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Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

3. August 2015 Otto König/Richard Detje: Eskalation gegen Kurden und Linke

Erdoğans Krieg

In der Türkei hat sich der kurdische Frühling in einen hasserfüllten nationalistischen Sommer verwandelt. Es war am 7. Juni: Allen Provokationen zum Trotz überwand die »Demokratische Partei der Völker« (HDP) die zehnprozentige Sperrhürde, errang gar 13,2% der Stimmen und damit 80 Sitze im Parlament. Die regierende islamisch-konservative »Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung« (AKP) verlor die sicher geglaubte absolute Mehrheit. Die Zeit der Einparteienherrschaft in der Türkei schien vorbei.

In der Tat war die Wahl eine Katastrophe für die AKP und mehr noch für den Präsidenten Recip Tayyip Erdoğan.[1] Das Ergebnis war ein Plebiszit gegen die von ihm angestrebte Präsidialdiktatur. Seit dieser Niederlage giftet der selbstherrlich wie ein Sultan auftretende AKP-Politiker aggressiv gegen Kurden und Linke. Schließlich beendete er den Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK.[2]

Das Ziel ist eindeutig: Die HDP soll als »Terrorpartei« gebrandmarkt und bei Neuwahlen wieder aus dem Parlament gedrängt werden. HDP-Repräsentanten mit »Verbindungen zu terroristischen Gruppen sollen«, so Erdoğan, »schon jetzt ihre Immunität verlieren und juristisch belangt werden«. »Unser einziges Verbrechen war, dass wir 13% geholt haben« konterte HDP-Vorsitzender Demirtaş (Süddeutsche Zeitung, 28.7.2015). Die türkische Staatsanwaltschaft leitete inzwischen Ermittlungen gegen die beiden HDP-Vorsitzenden ein.

Das islamistische Attentat in der türkisch-syrischen Grenzstadt Suruc, bei dem 31 junge SozialistInnen ermordet wurden, wird von der AKP-geführten Übergangsregierung als weiterer Vorwand für den Kampf gegen Kurden und Linke genutzt. Die Delegation der SGDF (Föderation der sozialistischen Jugendvereine) wollte nach Kobanê, um sich dort am Wiederaufbau zu beteiligen. Die SGDF ist der Jugendverband der ESP (Sozialistischen Partei der Unterdrückten), die Mitglied in der HDP ist.

Seitdem wurden zunächst Angriffe der türkischen Luftwaffe auf den »Islamischen Staat« (IS) in Syrien, aber dann vor allem auf PKK-Stellungen in den nordirakischen Kandil-Bergen mit den Worten begründet: »Wir haben die Spielregeln der Region verändert.«[3] Nicht die IS-Mörder, sondern deren Opfer werden bekämpft, mit der Konsequenz, dass die konsequentesten Gegner des »IS« - die »Arbeiterpartei Kurdistans« (PKK) und ihre syrische Schwester die »Partei der Demokratischen Union“ (PYD) geschwächt werden.

Aus Sicht der AKP ist das konsequent, haben doch führende Repräsentanten trotz der »Friedens-Verhandlungen« in der Vergangenheit immer wieder betont, die PKK und ihre Verbündeten seien gefährlicher als der »IS«. So hat die türkische Regierung von Beginn an alle jihadistischen Gruppen unterstützt, die das Ziel hatten, die Assad-Regierung in Damaskus zu stürzen und die kurdische Autonomieregion in Rojava[4] im Norden Syriens zu bekämpfen. Auch in der Schlacht um Kobanê positionierte sich die AKP eindeutig gegen den Widerstand der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG.

Parallel zu den Angriffen auf kurdische Stellungen geht die türkische Regierung massiv gegen die linke demokratische Opposition im Innern vor. Von Ankara als »Antiterroroperation« deklariert, wurden Mitte Juli bei »Morgengrauenrazzien« Massenverhaftungen exekutiert, 1.300 Menschen wurden festgenommen, davon etwa 150 IS-Mitglieder, die Mehrheit der Inhaftierten sind jedoch HDP-Aktivisten und Mitglieder türkischer revolutionärer Gruppen. »Der IS ist ein Werkzeug, um den Staatsterror zu verschleiern und den Menschen Angst einzuflößen«, erklärte die Anwältin Şerife Ceren Uysal von der türkischen »Progressiven Anwaltsvereinigung« (Hintergrund 30.7.2015).

Erdoğan und die AKP sind bereit, auch auf Gewalt und Chaos zurückzugreifen, um ihre Alleinherrschaft wieder herzustellen. Und jene, die den türkischen Staatspräsidenten am Umbau der Türkei in eine Quasi-Autokratie hindern wollen, werden als Staatsfeinde diskreditiert. Nicht nur für den Journalisten Georg Restle vom ARD-Magazin Monitor ist es eine absurde Logik, »dass die innenpolitischen Interessen der türkischen Regierung offenbar schwerer wiegen als die Gefahr, die von den Schlächtern des ›IS‹ ausgeht«.

Derzeit gibt es in der Türkei nur eine Übergangsregierung, Koalitionsgespräche mit den Oppositionsparteien – so mit der sozialdemokratisch-kemalistischen »Republikanischen Volkspartei« CHP – blieben ohne Ergebnis. Regierungschef Davutoglu muss bis zum 23. August einen Koalitionspartner finden. Wenn nicht, kann Präsident Erdogan das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.

Und genau dies scheint der Plan zu sein, nachdem sich der Staatspräsidenten inzwischen für die Bildung einer Minderheitsregierung der AKP bis zu einer Neuwahl im November aussprach (Der Tagesspiegel, 1.8.2105). Angesichts der innen- und außenpolitischen Konfrontationen werden die AKP-Führungskräfte im Wahlkampf den nationalen Notstand beschwören und an die patriotischen Instinkte in der türkischen Bevölkerung appellieren. Ziel ist es, die linke HDP wieder unter die Zehnprozenthürde zu drücken und die Oppositionsparteien insgesamt zu schwächen. Nur so hat die AKP eine realistische Chance auf eine absolute Mehrheit.

Schon jetzt steht fest: So wie die Wahlen im Juni ein Referendum über die Alleinherrschaft Erdoğans waren, werden die voraussichtlichen Wahlen im November darüber entscheiden, ob der progressive Aufbruch in der Türkei weiterhin eine Chance hat, der politische Dialog mit den Kurden fortgesetzt wird oder ob die von den nationalistischen Kräften provozierte Gewalt weitergeht.

»Ist die deutsche Außenpolitik zynisch?«, fragt Christoph von Marschall im Tagesspiegel (28.7.2015). Galten doch vor einem Jahr die kurdischen Milizen für die deutschen Politiker als Helden, da sie im Nordirak den »IS« stoppten und einen Massenmord an der religiösen Minderheit der Jesiden verhinderten. Deutschland lieferte trotz Protesten Waffen und entsandte Ausbilder. Heute ist die damals hochgelobte Waffenbrüderschaft der Großen Koalition in Berlin offenbar unangenehm, nachdem ihr NATO-Bündnispartner Türkei die Kurden wieder zum Erzfeind erklärt hat. Die Mahnung der Kanzlerin Angela Merkel zum »Maßhalten im Umgang mit den Kurden« wird wohl in Ankara nicht sehr ernst genommen.

Und wie reagiert die NATO? Während die Vertreter der 28 NATO-Staaten ihre »starke Solidarität« mit der Türkei bekräftigten, war aus den schwammigen Äußerungen des NATO-Generalsekretär Stoltenberg ein leichter Anflug von Unruhe zu hören, da doch kurdische Verbände in Syrien als Nato-Alliierte im Kampf gegen die IS fungieren (Telepolis, 29.7.2015). Doch tatsächlich war der Beschluss ein Plazet für Erdogan, einen neuen Krieg gegen die PKK loszutreten.

Demokratische Kurdenorganisationen sollten aus Europa Solidarität erwarten. Und Deutschland sollte ihre im kurdischen Kahramanmaraş stationierten Patriot-Raketen und die dazu gehörigen Einheit der Bundeswehr[5] abziehen. »Denn wenn der türkischen Regierung weiterhin freie Hand gegeben wird, dann wird nicht nur der IS gestärkt. Dann trägt die Bundesregierung Mitverantwortung dafür, dass der Krieg in Syrien und im Nordirak weiter eskaliert und am Ende auch nach Deutschland getragen wird« (Georg Restle, Monitor).

[1] Vgl. Murat Çakır: Parlamentswahlen in der Türkei – Eine Wahlnachtanalyse Erdoğan verliert, HDP gewinnt, SozialismusAktuell, 8.6.2015.
[2] In dem seit 1984 andauernden Bürgerkrieg in der Türkei begann 2012/13 ein Verhandlungsprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Noch auf dem Newruz-Fest der Kurden in Diyarbakır im März wurde eine Friedensbotschaft des seit 1999 im Gefängnis einsitzenden PKK-Führers Abdullah Öcalan verlesen. Es sei an der Zeit, die »gnadenlose« und »zerstörerische« Geschichte zu beenden und eine Ära des »Friedens und der Brüderlichkeit« zu beginnen, hieß es darin.
[3] Basis für die neue Offensive ist offenbar ein Deal zwischen den USA und der Türkei. Im Austausch für die Nutzung des Militärflughafens İncirlik und die Einrichtung einer Pufferzone in Nordsyrien, gab die US-amerikanische Administration grünes Licht für Angriffe auf kurdische Organisationen, die bisher im Kampf gegen den IS an vorderster Front standen und teilweise von den USA militärisch unterstützt wurden. Die US-Regierung stuft die jüngsten türkischen Luftangriffe auf die PKK als eindeutigen Akt der Selbstverteidigung ein. Die syrische »Demokratischen Union« (PYD) wurde von den USA den veränderten geostrategischen Bedingungen geopfert.
[4] Siehe A. Flach u.a.: Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo. Hamburg 2015.
[5] Am 4. Dezember 2012 beschloss die NATO auf der Grundlage des Artikels vier ihres Statuts die Operation »Active Fence«. Im Rahmen der Aktion »Aktive Zaun« entsandte die Bundesregierung bis zu 400 Bundeswehrsoldaten und zwei Feuereinheiten der »Patriot«-Raketenabwehrsysteme nach Anatolien, die zum Einsatz kommen, wenn ein »Bündnisfall« nach Artikel fünf des NATO-Vertrages beschlossen wird.

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