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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

18. Mai 2019 Friedrich Steinfeld: Die Zuspitzung in der Golfregion

Niemand hat die Absicht, einen Krieg zu beginnen

Die politische und militärische Lage am Golf spitzt sich weiter gefährlich zu. Die US-Regierung betont, dass sie keinen Krieg gegen Iran wolle, und auch der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei versichert, dass es keinen Krieg geben werde.

Die Auseinandersetzung mit den USA sei nicht militärischer Natur und ein liege Krieg auch nicht in deren Interesse. Gleichwohl zeigt die tatsächliche Dynamik der Konflikteskalation, dass das Risiko für den Ausbruch einer neuen militärischen Auseinandersetzung oder gar eines neuen Krieges in der Golf-Region enorm ansteigt.

Der gegenwärtige Konflikt zwischen den USA und dem Iran steht einerseits in einer historischen Reihe von Konflikten, die mit der amerikanischen und britischen Unterstützung des Sturzes des 1951 zum Ministerpräsidenten gewählten Führers des Parteienbündnisses der Nationalen Front, Mohammad Mossadegh, durch den Schah begann, als dieser die iranische Erdölindustrie verstaatlichte. Dieser Umsturz ist eine der zentralen Ursachen für den späteren Sturz des Schahs und die Konstitution der islamischen Republik Iran unter Ayatollah Khomeini dar, womit die Konflikte zwischen den USA und Iran weiter angeheizt wurden.

Erst US-Präsident Barack Obama bekannte sich 2009 offen zur Rolle der USA bei diesem Sturz der demokratisch gewählten Regierung, unter seiner Regierung kam es schließlich 2015 auch zu dem Atomabkommen mit dem Iran, das verhindern sollte, dass der Iran im Streben um die regionale Vorherrschaft auch in den Besitz von Atomwaffen gelangt.[1]

Unter dem aktuellen Präsidenten Donald Trump haben die USA mit ihrem vor gut einem Jahr vollzogenen einseitigen Rückzug aus dem Atomabkommen, der schrittweisen Wiedereinführung und Verschärfung der früheren Wirtschaftssanktionen gegenüber dem Iran bis hin zu einem kompletten Embargo der Ausfuhr aller Energieträger das historische Konfliktpotenzial mit dem Iran nicht nur reaktiviert, sondern die Konflikteskalation auf eine qualitativ neue Stufe getrieben.[2] Verbunden ist dies mit der Drohung, alle Länder und Unternehmen, die sich nicht an einseitig diktierten Sanktionen halten und weiterhin mit den USA Geschäfte machen wollen, mit sogenannten Sekundärsanktionen zu belegen.

Eine Politik »des maximalen Drucks« treibt ein Land und seine Bevölkerung wirtschaftlich und sozial massiv in die Enge. Für den Iran muss zudem in Rechnung gestellt werden, dass die politisch-religiöse Führung in dieser Situation ohne Gegenleistungen nicht zu den umfassenden Zugeständnissen bereit sein wird, die die USA fordern (Verzicht auf Atomwaffen, keine Entwicklung von Raketentechnik und Verzicht auf regionale Vorherrschaft). Eine solche Politik kalkuliert bewusst eine militärische Auseinandersetzung bis hin zur maximalen Eskalation in Form eines neuen regionalen Krieges ein. Alles andere fällt in die Kategorie Ablenkungsrhetorik und Heuchelei.

Laut einem Bericht der »New York Times« (siehe FAZ vom 15.5.2019) prüft die US-Regierung, bis zu 120.000 Soldaten in den Nahen Osten zu verlegen, falls der Iran amerikanische Streitkräfte angreift oder die Arbeit an seinem Atomwaffenprogramm wieder aufnimmt. Einen solchen Plan für einen Militärschlag soll Sicherheitsberater John Bolton, einer der größten Falken in der US-Regierung und noch immer von der Richtigkeit der Irak-Intervention 2003 überzeugt, bereits im September letzten Jahres vom Pentagon gefordert haben. Truppenkontingente in dieser Dimension gab es zuletzt vor der militärischen Intervention im Irak 2003.

Der Flugzeugträger »USS Abraham Lincoln« samt Begleitschiffen, eine Staffel Langstreckenbomber sowie als weiteres Kriegsschiff die »USS Arlington«, die für gegnerisches Radar nur schwer zu orten sein soll und Marine-Soldaten sowie amphibische Fahrzeuge transportieren kann, wurde bereits in die Krisenregion beordert.

Zur militärischen Drohkulisse zählen auch – so das Londoner »Institut für strategische Forschung« – die insgesamt 40.000 US-Soldaten u.a. in Bahrein, dem Irak, Jordanien, Kuweit, Qatar und Syrien. Mit den bereits vorhandenen bzw. den begonnenen Verlegungen von Truppen und militärischem Gerät sowie Planungen für weitere große Truppenverlegungen verfügen die USA über diverse militärische Optionen – von Kommandounternehmen mit Spezialkräften über einzelne Präzisionsschläge der Luft- und Seestreitkräfte bis hin zu weitaus umfassenderen militärischen Operationen.

Allerdings dürfte eine Militärintervention wie 2003 im Irak nicht ganz oben auf der Agenda der US-Regierung stehen, da eine solche Kriegserklärung durch den amerikanischen Kongress gebilligt werden müsste (bei Gefahr im Verzug allerdings auch erst im Nachhinein), wofür derzeit keine Mehrheiten erkennbar sind.

Die politisch-religiöse Führung des Iran hat in einer ersten Gegenreaktion einen teilweisen Ausstieg aus dem Atomabkommen angekündigt. Fortan werde sich das Land nicht mehr an die Wiener Abmachung von 2015 halten, maximal 300 Kilogramm Uran und 130 Tonnen Schwerwasser im Land zu behalten und den Rest ins Ausland zu schicken oder zu verkaufen. Iran setzt darüber hinaus den verbliebenen Partnern des Abkommens – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland – eine Frist von 60 Tagen, um zu erreichen, dass man die versprochenen Sanktionserleichterungen erhält. Andernfalls werde der Iran in einer zweiten Ausstiegsphase unbegrenzt Uran höher anreichern als bisher.

Als letztes Mittel haben Revolutionsführer Chamenei und die »Revolutionswächter« mehrfach mit einer Blockade der Straße von Hormuz, dem Nadelöhr der Öltransporte per Schiff aus dem Nahen und Mittleren Osten, gedroht. Der politisch-religiösen Führung im Iran scheint gleichwohl klar zu sein, dass der Iran in jeder militärischen Auseinandersetzung mit den USA nur verlieren kann. Das Land würde vor allem selbst zum Kriegsschauplatz mit unübersehbaren Konsequenzen für die Zivilbevölkerung und die wirtschaftliche Substanz. Zudem ist der Iran militärisch und militärtechnisch den USA weit unterlegen.

Insofern wird die iranische Führung vermutlich eher einen realistischen, defensiven Kurs in der Konfrontation mit den USA einschlagen. Dies schließt nicht aus, dass es in einer faktischen oder gefühlten extremen Bedrohungssituation auch zu einer politischen Machtverschiebung hin zu den ultra-rechten politisch-religiösen Strömungen bis hin zu einer Art religiös legitimierter Militärdiktatur mit steigender Bereitschaft zu irrationalen kriegerischen Handlungen kommen kann.

Der Drohnenangriff, der Ölanlagen im Osten von Saudi-Arabien beschädigt hat, den die vom Iran im Jemenkrieg unterstützten Houthi-Rebellen für sich reklamieren, macht deutlich, dass auch die in den verschiedenen Bürger- und Stellvertreterkriegen von Iran unterstützten schiitischen Milizen im Irak, in Syrien, im Libanon etc. in den Konflikt hereingezogen werden, sodass bei einer eskalierenden militärischen Konfrontation eine schnelle regionale Ausweitung droht.

Nicht zu unterschätzen ist schließlich ein mögliches konfliktverschärfendes Verhalten von Saudi-Arabien, das nicht nur als enger Verbündeter an der Seite der USA agiert, sondern auch ein eminentes Eigeninteressen an einer militärischen Schwächung oder gar Niederringung des politischen und religiösen Erzrivalen Iran im Kampf um die regionale Vorherrschaft hat. Jegliche Form von Waffenlieferungen Deutschlands und Europas an dieses Land muss daher dauerhaft gestoppt werden.

Unter Hinweis auf eine (angebliche) neue Bedrohungslage durch von Iran unterstützter schiitische Milizen im Irak hat das US-Außenministerium angeordnet, bis auf eine Kerngruppe das gesamte diplomatische Personal aus der Botschaft in Bagdad und dem Konsulat in Arbil abzuziehen. Der irakische Ministerpräsident Abdel Abdul Mahdi sieht im Unterschied dazu keine Hinweise auf eine solche neue Bedrohungslage, was zeigt, dass auch das Verhältnis zwischen der schiitisch geprägten irakischen Regierung und den USA im Kontext der Konfliktverschärfung mit dem schiitisch geprägten Iran unter größere Spannung gerät.

Der britische General Chris Ghika, stellvertretender Kommandeur der amerikanisch angeführten Koalition im Kampf gegen den »IS«, verfügt nach eigenen Angaben ebenfalls über keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko durch den Iran oder durch dessen Stellvertreter im Irak und in Syrien. Dieser offene Widerspruch eines hochrangigen europäischen Militärs lässt den Realitätsgehalt des von der US-Regierung präsentierten Bedrohungs-Szenarios in einem anderen Licht erscheinen.

Obwohl der US-Kongress für seine ablehnende Haltung gegenüber Iran bekannt ist, macht sich auch dort Unruhe über die Trumpsche Geheimpolitik breit. So warf Nancy Pelosi, die »Sprecherin« des Repräsentantenhauses und ranghöchste Demokratin im Land, der Regierung mangelnde Transparenz vor. Chuck Schumer, der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, erinnerte gar an das Irak-Desaster: »Haben wir im letzten Jahrzehnt etwas gelernt?« (FAZ vom 17.5.2019)

In der Tat muss die Frage aufgeworfen werden, ob die von den USA präsentierte neue Bedrohungslage nicht Teil eines Bedrohungs-Konstruktes ist, um sich die Legitimation z.B. für einen gezielten militärischen »Präventiv«-Schlag zu verschaffen. Der Vergleich mit der Situation 2003 kurz vor Beginn der Irak-Intervention, in der Saddam Hussein der Besitz von Massenvernichtungswaffen untergeschoben wurde, über die der Irak, wie sich später herausstellte, gar nicht verfügte, liegt nahe. Mit John Bolton sitzt nicht zuletzt einer der damaligen Haupttreiber für den Waffengang nun als Sicherheitsberater des Präsidenten im Weißen Haus.

Die UN spielt in diesem gefährlichen Konflikt zwischen den USA und dem Iran kaum noch eine Rolle. Sie wurde in ihren zivilen, konflikt-reduzierenden Handlungsmöglichkeiten durch die verschiedenen Militär-Interventionen der USA und ihrer europäischen NATO-Verbündeten u.a. in Afghanistan,[3] im Irak, in Libyen, die ohne UN-Legitimation durchgeführt wurden, beschädigt. Stattdessen haben sich die Interventionsmächte unter Berufung auf das westlich-ideologische Narrativ von der Notwendigkeit der Verteidigung der liberalen Ordnung zu diesen Interventionen selbst ermächtigt. Die internationale Gemeinschaft verfügt gegenwärtig faktisch über keine global agierende und wirkmächtige Institution zur zivilen Konflikt-Lösung und -Prävention mehr.

Die EU will weiterhin an dem Atom-Abkommen mit Iran festhalten, auch nachdem der iranische Ministerpräsident Hassan Rohani den Teilausstieg Irans aus dem Atom-Abkommen bekannt gegeben hat. Dieses sicherlich richtige Bekenntnis kann nicht über die außenpolitische Desorientierung und Hilflosigkeit Deutschlands und der EU hinwegtäuschen, wie mit dem eskalierenden Konflikt im Nahen und Mittleren Osten sowie mit den dahinter stehenden geopolitischen Umwälzungen und Machtverschiebungen umgegangen wird.

Ein großer Teil der politischen Eliten in Deutschland und Europa will nicht wahrhaben, dass die Zeiten einer mehr oder weniger harmonischen atlantischen Interessens- und Wertegemeinschaft, die Europa den Vorteil einer passiven geopolitischen Rolle brachte, vorbei sind und wir es geopolitisch mit einer fundamentale Veränderung der US-Außenpolitik zu tun haben. Die Abkehr von der Rolle des Weltpolizisten hatte Donald Trump bereits zur Jahreswende 2018/2019 offiziell angekündigt.

Das weltwirtschaftliche, weltpolitische und geomilitärische Agieren der USA unter seiner Präsidentschaft zeigt einen Hegemon im Abstieg, der mit aller Macht versucht, die verlorene hegemoniale Position wieder herzustellen (»Make America great again«). Dabei können die USA auf ihre nach wie vor vorhandene weltwirtschaftliche Machtposition, die sich vor allem auf die Dollardominanz im internationalen Zahlungsverkehr stützt, sowie ihre nach wie vor überragenden militärischen Fähigkeiten und Ressourcen zurückgreifen.

Das macht die USA unter dem Rechtspopulisten Trump in ihrem außenpolitischen Agieren umso unberechenbarer. Darin besteht die Gefahr für den Weltfrieden zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommt die Herausbildung eines neuen globalen Players, was zwar den geopolitischen Abstieg des USA nicht erklärt, aber zugleich die eigentliche Zukunftsbedrohung für den einstigen Hegemon der Weltökonomie markiert: das technologische Potenzial der Volksrepublik China, tendenziell mit den USA gleichzuziehen oder die Vereinigten Staates sogar zu überholen.

Die herrschenden politischen Parteien und ihre Repräsentanten in Deutschland tun sich schwer, die politische Tragweite dieser sich direkt vor unseren Augen abspielenden globalen Umwälzungen und Machtverschiebungen in allen Dimensionen zu realisieren. Dies bedeutete die selbstkritische Aufgabe allzu lieb gewordener ideologischer Selbstgewissheiten von der Überlegenheit des bürgerlich-liberalen Westens. Mit der rasanten Zerstörung solcher Selbstgewissheiten und der Trägheit ihrer Realisierung werden auch die Karten im politischen Feld neu gemischt.

Dies könnte der Auftakt für einen glaubwürdigen außenpolitischen Neustart der Linken sein. Dazu aber müssten die geo-politischen Umwälzungen in ihren ökonomischen, sozialen und politischen Ursachen genauer analysiert werden, um Konsequenzen Ausarbeitung bzw. Präzisierung einer gegenüber den USA eigenständigen emanzipatorischen europäischen Außenpolitik zu ziehen.

[1] Siehe hierzu auch: Friedrich Steinfeld, Der Nahe und Mittlere Osten als weltpolitisches Pulverfass. Europa muss sich außenpolitisch neu aufstellen, Sozialismus.de Supplement zu Heft 2/2019.
[2] Zu den Auswirkungen des Komplett-Embargos der USA gegen Iran auf die Lage im Iran selbst, auf die direkt betroffenen Handelspartner wie z.B. die Türkei und Indien sowie auf die Weltwirtschaft siehe: Friedrich Steinfeld, Neuer Krieg am Golf?, Sozialismus.deAktuell vom 29.4.2019
[3] Bezogen auf die gegenwärtige Lage in Afghanistan muss der Westen mittlerweile eingestehen, dass es trotz massiven Militäreinsatzes über fast 18 Jahre nicht gelungen ist, die Taliban zu besiegen, geschweige denn eine funktionierende Wirtschaft und ein funktionierendes politisches System aufzubauen. Die Taliban sind mittlerweile soweit erstarkt, dass sie nur auf Zeit spielen und den von Trump angekündigten Abzug der US-Truppen abwarten müssen, um die Macht im Land zu übernehmen. Vietnam lässt grüßen.

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