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24. September 2019 Otto König/Richard Detje: Präsidentschaftswahlen in Argentinien – die Linke kann Hoffnung schöpfen

Macri heißt Hunger

Mauricio Macri (Mitte), ein Präsident auf Abruf. Foto: flickr.com/Senado Federal (CC BY 2.0)

Während der Präsidentschaftskampagne von 2016 hatte der damalige Kandidat des rechten Oppositionsbündnisses »Cambiemos« (»Lasst uns verändern«), Mauricio Macri, den Mund mit dem Versprechen, Armut und Inflation zu beenden, sehr voll genommen.

Die Kräfte des Marktes sollten wieder freies Spiel bekommen und ausländische Investoren angelockt werden. Der neoliberale Politiker rief eine »Revolution der Freude« aus und Medien wie die Neue Züricher Zeitung jubelten, jetzt könne Argentinien nach der lähmenden Ära des »Kirchnerismo« wieder eine »Vorreiterrolle in Südamerika einnehmen« und das Land »zu neuer Blüte« führen.

Vier Jahre später – kurz vor dem Ende der Amtszeit des Staatspräsidenten – steckt Argentinien in einer tiefen Wirtschaftskrise. Ein bankrotte öffentlicher Haushalt, hohe Inflation und Kapitalflucht sind die offensichtlichen Zeichen dafür. Mittlerweile haben die Parlamentsabgeordneten den Nahrungsmittelnotstand erklärt. Zehntausende von Menschen, darunter sehr viele Kinder, nehmen täglich nur noch eine Mahlzeit zu sich. Auf den Hauswänden in Buenos Aires ist immer öfter zu lesen »Macri heißt Hunger«. In den verpflichtenden Vorwahlen, den »Primarias Abiertas, Simultáneas y Obligatorias, kurz PASO,[1] für das Präsidentenamt und das nationale Parlament (PASO) Anfang August straften nicht nur die verarmten Bevölkerungskreise, sondern auch Mittelschichten, die sich vom Abstieg bedroht fühlen, Mauricio Macri dafür ab. Die Vorwahlen wurden eine Generalabrechnung mit der ruinösen Wirtschafts- und Sozialpolitik des Macrismus.

Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández[2] und Cristina Fernández de Kirchner als Kandidatin für das Vizepräsidentenamt vom linken Wahlbündnis »Frente para Todos« (Front von allen) holten landesweit 47,1% der Stimmen. Macris Regierungsbündnis »Cambiemos« landete mit 32,2% abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Als drittstärkste politische Kraft erreichte das Bündnis »Consenso Federal« mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Roberto Lavagna 8,3% der Stimmen. Das linke Bündnis »FIT-Unidad« mit Nicolás del Caño kam auf 2,9%. Insgesamt übertrafen sechs Kandidaten die 1,5-Prozenthürde, die ein Antreten bei den Präsidentschaftswahlen am 27. Oktober ermöglicht. Für Macri wird es schwierig, seinen Rückstand bis dahin noch aufzuholen.
Das Team Fernández/Fernández de Kirchner liegt in fast allen Provinzen des Landes mit Ausnahme von Córdoba und der Hauptstadt Buenos Aires vorn. Beide gehen damit als klare Favoriten in die Wahlen. Nach Abzug der ungültigen Stimmen und Stimmenthaltungen werden voraussichtlich rund 45% ausreichen, um die Präsidentschaft bereits im ersten Wahlgang zu erobern.



Kirchner zurück an der Macht? Auf diese Vorstellung reagierten die Finanzmärkte panisch. Nach Bekanntwerden der Ergebnisse brachen die argentinischen Aktienkurse um mehr als die Hälfte ein, der Leitindex Merval fuhr den höchsten Tagesverlust seit 70 Jahren ein und die Staatsanleihen gingen auf Talfahrt. Der Peso gab gegenüber dem Dollar um ein Viertel nach, und die Zinsaufschläge auf Argentinien-Bonds haben sich auf rund 1.900 Punkte verdoppelt. Die Investoren befürchten, dass mit der Rückkehr der Ex-Präsidentin die neoliberale Ära beendet wird und eine Umschuldung erfolgt, sprich Schuldenschnitte, bei denen sie einen Teil ihres eingesetzten Kapitals verlieren könnten. Der Ex-Manager von Greylock Capital forderte, dem Wahlergebnis im Oktober vorausgreifend: Alberto Fernández müsse »ernsthafte Haushaltsanpassungen (also noch mehr Einschnitte in die Staatsausgaben für die Sozialpolitik) vornehmen, »um die Glaubwürdigkeit der Märkte zurückzugewinnen«.

»Mir tut es in der Seele weh, dass so viele Argentinier zurück in die Vergangenheit wollen«, schimpfte Macri nach den Vorwahlen, um dann in einer Videobotschaft zurückzurudern: »Ich habe euch gehört«. Zugleich kündigte er »Erleichterungen für 17 Millionen Arbeiter*innen und ihre Familien und die kleinen und mittleren Unternehmen« an – die Streichung der Mehrwertsteuer von 21% auf Grundnahrungsmittel (u.a. Brot, Milch, Zucker und Nudeln), Boni für Beschäftigte im öffentlichen Dienst und einen höheren Mindestlohn. Zudem soll der Benzinpreis für 90 Tage eingefroren werden. Es ist zu bezweifeln, dass die verkündeten Maßnahmen noch eine entscheidende Wende zu seinen Gunsten bringen.

Während die Energieunternehmen und die Agrarindustrie weiterhin auf Macri setzen, hat die argentinische Bevölkerung die Nase voll von der rechts-konservativen Regierung, deren Versprechen im krassen Gegensatz zu der aktuellen wirtschaftlichen Lage stehen. Auch der Verweis, der Zusammenbruch der Wirtschaft sei durch die vorherige Regierungsführung von Christina Fernandez de Kirchner verschuldet, zieht nicht mehr. Aller Voraussicht nach ist Mauricio Macri ein Präsident auf Abruf.

Arbeitslosenquote 2016 bis 2019 in Argentinien

Und dies zu Recht: Im vergangenen Jahr überstieg Argentiniens Leistungsbilanzdefizit fünf Prozent des BIP. In der darauf folgenden Wirtschafts- und Finanzkrise stieg die Staatsverschuldung auf fast 90% des BIP an, die Inflation schoss 2018 auf 48% in die Höhe. In diesem Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Inflation von 40%, eine weiterhin schrumpfende Wirtschaft und wachsende Arbeitslosigkeit. Die argentinische Zentralbank pumpt US-Dollar in den Markt und verspricht Investoren für schnelles Geld einen Zinssatz von über 60%, um die Geldentwertung irgendwie im Zaum zu halten. Wie gravierend die ist, lässt sich am Wechselkurs der Landeswährung Peso ablesen: Allein im August sank dessen Wert um 25%.

Diese Politik verteuert Kredite für Unternehmen und Konsumenten. Viele der kleinen und mittleren Unternehmen stehen inzwischen mit einem Bein im Abgrund. »Der hohe Zinssatz schneidet den Unternehmen schlicht den Zugang zu Investitionskrediten ab«, sagt der Ökonom Guillermo Bermúdez von der Stiftung für Wirtschafsforschung FIEL. Schon 2018 sind rund 7.000 argentinische Unternehmen, darunter 1.300 Industriebetriebe, Pleite gegangen. Nach jüngsten Angaben des Integrierten Sozialversicherungssystems (SIPA) schreitet die Deindustrialisierung in bedrohlichem Ausmaß voran. Im laufenden Jahr soll die Wirtschaft um 2,8% schrumpfen.

Die Gesamtinflation seit Macris Regierungsübernahme Ende 2015 beträgt 209,3%. Die Teuerungen sind zum Teil Folge der exorbitanten Preiserhöhungen öffentlicher Dienstleistungen: Seit 2015 sind die Preise für Strom um 3.624%, für Gas um etwa 2.401 und für Wasser um rund 1.025% gestiegen. Laut einer Berechnung des Strategischen Lateinamerikanischen Zentrums für Geopolitik (Centro estratégico Latinoamericano de Geopolitica) sind die Reallöhne seit Anfang 2016 um rund 40% gesunken. Dies war noch vor der Abwertung des Pesos in den vergangenen Wochen, der diesen Trend noch deutlich verstärkt hat.

Eine starke Zunahme der Armut ist die Folge. Nach Schätzungen der »Observatorio de la deuda social« (»Beobachtungsstelle der sozialen Schuld«) der Katholischen Universität Argentiniens lag die Armutsrate im Juli bei etwa 34% und soll bis zum Jahresende auf mindestens 40% ansteigen. Die absolute Zahl der Armen liegt bei 14,3 Millionen und damit 2,6 Millionen höher als 2017 zur Mitte der Amtsperiode Macris. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Argentinier erhöhte sich um 870.000 auf gut drei Millionen. Das Kinderhilfswerk Unicef warnte: »fast die Hälfte der argentinischen Kinder lebt in Armut«.

Macri forcierte durch eine Reihe verantwortungsloser Entscheidungen die Entwicklung zu einer möglichen Staatspleite. Dazu gehört der Abschluss einer Vereinbarung über eine vollständige Rückzahlung der Anlagen von vergleichsunwilligen Gläubigern, die im Gefolge des Zahlungsausfalls Argentiniens 2002 und der anschließenden Schulden-Umstrukturierung noch immer vor US-Gerichten klagten.[3] Eine weitere war Macris Kreditorgie, »die 2017 zu einem Anschwellen der – überwiegend auf US-Dollar lautenden – Staatsverschuldung um mehr als ein Drittel auf 321 Milliarden Dollar führte«, so die Professorin Jayati Ghosh, Mitglied der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (IPG, 19.8.2019).

Nachdem die Finanzmärkte keine Kredite mehr ausreichten, gewährte der IWF Argentinien im vergangenen Jahr den mit 57 Milliarden Dollar größten Kredit seiner Geschichte. Als Gegenleistung musste die Regierung massive Haushaltseinschnitte, also Streichungen im sozialen Sektor, umsetzen, um 2019 den Primärhaushalt auszugleichen und das Außendefizit deutlich zu reduzieren. Doch die Devisenreserven verflüchtigen sich rasant und 2020 steht die Rückzahlung von 25 Milliarden Dollar Schulden an. Aktuell steht der IWF vor der Frage, ob er die nächste Kredittranche verweigert. Geschieht dies, wäre der achte Bankrott des Landes die Folge. Zahlt der IWF die 5,3 Milliarden aber aus, um Macris Chancen auf einen Wahlsieg nicht vollends zu zerstören, erhöht er das Ausfallrisiko für den IWF weiter. Wieder einmal zeigte der IWF, dessen Chefin Christine Lagardes zur EZB-Präsidentin gewählt wurde, dass seine Programme, die der breiten Bevölkerung massiv Kaufkraft entziehen, nicht zur Gesundung eines Landes führen, sondern in den Abgrund.



Unabhängig vom Wahlausgang
Ende Oktober stehen Argentinien nach einer kolossalen Verschuldung und Rückzahlungsverpflichtungen von exorbitanten Zinsraten ab 2020 schwierige Jahre bevor. Der Mitte-Links Kandidat Alberto Fernández verkündete am Wahlabend: »Wir sind nicht angetreten, um einen früheren Zustand wiederherzustellen, sondern um ein neues Argentinien zu erschaffen, in dem es keine Bruchlinien, keine Spaltungen und keine Rachsucht mehr gibt. Wir werden wieder reparieren, was sie zerstört haben.« Allgemein wird davon ausgegangen, dass ein Präsident Alberto Fernández gegenüber dem IWF auf eine Verlängerung der Tilgungsfristen drängen wird. Teil seines Teams aus Wirtschaftsexperten ist unter anderem Guillermo Nielsen, der in den Jahren 2004 und 2005 wesentlich an der Neuverhandlung der Staatsschulden nach dem Staatsbankrott beteiligt war. Als soziale Rettungsmaßnahmen plant der Kandidat des Wahlbündnisses »Frente para Todos« Millionen Arbeiter*innen und verelendete Rentner vor der extremen Armut zu schützen. Es gäbe keinen anderen Weg, als die Wirtschaft wieder produktiv und nicht spekulativ anzukurbeln, die Warenproduktion zu erhöhen und den Konsum anzuregen.

Als letzten Verzweiflungsakt, mit dem er innerhalb von zwei Monaten mehr als 15% der abgewanderten Wähler zurückgewinnen und seine Wiederwahl sichern will, kündigte Mauricio Macri ein Paket wirtschafts- und sozialpolitischer Notmaßnahmen an, die den von Fernández für den 10. Dezember 2019 angekündigten Sofortmaßnahmen den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Hugo Moyano, Vorsitzender der einflussreichen Gewerkschaft der Transportarbeiter, erklärte gegenüber dem Portal El Destape, »diese Maßnahmen bedeuten nichts, sie sind ein Sandwich und eine Cola, die die Lage der notleidenden argentinischen Familien nicht lösen werden«.


[1] Es handelt sich um eine Besonderheit des argentinischen Wahlrechts: Es werden gleichzeitig die Kandidat*innen aller Parteien für die kommende Parlaments- und Präsidentschaftswahl gewählt. Die Teilnahme ist offen, da keine Parteienmitgliedschaft erforderlich ist, und Pflicht für alle Bürger zwischen 18 und 70 Jahren, die sich im Land befinden. Die Parteien benötigen für die Teilnahme an der eigentlichen Präsidentschaftswahl am 27. Oktober eine Mindestanzahl an eingetragenen Mitgliedern und sie müssen bei der Vorwahl mindestens 1,5% der Stimmen erreicht haben.
[2] Alberto Fernández ist Professor für Strafrecht an der Universität Buenos Aires (UBA) und ehemaliger Kabinettschef des argentinischen Präsidenten Néstor Kirchner (2003-2007); Cristina Fernández de Kirchner ist Senatorin und »Presidenta« der Jahre 2007 bis 2015.
[3] Vgl. Otto König/Richard Detje: Ein Jahr nach Macris Wahl in Argentinien. Die Armen-Fabrik, SozialismusAktuell.de 27.12.2016

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