Antonio Gramsci: Kämpfer gegen den Faschismus
Donnerstag, 12.  Dezember 2024 | Frankfurt a.M. | 19:00 Uhr | DenkBar, Spohrstr. 46a
Gerade sind zwei Bücher zu Gramsci neu erschienen: Die Biografie von Giuseppe Fiori »Das Leben des Antonio Gramsci«, herausgegeben von Christoph Nix, und »Gramscis Geist« geschrieben von dem Juristen, Schriftsteller, Regisseur und Wissenschaftler Nix, der mit Claus-Jürgen Göpfert zu beiden Büchern sprechen wird.

China verstehen in Zeiten der Rivalität
Sonnabend, 14. Dezember 2024 | Neubrandenburg | 10:00 Uhr | Brigitte-Reimann-Literaturhaus, Gartenstr. 6
Michael Brie liest aus seinem Buch Chinas Sozialismus neu entdecken und diskutiert darüber. Moderation: MdL Torsten Koplin (Die Linke).

Projekt »Schönes China«
Mittwoch, 15. Januar 2025 | Online (Zugangsdaten später an dieser Stelle). Im Gespräch mit Hartmut Obens von der Sozialistischen Linken Hamburg wird Michael Brie seine neue  Studie über die ökologische Modernisierung der Volksrepublik vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Ingar Solty
Trumps Triumph?
Gespaltene Staaten von Amerika, mehr Nationalismus, weitere und neue Handelskriege, aggressive Geopolitik
Eine Flugschrift
120 Seiten | 20. Januar 2025 | im Warenkorb vorbestellen | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-238-7

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
ISBN 978-3-96488-220-2

Michael Brie
Projekt »Schönes China«
Die ökologische Modernisierung der Volksrepublik
Eine Flugschrift
120 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-232-5

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Christoph Nix
Gramscis Geist
Ein Sardisches Tagebuch
Mit Zeichnungen von Katrin Bollmann und Fotos von Sebastiano Piras
144 Seiten |  EUR 14.00
ISBN 978-3-96488-223-3

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Giuseppe Fiori
Das Leben des Antonio Gramsci
Herausgegeben von Christoph Nix
304 Seiten | EUR 19.80
ISBN 978-3-96488-218-9

Gine Elsner
Die Ärzte der Waffen-SS und ihre Verbrechen
144 Seiten | Hardcover| € 16.80
ISBN 978-3-96488-214-1

3. November 2024 Redaktion Sozialismus.de: Lindners Papier für den »Herbst der Entscheidungen«

Das Elend einer verknöcherten liberalen Partei

Die FDP-Spitze proklamiert seit Monaten einen »Herbst der Entscheidungen«. Mit lautem Gebell fordert Parteichef Christian Lindner nun in einem Grundsatzpapier einen Kurswechsel.

Seit langem laboriere die Republik an einer strukturellen Wachstumsschwäche. Der gesellschaftliche Wohlstand gehe mehr und mehr verloren. Deutschland könne sein Innovationspotenzial immer weniger abrufen, argumentiert der Bundesfinanzminister in seinem 18-seitigen Papier unter der Überschrift »Wirtschaftswwende Deutschland – Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit«.

»Die Phase niedriger Zinsen, eine demografischen ›Atempause‹ und vorteilhafte externe Faktoren sowie anschließend die akute Bewältigung außergewöhnlicher Krisen mittels expansiver Fiskalpolitik konnten Schwächen zeitweise überdecken. Die bekannten Herausforderungen wurden in den vergangenen Jahren von der Politik aber nicht nur nicht adressiert, sondern zum Teil vorsätzlich herbeigeführt. Deshalb ist eine Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen erforderlich, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.«

Die strukturelle Wachstumsschwäche führe fiskalisch zu einem trendmäßig geringeren Wachstum der gesamtstaatlichen Einnahmen und damit zu weiteren Wohlstandsverlusten. Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse verhindere glücklicherweise von anderen gewünschte Ausweichmanöver durch kontinuierliche Neuverschuldung.

»Insbesondere eine solche Entwicklung zu verhindern, ist das Motiv der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse, indem sie eine Grenze für die strukturelle Neuverschuldung setzt. Gelingt es nicht, das Wachstumspotenzial zu erhöhen, um auf diesem Wege die Solidität der Staatsfinanzen zu sichern, führt die Schuldenbremse dazu, dass die gesamtstaatlichen Ausgaben in Jahren ohne außergewöhnliche Krisen auf einen restriktiveren Pfad im Einklang mit den schwächer steigenden mittelfristigen Einnahmen sinken. Die Schuldenbremse zeigt dabei auf, was nachhaltig möglich ist, sodass mittel- und langfristige Wachstumsrisiken sich nicht zusätzlich in Tragfähigkeits- und Inflationsrisiken übersetzen. Die Schuldenbremse ist Garant von Generationengerechtigkeit.«

Mit dieser Argumentation wird die Schuldenbremse zur wichtigsten Blockade einer Absicherung gegen eine gesellschaftliche Abwärtsspirale überhöht. Während SPD und Grüne auf mehr Staat setzen, fordert die FDP jetzt einen kompletten Stopp neuer Regulierungen und Steuerentlastungen. Und Lindner will weiterhin international der Musterknabe der restriktiven Haushaltspolitik bleiben und mit international operierendem Geld- und Kreditkapital ein Land präsentieren, dessen Solvenz von allen wichtigen Rating-Agenturen mit der Bestnote «AAA» bewertet wird.

Während andere kapitalistische Hauptländer wie die USA, Frankreich oder Italien tief in der Kreide stehen, ihre Schuldenstände im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) weit jenseits der Marke von 100% liegen, hat der deutsche Finanzminister sparsam und solide gewirtschaftet. Für das Jahr 2023 hatte ihm der Internationale Währungsfonds (IWF) noch eine Verschuldungsquote von nur 66% attestiert.

Für das Jahr 2024 dagegen kassierte der FDP-Spitzenmann allerdings eine Rüge von der gleichen Institution: Mitten in die regierungsinternen Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025 platzte der IWF mit Empfehlungen zur Lockerung der Schuldenbremse und zu Steuererhöhungen hinein. Beides lehnt der Minister zusammen mit der Mehrheit seiner Partei vehement ab, stattdessen fordert er von seinen Kabinettskollegen Vorschläge zur Begrenzung der Ausgaben.

Die Krone dieser Politik ist jetzt die Forderung einer »Wirtschaftswende« mit einer »teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen«, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Lindner selbst beklagte, dass das Papier über »eine Indiskretion« öffentlich geworden sei. Es hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb er in einer E-Mail an Parteifreunde.

Konkret ist in Lindners Grundsatzpapier von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, wo dies nicht möglich sei, so ausgestaltet sein, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Genannt werden in diesem Zusammenhang zum Beispiel Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein Tariftreuegesetz sowie das Lieferkettengesetz.

Probleme wie ein Investitionsstau, geringe Produktivität und die Querelen in Bezug auf den Klimaschutz seien zum Teil »vorsätzlich herbeigeführt« worden, schreibt Lindner in dem Papier, ohne die Verantwortlichen zu nennen. Und er will weitere Einsparungen durchsetzen, insbesondere bei der Klimaschutzförderung. Die geplante Subvention für Intel, das in Magdeburg eine Chipfabrik bauen will, sollte ganz entfallen. Es helfe dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen, so Lindner – und geht damit auf Konfrontationskurs zum Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne). Dieser hatte einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern.

Teile der FDP lesen das Papier als Frontalangriff auf den Koalitionsvertrag und fordern deshalb, Lindner müsse die Regierung nun »sofort verlassen«. Der Parteichef plädiert dagegen für eine Fortführung der neoliberalen Spar- und Verschlankungspolitik. Lindner will bereits 2025 neben dem Einstieg in die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags – für 90% der Steuerzahler ist das bereits passiert – und die Senkung der Körperschaftsteuer.

»Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen«, heißt es in dem Papier. In einem ersten Schritt sollte demnach der Soli 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3% gesenkt werden und 2027 ganz entfallen. Dies würde im kommenden Jahr 4,5 Milliarden Euro kosten. Parallel soll die Körperschaftsteuer im kommenden Jahr um zwei Prozentpunkte reduziert und 2027 und 2029 in weiteren Schritten gesenkt werden. Den Haushalt 2025 würde dies dem Papier zufolge mit 3,5 Milliarden Euro belasten.

Der Hinweis von Lindner, es handele sich nur um ein internes Diskussionspapier, das bedauerlicherweise an die Öffentlichkeit gelangt ist, kann auch als Ansatz gedeutet werden, die Aufregung herunterzuspielen. Im Zentrum stehen realpolitisch weitere Kürzungen im Haushalt 2025. Mit Blick auf die entscheidenden Verhandlungen über den Bundeshaushalt in den kommenden zwei Wochen interpretiert das entsprechend der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler: »wir brauchen einen Haushalt, der gleichzeitig mit Veränderungen der Wirtschaftspolitik einhergeht,« ss werde nur einen Haushalt geben, wenn sich die FDP »da in irgendeiner Weise stärker durchsetzt«.

Das Mitglied im Haushaltsausschuss äußerte weiter, dass die von Lindner gefordert Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Grüne und SPD kategorisch ablehnen, »kommen muss«. Auf die Frage, ob ein Festhalten der FDP an den Forderungen von Lindner nicht den Fortbestand der Koalition gefährde, sagte er: »Es geht nicht um den Erhalt der Koalition«, die kein Selbstzweck sei. Es müsse darum gehen, dass Deutschland vorankomme und das Aufstiegsversprechen erneuert werde. »Das ist für uns entscheidend und nicht, mit wem wir aktuell eine Koalition bilden.«

Es geht mithin bei der von Lindner geforderten wirtschaftspolitischen Kehrtwende nicht nur um neoliberale Phrasendrescherei, sondern um Verschiebungen in den Einkommens- und Wohlstandsverhältnissen. Auch die SPD verfolgt das Projekt einer Steuerreform als Ausweg aus der wirtschaftlichen Blockade. Um die arbeitende Mitte zu entlasten, will die SPD die Steuersätze für Gering- und Normalverdiener herabsetzen und dafür die der Topverdiener anheben.

Zudem plädieren Teile der SPD für eine Flexibilisierung der Schuldenbremse oder etwa die Schaffung eines milliardenschweren Sondervermögens für Investitionen in die »Modernisierung und die Zukunftsfähigkeit« des Wirtschaftsstandortes Deutschlands. Um wieder in allen Bereichen wettbewerbsfähig und mit Planungssicherheit für die Betriebe und Unternehmen produzieren und investieren zu können, müssten die Stromkosten für Betriebe mit einem Industriestrompreis gedeckelt werden.

Lohnarbeit dürfte nicht höher besteuert werden als Nichtarbeit. Daher müsse Schluss sein mit der Besteuerung von Kapitalerträgen mit nur 25%, während normale Beschäftigte auf ihr Arbeitseinkommen einen höheren Steuersatz zahlen müssten. Flankiert wird der Vorschlag von einem »modernen Steuerkonzept«, also das Update für den Spitzensteuersatz. Selbst die Erbschaftssteuer und Teile der Besteuerung des Vermögens sollen im Programmangebot für die anstehende Bundestagswahl wieder aufgenommen werden.

Während die FDP mit ihrem Vorsitzenden Lindner die Öffentlichkeit mit der möglichen Drohung, dass aus dem Strategiepapier des Fnanzministers eine Koalitionskrise entsteht, in Atem hält, bleiben die vergleichbaren Vorschläge der SPD in den Kulissen der internen Diskussionen. Dabei könnte etwa Lindners Plädoyer für partielle Steuerentlastungen der Reichen und Vermögenden mit der Programmatik des einstigen Sozialliberalismus konfrontiert werden (siehe hierzu auch den Beitrag von Tom Strohschneider »Vergessene Zeiten« in Heft 1-2024 von Sozialismus.de).

So kämpfte der sozialliberale Karl-Hermann Flach (1929–1973), 1971 zum ersten Generalsekretär der FDP gewählt, zwar ebenfalls für den Erhalt der Reformkraft des kapitalistischen Systems: »Wenn es nicht gelingt, die Freiheit durch mehr Gleichheit und mehr Gerechtigkeit zu erhalten, wird die Freiheit eines Tages zugunsten der Utopie von der totalen Gleichheit verlorengehen. Insofern besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen der Freiheitserhaltung in einer Gesellschaft und einer aktiven Reformpolitik.«

Aber diese Botschaft aus der Einleitung zu den 1972 veröffentlichten »Freiburger Thesen« der FDP, die im Wesentlichen von Flach, Werner Maihofer und Walter Scheel verfasst wurden, sollte zugleich eine moderne FDP-Politik begründen, die den Liberalismus der besitzbürgerlichen Honoratioren ebenso hinter sich lassen würde wie jene starre Verfasstheit der jungen deutschen Demokratie, die Flach als »Schlafmützendemokratie« bezeichnete.

Christian Lindner betreibt hingegen erfolgreich das Geschäft, die FDP in dem starren Gedankengebäude des Besitzbürgertums wohnlich auszugestalten. Diese Operation gelingt immer wieder, solange seine Manöver nicht durchschaut und entlarvt werden. Allerdings geht der in den Medien ebenfalls gern gezogene Vergleich mit dem »Lambsdorff-Papier« aus dem Jahr 1982 an der heutigen Realität vorbei.

Mit dem damaligen Papier, das einen ähnlichen Titel  – »Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit« – wie das Lindner Papier hatte, wurde der Ausstieg der FDP aus der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt eingeleitet. Aber während damals FDP und CDU/CSU dank ihrer Mehrheit im Bundestag mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums den Kanzler Helmut Kohl an die Macht bringen konnten, sind die aktuellen Mehrheitsverhältnisse heute deutlich anders. Und die Umfragwerte für die FDP zeigen weiter nach unten.

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