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27. Februar 2022 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke: Ende des Interregnums nach dem Kalten Krieg

Was folgt auf Putins Krieg?

Foto: dpa

Der »Putinismus« will die Ukraine unterwerfen. Russische Truppen sind dabei, das gesamte Land zu erobern. Das politische Ziel ist ein »Regimewechsel« in Kiew. Die russische Führung will es als »Befreiung« verkaufen. Mit der Entscheidung zum Krieg gegen die »brüderliche« Ukraine bestätigt der russische Präsident seine rücksichtslose Machtpolitik.

Mit dem Überfall auf die Ukraine geht die Epoche nach dem Ende des Kalten Krieges endgültig zu Ende.[1] Es waren 30 Jahre, in denen die USA und ihre Verbündeten die globalen Regeln setzten und ihre Durchsetzung – bei kleineren Störungen – garantierten. Zu den festen Gewissheiten gehörte, dass multinationale Normen, verkörpert durch UNO und Völkerrecht, das Zusammenleben der Nationen bestimmen.

Natürlich war auch diese Ära nicht frei von regionalen Kriegen (siehe zuletzt Irak, Afghanistan und Syrien). Aber die Sicherheit des Westens war nicht grundlegend infrage gestellt, obgleich die Verbindlichkeit dieser Regeln zuletzt deutlich nachließ. Wladimir Putin und die aus den Trümmern der politischen Strukturen des Sowjet-Imperiums entstandene politische Klasse (inklusive der Oligarchen) hat diesen globalen Machtkonsens zertrümmert.

Das Übergangsstadium (Interregnum) nach der alten Weltordnung wird beendet, erneut werden Gewalt und Machtpolitik zentrale Mittel der Konfliktlösung. Nach dem Desaster der langjährig militärisch versuchten »Nationenbildung« in Afghanistan erst seitens der Sowjetunion und später des Westens mit der Flucht aus der Festung von Kabul folgt nun der Überfall auf die Ukraine. Putins Krieg, das wahnwitzige Abenteuer einer Clique von Oligarchen und Staatsfunktionären, ist auch ein politischer Offenbarungseid für den kapitalistischen Westen und dessen Idee einer von allgemeinen Werten geprägten Globalordnung.

Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Implosion der Sowjetunion und der GUS – einem kurzlebigen Zusammenschluss von Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion – breitete sich die Hoffnung und der politische Wille aus, Krieg als Mittel der Politik unter den entwickelten Staaten ausschließen zu können. Nun lernen die Völker und ihre politischen Klassen, dass dies nur ein Interregnum war. Das Recht auf Selbstbestimmung und die selbst im Kalten Krieg in Europa respektierte Unverletzlichkeit der Grenzen, gelten nicht mehr. Die UNO wie die anderen internationalen Organisationen können den Rückfall in den Krieg als Mittel der Politik nicht aufhalten.

Die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel war eine führende Repräsentantin dieses Interregnums. Unter ihrer Vermittlung waren die Minsker Abkommen der jetzt gescheiterte Versuch, die eingefrorenen Widersprüche aus dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums konsensuell zu lösen. Auch sie verurteilt Russlands Präsident Putin als skrupellosen Aggressor wegen des Einmarschs in die Ukraine und bezeichnet ihn als »eine tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Europas nach dem Ende des Kalten Krieges«. Sie unterstreicht ausdrücklich, dass die Angriffe Russlands »auf die territoriale Integrität und die Souveränität dieses unabhängigen Staates« dieses Mal die gesamte Ukraine betreffe (im Unterschied zur Annektion der Krim im Jahr 2014). Auch ihr Nachfolger im Amt, Bundeskanzler Olaf Scholz, spricht von einer »Zeitenwende«.


Politische Risiken des »Putinismus«

Allein die militärische Seite des Überfalls auf die gesamte Ukraine ist für Putins Administration und die mächtigen Oligarchen mit erheblichen Risiken verbunden. Kampfhandlungen in überbauten Gebieten gelten nicht nur als besonders zerstörerisch, sondern auch als verlustreich für den Aggressor. Die Bilder der Hölle von Stalingrad, der Einnahme Berlins am Ende des Zweiten Weltkriegs oder der ewigen Straßenkämpfe von Beirut bis Aleppo haben sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Jetzt droht eine Neuauflage eines grausamen Häuserkampfes in Kiew.

Russland führt in der Ukraine einen Krieg des 21. Jahrhunderts, so die Einschätzung von Militärexperten, wie z.B. General a.D. Harald Kujat. Wir sehen zunächst einen massiven Einsatz von modernen Waffensystemen, mit denen die Verteidigungsfähigkeit der ukrainischen Armee zerstört werden soll. Erst dann rücken die konventionellen russischen Landstreitkräfte vor. Das Motiv für den Sturm auf Kiew ist das strategische Ziel, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Ob Putin dazu letztlich auch das Mittel einer rigorosen Vernichtung urbaner Strukturen einsetzen und durchhalten kann, ist fraglich.

Die russischen Streitkräfte sind hochmodern ausgerüstet und haben zunächst die ukrainischen Luftstreitkräfte, die Luftverteidigung und Kommandozentralen mit weitreichenden Waffensystemen ausgeschaltet. Luftlandeeinheiten sichern Flugplätze und besetzen strategische Schlüsselpositionen. Dann greifen Kampfhubschrauber und schließlich die Landstreitkräfte mit gepanzerten Verbänden in die Kampfhandlungen ein. Auf diese Weise soll das Risiko für den Vormarsch russischer Bodentruppen so gering wie möglich gehalten werden.

Aber zunächst haben offensichtlich die Panzerverbände, die von Norden her in Richtung Kiew stoßen, ihre Angriffsziele nicht blitzartig erreicht – aus welchen Gründen auch immer. Für Russland besteht also das Risiko, dass ein langwieriger Häuserkampf auch den Konsens in der russischen Gesellschaft weiter untergraben dürfte. Bereits jetzt mussten die russischen Angreifer eine hohe Zahl ziviler Opfer in Kauf nehmen, was selbst in Russland nicht gut ankommen dürfte.

Der Überfall auf die gesamte Ukraine und nicht nur der Einmarsch in die Verwaltungsbezirke Luhansk und Donezk in der Ostukraine ist für Putin ein nicht unbeträchtliches Risiko und möglicherweise eine strategische Fehlkalkulation. Denn jetzt droht ein verlustreicher Bodenkrieg und möglichweise ein Krieg nach dem Krieg. Auch wenn in der Ukraine keine räumliche Konstellation für einen Guerillakrieg gegeben ist, droht eine langwierige, verlustreiche und letztlich erfolglose militärische Repression gegen eine widerspenstige Bevölkerung.

Zudem erweist sich die seit Jahren am Rande des Absturzes taumelnde Ökonomie und mit ausländischen Krediten über Wasser gehaltene ukrainische Republik mit ihren oligarchischen und korrupten Strukturen als »Fass ohne Boden«, die auch von Russland nur mit erheblicher Ressourcenzufuhr am Leben erhalten werden könnte. Es besteht daher die Möglichkeit, dass die Stimmung in Russland wegen dieser immensen Belastungen kippt, und sich gegen den Präsidenten und seinen oligarchischen Anhang richtet. Nimmt man Putin beim Wort, Russland und die Ukraine seien zwei Staaten, aber ein Volk, dann hat die Putin-Administration Russland in einen vielfach verlustreichen Bruderkrieg verwickelt, der im eigenen Lande Kritik und Protest befördert.

Der Überfall auf die Ukraine richtet sich nicht nur gegen eine Bevölkerung, die infolge einer Implosion des Sowjetreichs und der nachfolgenden unvollständigen Transformation in eine kapitalistische Gesellschaft zum Opfer eines nach langen Jahren aufgetauten nationalistischen Konflikts wurde. Der in Abstimmungen der Bevölkerungen verschiedener Nationalitäten deklarierte Wille, sich der europäischen Wirtschaftsordnung anzunähern, durchbrach und gefährdete die politisch-militärische Ordnung nach dem Kalten Krieg.

Zwar wird durch Putins Krieg die NATO nicht direkt angegriffen – allerdings die Normen und Prinzipien, für die diese militärische Nachkriegsordnung geschaffen wurde. Die Ukraine ist kein Mitglied dieser Allianz. Die Erwartung oder Hoffnung, ihr eines Tages beitreten zu können, wollte die politische Klasse um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Rückhalt von großen Teilen der Bevölkerung längst aufgeben. Die Mitgliedsstaaten der NATO werden sich auch nach dem Überfall hüten, wegen dieses regionalen Konflikts einen Weltkrieg zu entfachen.

Die Völkerrechtsnormen der Nachkriegsepoche wurden und werden durch den Angriffskrieg massiv verletzt. Die Maschinerie der westlichen Diplomatie lief vor dem Überfall erfolglos auf Hochtouren. Auch nach dem Überfall und der Absicherung der osteuropäischen NATO-Staaten stehen die westlichen Regierungen durch die Proteste in ihren Zivilgesellschaften und die politischen Akteure stark unter Druck, den Aggressor in die Schranken zu weisen. Die russische Militärmaschinerie durch die Unterstützung der Widerstandskräfte in der Ukraine mit einem Export von Waffen und Kriegsgerät, wie sie jetzt auch die deutsche Bundesregierung trotz aller vorherigen gegenteiligen Beteuerungen beschlossen hat, zum Rückzug auf das eigene Territorium zu zwingen, dürfte wenig erfolgreich und mit unkalkulierbaren Risiken einer Verlängerung der kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden sein.


Verschärfung der Sanktionen

Und auch die vor allem auf wirtschaftlichen Druck ausgerichteten eher milden Sanktionsinstrumente gehören einer zurückliegenden Epoche an, die häufig in den 30 Jahren der liberalen Weltordnung nicht wirklich wirkten, passen nicht mehr in eine Zeit, in der Großmächte skrupellos ihre Interessen durchsetzen. Deshalb haben die USA, die EU und Großbritannien als verschärfe Wirtschaftssanktionen den Zugang des russischen Staates zu den westlichen Kapitalmärkten ins Visier genommen. US-Präsident Joe Biden kündigte an, außer den russischen Politikern aus der Führung auch den russischen Staat selbst, die Zentralbank, die Staatsfonds und weitere staatliche Einheiten von kapitalistischen Finanzströmen auszuschließen. Die Aufnahme neuer Kreditmitteln in den NATO-Staaten soll weiterhin untersagt bleiben. Außerdem wird als wichtigste Neuerung der Handel mit russischen Staatsschulden verboten.

Die NATO-Staaten und die Länder der EU erhöhen die Sanktionen gegen Russland noch einmal deutlich. Nachdem man sich zunächst nicht darauf verständigen konnte, Russland vom Finanzdienstleister SWIFT radikal auszuschließen, wird diese von manchen westlichen Analytikern als »Atomwaffe im Arsenal der Wirtschaftssanktionen« bezeichnete Maßnahme jetzt zwar nicht voll umfänglich, aber doch verschärft eingesetzt. Allerdings gilt auch hier: Ein Ausschluss von SWIFT könnte gravierende Folgen haben. Russland hat sich längst darauf vorbereitet. Und wie bei allen wirtschaftlichen Sanktionen, gibt es auch hier erhebliche Rückwirkungen auf die Wirtschaft der kapitalistischen Länder.

SWIFT wurde im Jahr 1973 gegründet und ist eine von Banken getragene Genossenschaft mit Sitz in Belgien, über deren sichere Telekommunikationsnetze Finanzinstitute standardisierte Informationen austauschen. Das Projekt entwickelte sich über die Jahrzehnte zu einem wichtigen Bestandteil im Unterbauch des internationalen Finanzsystems. Mehr als 11.000 Finanzinstitute in rund 200 Ländern sind bei SWIFT angeschlossen. Um eine Banküberweisung oder eine Kreditkartenzahlung zu tätigen, müssen Banken und Konti klar zuzuordnen sein. Das geschieht über den sogenannten Bank Identifier Code (BIC). Über SWIFT wird nicht unmittelbar das Geld transferiert, es werden jedoch die Zahlungsanweisungen übermittelt.

Russland ist vor allem über den Handel mit Erdöl, Erdgas, Kohle und Metallen mit dem Ausland verbunden und von Zahlungen über das SWIFT-System abhängig. Der Rohstoffhandel wird üblicherweise in US-Dollar abgerechnet. Ein Ausschluss aus dem System könnte zu einer Abwertung des Rubels führen. Jetzt soll eine gezielte Abkoppelung von diesem System erfolgen. Der frühere russische Finanzminister Alexei Kudrin schätzte schon vor Jahren, dass ein solcher Schritt die Wirtschaftsleistung Russlands um rund 5% schrumpfen lassen könnte. Die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft dürften also zumindest kurzfristig groß sein.

Weil die Drohungen eines Ausschlusses aus dem SWIFT-System schon in früheren Konflikten mit Russland erwogen wurden, und im Fall der Sanktionen gegen den Iran auch umgesetzt worden sind, hat Russland ein eigenes Zahlungssystem aufgebaut. Dieses ist allerdings hauptsächlich auf Russland beschränkt, außerhalb des Landes ist der Nutzen gering. Nachteilig ist, neben der geringen Verbreitung, dass höhere Kosten anfallen. Der Ausschluss Russlands hätte in der Tat kurz- und mittelfristige begrenzte negative Effekte auf die Leistungen der russischen Ökonomie. Unbestritten jedoch sind die rückwirkenden Effekte auf das internationale Finanzsystem insgesamt und die Ökonomien kapitalistischer Hautländer.

Die unverzichtbaren Unterstützungsleistungen für die angeschlagene Wirtschaft einer auf Dauer besetzten Ukraine dürften für Russland gleichfalls stark ins Gewicht fallen. Und ein Ausschluss des Landes aus SWIFT würde sowohl Russland wie China in ihren Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit vom US-Dollar deutlich bestärken; Alternativen zu SWIFT erhielten einen gewaltigen Schub.

Die westlichen Sanktionen sollen die Kosten für die eigene Wirtschaft auf Zeit so gering wie möglich zu halten. Ein Ausschluss Russlands würde diese Zeit verkürzen, allerdings mit letztlich geoökonomischen und geopolitischen Konsequenzen. Das Drohen der westlichen Länder mit schwerwiegenden Wirtschaftssanktionen hat Moskau nicht davon abgehalten, die gesamte Ukraine militärisch zu attackieren. Die jetzt beschlossenen zusätzlichen Sanktionen sind eine erhebliche Verschärfung, um die wirtschaftlichen Kosten für Moskau in die Höhe zu treiben.

Die USA, die EU und Großbritannien haben zudem bislang auch noch nicht entschieden, den Energiehandel einzuschränken, wohl aus Furcht vor den wirtschaftlichen Folgen. Russland liefert derzeit rund einen Drittel des Gasbedarfs und gut einen Viertel der Erdölnachfrage Europas. Die Abhängigkeit ist jedoch gegenseitig: Rund die Hälfte aller russischen Erdölexporte gehen nach Europa, beim Erdgas sind es gar 90%. So werden trotz allen Sanktionen dennoch täglich Hunderte von Millionen US-Dollar aus dem Westen in die Kassen des Kremls gespült.

Die Sanktionen erhöhen sicherlich die Kosten für Moskau. Sie sind jedoch vor allem ein symbolisches Instrument für die westlichen Staaten. »Wir treffen Putin und seine Systemprofiteure, wir treffen den Banken- und Finanzsektor, wir treffen die Wirtschaft.« (Außenministerin Annalena Baerbock) Sie sollen zugleich Türen offen lassen für die Entwicklung einer globalen Weltordnung nach dem Krieg, was auch Bundeskanzler Scholz in seiner Regierungserklärung heute vor dem deutschen Bundestag bei aller deutlichen Rhetorik gegen Putins Aggression andeutete: Vor dem Hintergrund »unserer eigenen Geschichte« würde auch er sich »immer stark machen für die friedliche Lösung von Konflikten«.


Militärische Aufrüstung hilft auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung nichts

Zugleich nutzt die politische Klasse der Bundesrepublik die verbreitete Betroffenheit über den russischen Einmarsch in der Ukraine, um neben der Abgrenzung und Bestrafung des Aggressors auch eine militärische Aufrüstung einzuleiten. Die Forderung von Alexander Dobrindt (CSU) zu »nuklearer Teilhabe« wird sicherlich nicht breit geteilt, aber das von der Ampel-Regierung beschlossene und von Scholz in seiner heutigen Regierungserklärung vorgestellte »Sondervermögen Bundeswehr« in Höhe von 100 Mrd. Euro, das gemeinsam mit CDU/CSU im Grundgesetzt verankert werden soll, ist ein Weg zu mehr Militär, zu mehr Waffen und Aufrüstung. Zugleich wird damit der politische Wille unterstrichen, »Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren« (Scholz).

Russlands Angriff auf die Ukraine sei eine »Zeitenwende« für Europa, so der Bundeskanzler, der zwar eine Katastrophe für die Ukraine sei, aber sich auch als Katastrophe für Russland erweisen werde. Immerhin will auch er die Tür für Verhandlungen nicht zuschlagen: »Wir werden uns Gesprächen mit Russland nicht verweigern.« Selbst in der extremen Lage sei es Aufgabe der Diplomatie, Gesprächskanäle offen zu halten, alles andere sei unverantwortlich. Er setzt dabeiauch auf die russische Zivilgesellschaft, auf jene Menschen »in Russland, die Putins Machtapparat mutig die Stirn bieten und seinen Krieg gegen die Ukraine ablehnen«. Neben ihm würdigten auch andere Redner*innen in der Bundestagsdebatte all jene, die in Russland Verhaftung und Bestrafung in Kauf nehmen, um eine andere Zukunft des Landes und ein gemeinsames friedliches Zusammenleben mit anderen Ländern zu erreichen. Um eine solche Phase der Entspannung und der Schaffung einer gemeinsamen europäischen Sicherheit nach dem Krieg muss gerungen werden.

Durch den Krieg in der Ukraine wird auch das globale Institutionengefüge angegriffen und beschädigt. Angesichts der absehbaren internen und externen massiven Flüchtlingsbewegung, den Truppenbewegungen der NATO und den angelaufenen Sanktionen gegen Russland wird das drohende Szenario einer Ausweitung des Putin-Krieges nicht verringert. Eine schnelle Bewegung seitens der politischen Akteure zurück zur gemeinsamen Sicherheit, zur friedens- und sicherheitspolitischen Ordnung, wie wir sie kannten, wird es nicht geben – auch wenn inzwischen bereits erste Signale zu Gesprächsbereitschaft gesendet wurden.

Große Teile der Öffentlichkeit in den westlich-kapitalistischen Ländern drängen in Richtung Abgrenzung, massiver Aufrüstung und scharfer Sanktionen, die den russischen Gesamtreproduktionsprozess massiv schädigen sollen. Diese Folgen haben Putin und seine Oligarchen-Clique mit der Entscheidung für einen Krieg gegen die Ukraine und der weltpolitischen Konfrontation gegenüber den USA und den NATO-Ländern der russischen Bevölkerung aufgenötigt, einschließlich der damit verbundenen Lasten.

Es wird wie in der Epoche des kalten Krieges nach dem Ende der aktuellen Kriegshandlungen, nach Abgrenzung und Abschreckung um eine Rekonstruktion von Globalökonomie und multilateralen Organisationen und Governance gekämpft werden müssen. Ob es gelingt, einen neuen Übergang zu gemeinsamer Sicherheit und Kooperation zu finden und wie dieser dann aussieht, wird auch davon geprägt sein, wie stark die internationalen Wirtschaftsbeziehungen beschädigt und wie weit die zivile Ordnung zerstört worden sind.

Und wenn in Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland ein Stopp und Ende der militärischen Intervention erreicht werden kann, wird es nicht ohne tiefgreifende Reformen bei UNO, Internationalem Währungsfonds, Weltbank, WTO etc. abgehen. Über die Rolle der Volksrepublik China auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung wird dann ebenfalls zu reden sein.

Anmerkungen

[1] Vgl. zum Folgenden auch: Friedrich Steinfeld, Am Rande eines großen Krieges: der Russland-Ukraine-NATO-Konflikt, in: Sozialismus.de, Heft 3/2022; Joachim Bischoff/Friedrich Steinfeld: Der Droht ein neuer Krieg?, in: Sozialismus.deAktuell vom 4.2.2022 sowie Joachim Bischoff/Björn Radke, Imperialer Furor des Putinismus, in: Sozialismus.deAktuell vom 24.2.2022.

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