30. Oktober 2022 Joachim Bischoff: Die USA vor den Midterm-Wahlen
Gehen die Demokraten & Biden baden?
Am 8. November, bei den Midterms genannten Zwischenwahlen, wählen die Amerikaner*innen Teile ihrer Parlamente neu. Gewählt werden alle 435 für zwei Jahre gewählte Mitglieder des Repräsentantenhauses, 35 der insgesamt 100 Senator*innen und die Gouverneure in 36 Staaten und 3 Territorien weiteres politisches Personal in den Bundestaaten.
Es wird in jedem Fall eine knappe Entscheidung darüber, ob die Demokraten ihre schmale Mehrheit im politischen System gegenüber den Republikanern, inklusive dem abgewählten rechts außen Politiker Trump, verteidigen können. Bei diesen Zwischenwahlen erhält in der Regel die Partei des amtierenden Präsidenten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat einen deutlichen Dämpfer.
Die Gründe dafür: Die Midterms haben eine geringere Wahlbeteiligung als die Präsidentschaftswahlen und ziehen offenbar vorwiegend die Menschen verstärkt an, die mit der Arbeit des Präsidenten unzufrieden sind. Seine Anhänger*innen wissen, dass er unabhängig vom Ergebnis im Amt bleibt, und seine Partei hat deswegen Schwierigkeiten, sie zu mobilisieren. Zudem gehen die Zustimmungswerte der Präsidenten in der Regel während der ersten zwei Jahre nach unten.
Bei den diesjährigen Zwischenwahlen dürfte das mögliche Ergebnis aufgrund des bestehenden Kräfteverhältnis extrem knapp ausfallen: Im Senat müssen die oppositionellen Republikaner nur einen Sitz hinzugewinnen, auch im Repräsentantenhaus ist die demokratische Mehrheit mit neun Sitzen klein. Die Republikaner müssen also keine Gegenwelle lostreten, mit wenigen neuen Sitzen könnte eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse erreicht werden.
Ausschlaggebend dürfte die wirtschaftliche Situation des Landes sein. Präsident Joe Biden und die Demokraten kämpfen mit einer inflationären Konstellation und nach der überstandenen Pandemie mit einem schwachen Wirtschaftswachstum. Im ersten und im zweiten Quartal dieses Jahres schrumpfte die amerikanische Wirtschaft leicht um 1,6 bzw. 0,6%. Damit befand sich die amerikanische Wirtschaft schon in einem Zustand der Rezession (negatives Wachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen).
Überraschend wurde kurz vor dem Wahltermin von den Behörden eine Trendwende verkündet: Im dritten Quartal ist die amerikanische Wirtschaft wieder gewachsen, stieg das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach einer ersten Schätzung um 2,6%.
Damit ist die Wirtschaft im Sommer stärker gewachsen als erwartet. Die amerikanischen Verbraucher gaben erneut mehr aus, während die Unternehmen deutlich mehr investierten. Die Exporte schnellten im vergangenen Quartal trotz des starken Dollar nach oben. In diesem Wachstumstempo dürfte es Experten zufolge aber nicht weitergehen – manche Experten erwarten sogar in Übereinstimmung mit der Tendenz in der Globalökonomie – trotz der zwischenzeitlichen Aufwärtsbewegung eine Rezession.
Mindestens im Vergleich mit den europäischen Metropolen verläuft die Entwicklung der Preissteigerungsrate und damit der Kaufkraftverlust günstiger. Den dritten Monat in Folge ist die amerikanische Inflationsrate jetzt gesunken, auf zuletzt 8,2% im September, zweistellig ist sie jedenfalls nicht geworden – in Europa und speziell in Deutschland steigt sie immer weiter an und lag im September erstmals seit sehr langer Zeit bei 10%.
Der entscheidende Grund für diesen Unterschied: Die USA verfügen als Großmacht über fossile Energien und insofern kann hier nicht von einer Energiekrise die Rede sein. Öl, aber vor allem Gas muss weniger importiert werden, das schützt vor Preiserhöhungen. Auf der anderen Seite hat deshalb die Inflation in den Vereinigten Staaten von Anfang an einen anderen Charakter gehabt und beruht stärker auf Nachfrage-Effekten, während wir in Europa mit einer weitgehend importierten Inflation zu tun hatten. Der starke Dollar hat zudem über die Importpreise die Inflation in Amerika eher gemildert, die in Europa zusätzlich verschärft.
Die europäische Inflation ist stark angebotsgetrieben: Erstens ist in Europa die Energie der Kerntreiber der Inflation. Die Preise für Strom, Gas und Kraftstoff machten im Euroraum 60% der Inflationstreiber aus, in Amerika ist es die Hälfte davon. Zweitens sind die Löhne in Amerika deutlich stärker gestiegen – um zwischen 5 und 7%, im Euroraum haben sie Tariflöhne bislang weniger zugelegt. Zudem wurde die Inflation der europäischen Wirtschaften stärker von Angebotsengpässen und Störungen der Lieferketten geprägt, die die Preise zusätzlich steigen lassen (siehe zu diesen Unterschieden auch meine Beiträge »Der Strommarkt ist aus den Fugen geraten« auf Sozialismus.deAktuell vom 4.9.2022 und »Rekordinflation, Leitzinserhöhung und Energiepreise« vom 10.9.2022 sowie die Keynote von Adam Tooze bei der Veranstaltung »Wenn alles teurer wird: Was tun gegen die hohe Inflation?« der Friedrich-Ebert-Stiftung am 8.9.2022).
Biden bekämpf die Rezession und verliert den Kampf gegen Inflation?
Biden und die Demokraten haben nach einer bedrohlichen Pandemie und einer die Demokratie gefährdeten Aktion des Trumpismus den Kampf gegen den Niedergang der US-Ökonomie erfolgreich geführt: Erst wurde zusätzlich zu einem Haushalt mit einem Volumen von 5.000 Milliarden Dollar die »Infrastructure Investment and Jobs Act« beschlossen, dann kamen die »Chips and Science Act« und die »Inflation Reduction Act« dazu und zuletzt noch die Operation Schuldenerlass der Studentenkredite im Wert von 400 Milliarden Dollar dazu. Die amerikanische Wirtschaft erholte sich in Rekordzeit von ihrer Schwächephase, die Verbraucher konnten sich von ihren Schulden etwas lösen und die Arbeitslosigkeit fiel nahe an ein Rekordtief.
Aber dieser Erfolg war auch mit einer Kehrseite verbunden: dem Anstieg der Inflation. Inzwischen drückt der Kaufkraftverlust aufgrund der auch in den USA hohen Inflationsrate von mehr als 8% die amerikanischen Bürger*innen im Alltagsleben. Die amerikanische Zentralbank Fed hat mittlerweile auf die Preisdynamik reagiert und will diese Nachkrisenprosperität mit deutlich anziehenden Leitzinsen möglichst schnell unter Kontrolle bringen. Auch hier gibt es eine Kehrseite: Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen wird gedämpft und die Wirtschaft auf einen Weg in eine rezessive Abwärtsspirale geschickt.
Die Fed steht in der nächsten Woche vor ihrem vierten großen Zinsschritt in Folge und könnte die Obergrenze des geldpolitischen Schlüsselsatzes kommende Woche um 75 Basispunkte auf vier Prozent nach oben schrauben. Mit den steigenden Zinsen sind die Kosten für Baudarlehen in den USA mittlerweile so hoch wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Entsprechend hat sich die Baukonjunktur kräftig abgekühlt. Vor diesem Hintergrund hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognosen für die weltgrößte Volkswirtschaft eingedampft. Sie soll in diesem Jahr um 1,6% und 2023 nur noch um 1% wachsen.
Die Fed orientiert sich bei ihren geldpolitischen Entscheidungen auch an der Entwicklung auf dem US-Arbeitsmarkt. Sie hat dessen soliden Zustand als Argument gegen das Abgleiten der Wirtschaft in eine tiefe Rezession angeführt. Am amerikanischen Arbeitsmarkt hat sich die Lage dabei kaum verändert. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe stieg geringfügig um 3.000 auf 217.000, wie das Arbeitsministerium jüngst mitteilte. Das Niveau der Hilfsanträge bleibt im längeren Vergleich nach wie vor niedrig, was zumindest gegen eine Überhitzung spricht. Der Arbeitsmarkt der größten Volkswirtschaft der Welt bleibt robust und viele Unternehmen klagen über einen Mangel an Arbeitskräften.
Die Preisdynamik hat zwar deutlich nachgelassen, aber sie ist noch immer meilenweit von der 2%-Marke entfernt, die Ökonomen und Notenbanker gemeinhin als »Umfeld mit stabilen Preisen« anstreben. In den vergangenen Monaten sind fast alle Waren und Dienstleistungen teurer geworden. Mittlerweile ist die gesellschaftliche Stimmung gekippt und die erfolgreiche Bekämpfung von Pandemie, Demokratiekrise und Bekämpfung der maroden Infrastruktur sind kein Pluspunkt mehr in der politischen Auseinandersetzung, was sich auch in gesunkenen Beliebtheitswerten des aktuellen Präsident Biden ausdrückt, zeitweise schnitt er noch schlechter ab als sein historisch unbeliebter Vorgänger Trump.
Nach Bidens erstem Amtsjahr sei die Gefahr für die amerikanische Demokratie nicht zurückgegangen, konstatierte der Harvard-Professor Steve Levitsky im Januar in der Zeitschrift »Foreign Affairs«: »Die Republikanische Partei hat sich zu einer extremistischen, antidemokratischen Kraft radikalisiert, welche die verfassungsmäßige Ordnung der USA gefährdet.«
Sollte Trump oder einer seiner Gesinnungsgenossen die Präsidentschaftswahl 2024 gewinnen, werde das Weiße Haus den bürokratischen Apparat politisieren und die staatliche Maschinerie gegen die politischen Gegner einsetzen. Das Resultat wäre ein kompetitiver Autoritarismus: »Ein System, in dem Wahlen existieren, aber der Machtmissbrauch der Amtsinhaber die Opposition benachteiligt.« Verfassungskrisen und politische Gewalt mit Morden, Bombenanschlägen und bewaffneten Aufständen könnten deshalb in den USA bald zur Norm werden.
Auch eine Untersuchung der University of Chicago kommt zu der These: Die amerikanische Gesellschaft ist polarisiert und gewaltbereit. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung glaubt, dass es demnächst notwendig sein könnte, sich bewaffnet gegen die Regierung zu erheben. Etwa drei Viertel sowohl der Demokraten wie der Republikaner sind der Ansicht, Mitglieder der jeweils anderen Partei seien Tyrannen, die einem ihre Ansicht aufzwingen wollten und Desinformation verbreiteten. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich im Vorfeld der Zwischenwahlen vom November und erst recht im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 viele Experten und auch gewöhnliche Bürger*innen in den USA große Sorgen machen.