwandtschaftlichen Verbindungen der Emigrantin Rosa Luxemburg zur Stadt des Warschauer Ghettos: Eine Lage gar nicht erst entstehen zu lassen, die zur Ermordung einer polnisch-deutsch-jüdischen Revolutionärin in Berlin führt, das wäre auch eine Herausforderung für die Linke …

Christoph Lieber [Redaktion Sozialismus.de]

System Change ist machbar: Aufgeklärtere Teile der politischen und wirtschaftlichen Eliten hierzulande versuchen schon länger, Transformation, Nachhaltigkeit und kapitalistische Marktwirtschaft unter einen Hut zu bringen. Insofern ist die politische Linke herausgefordert, ihre Transformationsstrategie zu schärfen. Dazu leistet das programmatische Vermächtnis des scheidenden Co-Vorsitzenden der LINKEN, Bernd Riexinger, einen lesenswerten Beitrag. Mit System Change – Plädoyer für einen linken Green New Deal gelingt Riexinger eine strategisch ausgerichtete Synthese von gemeinwohlorientiertem »Infrastruktursozialismus«, Guter Arbeit, demokratischem Sozialstaat, radikalem Klimaschutz durch Mobilitäts- und Agrarwende sowie ökologischer und wirtschaftsdemokratischer Transformation der Industrie. In Anknüpfung an Vorschläge von Thomas Piketty u.a. zeigt Riexinger auch einen machbaren Weg von Umverteilung durch progressive Vermögensbesteuerung, Corona-Soli und Verursacherprinzip auf. Die subjektiven Träger einer solchen Transformationspolitik sollen durch eine »verbindende Klassenpolitik« gestärkt werden. Es liegt an der politischen und kulturellen Linken insgesamt, im Bündnis mit Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Akteuren dafür in einer gemeinsam getragenen politischen Mobilisierungssprache zusammenzufinden.

Auch Beethoven »transformiert«! Mit dessen frühen Klaviersonaten und Streichquartetten erlebte um 1800 die Subjektivität im »kommunikativen Ideal« gesprächszentrierter Salonkultur einen Durchbruch. Fast 200 Jahre später spricht der kanadische Pianist Glenn Gould in einem Selbstinterview davon, dass die kreativen Ideen in Beethovens Musik eine kommunikative Macht über das bloße Konzertpublikum hinaus in die Gesellschaft gewinnen. Im Katalog Beethoven bewegt zu einer unkonventionellen Beethoven-Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien lässt sich ein solcher um ungewohnte Kontexte erweiterte Blick auf den Komponisten genießen. Die poetischen Reflexionen an den Schnittstellen von Musik und Kunst reichen hier von Gemälden Caspar David Friedrichs, Skizzenbüchern J.M.W. Turners über Grafiken von Goya, Anselm Kiefer und Jorinde Voigt, Skulpturen von Rodin, Green Paintings von Cy Twombly bis hin zu einer Tanzchoreographie Tino Sehgals, Installationen und Videos in der Gegenwart, einschließlich Texten von Aleida und Jan Assmann, Beat Wyss, Thomas Macho u.a. Beethovens Musik ist in diesen »Bewegungen« gleichsam zu sehen.

Julia Koppke [Lektorat, Vertrieb & Werbung]

Um notwendige Alternativen zur derzeitigen Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik geht es in dem Text von Hendrik Auhagen, Thomas Eberhardt-Köster, Achim Heier, Mark Herterich, Hermann Mahler, Volker Röske, Carl Waßmuth und Winfried Wolf über Klimagerechte Mobilität für alle. Denn die Autoren wollen den Verkehr der Zukunft nicht den Konzernen überlassen. Die Mitstreiter der Attac-Kampagne »einfach umsteigen« fragen in dem AttacBasisText unter anderem: Wie kann der Klimakollaps verhindert, aber allen Menschen Mobilität ermöglicht werden? Welche Mobilität brauchen wir überhaupt? Was muss sich ändern, auf welche Weise und durch wen? Und: wie kann das finanziert werden?

Wer den Bereich des Nah- und Regionalverkehrs verlassen und – zumindest gedanklich – in weitere Fernen schweifen möchte, dem- oder derjenigen empfehle ich Andrea Wulfs Buch Die Abenteuer des Alexander von Humboldt, das Gabriele Werbeck aus dem Englischen übersetzt hat. In Verbindung mit Zeichnungen der Illustratorin Lillian Melcher wird anhand Humboldts eigener Aufzeichnungen, seiner Skizzen, Landkarten, Pflanzenpräparate u.v.m. die Geschichte seiner berühmten Südamerika-Expedition erzählt. Es entstand eine wunderbare Collage im Stil einer Graphic Novel, die nicht nur einen Überblick über Alexander von Humboldts Wissen bietet, sondern auch die Modernität seines Forschungsansatzes zeigt und seine frühen Warnungen vor dem Klimawandel anschaulich macht.

Klaus Schneider [Lektorat | Herstellung | Buchhaltung]

Ballerspiele, im Bildungsbürgertum bzw. Feuilleton auch als »Killerspiele« geadelt, und im Fachjargon »Ego Shooter« genannt, sind, wenn sie gut gemacht sind, eine hohe Kunst. Ein Videospiel, das diese Kunst zuletzt perfektionierte, ist Doom Eternal. Es ist das Spiel der Stunde. Auch wenn Biden gefühlt die Welt vorm Abgrund gerettet hat, es ist doch vieles zum Schreien. Und was ist in diesen Zeiten therapeutischer als Triebabfuhr. Sich in diesem Videospiel-Juwel wagemutig den der Hölle entstiegenen Kreaturen mit Waffengewalt entgegenzusetzen, ist ein wahnwitziger Adrenalinkick. Doch nur der strategisch vorgehende, klug auf das vielseitige Waffenarsenal zurückgreifende Schlächter hat Erfolg, stumpfes Ballern ist hier Fehlanzeige. Dazu der aggrosteigernde Metal-Soundtrack. Hier passt alles!

Über Afrika wurde schon viel geschrieben – oft mit einem belehrenden Duktus. Wie es mit dem Kontinent endlich aufwärts gehen kann, darüber wollen viele Expert*innen Bescheid wissen. Umso erfrischender liest sich Fluchtursachen von Reinhold Gütter, das schonungslos Fakten sprechen lässt. Es ist, laut Selbstaussage des Autors, »ein Versuch, der Schnappatmung europäischer Afrika-Politik nicht mit Erzählungen, sondern mit Fakten zu begegnen«. Und seine ungeschönten, um kein ehrliches Wort verlegenen Erkenntnisse lesen sich wie eine wütende Abrechnung mit der bisherigen Afrika-Politik. Auch schön ist, dass er Afrika und Europa mit »Eurafrika« zusammendenkt, nicht zuletzt aufgrund der beide Kontinente »vereinigenden« Flüchtlingsströme. Ein wichtiges Buch, das aus dem Fundus zusammengetragener Fakten ebenso unprätentiös und glaubwürdig mögliche Lösungen vorschlägt.

Emily Laquer [Presse und Öffentlichkeitsarbeit]

»Wir wissen nicht, bis wann das Corona-Virus einigermaßen kontrolliert, wann eine Medizin gegen die Lungenkrankheit oder ein Impfstoff gegen das Virus entwickelt und in ausreichender Menge produziert sein wird. In wie vielen Wellen wird sich das Virus noch ausbreiten und entsprechend öffentliches Leben, soziale Institutionen und wirtschaftliche Aktivitäten nur eingeschränkt zulassen? Wir wissen nicht, wie es in den kommenden Monaten weitergeht und was dauerhaft anders bleiben wird. Sicher ist nur, dass sich vieles rasant verändert und der Kapitalismus in seiner jüngsten, globalisierten Form davon dauerhaft betroffen sein wird«, schreibt Ulrich Brand im März 2020 in Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie. Die Coronakrise zeigt, dass bisher Undenkbares möglich ist. Also dann: Auf in eine Zeit ohne Klimakatastrophe, soziale Spaltung und autoritäre Formierung!

Nicht nur der Buchhandel, auch die Gastronomie hat dieses Jahr gelitten. Wie wär’s also mit einem weihnachtlichen Restaurant-Gutschein? Hamburger*innen empfehle ich die legendäre Kuchnia Wodkabar auf St. Pauli, die traditionell osteuropäische Ess- und Trinkkultur serviert. »Taumeltanz und Trallalla fallen vor Ort leider weiterhin flach – wir sind untröstlich. ABER die Kuchnia könnt ihr euch ab sofort nach Hause holen«, schreibt das junge Team auf seiner Außer-Haus-Karte. Hier gibt’s sauer eingelegtes Gemüse, hausgemachte polnische Pierogi, in Butter oder veganem Zwiebelschmelz geschwenkt, wahlweise mit Kartoffel-Twaróg, Kraut-Pilz oder Kürbis-Füllung und gebratenen Rosenkohlblättern. Dazu tschechisches Bier vom Fass, Granatapfelsaft aus Kasachstan und Büffelgras-Birken-Vodka aus Russland. Mein Geheimtipp zum Nachtisch: In Wodka getränktes Ingwereis mit Gurkensorbet und Sahne. Guten Appetit!

Joachim Bischoff [Lektorat | Redaktion Sozialismus.de]

Die Corona-Pandemie demonstriert, wie fragil die materiellen Grundlagen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung sind. Hohe Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist unsere alltägliche Wirklichkeit. Die politischen Konsequenzen werden weithin ausgeblendet. Die Reichen besitzen mehr politische Macht, die sie nutzen, um ihre eigenen Interessen voranzutreiben und ihre gesellschaftliche Position auszubauen. Hohe Ungleichheit fördert aber weder Investitionen noch Wachstum, sondern bringt das genaue Gegenteil hervor. Mit diesem Zusammenhang beschäftigt sich Branko Milanović seit Jahrzehnten. In seiner neuen zusammenfassenden Studie Kapitalismus global – Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht entwickelt er die These, dass das Zerstörungspotenzial des globalen Kapitalismus auf der Konkurrenz von zwei Formen von Kapitalismus basiert: dem »politischen Kapitalismus« in Ländern wie China und dem meritokratischen Kapitalismus in den USA und Europa.

Rechtspopulistische Ansichten sind in Deutschland, Europa und auch den USA aktuell rückläufig. Diese These findet sich in vielen Medien. Bestätigt wird diese Sichtweise durch eine Studie der Bertelsmann Stiftung, nach der sich die Mitte der Gesellschaft zunehmend von populistischen Weltbildern abwende. Im Juni soll nur noch jeder fünfte Befragte entsprechende Meinungen vertreten haben – ein Drittel weniger als vor rund zwei Jahren. Vor einer vorschnellen Entwarnung bewahrt ein Blick in das innere Machtgefüge der AfD, den Hajo Funke in »Die Höcke-AfD« vorgenommen hat. Er zeigt ihre Entwicklung und behandelt ihre internen Machtkämpfe. Seiner Einschätzung nach kann keine Änderung der rechtsextremen Ausrichtung festgestellt werden. Die nationalrevolutionäre Strategie von Höcke und Co. wird zudem in ihrer ideologischen Einbettung durch Carl Schmitt, Armin Mohler und Götz Kubitschek gedeutet.

Gerd Siebecke [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus.de]

Zum Verständnis des Hintergrundes der Entwicklung von einem gärigen Haufen zur rechtsextremen »Flügel«-Partei hilft das von der Redaktion des antifaschistischen Magazins der rechte rand herausgegebene Buch Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts. Seit 20 Jahren wird die »neue« Rechte vom »Institut für Staatspolitik« (IfS) und seinem Hausherrn Götz Kubitschek im sachsen-anhaltinischen Schnellroda begleitet und beeinflusst. Und seit 20 Jahren beobachtet »der rechte rand« diesen extrem rechten Thinktank. »Aus unterschiedlichen Perspektiven haben die Autor*innen des Magazins kontinuierlich die radikalen Positionen, metapolitischen Strategien oder personellen Vernetzungen recherchiert und reflektiert«, schreibt Andreas Speit in seinem Vorwort zu dem Buch, in dem die zentralen Texte zusammengefasst sind.

Wer meine Tipps der letzten Jahre in Erinnerung hat, weiß: Vincent Klink kocht hervorragend, schreibt ungern Kochbücher, lieber über kulturelle Spaziergänge durch Paris und Wien, malt selbst Aquarelle dafür und jazzt begeistert auf dem Bassflügelhorn. Nun hat er die auch von mir gelegentlich praktizierten Holzschnitte der »verlorenen Form« entdeckt: »Wenn die Wielandshöhe Ruhetag hat, dann gebe ich gleich gar keine Ruhe mehr. Mit fiebrigem Kopf arbeite ich in meiner Druck- und Holzschneidewerkstatt.« Da Ruhetage nun erst einmal Alltag sind, darf man davon ausgehen, dass Klink bald weitere Holzschnitte zum Kauf anbietet.

So sehr mich freut, dass diese Kunst- und Drucktechnik einen neuen und prominenten Anhänger gefunden hat, so sehr bedrückt mich, dass mein Freund und Holzschnittlehrer Artur Dieckhoff das nicht mehr erleben kann. Der »Jünger der Schwarzen Kunst, der schon alle Worte dieser Welt gedruckt hat«, verstarb viel zu früh am 21.11.2020 (siehe auch den Nachruf des VSA: Autors Jürgen Bönig). Sein letztes Werk »HERZeigen«, das er noch mit einem letzten Daumen hoch begrüßen konnte, erscheint 2021 im ARTclub der Büchergilde. Als weiteres Geschenk empfehle ich deshalb Arturs Klassiker Die Hamburger StadtElephanten mit märchenhaften Rezepten zur Räubertafel von Sarah Wiener.

Katrin Reimann [Lektorat, Vertrieb & Werbung]

»In diesem Buch geht es um Irrtümer über Geld und Wirtschaft und damit verbundene Irrwege. Darum, wie Geld entsteht und vergeht. Wer mit Geld Geld verdient und wer es verliert.« Alfred Eibl und Johannes Priesemann setzen sich im AttacBasisText 58 Das Geld gehört uns allen! Statt PayPal, »Libra«, AliPay: Alternativen zur digitalen Überwachung und Kontrolle mit dem komplexen Thema des Geldwesens auseinander. Sie gehen Fragen nach, wie der digitale Strukturwandel sich auf unsere Zahlungsmittel auswirkt und wie das Geldsystem in Zukunft zu gestalten sei. Sie zeigen so auch Alternativen zu den digitalen Geldformen auf und plädieren für eine sichere und allgemein zugängliche neue Geld­ordnung.

Grünkohl in der indische Küche? In Gujarat, im Westen Indiens gelegen, hat sich über Tausende von Jahren eine vielfältige, kreative und frische Gemüseküche entwickelt, die einen starken Einfluss auf die indische Küche hat. In England lebend und aufgewachsen, stellt Meera Sodha in ihrem Kochbuch Indisch vegetarisch. 130 schnelle & einfache Gerichte für jeden Tag eine bunte aromatische Gemüseküche vor. Dabei greift sie auf die Küche ihrer Mutter zurück, die ihre Rezepte um- und abwandelte, um die regionalen und saisonalen Gemüsesorten Englands zu verarbeiten. Über Zucchini-Kofta und Rhabarber-Chutney sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Ein fantastisches Kochbuch für alle, die Lust auf Geschmackreisen und -explosionen haben.

Björn Radke [Redaktion Sozialismus.de]

Man muss den kölschen Dialekt nicht lieben, aber in diesen Zeiten ist es mitunter gut, den CD-Player oder das Smartphone anzuschalten und das Gefühl zu haben, da muss ich mich für die Texte nicht fremdschämen. Niedeckens BAP hat mit Alles fließt wieder einmal Statements abgeliefert, die rockig bis balladig daher kommen und im Kopf bleiben. Da bekommt der glattgebügelte Massengeschmack mit »Jeisterfahrer« direkt ein paar hinter die Ohren. Zornig wird der Kölner, wenn es um rechte Populisten geht. »Skrupellose Bauernfänger weltweit an der Macht / Schwarmdemente Spießer han'se brav dahin jebracht«, faucht Wolfgang Niedecken in »Ruhe vor'm Sturm« und warnt mit einem Martin-Luther-King-Zitat: »Es kommt eine Zeit, in der Schweigen Verrat wird.« Zugleich singt er mit »Mittlerweile Josephine« eine Liebeserklärung an seine Tochter. Das neue Album zeigt, dass hier einer noch verdammt viel zu sagen hat.

Die aktuellen Bücher von Naomi Klein und Maja Göpel mit Bezug auf den Klimawandel stoßen auf ein großes Interesse. Ihre Forderung nach einer politischen Wende bezieht sich auch auf die Politik der US-Regierung unter Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren. »Der New Deal ... ermöglichte einen demokratischen Ausweg aus einer umfassenden Krise«, schreibt Steffen Lehndorff in New Deal heißt Mut zum Konflikt. Insbesondere seine Schlussfolgerungen, was denn heute notwendig wäre, machen diese Flugschrift so lesenwert: Es ist die Konfliktbereitschaft. »Der in manchen linken Diskussionen gepflegte Verdacht, beim Grünen New Deal solle eigentlich auf grünen Umwegen der Kapitalismus gerettet werden, obwohl dieser doch für den Klimawandel verantwortlich sei, lenkt vom Kern des Problems ab.«

Bernhard Müller [Lektorat | Buchhaltung | Redaktion Sozialismus.de]

Der Mietendeckel in Berlin sorgt für reichlich Furore. Während sich die Mieter*innen über mehr bezahlbaren Wohnraum freuen dürfen, laufen die Immobilieneigentümer*innen Sturm dagegen, weil es ihre Profite begrenzt. Diese Brisanz der Wohnungsfrage hängt eng damit zusammen, dass Grund und Boden nicht vermehrbare Ressourcen für die Menschen sind. Das zeigt sich auch an dem dramatisch gewachsenen Einfluss menschengemachter Einwirkungen auf die Umwelt mit allen damit zusammenhängenden desaströsen Klimaveränderungen. Stephan Krüger analysiert in Grundeigentum, Bodenrente und die Ressourcen der Erde die Zusammenhänge der Bodennutzung und des Raumgefüges. Er plädiert für einen sozial-ökologischen Umbau, der langfristig den Gemeinbesitz an Grund und Boden einschließen muss.

Wer auf der Suche nach einem Buch für seine Kinder oder Enkel*innen ist, dem sei der zuerst 1979 erschienene Kinderbuchklassiker Rosa Riedl Schutzgespenst der famosen Christine Nöstlinger (1936-2018) empfohlen. Darin erzählt sie die Geschichte von Nasti, die voller Ängste ist und Hilfe von einem Gespenst erhält – Rosa Riedl, dem »einzigen Arbeitergespenst in ganz Europa«. In der Zeit, 1938, gerade in dem Moment, als sie Herrn Fischl, der von den Faschisten gezwungen wird, mit einer Zahnbürste den Gehsteig zu reinigen, zu Hilfe eilen wollte, wurde Rosa Riedl von einer Straßenbahn überfahren. Aber »wenn einer etwas so dringend zu erledigen hat wie ich damals, wenn einer so zornig und wütend ist, dann kann der nicht richtig sterben, weil er keine Ruhe hat«, sagt Rosa Riedl. Als sie in Nastis Leben auftaucht, verschwinden diese Ängste und Nasti wird immer mutiger.


Sie erhalten diese Geschenktipps, weil Sie sich für den Bezug eines Newsletters des VSA: Verlags bzw. des Publikationsprojektes Sozialismus.de angemeldet haben (siehe den jeweiligen Punkt 8. der Datenschutzerklärung des Verlages bzw. von Sozialismus.de). Sie können Ihr Abonnement jederzeit beenden, dazu bitte für den Verlag hier bzw. für Sozialismus.de hier klicken und die Hinweise zur weiteren Vorgehensweise beachten.
© 2020 VSA: Verlag Hamburg GmbH | Redaktion Sozialismus.de