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Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

24. März 2020 Otto König/Richard Detje: »Operation Rubikon« – BND und CIA spionieren weltweit 130 Staaten aus

Über Staatsstreiche, Mordkommandos und Menschenrechtsverletzungen frühzeitig informiert

Chiffriermaschine der Fa. Crypto AG

2013 enthüllte der Whistleblower Edward Snowden das erschreckende Ausmaß der Überwachung der globalen Kommunikation durch den US-Geheimdienst »National Security Agency« (NSA).[1] Doch schon Jahrzehnte davor hatten der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und der US-Auslandsgeheimdienst (CIA) eine außerordentlich erfolgreiche weltweite Abhöraktion gestartet.

Der Deckname der CIA-Aktion lautete »Minerva« – in Anlehnung an die altrömische Göttin der Weisheit und strategischen Kriegsführung. Beim BND lief die Operation unter dem geschichtsträchtigen Namen »Rubikon«: Als Cäsar 49 v. Chr. den Grenzfluss Rubikon zwischen einer römischen Provinz und dem eigentlichen Italien überschritt, war das einer Kriegserklärung an den Römischen Senat gleichzusetzen. Eine Metapher für das Grenzüberschreiten von Gesetzen.

Wie die Washington Post, die SRF-Rundschau und das ZDF berichten,[2] wurde das von dem schwedischen Ingenieur Boris Hagelin 1952 im Schweizerischen Steinhausen gegründete Verschlüsselungsunternehmen Crypto knapp zwei Jahrzehnte später von den Geheimdiensten der USA und der BRD gekauft. Die beiden Dienste hatten die Verschlüsselungsgeräte der Crypto AG im Kanton Zug so manipulieren lassen, dass sie zwischen 1970 und 1993 die verschlüsselte Kommunikation von mehr als 130 Staaten in Echtzeit mitlesen konnten. »Security Swiss Made«, lautete das Verkaufsargument für die Chiffriermaschinen.

Der Beginn der Operation erfolgte in der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Sein Kanzleramtschef Horst Ehmke hatte grünes Licht für die Übernahme des Unternehmens gegeben. Deutschland und die USA zahlten je die Hälfte der Kaufsumme. Doch das durfte nicht öffentlich werden. Die neuen Besitzverhältnisse der Crypto AG wurden mithilfe einer Treuhandgesellschaft im Fürstentum Liechtenstein verschleiert. Der Münchner Siemens Konzern stellte in den folgenden Jahren den Vorstandschef der schweizerischen Gesellschaft.[3]

Die Neutralität der Schweiz war der entscheidende Grund, weshalb sich die beiden Dienste für die Crypto AG interessierten. Denn während des Kalten Krieges trauten die »Blockfreien Länder« beim Einkauf von Chiffriergeräten weder den USA und deren verbündeten Nato-Ländern noch den realsozialistischen Staaten unter Führung der UdSSR oder Chinas. Gegenüber der Crypto AG hatten sie weniger oder keinerlei Bedenken, sodass sie ihre Ministerien, das Militär, die Geheimdienste und Botschaften mit der vermeintlich sicheren Technik aus der neutralen Schweiz ausstatteten.

Die Crypto-Verschlüsselungsgeräte[4] entwickelten sich zum Exportschlager. Den Abnehmer-Staaten wurde durch »Manipulierung der ursprünglichen Algorithmen« eine Verschlüsselungstechnik untergejubelt, die es der CIA und dem BND erlaubten, alles mitlesen zu konnten – ob in Saudi-Arabien, im Iran und in Libyen, in Argentinien und Chile, aber auch bei befreundeten Nato-Staaten wie Italien und Spanien. Die an der Recherche beteiligten Publikationen zitieren interne Aufzeichnungen der Dienste, in denen es heißt: »Diplomatische und militärische Verkehre vieler wichtiger Länder der Dritten Welt, aber auch europäischer Staaten (…) konnten (...) flächendeckend mitgelesen werden.« Richard Aldrich von der Universität Warwick kommt zu dem Schluss: »Die Operation Rubikon war eine der skandalträchtigsten Operationen, denn über hundert Staaten zahlten Milliarden Dollar dafür, dass ihnen ihre Staatsgeheimnisse gestohlen wurden.«

Chiffriermaschine der Fa. Crypto AG

Die aktuell publik gemachten Enthüllungen sind nicht gänzlich neu. Schon 1996 hatte Der Spiegel über den Verdacht berichtet, dass deutsche und US-Geheimdienste die Verschlüsselung der Crypto-Geräte manipulierten, um in Krisenregionen besser spionieren zu können.[5] Neu an der aktuellen Berichterstattung ist das Ausmaß der Spionagetätigkeit und das Wissen der beiden Dienste über die Planung und Durchführung von Staatsstreichen in Südamerika sowie über die Folterung und Ermordung Oppositioneller durch faschistische Militärs und Sicherheitskräfte.

Die ausgewerteten Dokumente belegen, dass BND und CIA frühzeitig detaillierte Informationen über den Militärputsch 1973 gegen die Regierung der Unidad Popular in Chile, den Militär-Putsch in Argentinien, die Operation Condor, den terroristischen Bombenanschlag auf ein kubanisches Flugzeug vor der Küste von Barbados im Oktober 1976 und den brutalen rechtsreaktionären Contra-Krieg in Nicaragua erhielten.

Die Putsche gegen demokratisch gewählte Regierungen in den 1970er wurden von Bündnissen der rechtsgerichteten Militärs mit der einheimischen Rechten, den nationalen Oligarchien und Großgrundbesitzern getragen, die mit Unterstützung aus den USA die progressiven Kräfte in Lateinamerika gewaltsam ausschalten wollten. So wurde am 11. September 1973 der sozialistische Präsident Salvador Allende durch einen Militärputsch unter Führung von General Augusto Pinochet und mit tatkräftiger Unterstützung der CIA gestürzt. In den folgenden 17 Jahren Diktatur wurden fast 30.000 Menschen verhaftet, viele von ihnen grausam gefoltert, fast 3.000 wurden ermordet oder gelten seither als verschwunden. Mehr als eine Million Chilen*innen mussten fliehen.

In Argentinien herrschte von 1976 bis 1983 eine Militärjunta unter General Rafael Videla, die politische Gegner*innen verschleppten, misshandeln und ermorden ließ. Tausende Oppositionelle, Linke und Gewerkschafter*innen wurden aus Militärflugzeugen über den Atlantik lebendig ins Meer geworfen. Nach Angaben der »Wahrheitskommission« sind in Argentinien über 12.000 Fälle von »Verschwundenen« dokumentiert. Mehr als 30.000 Menschen wurden Opfer des Militär-Regimes in Buenos Aires.

Mithilfe der manipulierten Crypto-Maschinen waren BND und CIA auch darüber vollumfänglich informiert. »Über seine Abhörstation – Tarnbezeichnung ›Bundesstelle für Fernmeldestatistik‹ – in Husum (Nordfriesland) war der Bundesnachrichtendienst in der Lage, die militärischen und diplomatischen Verkehre Argentiniens abzuhören«, so der Publizist und Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom, der das ZDF bei der Auswertung der CIA- und BND-Dokumente beraten hat.

Obwohl die sozial-liberalen Bundesregierungen unter den beiden sozialdemokratischen Bundeskanzlern Willy Brandt (1969 bis 1974) und Helmut Schmidt (1974 bis 1982) über die blutige Repression gegen führende Oppositionelle in den Militärdiktaturen Lateinamerikas Bescheid wussten, unternahmen sie nichts. Auch intervenierten sie nicht gegen die Austragung der Fußballweltmeisterschaft in Argentinien im Juni 1978. Die damalige Haltung der sozial-liberalen Politiker fasste Der Spiegel mit der Devise des ehemaligen Diplomaten Karl-Alexander Hampe zusammenfassen: »Unser Einsatz in der Menschenrechtsfrage sollte nicht so weit gehen, dass er zu einer entscheidenden und nachhaltigen Beeinträchtigung des deutsch-argentinischen Verhältnisses führte« (NDS, 7.3.2020). Wen wundert es da, wenn Karl Moersch (FDP), Staatsminister im Auswärtigen Amt, nach einem Besuch in Buenos Aires berichtete, die Militärs seien ganz sicher »keine zynischen Diktatoren«.

Über die »Operation Condor« war Deutschland ebenfalls informiert. Von der CIA mit Datum 23. Juni 1976 freigegebene Dokumente, die von der uruguayischen Zeitung La República am 29. Juli 2007 veröffentlicht wurden, legen offen, dass bereits »Anfang 1974 Sicherheitsoffiziere aus Argentinien, Chile, Uruguay, Paraguay und Bolivien in Buenos Aires zusammenkamen«, um einen »koordinierten Ausrottungsplan« gegen demokratische und revolutionäre Kräfte vorzubereiten. Bei der Eröffnungssitzung im November 1975 in Santiago de Chile unterzeichneten Militärs ein Abkommen, in dem es hieß, dass die Mitgliedsländer ein gemeinsames »Krypto-System« einsetzen werden. Die Maschinen wurden von der Crypto AG geliefert.

Die CIA konnte so die schrittweise Umsetzung des von ihm selbst initiierten Geheimdienstplans der Sicherheitsdienste der lateinamerikanischen Militärdiktaturen, um das »Vorrücken des Kommunismus in der Welt« zu bekämpfen, gemeinsam mit dem BND überwachen. Die aktive Beteiligung des CIA an dem »Unternehmen Condor«, dem »genozidartigen Tötungsunternehmen« (BBC), das vermutlich für 400.000 inhaftierte und bis zu 60.000 ermordete oder »verschwundene« Menschen verantwortlich war, wird durch eine Geheim-Depesche aus freigegebenen CIA-Geheimakten bestätigt, die US-Präsident Barack Obama während seines Staatsbesuchs 2016 inBuenos Aires argentinischen Menschenrechtsorganisationen übergeben hatte.

In der Amtszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl wurde das wiedervereinigte Deutschland von seinen europäischen Nachbarstaaten besonders argwöhnisch beobachtet. »In der Abwägung des Risikos (…) und im Aufkommen der Fairness anderen Staaten gegenüber, bei abnehmender Bedrohung, die auch zu registrieren war«, so Kohls Ex-Geheimdienstkoordinator Schmidbauer im ZDF-Interview, »war es eine von uns richtige Entscheidung, dass wir neue Wege gehen und dass wir mit solchen Operationen nicht in die Zukunft gehen wollten.«

1993 fiel die Entscheidung, aus der Crypto AG auszusteigen und die deutschen Anteile an die CIA zu verkaufen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Crypto AG aufgrund des technologischen Fortschritts zu diesem Zeitpunkt keine üppigen Gewinne mehr abwarf. Dennoch hat die CIA die Operation »Minerva« noch bis 2018 weiter betrieben. Danach spaltete sich die Firma, die schon lange kein Marktführer in Verschlüsselungstechnologie mehr war, auf und ging an neue Eigentümer. US-Geheimdienste wie die NSA waren mittlerweile bereits im Geschäft mit digitalen Kommunikationsanbietern.

Auch der BND hat nach seinem Rückzug aus der Crypto AG nicht aufgehört, Regierungen fremder Staaten auszuspionieren, wie im Jahr 2015 bekannt wurde.[6] Auf der Grundlage des vom einstigen Kanzleramtsminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2002 unterzeichneten »Memorandum of Agreement«, eine Übereinkunft über die Zusammenarbeit der NSA und des BND im »Anti-Terror-Krieg«, wurden Informationen weitergereicht, Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähprogramme sowie Infrastrukturen geteilt.

Der BND stellte das Personal, die NSA lieferte die Analyse-Software, sogenannte Selektoren – IP-Adressen oder Handynummern –, mit deren Hilfe die Geheimdienste gezielt die Kommunikation bestimmter Zielpersonen und Institutionen in Angriff nehmen konnten. Laut Berichten der Süddeutschen Zeitung speiste die NSA dabei auch Selektoren ein, die Unternehmen und Institutionen wie Europäische Rüstungskonzerne wie EADS und Eurocopter, französische, österreichische und belgische Regierungsbehörden ins Visier nahmen. Diese hatten jedoch weder etwas mit dem Aufgabenprofil des BND zu tun noch waren sie vom gemeinsamen »Anti-Terror-Auftrag« gedeckt.

»Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht«, hatte Angela Merkel im Oktober 2013 erklärt, als bekannt geworden war, dass die NSA ihr Diensthandy angezapft hatte. Sie habe erst im März 2015 – knapp zehn Jahre nach ihrer Amtsübernahme – davon erfahren, dass auch der BND sich derartiger Abhörmaßnahmen bediene, versicherte sie dem NSA-Untersuchungsausschuss im Februar 2017. Man darf davon ausgehen, dass diese Aussage nicht der Wahrheit entspricht.


[1] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: Der große NSA-Staubsauger. Das Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes, Sozialismus Aktuell 20.6.2013
[2] Mitte Februar 2020 enthüllen die deutsche ZDF-Redaktion Frontal 21, die US-amerikanische Washington Post und die Sendereihe »Rundschau« des Schweizer Fernsehens den »Geheimdienstputsch des Jahrhunderts«. Die an der Recherche beteiligten Medien werteten nach eigenen Angaben rund 280 Seiten an bisher unveröffentlichten Dokumenten aus, die von führenden BND- und CIA-Mitarbeitern über die von 1970 bis 1993 laufenden Operationen verfasst worden waren. Siehe die filmische Dokumentation in der ZDF-Mediathek: www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/operation-rubikon--100.html
[3] Elmar Theveßen/Peter F. Müller/Ulrich Stoll: Operation ›Rubikon‹ – #Cryptoleaks: Wie BND und CIA alle täuschten, ZDF heute, 11.2.2020.
[4] Die Crypto-Maschinen verwandeln Klartext oder -töne in Geheimbotschaften und verhindern so, dass unerwünschte Dritte Telefongespräche mithören, dass E-Mails oder ganz allgemein Informationsaustausch via Internet (früher via Telex oder Telefax) von Unbefugten abgeschöpft werden können.
[5] »Wer ist der befugte Vierte«, Spiegel, 2.9.1996.
[6] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: Bürger und Parlament belogen. BND – ein gefährlicher Staat im Staate, SozialismusAktuell, 8.6.2015.

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