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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

4. Januar 2021 Otto König/Richard Detje: Prozess gegen Assange ist »juristische Farce«

Anschlag auf die Pressefreiheit

Foto: dpa

Die USA verlangen von Großbritannien, Julian Assange auszuliefern. Nicht, weil der australische Journalist ein Krimineller ist. Die Washingtoner Administration plant einen Anschlag auf die Pressefreiheit. Wenn am 4. Januar das Gericht in London dem Ersuchen der US-Justiz stattgegeben hätte, würde den Gründer der »Wikileaks«-Plattform ein Verfahren nach dem US-Spionagegesetz, dem sogenannten Espionage Act aus dem Jahr 1917, erwarten.[1]

Eine Verurteilung in allen 18 Anklagepunkten – u.a. Beihilfe zur Spionage und Anstiftung zum Geheimnisverrat – durch das Bundesgericht des Eastern District of Virginia würde Assange 175 Haft hinter Gitter bringen. Sein »Verbrechen« besteht darin, vor zehn Jahren die ehemalige US-Militärangehörige und Whistleblowerin Chelsea Manning unterstützt zu haben, rund 400.000 bis dahin geheime Dokumente des US-Militärs zu veröffentlichen. Gemeinsam mit der New York Times, El País, Le Monde, Guardian und dem Spiegel enthüllte Wikileaks Grausamkeiten und Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan.

»Die Dokumente decken den Zeitraum von 2004 bis Anfang 2010 ab. Es ist die genaueste Beschreibung eines Krieges, die jemals veröffentlicht wurde. Die internen Berichte des US-Militärs zeigen, wo die Menschen getötet wurden, wann es passiert ist und wer daran beteiligt war«, so Assange 2010 in der US-Nachrichtensendung Democracy Now. Die »Iraq War Logs« gelten bis heute als umfangreichste Veröffentlichung militärischer Dokumente in der Geschichte der USA.

Chelsea Manning,[2] die als IT-Spezialistin im Irak-Krieg diente, ließ Assange unter anderem das »Collateral Murder«-Video zukommen, das zeigt, wie US-Soldaten von einem Helikopter aus wehrlose Zivilisten töten. Von diesem Kriegsverbrechen, das die Militärs selbst filmten, hätte die Öffentlichkeit nichts erfahren, wenn die Enthüllungsplattform das Video nicht online gestellt hätte.

Aus den militärischen Dokumenten »sind jede Menge Informationen hervorgegangen, die von öffentlichem, großem öffentlichen Interesse sind. (…) Ja, das öffentliche Interesse an diesen Veröffentlichungen war überragend. Damals wie heute«, so Holger Stark, stellvertretender Chefredakteur der ZEIT (DW, 21.10.2020).

Die Soldaten, die diese Verbrechen begangen haben, wurden niemals angeklagt. Sie sind bis heute auf freiem Fuß – ebenso wie die US-amerikanischen und britischen Politiker, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak vom Zaun gebrochen und mit Lügen legitimiert haben.[3] Jüngst hat der scheidende US-Präsident Donald Trump vier zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilte Söldner[4] der Sicherheitsfirma Blackwater, die im Jahr 2007 in Bagdad 14 Zivilisten ermordet haben, begnadigt – »ein Affront gegen die Justiz und die Opfer des Massakers und ihrer Familien«, erklärte die Vorsitzende der UN-Arbeitsgruppe für Menschenrechte Jelena Aparac.

Nach der »Genfer Konvention« sind Staaten verpflichtet, Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Aparac weiter: Indem private Sicherheitsunternehmen »ungestraft in bewaffneten Konflikten operieren«, würden Staaten ermutigt, humanitäres Recht zu umgehen.

Statt Kriegsverbrechen zu unterbinden, wird der inhaftierte Aufklärer in den USA als »Staatsfeind Nr. 1« dämonisiert und in Großbritannien nach siebenjährigem Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors, anschließend seit 17 Monaten in Belmarsh, einem Hochsicherheitsgefängnis für Schwerstverbrecher, als politischer Gefangener in Isolationshaft festgehalten. Nun entscheidet die Richterin Vanessa Baraitser am Westminster Magistrates Court in London, ob Julian Assange an die USA ausgeliefert wird.[5]

In der Auslieferungsanhörung durch das Gericht hatten zahlreiche Juristen, Journalisten, Informatiker, Bürgerrechtler als Zeugen zugunsten von Assange ausgesagt und sich gegen Versuche seiner Kriminalisierung ausgesprochen. Der Whistleblower Daniel Ellsberg, bekannt geworden durch die Veröffentlichung der sogenannten »Pentagon Papiere« (über den Krieg der USA in Vietnam) in den 1970er Jahren, bezeugte, dass sich Assange »der Transparenz, Gerechtigkeit und dem Frieden« verpflichtet fühle.

Der US-Anwalt und Bürgerrechtsaktivist Carey Shenkman kritisierte die Strafverfolgung unter Rückgriff auf das US-Spionagegesetz – ein Paragrafenwerk, das unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs »in einer der repressivsten Phasen der US-Geschichte« entstanden sei und dazu gedient habe, die Opposition gegen die US-amerikanische Kriegsbeteiligung zu stoppen und gegen Gewerkschaftsführer sowie progressive Politiker vorzugehen.

Und das »Verbrechen« Assanges auf der britischen Insel? Es besteht darin, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben, ein Vergehen, für das es üblicherweise gar keine Haftstrafe gibt. Der Wikileaks-Gründer wurde jedoch zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt. Seine weitergehende Inhaftierung wird damit begründet, dass er sich dem Auslieferungsverfahren entziehen könnte, während der ursprüngliche Anlass seiner juristischen Verfolgung – ein, wie sich inzwischen herausgestellt hat, von den schwedischen Sicherheitsbehörden fingiertes Sexualdelikt – keine Rolle mehr spielt.[6] Es war von Anfang an nur ein Vorwand, um Assange habhaft zu werden.

»Das Verfahren verletzt ganz klar die grundlegenden Standards eines ordentlichen Verfahrens und der Rechtsstaatlichkeit«, erklärt der Schweizer Professor für Rechtswissenschaft und UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer. In dem vollends zur juristischen Farce verkommenen Verfahren liege die Motivation der Ankläger allein bei Assanges Enthüllungen US-amerikanischer »Kriegsverbrechen, Korruption und anderer schwerer Verbrechen«. »Die USA versuchen hier, investigativen Journalismus zu kriminalisieren.

Und das britische System folgt hier leider den Vereinigten Staaten«, so Melzer in einem Interview mit der Deutschen Welle (27.12.2020). Die Anklageschrift erwecke den Eindruck, dass sich investigativer Journalismus im öffentlichen Interesse nicht von krimineller Spionage unterscheide. Für den Geschäftsführer von »Reporter ohne Grenzen«, Christian Mihr, steht fest, dass bei dem Verfahren nicht einmal versucht worden ist, »den Anschein von Fairness und Transparenz zu wahren«.

Es ist deshalb falsch, die politischen Vorgänge auf einen »Fall Assange« zu reduzieren, wie es einige westeuropäische Leitmedien tun, indem sie nur sehr zurückhaltend über die ungeheuerlichen Umstände des Prozesses berichten. In einem gemeinsamer Aufruf fordern rund 160 amtierende und frühere Staatschefs, Minister und Diplomaten[7] die britische Regierung auf, die Auslieferung von Julian Assange zu stoppen.

Damit würde ein Präzedenzfall geschaffen, der internationale Vereinbarungen und Menschenrechte schwer beschädigt. Er würde Schleusen zur politischen Strafverfolgung und zur Kriminalisierung von investigativem Journalismus als Spionage öffnen und das Recht von Staaten auf absolute Geheimhaltung von Kriegsverbrechen, staatlicher Folter und Korruption geltend machen (Amerika 21 vom 25.9.2020).

Wem an einem unabhängigen und kritischen Journalismus gelegen ist, sollte die Stimme erheben und dazu beitragen, dass Julian Assange nicht den Rest seiner Tage in Einzelhaft in einem US-Hochsicherheitsgefängnis verbringt, sondern freigelassen wird. »Free Press! Free Assange!«

Anmerkungen

[1] Das britische Gericht hat dem Antrag auf Auslieferung nicht stattgegeben. Die jetzige Entscheidung dürfte allerdings nicht die letzte in dem Fall gewesen sein. Von beiden Seiten wurde schon vor der Verhandlung vor dem Strafgericht Old Bailey in London erwartet, im Falle einer Niederlage in Berufung zu gehen.
[2] Chelsea Manning wurde zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Davon verbüßte sie fast sieben Jahre, bevor sie von Präsident Barack Obama im Jahr 2017 begnadigt wurde. In der Ära Donald Trump wurde Manning 2019 erneut in Haft genommen, da sie sich vor einer Grand Jury weigerte, gegen Wikileaks und Assange auszusagen. Während der fast einjährigen Beugehaft hat sie laut ihren Verteidigern einen Suizidversuch unternommen. Im März letzten Jahres wurde sie auf Anordnung eines Gerichts aus der Haft entlassen.
[3] Otto König/Richard Detje: Schuldspruch ohne Konsequenz. Der Chilcot-Bericht zum Irakkrieg 2003, Sozialismus.deAktuell vom 25.7.2016.
[4] Die vier Blackwater-Sicherheitsleute waren im Auftrag der USA im Irak stationiert. Die Söldner hatten 2007 auf dem Nisour-Platz in Bagdad plötzlich mit Maschinengewehren und Granatenwerfern auf irakische Zivilisten gefeuert, während sie einen Konvoi der US-Botschaft begleiteten. Dabei kamen mindestens 14 Menschen ums Leben. Die anschließende Untersuchung hatte ergeben, dass die Söldner das Feuer provoziert eröffnet hatten, obgleich sie zu ihrer Verteidigung behauptet hatten, sie seien von einem Hinterhalt ausgegangen. Das Kriegsverbrechen hatte zu einer Debatte über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch die US-Armee geführt. Blackwater verlor daraufhin die Lizenz im Irak. Die Firma änderte in der Folge mehrfach ihren Namen und verschmolz schließlich mit weiteren Unternehmen zur Constellis-Gruppe. Eine Tochter-Firma von Constellis, die sogenannte Olive Group, ist heute noch im Irak aktiv.
[5] Gleich wie das Urteil ausfällt: Beide Parteien haben die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Nach zwei möglichen Instanzen in Großbritannien könnte das Auslieferungsverfahren am Ende beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Die Frage, ob Julian Assange an die USA ausgeliefert wird, könnte sich noch Jahre hinziehen.
[6] Frauke Niemeyer: Bericht zu Assange deckt auf – Vergewaltigungsvorwürfe waren »konstruiert«, ntv- Nachrichten vom 1.3.2020.
[7] Zu den Unterzeichner*innen gehören u.a.: Alberto Fernández, Präsident von Argentinien; Nicolás Maduro, Präsident von Venezuela, die ehemaligen Staatsoberhäupter José Mujica (Uruguay), Dilma Rousseff (Brasilien), Evo Morales (Bolivien), Luiz Ignacio Lula da Silva (Brasilien) und Rafael Correa (Ecuador) sowie José Luis Zapatero, ehemaliger Präsident Spaniens, Jeremy Corbyn, früherer Vorsitzender der Labour-Partei in Großbritannien und der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel.

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