23. August 2024 Mareike Borger: Der MSC-Deal und die Proteste in Hamburg
Privatisierung auf Kosten der Stadt
Die endgültige Entscheidung über den Verkauf eines großen Teils der Aktien der HHLA an die weltweit größte Containerschiffsreederei MSC wird am 4. September 2024 in der Hamburgischen Bürgerschaft getroffen. Zuvor organisiert eine breite Protestbewegung eine Aktionswoche des Widerstands dagegen – mit einer Großdemonstration am 31.8 in der Hamburger Innenstadt.
Hintergründe, Bedenken und Kritiken[1]
Bislang gehören der Stadt Hamburg 70% der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Das Logistikunternehmen betreibt drei Terminals im Hafen und wickelt dort knapp 77% des Gesamtumschlags ab. Kommt der Entscheid durch, würde die Stadt 50,1% der Aktien behalten, während 49,9% an das private Unternehmen MSC gehen würden, die aktuell 22,1% besitzt. Die Mediterranean Shipping Company (MSC) mit Sitz in Genf ist mit 760 Container-Frachtern und 22 Kreuzfahrtschiffen die größte Reederei der Welt und betreibt bereits Terminals u.a. in Bremerhaven, Rotterdam und Antwerpen. Hamburg hätte zwar auf dem Papier die Mehrheit – faktisch hätte dann jedoch MSC die Hosen an.
Der Einstieg in die HHLA war bereits Ende September 2023 verkündet worden:[2] Im Oktober gab es dann ein Übernahmeangebot für die Aktien der HHLA. Der Festpreis von 16,75 Euro lag dabei um das Anderthalbfache des Preises, den die Aktie zu dem Zeitpunkt hatte. Seit dem Angebot wird öffentlich diskutiert, kritisiert und – wie im November 2023 – spontan gestreikt.
Ein Motiv für das Interesse von MSC an der HHLA ist Metrans, das als Eisenbahnverkehrsunternehmen 100% zur HHLA gehört und Containerterminals vor allem in Osteuropa besitzt. »Es ging nie um die HHLA, sondern um die Konkurrenz mit anderen Reedereien wie Maersk und Hapag-Lloyd,« so Malte Klingforth, Gesamthafenarbeiter und Mitglied im Fachvorstand der Gewerkschaft ver.di für die Maritime Wirtschaft.
Doch warum will die Stadt Teile des Hafens privatisieren? Durch den MSC-Einstieg verspricht man sich eine Erhöhung der Ladungsmenge und weitere Investitionen, verbunden mit der Hoffnung, dass sie zum neuen Standtort für MSC Deutschland und MSC Cruises wird. Zudem soll die HHALA damit selbst stabilisieren werden.
Bisher konnte der rot-grüne Senat wesentliche Bedenken der Gewerkschaften, Mitarbeiter*innen und ziviler Organisationen nicht aus dem Weg räumen. Zwei Punkte machen den Verkauf aus Sicht der Kritiker*innen problematisch: Erstens, wird durch den Verkauf kritische Infrastruktur, die zuvor einer öffentlichen Aktiengesellschaft gehörte, privatisiert. Damit einher geht der Verlust von politischer Kontrolle über den Hafen. Darüber hinaus ist MSC bekannt für seine aggressive Expansionsstrategien – viele fürchten, dass es nicht bei 49,9% bleibt.
Zweitens fürchten vor allem die Gewerkschaftler*innen dass die Rechte der Beschäftigten in dem privat geführten Familienunternehmen MSC beschnitten werden. Laut NDR soll sich zwar die Zahl der Mitarbeitenden im Hafen insgesamt steigen, jedoch sollen die neugeschaffenen Arbeitsplätze bei der MSC-Zentrale sein, während bei der HHLA 1,5 Millionen Arbeitsstunden wegfallen würden. Es geht um 1.000 Vollarbeitsplätze (HHLA und Gesamthafenbetrieb GHB), die betroffen sind. Eine verbindliche Absicherung, was den Erhalt von Arbeitsplätzen und die innerbetriebliche Mitbestimmung angeht, gibt es nicht.
Ein Teil-Verkauf der HHLA hat nicht nur arbeitsrechtliche Folgen: Die Übernahme durch MSC nimmt der HHLA ihre Unabhängigkeit, was viele Hafenarbeiter*innen als Eingriff in »ihre« HHLA verstehen. Die Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber und ihrer Traditionslinie (1885 gegründet) wird damit aufgegeben. Statt einer weitgehend selbstbestimmten Struktur bedeutet der Verkauf der Hälfte der HHLA-Aktien eine abhängige Entwicklung durch eine fremde Reederei.
Vom MSC-Deal ist ebenfalls der Gesamthafenbetrieb (GHB) betroffen, der als unabhängiger Personaldienstleister mit etwa 1.000 Angestellten Personalschwankungen im Hamburger Hafen ausgleicht. Die Zusage durch MSC, in den nächsten fünf Jahren an bestehenden Tarifverträgen festzuhalten und betriebsbedingter Kündigungen auszuschließen, gilt nicht für die Mitarbeiter der GHB – dabei ist die HHLA der größte Kunde der GHB.
Im November 2023 organisierten Beschäftigte der HHLA einen sogenannten wilden Streik. Die daraufhin ausgesprochene Kündigung und mehrere Abmahnungen wurden zwar zurückgenommen, jedoch demotivierte und demobilisierte diese Erfahrung Teil der Belegschaft der HHLA. Es besteht die Sorge, dass die HHLA in Zukunft keine Kulanz mehr zeigen könnte. Eine Möglichkeit, den Widerstand aufrecht zu erhalten, wäre eine Verknüpfung mit der aktuellen Lohnrunde Seehäfen 2024.
Mobilisierung in der Stadt und ein Gegenvorschlag
Der endgültige Beschluss in der Bürgerschaft wurde auf unter anderem auf Initiative der Fraktion Die Linke auf den 4. September verlegt und damit verzögert. Seitdem läuft die zivile Mobilisierungsphase gegen den MSC-Deal auf Hochtouren: Es werden Plakate verteilt, Infomaterial erstellt und Veranstaltungen organisiert. Vom 24. bis zum 31. August 2024 veranstaltet ein breiter Zusammenschluss aus gewerkschaftlichen Gruppen, zivilen Organisationen und politischen Initiativen eine Aktionswoche (mehr Infos unter notruf-040.de).
Mit wöchentlichen öffentlichen Vernetzungs- und Vorbereitungstreffen im DGB-Haus wird eine Großdemo für Samstag, den 31.8. unter dem Motto »Unser Hafen, unsere Stadt – macht den MSC-Deal platt!« in der Hamburger Innenstadt vorbereitet. Bei der Mobilisierung der Stadtbevölkerung geht es um mehr als die Solidarität mit den betroffenen Hafenarbeiter*innen: Das Ziel sollte vor allem sein, die fortschreitende Privatisierung von öffentlicher Infrastruktur zu verhindern.
Denn der Teilverkauf der HHLA an MSC muss nicht sein: Auf die Frage nach einer Alternative verweist Malte Klingforth auf den Vorschlag, bei dem die Stadt die restlichen Aktien der HHLA selbst kauft und dabei den aktuell niedrigen Aktienkurs nutzt, um die HHLA wieder vollständig in den Besitz der stadteigenen Beteiligungsgesellschaft HGV zu bringen. »Ähnlich wie MSC mit dem Festpreis auf dem freien Markt könnte auch die Stadt einen Festpreis ansetzen, der etwas über dem aktuellen Aktienwert von 16,67 Euro liegt, um einen Sprung in der Höhe der Aktien zu verhindern.«
Diese von der Gewerkschaft ver.di und diversen Initiativen unterstützte Forderung wird von den aktuellen Senatsparteien SPD und Grünen wie wohl auch von der CDU in der Hansestadt als nicht als mögliche Alternative dargestellt. Fakt ist, dass bei einem Vertragsbruch durch MSC die Stadt ein Vorverkaufsrecht hat und das Geld für die Investition bekommen würde.
Der aktuelle Kampf gegen den MSC-Deal beansprucht allerdings so viel Kraft und Diskussionszeit, dass die Forderung nach weiterer Arbeitszeitverkürzung und speziell für die Einführung einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, einem Herzensthema von Malte Klingforth, erstmal in den Hintergrund gerückt ist.
Mareike Borger unterstützt aktuell die Redaktion von Sozialismus.de und das VSA: Team in einem Praktikum. Ihr Beitrag basiert auf Gesprächen mit Malte Klingforth und stützt sich auf folgenden Quellen: Analyse & Kritik (12.12.2023), DVZ (n.d.), HHLA (n.d.), MSC (12.12.2023), NDR (9.7.2024), NDR (18.9.2023), n-tv (10.7.2027), Unsere Zeit (26.4.2024), ver.di (17.7.2024).
Anmerkungen
[1] Eine ausführliche Fassung des Beitrags erscheint in der September-Printausgabe von Sozialismus.de.
[2] Für weitere Hintergrundinformationen zum MSC-Deal siehe das Supplement zu Sozialismus.de 1/2024: Jürgen Böning, Hamburger Hafen zu verkaufen. Die Interessen von MSC sich nicht die der Stadt und der Hafen-Beschäftigten.