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29. März 2021 Friedrich Steinfeld: Israel nach der 4. Wahl innerhalb von zwei Jahren

Kein Ende der politischen Dauerkrise

Nach der letzten Wahl zur Knesset hatten Benjamin Netanjahu vom Likud und Benny Gantz, Spitzenkandidat der gemeinsamen Liste Blau Weiß, im Frühjahr 2020 einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der u.a. vorsah, dass Netanjahu die ersten 18 Monate zum Premierminister ernannt und Gantz anschließend Premierminister wird.

Zu diesem verabredeten Personalwechsel im Ministerpräsidentenamt kam es jedoch nicht, was von vielen politischen Beobachtern bereits bei Abschluss des Koalitionsvertrages vorausgesagt worden war. Netanjahu ließ die Koalition nach kurzer Zeit platzen: Weil sich die Regierungskoalition bis zum 23. Dezember 2020 nicht auf einen neuen Haushalt einigen konnte, wurde das Parlament automatisch vorzeitig aufgelöst.

Am 23.3.2021 fand in Israel nun die vierte Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren statt. Da die Parteienlandschaft in Israel stark zersplittert ist, schließen sich gemäß dem israelischen Wahlrecht[1] die Parteien häufig zu gemeinsamen Listen zusammen, um ein Scheitern an der Sperrklausel (3,25%) zu verhindern. Zwei Listen können zudem eine Listenverbindung eingehen. 39 Parteien bewarben sich dieses Mal um die 120 Parlamentssitze. Allerdings hat davon nur ein Drittel den Einzug in die Knesset geschafft. Die Wahlbeteiligung lag diesmal deutlich niedriger als bei den vorherigen Abstimmungen, was auch mit Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit bei den Wähler*innen zusammenhängen dürfte.


Likud erneut stärkste Partei – ohne Regierungsmehrheit

Die Likud-Partei wurde zwar erneut stärkste Fraktion im israelischen Parlament, schnitt aber im Vergleich zu den Wahlen im letzten und vorletzten Jahr deutlich schlechter ab. Für das von Netanjahu angestrebte Bündnis rechter und religiöser Parteien konnte keine Mehrheit erreicht werden. Wie schon in den vergangenen Wahlen ging es auch dieses Mal nicht nur um unterschiedliche inhaltliche Positionen, sondern auch um Benjamin Netanyahu selbst, der seit 2009 ununterbrochen im Amt des Ministerpräsidenten und der am längsten amtierende Regierungschef in der Geschichte des Landes ist.

Innenpolitisch wurde der Wahlkampf von dem – wegen des Wahlkampfes kurzzeitig ausgesetzten – Gerichtsverfahren gegen Netanjahu wegen Korruptionsvorwurfes in drei Fällen überschattet. Netanjahu stellt den Gerichtsprozess gegen ihn als politisch motiviert dar. Einen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten lehnt er ab. Er sei das Opfer einer Verschwörung, Polizei und Justiz hätten die Anklagen konstruiert. Das Platzen des letzten Regierungsbündnisses wird zentral mit Bestrebungen Netanjahus in Verbindung gebracht, mit Hilfe eines neuen Regierungsbündnisses ein Gesetz in der Knesset zu verabschieden, dass ihm in dem Korruptionsverfahren Straffreiheit gewährt.

Wegen der Korruptionsvorwürfe, aber auch wegen der durch die Pandemie verursachten massiven Verschlechterung der Wirtschaftslage und der wachsenden sozialen Spaltung sowie eines sehr widersprüchlichen und im Resultat zunächst wenig erfolgreich Anti-Corona-Krisen-Managements kam es im letzten Jahr immer wieder zu Protestdemonstrationen gegen ihn. Israel wies zwischenzeitlich in Relation zur Größe der Bevölkerung die höchsten Infektionszahlen der Welt auf, tausende Geschäfte mussten für immer schließen. Der Lebensstandard ist auf das niedrigste Niveau seit dem Jahr 2000 gefallen, zwei Mio. Menschen gelten als arm, darunter 907.000 Kinder. Das gab das National Insurance Institute (NII) Ende Januar bekannt. Insbesondere der Mittelstand und Angehörige der einkommensschwachen Schichten sind von den staatlichen Restriktionen betroffen.[2]  Die Beliebtheitswerte Netanjahus waren daher im vergangenen Jahr deutlich gesunken.

Außenpolitisch musste Netanjahu auf direkte und massive Wahlkampfhilfe aus den USA  wegen der Abwahl Trumps verzichten. Trump hatte die Bestrebungen des rechten israelischen Lagers nach umfassender Annexion von Israel militärisch besetzter Palästinenser-Gebiete mit seinem Vorschlag für einen »Jahrhundert-Deal«[3] im Nahen Osten massiv unterstützt, war damit aber wegen der völligen Einseitigkeit des Deals, der die Interessen der Palästinenser komplett ausblendete, und des damit verbundenen hohen Konflikt-Eskalationspotentials an der komplexen Realität des Nahen Ostens gescheitert.

Allerdings konnte Netanjahu auch auf außenpolitische Erfolge seiner Regierung verweisen. Er rühmte sich damit, die arabische Ablehnungsfront gegen Israel und damit die außenpolitische Isolierung Israels im Nahen Osten weiter aufgebrochen zu haben. So hat Israel im September, noch eingefädelt durch die Trump-Regierung, in Washington mit Bahrain und den Arabischen Emiraten (VAE) Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen unterzeichnet. Bis dahin unterhielten mit Ägypten und Jordanien nur zwei arabische Staaten diplomatische Kontakte zu Israel. Mittlerweile haben auch Marokko und der Sudan ähnliche Vereinbarungen mit der israelischen Regierung unterzeichnet. Das Hauptziel der Allianz zwischen Israel und den Emiraten stellt die Frontbildung gegenüber dem gemeinsamen Erzfeind Iran dar, von dem sie sich bedroht sehen. Sie versprechen sich aber von ihrer Annäherung auch wirtschaftliche Vorteile, u.a. im Gesundheits- und High-Tech-Bereich, aber auch im Bereich des Energietransports (u.a. Nutzung einer inner-israelischen Erdölpipeline durch die VAE, was auch Investitionen in den Ausbau des Hafens von Eilat am Toten Meer zu einem Tiefseehafen voraussetzt). Seit Anfang März sind die Emirate erstmals mit einem Botschafter in Israel vertreten.

Ein Teil der Golfstaaten rückt damit von der jahrzehntelangen Linie arabischer Regierungen ab, Beziehungen mit Israel zu verweigern, solange der Konflikt mit den Palästinensern nicht gelöst ist. Die Führung der Palästinenser und andere arabische Staaten kritisierten die Abkommen scharf und sprachen von »Verrat«. Im Gegenzug kündigte Israel an, die Annektierung von Gebieten im besetzten Westjordanland auszusetzen, das die Palästinenser für einen eigenen Staat beanspruchen. Unterschlagen wird bei dem Abkommen zwischen den VAE und Israel, dass die Trump-Regierung beiden Seiten weitere Rüstungslieferungen zugesagt hat, d.h. vor allem die Lieferung hochmoderner Kampfflugzeuge vom Typ F-35 an die VAE, über die bis dahin nur Israel in der Region verfügte.[4] Wie die Biden-Regierung angesichts der angekündigten Neuorientierung der US-Nah-Ost-Politik mit diesem Waffen-Deal umgehen wird, ist bisher nicht bekannt.

Während Netanjahu kurz vor der Wahl sogar die Aufnahme von Direktflügen für muslimische israelische Pilger von Tel Aviv nach Mekka angekündigte hatte, betonte Saudi-Arabien, die Beziehungen zu Israel erst dann zu normalisieren, wenn es einen palästinensischen Staat gebe. Saudi-Arabien geht damit auch auf mehr Distanz zu den USA. Hintergrund dafür ist, dass die Biden-Administration ein neues Abkommen mit dem Iran anstrebt, was aus saudischer Sicht den iranischen Erzfeind, der durch Trumps Politik des maximalen Drucks, vor allem durch die Wirtschaftssanktionen der USA, massiv geschwächt wurde, wieder wirtschaftlich stärken und insgesamt außenpolitisch deutlich aufwerten würde.

Ministerpräsident Netanjahu versuchte darüber hinaus auch innenpolitisch zu punkten. Mitten im dritten Lockdown startet die Regierung die Impfkampagne gegen COVID-19. Netanjahu nutzte die Impfaktion als Wahlkampagne für sich, um seine deutlich gesunkenen Beliebtheitswerte wieder ins Positive zu drehen. Er erklärte die Impfaktion zur Chefsache. Israel hat sich schneller und in größerem Maßstab als viele andere Länder Impfstoffe der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna gesichert und soll für den Biontech-Impfstoff erheblich mehr gezahlt haben als die USA und Europa. Mittlerweile ist in Israel weit mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung immunisiert. Wer seine zweite Impfung hinter sich hat, erhält einen »Grünen Pass«, der den Träger von Corona-bedingten Auflagen befreit, etwa der Quarantänepflicht nach Auslandsreisen. Israel kann sich aufgrund seiner effizienten Impfaktion wesentlich schneller als die meisten entwickelten kapitalistischen Länder aus den Fesseln des Virus befreien.

Bei der arabischen Minderheit, die ca. 22% der israelischen Bevölkerung ausmacht und von der weniger als die Hälfte zur Wahl ging, scheint die Impf-Kampagne weniger erfolgreich verlaufen zu sein. Manche Expert*innen machen dafür arabischsprachige Verschwörungsmystik in sozialen Netzwerken verantwortlich. Andere kritisieren, in arabischen Städten gebe es nicht genügend Impfstationen.

Insgesamt konnte der Likud mit Netanjahu an der Spitze aber nicht oder nicht ausreichend von den positiven Ergebnissen der Impfkampagne und den außenpolitischen Erfolgen profitieren. Viele Wähler*innen haben die massiven Defizite der Regierung im Anti-Corona-Krisen-Management und die damit verbundenen forcierte soziale Spaltung nicht vergessen. Außerdem werfen säkular orientierte Israelis Netanjahu zu große Rücksichtnahme auf die streng religiösen Parteien vor. Hinzu kommt das im April fortgesetzte Korruptionsverfahren gegen Netanjahu, wodurch seine politische Glaubwürdigkeit gelitten hat. Die bisherige politische Machtposition des Likud und auch die von Netanjahu selbst im israelischen Parteiensystem bröckeln, was aber keineswegs zu einem Linksruck geführt hat. Ganz im Gegenteil.


Weitere Stärkung des rechten Lagers

Nach den vorläufigen Ergebnissen[5] kann der der Likud mit 30 der 120 Sitze in der Knesset rechnen und verliert damit sechs Sitze im Vergleich zur letzten Wahl. Für eine eigene Regierungsmehrheit werden 61 Sitze benötigt. Netanjahus stärkster Herausforderer, der ehemalige Finanzminister Yair Lapid, landete zwar wie erwartet auf Platz zwei. Seine zentristische Zukunftspartei (Yesh Atid) kommt aber wohl lediglich auf 18 Mandate. Anders als andere Parteichefs blieb Lapid im vergangenen Jahr seinem Versprechen treu, nicht in eine Koalition mit Netanjahu einzutreten. Das Rest-Bündnis Blau-Weiß von Gantz schnitt besser ab als erwartet, muss sich aber mit acht Sitzen zufrieden geben. Blau-Weiß fiel u.a. auf die Füße, dass Gantz vor der dritten Parlamentswahl eine Koalition mit Netanjahu ausgeschlossen hatte (»Niemals mit Netanjahu!«), dann jedoch eine Koalitionsregierung mit ihm bildete, die Netanjahu dann vorzeitig platzen ließ.

Insgesamt signalisiert das vorläufige Ergebnis einen weiteren Rechtsruck. Das gesamte Spektrum der rechten und religiösen Parteien kommt zusammen auf etwa 70 Sitze. Als Sieger dürfen sich dabei die Religiösen Zionisten fühlen, ein Bündnis aus religiös-fundamentalistischen, rassistischen und homophoben Parteien, mit dem Netanjahu einen Wahlpakt eingegangen ist, um es über die Sperrhürde zu heben, und das sechs Mandate holte.


Andauernde Schwäche der linken Parteien

Links von der Mitte lassen sich in Israel derzeit keine Wahlen gewinnen. Die sozialdemokratische Arbeitspartei (Awoda), die lange Jahre den Premierminister stellte und deren Regierungschefs wie Golda Meir, Izchak Rabin oder Schimon Peres Geschichte schrieben, kommt unter ihrer neuen Vorsitzenden Merav Michaeli auf acht Knesset-Sitze. Für den Niedergang der israelischen Sozialdemokratie ist einerseits das Scheitern der Oslo-Verträge verantwortlich, andererseits wird sie längst nicht mehr als klassische Arbeiterpartei wahrgenommen, sondern eher als Teil einer abgehobenen urbanen intellektuellen Elite Tel Avivs. Die links-liberale Meretz-Partei erreichte sechs Sitze. Beide linke Parteien lehnen eine Fusion ab.

Einen Keil hat Netanjahu ins politische Lager der arabischen Minderheit treiben können. Während er in früheren Wahlkämpfen die arabischen Israelis eher diskreditiert hatte, warb er dieses Mal um deren Stimmen. Aus der Vereinten Liste, die bei der vorigen Wahl noch 15 Mandate gewann, ist die konservativ-islamische Ra´am-Partei ausgeschert. Deren Vorsitzender Mansour Abbas hatte zuvor für Konfliktstoff gesorgt durch Äußerungen, die als politische Annäherung an Netanjahu gedeutet werden konnten. Die ۚGemeinsame Liste«, die dem Anti-Netanjahu-Lager angehört, ist weiterhin im Parlament vertreten, kommt aber nur noch auf sechs Sitze. Die abgespaltene Ra´am-Partei hat es ebenfalls mit fünf Sitzen in die Knesset geschafft.


Vor der fünften Parlamentswahl?

Auch wenn Netanjahu es geschafft hat, den Likud wieder zur stärksten Partei zu machen, steht Israel mit diesem Wahlergebnis vor äußerst komplizierten Koalitionsverhandlungen. Und auch im rechten Lager ist die Person Netanjahu ein zentraler Streitpunkt.

Will sich Netanjahu eine Regierungsmehrheit sichern, braucht er neben seinen bisherigen Partnern, den beiden ultraorthodoxen Parteien Shas und Vereinigtes Thora-Judentum, auch die Stimmen des religiös-fundamentalistischen, rassistischen und homophoben Parteiverbunds der Religiösen Zionisten, mit denen er ein Wahlbündnis eingegangen war, um sie über die Sperrgrenze zu heben. Darüber hinaus benötigt Netanjahu die Stimmen der Siedlerpartei Yamina von Naftali Bennett (ein ehemaliger Büroleiter von Netanjahu), der sich bisher noch nicht positioniert hat. Ob er Netanjahu bei der Verabschiedung eines Gesetzes zur Gewährung von Straffreiheit in dem Korruptionsverfahren, wie von Netanjahu erwartet,  unterstützen würde, ist ungewiss. Im Wahlkampf hatte Bennett versprochen, kein solches Gesetz zu unterstützen. Sollte er trotzdem in eine solche Koalition eintreten, könnte es noch immer nicht zu einer Regierungsmehrheit reichen. Einer dann der arabischen RA´am-Partei möglicherweise zukommende Rolle als Zünglein an der Waage, sei es durch Eintritt in eine  Regierung Netanjahu oder durch deren Duldung, wurde allerdings von den Religiösen Zionisten bereits eine Absage erteilt.

Käme es dennoch zu einer solchen Koalitionsbildung, würde Netanjahu die rechteste und auch religiöseste Regierung in der Geschichte Israels bilden. Eine solche politische Entwicklung wäre fatal für die israelische Demokratie, da sich die Politik immer mehr in Richtung fundamentalistisch-religiöser, rassistischer und homophober Kräfte verschieben würde.

Zöge sich Netanjahu aus seiner bisherigen politischen Rolle zurück, würde dem Likud die Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung deutlich leichter fallen. Denn zur Opposition gehören eben auch viele ehemalige politische Weggefährten Netanjahus, bei denen die inhaltlichen Differenzen zum Likud nicht unüberbrückbar sind, die aber inzwischen massive Vorbehalte gegenüber Netanjahu haben. Wie vor allem diese Wahl gezeigt hat, ist Netanjahu kein Garant mehr für politische Mehrheiten. Es drängt sich immer mehr die Frage auf, was in der Likud-Partei politisch passiert, ob sie weiter an Netanjahu festhält.

Das Lager der Netanjahu-Gegner käme unter Einschluss der arabischen Ra´am-Partei wohl  auf eine rechnerische Mehrheit von 61 Sitzen, eine Regierungsbildung ist aber aufgrund der ausgeprägten politisch-ideologischen Differenzen innerhalb des Anti-Netanjahu-Lagers nur schwer möglich.

Das politische System in Israel steht damit vor einer Selbstblockade. Sollte es zu keiner neuen Regierung kommen, stünde den Israelis eine weitere – fünfte – Wahl bis Ende des Jahres ins Haus. Auch dies wäre Gift für die israelische Demokratie: »Die Kombination von Wahlen ohne Entscheidung und der Existenz eines quasi-Monarchen gefährdet die Demokratie.« (Der israelische Historiker und Antisemitismus-Forscher Moshe Zimmermann im Interview der Tagesschau vom 24.3.2021)

Eines dürfte schon jetzt klar sein: Für die Zukunft der Palästinenser verheißt der weitere Rechtsruck in Israel nichts Gutes. Schon bei der Impfkampagne gab Israel keinen Impfstoff an die palästinensische Bevölkerung in den von Israel besetzten Gebieten ab. Israel betrachtet sich dafür als nicht zuständig. Eine Chance zu einem Schritt der Deeskalation im chronischen Konflikt Israels mit den Palästinensern wurde vertan.

Eine Unbekannte im zukünftigen Nah-Ost-Geschehen stellt die neue US-Regierung dar. Biden hatte im US-Wahlkampf versprochen, von der völlig einseitigen und aggressiven US-Nah-Ostpolitik der abgewählten Trump-Administration abzurücken. Im Umgang mit Iran zeichnet sich bereits eine Revision ab, was eine Annäherung weiterer arabischer Staaten wie z. B. Saudi-Arabien an Israel erschweren wird. Auch bezüglich des Umgangs mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wird es zu einer Überarbeitung der US-Außenpolitik kommen, in welcher Form, das bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall würde ein zukünftiger israelischer Ministerpräsidenten Netanjahu auch außenpolitisch unter verstärkten Druck geraten.

Anmerkungen

[1] Das israelische Wahlrecht sieht folgende Vorgehensweisen vor: Die Wähler*innen haben eine Stimme zur Wahl einer Liste. Die 120 Sitze der Knesset werden nach dem D’Hondt-Verfahren proportional unter den Listen verteilt, die mindestens 3,25 % der Stimmen erhalten. Die der Liste zugefallenen Sitze werden ihren Kandidaten gemäß der Listenreihenfolge zugeteilt. Im Parteiregister eingetragene Parteien oder Verbunde von zwei oder mehr Parteien können eine gemeinsame Liste einreichen. Aufgrund der zersplitterten Parteienlandschaft schließen sich Parteien häufig zu gemeinsamen Listen zusammen, um ein Scheitern an der Sperrklausel zu verhindern. Zwei Listen können zudem eine Listenverbindung eingehen. In diesem Fall werden ihre Stimmen für die Sitzverteilung zusammengezählt, sofern beide jeweils die Sperrklausel überwinden. Innerhalb der Listenverbindung werden die Sitze nach dem D’Hondt-Verfahren verteilt.
[2] Siehe hierzu ausführlich: Yossi Dahan, Die Corona-Krise in Israel, in: Sozialismus.deAktuell vom 12.2.2021.
[3] Siehe hierzu ausführlich: Friedrich Steinfeld, Jahrhundert-Deal oder Bruch des Völkerrechts?, in: Sozialismus.deAktuell vom 3.2.2020.
[4] Siehe hierzu ausführlich: Friedrich Steinfeld, Tötliches Attentat auf den »Vater« des iranischen Atomprogramms, in: Sozialismus.deAktuell vom 1.12.2020.
[5] Das offizielle Endergebnis wird am 31.3.2021 veröffentlicht.

 

 

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